08.08.2018

Haftungsrisiko - verspäteter Insolvenzantrag

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Hintergrund

08.08.2018

Haftungsrisiko - verspäteter Insolvenzantrag!

Das Haftungsrisiko und die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführer von Krisenunternehmen hat sich mit dem Urteil des BGH vom 19.12.2017 (II ZR 88/16) erhöht. Der BGH hat den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit durch den Ansatz der sogenannten Passiva II vorverlagert.

Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO sind Geschäftsführer verpflichtet, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber nach drei Wochen, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Die Drei-Wochen-Frist ist eine Höchstfrist. Sie beginnt, sobald die Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung objektiv für die Geschäftsführer erkennbar ist. Die Geschäftsführer haben daher die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz einen Überblick über die Zahlungsfähigkeit bzw. eintretende Zahlungsunfähigkeit zu machen.

Der BGH hat in der grundlegenden Entscheidung vom 19. Dezember 2017 (II ZR 88/16) erstmals direkt Stellung genommen, wann Zahlungsunfähigkeit eintritt. Bislang war in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten, ob bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auch die Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, die innerhalb von drei Wochen erst fällig werden (sogenannte Passiva II).

Wann liegt Zahlungsunfähigkeit und nicht nur Zahlungsstockung vor?

Nach der Insolvenzordnung ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO).

Der BGH grenzt die Zahlungsunfähigkeit von der bloßen Zahlungsstockung ab, die keine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages auslöst. Von einer Zahlungsstockung ist auszugehen, wenn die Liquiditätslücke weniger als 10% der fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt. Ist der Schwellenwert von 10% überschritten, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen.

Wie wird die Zahlungsunfähigkeit in der Praxis festgestellt?

Die Beurteilung, ob ein Unternehmen zahlungsunfähig ist, wird auf der Grundlage einer fortlaufenden Liquiditätsbilanz festgestellt. Auf der Aktivseite werden die am Stichtag verfügbaren Zahlungsmittel der Gesellschaft (Guthaben bei Kreditinstituten, Bargeld und abrufbare Kredite) als sogenannte Aktiva I den fälligen Verbindlichkeiten auf der Passivseite (sog. Passiva I) gegenübergestellt. Zusätzlich sind auf der Aktivseite die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in die Liquiditätsbilanz einzubeziehen (sog. Aktiva II).

Bislang war für die Praxis unklar, ob bei der Prognosebetrachtung im Drei-Wochen Zeitraum auch die in diesem Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) gegenüberzustellen sind. So konnte das Krisenunternehmen die zum Stichtag der Zahlungsunfähigkeitsprüfung verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (Aktiva I und Aktiva II) zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva I) ansetzen. Ohne die Berücksichtigung der Passiva II in der Liquiditätsprognose war es der Geschäftsführung eines Krisenunternehmens daher möglich, den Insolvenzantrag aufzuschieben.

Passiva II sind jetzt einzubeziehen!

Der BGH hat jetzt erstmals entschieden, dass bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung den Aktiva I und Aktiva II nicht nur die Passiva I sondern auch die Passiva II gegenüberzustellen sind. Dem Gesetzgeber sei es gerade auf eine frühzeitige Verfahrenseröffnung und damit verbesserte Sanierungsmöglichkeit des Krisenunternehmens angekommen. Für den Fall einer Liquidation des Unternehmens soll die Insolvenzmasse durch einen frühen Insolvenzantrag der Geschäftsführung erhalten und damit die Gläubiger geschützt werden.

Auswirkungen dieser Entscheidung für Geschäftsführer

Die Entscheidung des BGH führt zur Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit durch den Ansatz der sog. Passiva II. Das Haftungsrisiko und die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführer von Krisenunternehmen hat sich damit erhöht. So kann ein verspäteter Insolvenzantrag zu einer Schadenersatzpflicht des Geschäftsführers führen. Darüber hinaus ist die verspätete Insolvenzantragstellung strafbewehrt.

Die Geschäftsführer müssen die Liquiditätslage des Unternehmens demnach noch intensiver überwachen. Bei Unsicherheiten über die Liquiditätslage des Unternehmens sollten die Geschäftsführer nicht zögern, sich rechtlich und betriebswirtschaftlich beraten zu lassen.

 

 

Vincent Tiepold
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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