05.02.2018

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? BGH schafft Klarheit im Umgang mit Verspätungsvorschriften

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Hintergrund

05.02.2018

 

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? BGH schafft Klarheit im Umgang mit Verspätungsvorschriften

Verliert eine Partei im Zivilprozess in 1. Instanz, ist zwar eine Schlacht, nicht zwingend jedoch der gesamte Krieg verloren. Oft kann eine Berufung noch zum gewünschten Erfolg führen. Dabei ist häufig ausschlaggebend, ob es der unterlegenen Partei erlaubt ist, ihr Rechtsschutzziel in der Berufungsinstanz durch Angebot neuer Beweismittel (sog. Noven) zu verfolgen. Mit Beschluss vom 31.05.2017 (Az.: VIII ZR 69/16) erläutert der BGH die Voraussetzungen einer Zurückweisung verspäteten Vorbringens im Ausgangs- und Berufungsverfahren ausführlich und versieht den Novenbegriff mit allgemeingültiger Definition. Die Kernaussagen des BGH geben in der Praxis nützliche Anwendungshilfen an die Hand.

Hintergrund – der zugrunde liegende Fall

Die Klägerin kaufte von der Beklagten ein Pferd, bei dem die Klägerin in der Folge eine periodisch auftretende Augenentzündung beanstandete. Die Beklagte bestritt zwar den Mangel, war aber damit einverstanden, dass sich die Klägerin ein anderes Pferd aus dem Bestand der Beklagten aussuchte. Bei diesem zweiten Pferd bemängelte die Klägerin, dass es an Lahmheit leide. Das Ausgangsgericht ging von einem Tauschgeschäft zwischen den Parteien aus; die Klägerin könne deshalb nicht den Kaufpreis, sondern bloß Eigentum und Besitz am ersten Pferd wiedererlangen. Die Klägerin weigerte sich, den Auslagenvorschuss für ein Sachverständigengutachten zur Frage der Lahmheit des zweiten Pferdes zu zahlen, da sie kein Interesse daran hatte, „statt des lahmen Pferdes das blinde Pferd zu erhalten.“ Die Klägerin blieb insoweit beweisfällig, sodass die Klage erstinstanzlich abgewiesen wurde. Nach Einlegung der Berufung und erneuten Beweisangebots eines Sachverständigengutachtens, würdigte das Berufungsgericht die Abrede der Parteien zwar im Gegensatz zum Ausgangsgericht als Nacherfüllungsvereinbarung, hielt das Angebot des Sachverständigenbeweises in der Berufungsinstanz jedoch nach §§ 531 Abs.1, 296 Abs. 1, 282 ZPO für verspätet und wies es zurück – fehlerhaft, wie der BGH im Beschluss ausführt.

Keine Nachholung der Zurückweisung in der Berufungsinstanz

§ 531 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass ein Parteivortrag, der im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden ist, ausgeschlossen bleibt. Hierzu ist jedoch erforderlich, dass das Ausgangsgericht die Voraussetzungen des § 296 ZPO geprüft oder diese Vorschrift zumindest zitiert hat. Ist dies nicht geschehen, darf das Berufungsgericht § 531 Abs. 1 ZPO weder anwenden, noch die vom Ausgangsgericht versäumte Zurückweisung selbst nachholen oder die Zurückweisung auf einen anderen Verspätungsgrund stützen als das Ausgangsgericht. § 296 Abs. 1 ZPO bezieht sich nur auf die Versäumung bestimmter, dort ausdrücklich genannter Fristen, zu denen die Frist zur Zahlung des Vorschusses gerade nicht gehört. Selbst wenn das Ausgangsgericht ein Beweisangebot gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückweist, muss hierfür die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhen. Das ist nicht der Fall, wenn der Vorschuss nicht gezahlt wird, weil das Gericht einer fehlerhafte Rechtsauffassung unterliegt, wodurch selbst bei „Erfolg“ des Beweisangebotes dem Kläger nicht zu seinem Rechtsschutzziel verholfen wird. So lag der Fall hier, denn die Ursache für die unterbliebene Zahlung war nach der Begründung der Klägerin allein die – nach BGH fehlerhafte – Wertung der Abrede als Tauschgeschäft. Die Klägerin durfte daher erstinstanzlich die Einzahlung des Vorschusses verweigern; eine Verspätung in der Berufungsinstanz lag nicht vor.

Das ist „neu“ im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO

Nach § 531 Abs. 2 ZPO kann neuer Vortrag im Berufungsverfahren nur unter engeren Voraussetzungen vorgebracht werden. Neu ist zum einen solcher Vortrag, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz überhaupt nicht vorgebracht worden ist. Der BGH erweitert den Novenbegriff in seiner Entscheidung nun jedoch auch um solche Tatsachen oder Beweismittel, die zunächst vorgebracht und dann wieder fallen gelassen worden sind und nimmt dadurch auch auf den Verzicht auf Zeugen nach § 399 ZPO Bezug. Die bloße Nichteinzahlung eines Vorschusses stellt einen solchen Verzicht – wie der BGH erläutert – grundsätzlich nicht dar.

Zum vormals geltenden Berufungsrecht hatte der BGH entschieden (Urteil v. 5.5.1982; Az.:VIII ZR 152/81 zu § 528 Abs. 2 ZPO a.F.), dass es sich bei einem Zeugenbeweis, für den in 1. Instanz kein Kostenvorschuss eingezahlt worden war, um ein in der Berufungsinstanz neues Beweisangebot handele. Hieran wird nun nach der aufgestellten Definition des BGH und unter Geltung von § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr festgehalten.

Reichweite der Entscheidung

Die Bedeutung der Verspätungsvorschriften, die Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen und die Angst vor der Präklusionsfalle sind in der Praxis groß. Die vom BGH aufgestellte Noven-Definition beseitigt so manche Unsicherheit und ist ausdrücklich nicht nur auf den Sachverständigenbeweis, sondern auch auf den Zeugenbeweis, sowie Beweisantritte im Allgemeinen auszudehnen. Bemerkenswert ist vor allem der Verweis auf § 399 ZPO. Noch unklar ist, welche Anforderungen an das Vorliegen eines Verzichts auf ein Beweismittel in Zukunft zu stellen sein werden. Da nach dem BGH das Vorliegen einer groben Nachlässigkeit bei Verspätung eines Beweisantritts von dem Motiv für die Verspätung abhängig sein kann, wird es aus Sicht des Beweisfälligen vielfach vorteilhaft sein, eine entsprechende Begründung dafür zu liefern.

 

 

Dr. Stephan Bausch, D.U.
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Ann-Marie Lind
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