02.05.2024

Neues Qualifizierungsgeld für Strukturwandel nutzen

Hintergrund

Strukturwandel steht in vielerlei Hinsicht an: Erneuerbare Energien, E-Mobilität, Home Office und Videotelefonie, Künstliche Intelligenz (KI) und andere Technologien haben unsere Arbeitswelt in den letzten Jahren rasant verändert. Der Wandel wird weitergehen. Schlagzeilen wie „Digitale Transformation der Arbeitswelt“, „Gestaltung der Arbeitswelt von Morgen“ und „Der digitale Wandel ist ein Muss“ unterstreichen die Dringlichkeit für Unternehmen, den Strukturwandel zu vollziehen.

Schon im Jahr 2021 einigten sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag auf ein „Qualifizierungsgeld“, das an das Kurzarbeitergeld angelehnt werden sollte. Mit dem am 20. Juli 2023 verkündeten Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung schaffte die Koalition nun neue Instrumente für Arbeitgeber, um den Herausforderungen des Strukturwandels zu begegnen und sich für die Zukunft zu rüsten. Am 1. April 2024 trat die im Gesetz beschlossene Weiterbildungsförderung Beschäftigter sowie die Einführung des Qualifizierungsgeldes in Kraft. Mit dem Qualifizierungsgeld soll die Bundesagentur für Arbeit „Unternehmen im Strukturwandel ermöglichen“, ihre „Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern.“

Was ist das Qualifizierungsgeld?

Das Qualifizierungsgeld ist eine staatliche Förderung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich in Zeiten des Strukturwandels weiterbilden und dadurch ihre Arbeitsplätze sichern möchten. Es wird von der Bundesagentur für Arbeit während der Weiterbildung anstelle des Gehalts ausgezahlt. Die Höhe des Qualifizierungsgeldes beträgt 60 Prozent - beziehungsweise 67 Prozent für Beschäftigte mit mindestens einem Kind - desjenigen Nettoentgeltes, das durch die Weiterbildung entfällt.

Da besser qualifizierte Beschäftigte von unschätzbarem Wert sind, profitieren auch Arbeitgeber vom Qualifizierungsgeld. Diese können das Qualifizierungsgeld bis zur Höhe des vertraglichen Gehalts aufstocken – ähnlich wie dies in Fällen von Personalabbau in Transfergesellschaften üblicherweise geschieht. Nur: Transferkurzarbeitergeld setzt eine Trennung des Arbeitgebers von seinen Arbeitnehmern voraus, Qualifizierungsgeld soll die Belegschaft hingegen erhalten.

Wie erhält Ihr Betrieb das Qualifizierungsgeld?

Um das Qualifizierungsgeld zu erhalten müssen folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • In Ihrem Betrieb besteht für einen „wesentlichen Teil der Belegschaft“ ein strukturwandelbedingter Qualifizierungsbedarf. „Wesentlicher Teil“ meint dabei mindestens 20 Prozent bei mindestens 250 Beschäftigten, bei weniger als 250 Beschäftigten mindestens 10 Prozent.
  • Der strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarf muss in einer „betriebsbezogenen Regelung“ oder einem Tarifvertrag festgehalten sein. In Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten reicht anstelle einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrags eine schriftliche Erklärung des Arbeitgebers aus. Arbeitgeber ohne Betriebsrat oder Tarifbindung und mit mehr als 10 Beschäftigten haben derzeit keinen Zugang zu Qualifizierungsgeld.
  • Die Weiterbildung muss mehr als 120 Stunden umfassen. Sie muss Fertigkeiten und Kenntnisse vermitteln, die über eine ausschließlich arbeitsplatzbezogene, kurzfristige Anpassungsfortbildung hinausgehen. Eine Schulung für eine betriebsspezifische Software kann zum Beispiel nicht gefördert werden. Die 120 Stunden müssen nicht am Stück absolviert werden. Die Qualifizierung kann in Vollzeit, Teilzeit oder berufsbegleitend stattfinden.
  • Die Beschäftigten müssen der der Qualifizierung zustimmen.

Neben den Voraussetzungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfüllen müssen, gibt es auch bestimmte Anforderungen an die Arbeitgeber:

  • Der Arbeitgeber muss das Qualifizierungsgeld schriftlich (auch online möglich) bei der Agentur für Arbeit beantragen.
  • Für jede Weiterbildung ist ein gesonderter Antrag auf Qualifizierungsgeld zu stellen.
  • Der Antrag sollte spätestens drei Monate vor Beginn der beruflichen Weiterbildung gestellt werden. Das Qualifizierungsgeld wird nicht rückwirkend geleistet.
  • Die Kosten für Weiterbildung tragen die Arbeitgeber.
Gibt es bereits Kritik an der Umsetzung des Qualifizierungsgeldes?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sah schon vor Verabschiedung des Gesetzes die Einführung des Qualifizierungsgeldes kritisch: „Anstelle eines neuen Weiterbildungsinstruments, das das ohnehin schon komplexe System noch weiter verkompliziert, wäre es im Gegenteil dringend angezeigt die bestehende Beschäftigtenförderung für Weiterbildung zu flexibilisieren und zu vereinfachen.“ Darüber hinaus hebt die BDA hervor, dass Betriebe ausgeschlossen werden, die über keine einschlägige Betriebsvereinbarung oder einschlägigen Tarifvertrag verfügen. Laut BDA erreicht das Qualifizierungsgeld damit vor allem größere Betriebe. Die Bundesregierung begründet das Erfordernis einer Betriebsvereinbarung bzw. eines Tarifvertrags damit, dass nur so sichergestellt wird, dass die Qualifizierungsmaßnahmen tatsächlich den Bedürfnissen des Betriebs entsprechen und eine zukunftssichere Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleisten.

Eine Betriebsvereinbarung mag diesen Zweck fordern. Arbeitgebern ohne Betriebsrat oder Tarifvertrag die Eignung gänzlich abzusprechen, Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, die den Bedürfnissen des Betriebs entsprechen und eine zukunftssichere Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewährleisten, geht jedoch zu weit. Die BDA kritisiert zurecht, dass die aktuellen Regelungen zum Qualifizierungsgeld eine große Zahl an Betrieben ausschließt. Laut statistischem Bundesamt lag im Jahr 2022 der Anteil von Betrieben mit Betriebsrat in der Privatwirtschaft bei 39 %. Im selben Jahr lag der Anteil an Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt war, bei 41 %. Die Zahlen lassen sich selbstverständlich nicht direkt miteinander vergleichen oder gar addieren. Sie legen immerhin nahe, dass ein großer Teil an mittelständischen Betrieben von den staatlichen Förderungen ausgenommen wird.

Für welche Branche ist das Qualifizierungsgeld relevant?

Der Begriff des strukturwandelbedingten Qualifizierungsbedarfs wird im Gesetz nicht näher definiert. Letztlich betrifft es die Branchen, in denen durch den Einsatz neuer Technologien, Berufsbilder und deren Qualifikationen verändert werden. Da "fast alle Branchen und Betriebe" von dem Strukturwandel betroffen seien, gebe es laut der Bundesagentur für Arbeit "keine Beschränkung des Qualifizierungsgeldes auf ein Anwendungsfeld." Damit kann das Qualifizierungsgeld in allen Branchen genutzt werden, um in neue Qualifikationen zu investieren und so die Beschäftigten besser auf bevorstehende Veränderungen vorzubereiten. Es wird damit ein wichtiges Instrument werden, um Beschäftigten und Arbeitgebern in Zeiten des Strukturwandels Unterstützung zu bieten.

Beispiele für Branchen, die besonders häufig vom Strukturwandel betroffen sind und somit für das Qualifizierungsgeld relevant sein können, sind:

  • Die Automobilbranche: Aufgrund des Umstiegs hin zu Elektro- und Hybridfahrzeugen sowie der fortschreitenden Digitalisierung stehen viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie auf dem Spiel. Mit dem Qualifizierungsgeld können Beschäftigte gezielt für neue Anforderungen und Technologien geschult werden, um die Arbeitsplätze in der Branche langfristig zu sichern.
  • Die Finanzbranche: In der Finanzbranche führen der technologische Wandel und die fortschreitende Digitalisierung zu einem starken Umdenken. Beschäftigte müssen sich auf den Umgang mit innovativer Finanztechnologie spezialisieren. Auch hier kann das Qualifizierungsgeld eingesetzt werden, um beispielsweise Schulungen für den Umgang mit neuen Technologien anzubieten.
  • Die Energiewirtschaft: Durch den Ausbau erneuerbarer Energien verändert sich die Arbeitswelt in der Energiewirtschaft und es können Arbeitsplätze verloren gehen. Mit dem Qualifizierungsgeld können Beschäftigte gezielt auf neue Anforderungen geschult werden und Weiterbildungen besuchen, um in den Bereichen der erneuerbaren Energien eingesetzt zu werden.

Neben diesen Branchen sind laut der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise auch energieintensive Bereiche wie die Herstellung von Glas und Keramik, die Verarbeitung von Steinen und Erden, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen oder die Metallerzeugung und -bearbeitung zu nennen. Das Beispiel Finanzbrache zeigt, dass nicht nur die Industrie betroffen ist. Auch in anderen Branchen wie beispielsweise im Verlagswesen, im Bankenwesen, bei Versicherungen und im Einzelhandel wird es aufgrund der Digitalisierung einen erheblichen Strukturwandel geben, für den die Beschäftigten entsprechend weiterqualifiziert werden müssen.

Wann kommt das Qualifizierungsgeld zum Einsatz?

Das Qualifizierungsgeld soll nach der Idee des Gesetzgebers vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn Betriebe von einem bevorstehenden Strukturwandel betroffen sind und Arbeitsplätze in Gefahr sind. In solchen Fällen kann das Qualifizierungsgeld dazu beitragen, die Beschäftigung im gleichen Betrieb zu sichern, indem die Beschäftigten gezielt weitergebildet werden und ihnen dadurch eine Perspektive im Betrieb ermöglicht wird. Betriebliche Veränderungsprozesse durch technologischen Wandel sind oft Betriebsänderungen im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. Über diese geplanten Betriebsänderungen hat der Arbeitgeber bei Bestehen eines Betriebsrats in Betrieben mit in der Regel mehr als zwanzig Wahlberechtigten mit dem Betriebsrat zu beraten. Im Rahmen dieser Beratungen kann auch über Qualifizierungsmaßnahmen verhandelt und in einem Interessenausgleich vereinbart und in einem Sozialplan deren Folgen geregelt werden.   

Fazit

Insgesamt ist das Qualifizierungsgeld eine wichtige Unterstützungsmöglichkeit für Betriebe und Beschäftigte in Zeiten des Strukturwandels. Durch die gezielte Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen können Arbeitsplätze erhalten und zukunftssicher gestaltet werden. Dadurch können Arbeitgeber ihre Fachkräfte halten und an den Betrieb binden. Arbeitgeber sollten auch im Hinblick auf den angespannten Fachkräfte- und Arbeitsmarkt die Vorteile des Qualifizierungsgelds für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihren Betrieb ausloten und entsprechend handeln.

Autor/in
Dietmar Heise

Dietmar Heise
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Janina Ott

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