22.01.2019

Zu den Erklärungen der EU-Mitgliedstaaten über die Zukunft des Intra-EU-Investitionsschutzes

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Hintergrund

22.01.2019

Zu den Erklärungen der EU-Mitgliedstaaten über die Zukunft des Intra-EU-Investitionsschutzes

Mit seinem Achmea-Urteil vom 6. März 2018 hatte der EuGH die Schiedsklausel im zwischen den Niederlanden und der Slowakei anwendbaren bilateralen Investitionsschutzvertrag als europarechtswidrig eingestuft (dazu mehr hier). Mitte Januar 2019 haben nun die Mitgliedstaaten der EU in drei Erklärungen zu der Frage Stellung genommen, welche breiteren Konsequenzen aus diesem Urteil für den Investitionsschutz innerhalb der EU zu ziehen sind. Ungewöhnlich ist bereits, dass nicht alle Mitgliedstaaten einheitlich drei verschiedene Erklärungen abgegeben haben, sondern es drei inhaltlich unterschiedliche Erklärungen gibt. Eine wurde von 22 Mitgliedstaaten – einschließlich Deutschland – unterzeichnet, eine separate von fünf weiteren Mitgliedstaaten (Finnland, Luxemburg, Malta, Schweden und Slowenien) und schließlich eine letzte von Ungarn.


Inhalt der Erklärungen

Die Mitgliedstaaten sind zunächst der Ansicht, dass das Europarecht zur Unanwendbarkeit der Streitbeilegungsklauseln in all ihren bilateralen Investitionsschutzverträgen führe und diese daher keine rechtliche Wirkung mehr entfalteten. Schiedsgerichte hätten mangels Schiedsvereinbarung keine Zuständigkeit. Dies gelte – so die „Erklärung der 22“ – auch für den Energiechartavertrag (ECT). Die beiden anderen Erklärungen weichen bzgl. des Energiechartavertrags jedoch ab und beziehen sich rein auf bilaterale Verträge. Der ECT ist aus der Perspektive dieser Erklärungen vom Achmea-Urteil nicht umfasst.

Investoren seien darüber hinaus innerhalb der EU bereits durch die Grundfreiheiten und die EU-Grundrechtecharta geschützt. Auch einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, sei jedoch eine Pflicht der Mitgliedstaaten nach den EU-Verträgen. Sie würden zu diesem Zwecke mit der Europäischen Kommission intensiv diskutieren, wie ein voller, starker und effektiver Schutz von Investitionen in der EU gewährleistet werden könne. Dies schließe ein, bestehende Streitbeilegungsmechanismen zu überprüfen, sie ggfs. zu verbessern oder sogar neue Mechanismen zu schaffen.

Konkret sehen die Erklärungen vorrangig die folgenden Schritte vor:

  • Die Mitgliedsstaaten wollen gegen anhängige Intra-EU-Investitionsschiedsverfahren vorgehen, die Aufhebung von Schiedssprüchen beantragen und sich der Vollstreckung von ergangenen Intra-EU-Schiedssprüchen widersetzen. Dies soll jedoch nicht für Schiedssprüche gelten, die bereits erfüllt wurden oder nicht mehr aufhebbar sind.
  • Mitgliedstaaten, die Klägerunternehmen kontrollieren, sollen die nach nationalem Recht möglichen Schritte unternehmen, damit Investitionsschiedsklagen gegen andere EU-Mitgliedstaaten zurückgenommen werden.
  • Die bestehenden bilateralen Investitionsschutzverträge sollen nach Möglichkeit bis Ende 2019 gekündigt werden.
  • Die Mitgliedstaaten würden ihrer Verpflichtung unter Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV nachkommen, effektiven Rechtsschutz gegen die staatlichen Maßnahmen zu gewähren, die Gegenstand anhängiger Verfahren seien.
  • Die Mitgliedstaaten wollen mit der Europäischen Kommission diskutieren, welche eventuell zusätzlichen Schritte notwendig sind, um alle aus dem Achmea-Urteil folgenden Konsequenzen für den ECT umzusetzen.


Analyse

Die Mitgliedstaaten schwenken mit den Erklärungen auf den Kurs ein, den die Europäischen Kommission bereits seit langem vertritt. Danach sollen Intra-EU-Investitionsschutzverträge sowohl qua Europarecht als auch qua allgemeinem Völkerrecht nicht zwischen EU-Mitgliedstaaten anwendbar sein. Diese Rechtsansicht ist allerdings „alter Wein in neuen Schläuchen“. Sie wurde in den letzten Jahren in fast jedem Intra-EU-Schiedsverfahren vorgebracht und bisher konsequent von allen Investitionsschiedsgerichten zurückgewiesen. Grundlegend hat dies nach dem EuGH-Urteil in Achmea auch erneut das Schiedsgericht im Vattenfall-Verfahren begründet und erläutert – eine Entscheidung, die die Autoren dieses Beitrags mit herbeigeführt haben.

Völkerrechtlich sind die Erklärungen zudem ohne unmittelbare Relevanz. Insbesondere werden die bestehenden Verträge durch die Erklärungen nicht gekündigt oder modifiziert. Vielmehr bringen die Mitgliedstaaten nur ihre Absicht zur Kündigung zum Ausdruck. Bezüglich des ECT müssen die Mitgliedstaaten sich überdies erst noch untereinander und mit der Kommission einig werden, welche Konsequenzen aus dem Achmea-Urteil zu ziehen sind.

Die in den Erklärungen vorgebrachte Behauptung, Investoren seien durch das Europarecht hinreichend geschützt, hat bisher auch kein Schiedsgericht überzeugt. Vielmehr betonte eine Reihe von Schiedsgerichten, dass der Investitionsschutz nach Europarecht sowohl materiell wie prozessual weit hinter dem zurückbleibe, was Investitionsschutzverträge garantieren (so bereits das Schiedsgericht im Achmea-Verfahren selbst, Rn. 262-264). Da die Mitgliedstaaten in den Erklärungen zugleich ihre Intention betonen, gemeinsam mit der Kommission die bestehenden Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten auf ihre Effektivität und die Notwendigkeit neuer Mechanismen zu prüfen, ist diese Behauptung auch nicht sehr überzeugend. Sie ist eher als politisches Deckmäntelchen zu werten.


Bewertung

Die Erklärungen bringen rechtlich wenig Neues und erhöhen die rechtlichen Risiken von Intra-EU-Schiedsverfahren erstmal nicht. Sie dürften vorrangig als politische Kampfansage zu werten sein, mit der die Mehrheit der Mitgliedstaaten innereuropäischen völkerrechtlichen Bindungen abseits des Europarechts entsagt. Durch geplante Interventionen in laufenden Verfahren soll Druck auf Schiedsgerichte ausgeübt werden, da die rechtlichen Argumente der Kommission bisher nicht überzeugend waren. Gleichzeitig sollen Investoren abgeschreckt werden, indem ihnen u.a. aufgezeigt wird, dass auch ihre Heimatstaaten die Verfahren bekämpfen werden. Dies wird die möglichen Kosten eines Verfahrens bis zur Vollstreckung erhöhen und damit jedenfalls kleinere Verfahren unattraktiv machen.

Bereits das Achmea-Urteil hatte die Chance vertan, das System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit durch eine Vorlagepflicht an den EuGH europarechtskonform zu gestalten. Die Erklärungen vom 15. und 16. Januar führen jetzt zu einer weiteren Verhärtung der Fronten. Hatten die meisten Mitgliedstaaten sich bisher neutral verhalten, ist die politische Unterstützung von Intra-EU-Verfahren nun Vergangenheit.

Interessanterweise erkennen die Mitgliedstaaten implizit an, dass ein funktionierendes System abgeschafft wird ohne dass gleichwertiger Rechtsschutz – und insbesondere prozessualer Rechtsschutz – besteht. Sie kündigen daher zwar an, über neue Mechanismen zum Schutz von innereuropäischen Auslandsinvestitionen zu diskutieren und sie eventuell auch zu schaffen. Ob, wann und wie das geschieht ist jedoch noch völlig offen.

Obgleich die innereuropäischen Investitionsschutzverträge häufig mit einer sogenannten Sunset Clause ausgestattet sind, die eine Fortgeltung der Verträge auch nach ihrer Kündigung vorsieht, gibt die Ankündigung, man wolle die Verträge einvernehmlich aufheben, Anlass zur Sorge. Inwieweit solche Klauseln nämlich für Fälle einvernehmlicher Vertragsaufhebungen greifen, ist noch nicht abschließend geklärt. Zudem greifen Staaten gern zum „Taschenspielertrick“, zunächst eine Vertragsänderung mit Streichung der Sunset Clause durchzuführen, um den Vertrag sodann ohne Eingreifen der Klausel aufzuheben. Sicherlich müssten Schiedsgerichte das schützenwerte Vertrauen der Investoren beachten. Es bleibt aber zu hoffen, dass nicht alle EU-Mitgliedsstaaten das Vertrauen der innereuropäischen Investoren so verspielen wollen.

 

 

Dr. Richard Happ
Rechtsanwalt
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Sebastian Wuschka, LL.M.
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