24.06.2025
Wer in Deutschland gegen ein Unternehmen in China klagen will, steht neben der späteren Vollstreckbarkeit oft vor einem ersten praktischen Hindernis: Die Zustellung der Klage ist aufwendig, langwierig und von Unsicherheit geprägt. Gerade wenn eine Verjährung droht oder aus anderen Gründen schnelles Handeln geboten ist, kann dies problematisch sein. Doch ein Beschluss des Landgerichts Frankfurt a. M. (Beschl. v. 15.01.2025 – 2-06 O 426/24) markiert nun einen wichtigen Wendepunkt: Die öffentliche Zustellung einer Klageschrift an einen chinesischen Prozessgegner ist möglich – ohne vorherige monatelange Zustellungsversuche über den herkömmlichen Weg.
Zustellungen in die Volksrepublik China erfolgen im Grundsatz nach dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (HZÜ). Dabei ist die Zustellung deutscher Gerichtsdokumente ausschließlich über das International Legal Cooperation Center (ILCC) des chinesischen Justizministeriums in Peking als chinesische Zentralbehörde zulässig. Sodann durchläuft die Zustellung ein weiteres Verfahren auf chinesischer Seite, welches regelmäßig zu Verzögerungen führt: Das Oberste Volksgericht erhält das Schriftstück weitergeleitet und übersendet es durch Volksgerichte der oberen Stufe sowie der Mittelstufe dem zuständigen Volksgericht, welches die Zustellung an den konkreten Empfänger durchführt. Postzustellungen sind aufgrund des chinesischen Widerspruchs gegen Art. 10 HZÜ nicht erlaubt. Die förmliche Zustellung einer Klage ist aufgrund eines erklärten Vorhalts nach Art 5 Abs. 3 HZÜ zudem nur in chinesischer Sprache zulässig. Die Bearbeitungsdauer beträgt regelmäßig über ein Jahr, teilweise auch länger, während der das Verfahren faktisch stillsteht. Zudem besteht jederzeit das Risiko, dass die chinesischen Behörden die Zustellung ohne Begründung verweigern oder verzögern – insbesondere bei staatlich beeinflussten Beklagten oder in Patentstreitsachen. Nach öffentlich einsehbaren Quellen werden teilweise ca. die Hälfte der Zustellungsersuchen aus dem Ausland aufgrund formaler Fehler zurückgewiesen.
Nach § 185 Nr. 3 ZPO kann die öffentliche Zustellung angeordnet werden, wenn eine Zustellung im Ausland „nicht möglich ist“ oder „keinen Erfolg verspricht“. Dies ist nicht nur dann erreicht, wenn etwa kein Rechtshilfeabkommen mit dem betreffenden Staat besteht oder die ersuchte Behörde die Rechtshilfe verweigert, sondern auch bereits dann, wenn die Zustellung unzumutbar lange dauern würde. Dabei ist eine sorgfältige Abwägung anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Das Interesse der klagenden Partei an effektivem Rechtsschutz kann das Interesse der Beklagten im Hinblick auf die Gefährdung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG im Einzelfall überwiegen, wenn keine realistische Aussicht besteht, die Zustellung in einem angemessenen Zeitraum abzuschließen. Dabei ist die öffentliche Zustellung in einstweiligen Rechtsschutzverfahren schon dann bewilligt worden, wenn die Zustellung voraussichtlich nicht innerhalb der Vollziehungsfrist (§ 929 Abs. 2 ZPO) erfolgt. In gewöhnlichen Hauptsacheverfahren wird hingegen in der bisherigen Rechtsprechung eine Wartezeit von mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr regelmäßig als zumutbar erachtet. Hierbei kommt es aber auch auf weitere Umstände an, etwa wie lange der Kläger selbst mit der Anspruchsdurchsetzung zugewartet hat.
Im nun entschiedenen Fall hat das LG Frankfurt a.M. die öffentliche Zustellung einer Klageschrift an ein chinesisches Unternehmen bewilligt. Die dortige Klägerin habe dargelegt, dass eine normale Auslandszustellung nach China oft nicht gelinge und auch dann einen Zeitraum von deutlich mehr als einem Jahr in Anspruch nehme. Unter Hinweis auf Erfahrungen anderer deutscher Gerichte, welche sich mit den eigenen Erfahrungen der entscheidenden Kammer deckten (unter anderem unter Hinweis auf OLG München BeckRS 2020, 4267 Rn. 10 und LG München I BeckRS 2021, 3995 Rn. 31 ff., welche allerdings öffentliche Zustellungen bei chinesischen Prozessgegnern bislang nur in einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigten), nehme die Zustellung in der Volksrepublik China unzumutbar lange Zeit in Anspruch. Das LG Frankfurt a.M. bestätigt daher nunmehr erstmals auch die öffentliche Zustellungsmöglichkeit bei chinesischen Prozessgegnern im Rahmen einer Klageerhebung in Hauptsacheverfahren.
Bislang zeigte sich die Rechtsprechung mitunter zögerlich gegenüber der öffentlichen Zustellung. Stattdessen wurde auf die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland nach § 184 ZPO verwiesen. Das löst das Problem aber nicht, weil auch diese Entscheidung eine Auslandszustellung erfordert. Im vorliegenden Fall hat die Kammer hingegen einen begrüßenswerten, pragmatischen Ansatz gewählt: Mit Bewilligung der öffentlichen Zustellung hat die Kammer der Klägerin zugleich aufgegeben, die Beklagte informell über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zu informieren – per E-Mail und über die ihr bekannten Kontaktwege.
Die Entscheidung des LG Frankfurt eröffnet Klägern gegen chinesische Gegner eine realistische Möglichkeit, Verfahren zügig und rechtssicher einzuleiten – auch ohne sich im Labyrinth diplomatischer Zustellungswege zu verlieren. Für Unternehmen mit Streitigkeiten in China oder gegen chinesische Vertragspartner ist das eine bedeutsame Erleichterung.
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
Partnerin
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