30.06.2025

Newsletter Arbeitsrecht, 2. Ausgabe 2025

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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

der Sommer hat Deutschland voll im Griff, viele harren auf die Ferienzeit, die eine wohlverdiente Auszeit vom Arbeitsalltag verspricht. Keinen Stillstand gibt es gleichwohl im Arbeitsrecht, also auch keine Pause für unseren Newsletter, selbst bei Rekordtemperaturen.

Heiß her ging es zuletzt vor allem beim Thema Mindestlohn innerhalb der neuen Bundesregierung. Dessen Entwicklung ist einer der zentralen arbeitspolitischen Gegenstände im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD – nur über das „Wie“ gab es Diskrepanzen. Paul Schreiner und Stephan Sura aus dem Kölner Luther-Büro stellen in unserem Leitartikel die wesentlichen Vorhaben der neuen Regierung im Arbeitsrecht vor und versuchen sich an einer Einschätzung, wohin die Reise jeweils geht. Bereits in der letzten Legislaturperiode verabschiedet und im Juni in Kraft getreten ist derweil die Novelle des Mutterschutzgesetzes. Unsere Düsseldorfer Kolleginnen Eva Rütz und Jana Voigt ordnen die Kernaspekte der Reform ein und zeigen auf, wo Stärken und Schwächen liegen.

In unserer jüngst eingeführten Rubrik „bAV Aktuell“, in der wir über die wichtigsten Neuigkeiten aus dem Feld der betrieblichen Altersversorgung informieren, berichtet Jan Hansen aus Köln über ein Urteil des BAG, nach dem eine Entgeltumwandlung auch durch ältere Tarifverträge ausgeschlossen sein kann. Der Blick über den Tellerrand in unser unyer Netzwerk führt uns diesmal wiederum nach Österreich: Anna Mertinz und Stefan Burischek von unserer Partnerkanzlei KWR erläutern die Details der dortigen Umsetzung des European Accessibility Act zur Barrierefreiheit.

Daneben finden Sie wie gewohnt die unseres Erachtens wichtigsten Gerichtsentscheidungen der letzten Zeit in unserer Rubrik „Entscheidungsbesprechungen“, jeweils versehen mit Praxishinweisen unserer Expertinnen und Experten, flankiert von weiteren Urteilen und Beschlüssen in unserer „Rechtsprechung in Kürze“.

Wir hoffen, unser Potpourri an Themen weckt Ihre Neugierde. Feedback und Fragen sind jederzeit willkommen – sprechen Sie uns gerne an. 

Wir wünschen Ihnen einen schönen Sommer!                 

Ihr

Achim Braner

Leitartikel: Die arbeitsrechtliche Agenda der neuen Bundesregierung

Beschäftigungspolitische Pläne stehen nicht unbedingt im stärksten Fokus der neuen Bundesregierung, im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD finden sich aber dennoch zahlreiche davon. Gerade das Thema Mindestlohn scheint neue Diskussionen zu entfachen. Ein Überblick zu den wichtigsten Plänen.

I. Gesetzlicher Mindestlohn

Zum größten arbeitspolitischen Thema avancierte bereits direkt nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags Anfang April der gesetzliche Mindestlohn – abermals. Seit 1.1.2025 liegt dieser bei 12,82 EUR. Der neue Koalitionsvertrag konstatiert, dass man einer „starken und unabhängigen Mindestlohnkommission festhalte“ – was im Grunde nicht erwähnenswert sein sollte, bestimmt doch schon das Gesetz deren alleinige Zuständigkeit für Anpassungsvorschläge. Im Anschluss wird indes erklärt, dass sich die Kommission für die weitere Entwicklung des Mindestlohns im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren wird. Auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15,00 EUR im Jahr 2026 erreichbar. Noch vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrags herrschten zwischen CDU/CSU und SPD offenbar Meinungsverschiedenheiten darüber, was dies bedeutet. Dass die Mindestlohnkommission sich nachlaufend an der Tarifentwicklung orientieren muss, bestimmt ebenfalls schon das Gesetz. Die Maßgabe der Ausrichtung an 60 % des Bruttomedianlohns stammt derweil aus der EU-MindestlohnRL 2022/2041. Diese sollte eigentlich bis 15.11.2024 umgesetzt werden, Anfang des Jahres vertrat EuGH-Generalanwalt Emiliou in einem von Dänemark und Schweden angestrengten Verfahren jedoch die Auffassung, dass die Richtlinie für nichtig zu erklären sei, weil die EU nicht für Aspekte der Lohnfestsetzung zuständig ist. Die Entscheidung des EuGH wird wohl noch in diesem Jahr ergehen.

Eine alleinige Orientierung an 60 % des nationalen Bruttomedianlohns würde in der Tat zu einem Mindestlohn iHv 15,00 EUR führen. Eine erneute Erhöhung an der Kommission vorbei oder gar eine Änderung des MiLoG wird es mit der Union nicht geben, allerdings ist die Implementierung des 60-%-Kriteriums bereits an anderer Stelle erfolgt: Unter Vorsitz von Christiane Schönefeld, ehemals Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, die schon im Sommer 2023 einen eigenen Anpassungsvorschlag für die Erhöhung des Mindestlohns machte und mit ihrer Stimme durchsetzte, gab sich die Mindestlohnkommission Anfang des Jahres eine neue Geschäftsordnung, in der sie festlegte, dass sie sich künftig auch am Referenzwert von 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten gemäß der EU-Mindestlohnrichtlinie orientiert – obwohl das MiLoG dieses Kriterium nicht nennt. Ende Juni 2025 empfahl die Mindestlohnkommission schließlich eine Erhöhung zum 1.1.2026 auf 13,90 EUR und zum 1.1.2027 auf 14,60 EUR – das Überschreiten der 15-EUR-Schwelle wird damit wohl erst auf dem regulären Weg im Jahr 2028 geschehen.

II. Tariftreue

Die Koalition strebt eine höhere Tarifbindung an. Zu deren Stärkung soll ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden, das für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000,00 EUR und für Start-ups „mit innovativen Leistungen“ in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000,00 EUR gelten soll. Nachweispflichten, Kontrollen und Bürokratie sollen auf ein absolutes Minimum begrenzt werden. Unklar bleibt, was inhaltlich gemeint ist.

III. Arbeitszeit

Im Jahr 2019 stellte der EuGH in seiner CCOO-Entscheidung fest, dass Arbeitgeber zur Einrichtung eines Systems verpflichtet sind, mit dem die von Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Das BAG entschied daraufhin im Herbst 2022, dass Arbeitgeber schon nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG die Pflicht haben, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit zu erfassen (BAG, Beschluss vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21). Weil sich laut Koalitionsvertrag Beschäftigte und Unternehmen mehr Flexibilität wünschen, wollen Union und SPD „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie“ und im Dialog mit den Sozialpartnern die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen. Die Pflicht zur – Achtung: – elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten soll unbürokratisch geregelt und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorgesehen werden. 

Tatsächlich sieht § 3 Satz 1 ArbZG eine grundsätzliche tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden vor, während die 2003 erlassene Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG allein die Festlegung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit verlangt. Problematischer ist demgegenüber der Zusatz im Koalitionsvertrag, dass Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung möglich bleiben soll – also offenbar im bisherigen Umfang von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen sein. Angesichts der erwähnten Rechtsprechung kann dies nur bedeuten, dass die Aufzeichnungspflicht immer besteht, wenn das betreffende Beschäftigungsverhältnis nicht von einem Ausnahmetatbestand umfasst ist. Da sich jedoch kein Hinweis darauf findet, dass die Ausnahmetatbestände erweitert werden, dürfte diese Passage des Koalitionsvertrags bedeutungslos bleiben.

IV. Befristungsrecht

Die Koalition will die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze erleichtern, indem das Vorbeschäftigungsverbot (gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG) aufgehoben und dadurch befristetes Weiterarbeiten ermöglicht wird. Dazu soll eine Regelung im TzBfG geschaffen werden, die Arbeitsverhältnisse während des Studiums vom Anschlussverbot ausnimmt.

V. Kollektives Arbeitsrecht

Für die steigenden Herausforderungen der Digitalisierung und der KI in der Arbeitswelt sollen die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, damit diese sozialpartnerschaftlich gelöst werden. Die (betriebliche) Mitbestimmung soll – wohl in diesem Kontext – weiterentwickelt werden. Konkretes nennt der Koalitionsvertrag auch hier nicht. Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen sollen als Alternative zu Präsenzformaten ermöglicht werden. Auch die Option, online zu wählen, soll im BetrVG verankert werden – gemeint ist vermutlich bei Betriebsratswahlen. Überdies soll das Zugangsrecht von Gewerkschaften zum Betrieb um einen digitalen Zugang erweitert werden, der ihren analogen Rechten entspricht. Was dies genau bedeutet, wird nicht erläutert. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll ferner künftig durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver gemacht werden. Mit keinem Wort wird auf die zusammenhängenden Fragen des Verfassungsrechts eingegangen.

VI. Gleichstellung

Die Koalition plant eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie; bis 2030 will man gleichen Lohn für gleiche Arbeit verwirklichen. Die EU-Transparenzrichtlinie soll bürokratiearm implementiert werden. Strukturelle Benachteiligungen für Frauen im Alltag sollen beseitigt und dafür gesorgt werden, dass unbezahlte Arbeit wie Kinderbetreuung und Pflege fairer verteilt wird. Außerdem sollen die gesetzlichen Regelungen für Frauen in Führungspositionen nachgebessert werden – dort, „wo Unterrepräsentanz herrscht“. Verstöße gegen Vorgaben zu Zielgrößen – sei es durch das Fehlen von solchen, von Fristen oder durch unzureichende Begründungen bei einer Zielgröße „Null“ – sollen künftig konsequent und spürbar sanktioniert werden. Dieses Vorhaben richtet sich wohl an sämtliche Unternehmen, die entsprechenden Regelungen unterlegen.

VII. Fachkräftemangel

Weil die Bundesrepublik insbesondere qualifizierte Einwanderung brauche, soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung („Work-and-stay-Agentur“) als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte geschaffen werden. Die Agentur soll auch die Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen beschleunigen; Ziel ist ein einheitliches Anerkennungsverfahren unter Einbindung der Arbeitgeber innerhalb von acht Wochen. Personen aus Drittstaaten, die erfolgreich eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben, sollen in Deutschland bleiben und arbeiten. Für Flüchtlinge soll die Beschäftigungsaufnahme erleichtert werden, vor allem durch eine Reduzierung von Arbeitsverboten auf höchstens drei Monate; ausgenommen werden Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern, Dublin-Fälle oder Personen, die das Asylrecht offenkundig missbrauchen.

VIII. Sonstiges

Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollarbeit hinausgehen, sollen steuerfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten eine von 40 Stunden gelten. Zahlen Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit an Teilzeitkräfte, soll dies ebenfalls steuerlich begünstigt werden. Dazu will die Koalition die betriebliche Altersversorgung stärken und deren Verbreitung besonders in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern vorantreiben. Zudem soll die Portabilität bei einem Arbeitgeberwechsel erhöht werden. Die Wirksamkeit von Arbeitsschutzinstrumenten soll im Hinblick auf psychische Erkrankungen geprüft werden. Korrespondierend soll das betriebliche Eingliederungsmanagement bekannter gemacht werden, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen. Die Arbeitsbedingungen in der Kurier- und Paketdienstbranche sollen verbessert werden, speziell durch Einführung einer Nachunternehmerhaftung. Ein europäischer Sozialversicherungsausweis soll unterstützt werden, dazu soll die Entsendemeldung in der EU durch die Reform der eDeclaration technisch erleichtert werden. Dabei wird eine Bündelung mit dem A1-Verfahren angestrebt. Überdies soll die telefonische Krankschreibung so modifiziert werden, dass Missbrauch ausgeschlossen ist, z. B. durch Ausschluss von Online-Krankschreibungen durch private Internetplattformen.

XI. Ausblick

In der Summe betrachtet ist der Koalitionsvertrag an vielen Stellen noch vom Wahlkampf geprägt, offene Streitpunkte konnten offensichtlich nicht vollständig geklärt werden, etwa bei den Themen Vertrauensarbeitszeit oder Tariftreue. Es bleibt zu hoffen, dass diese Defizite rasch im Regierungsalltag untergehen oder dass pragmatische Lösungen gefunden werden. Die wirtschaftliche Situation von Unternehmen und Arbeitnehmern würde dies erfordern – nicht nur beim Thema Mindestlohn.

Autoren:


Paul Schreiner, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Stephan Sura, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Freier Beitrag: Neues im Mutterschutzrecht

Anfang Juni traten die Änderungen zum Mutterschutzgesetz (MuSchG) in Kraft. Diese verstärken den Schutz werdender Mütter noch einmal erheblich. 

I. Definition der Entbindung

Die Regelungen im MuSchG zum Schutz werdender oder junger Mütter stellen maßgeblich auf den Begriff der Entbindung ab. Umstritten war seit jeher, wie dieser Begriff zu definieren ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine Entbindung jedenfalls bei einer Lebendgeburt vor, also wenn das Herz des Kindes nach Trennung vom Mutterleib schlägt, die Nabelschnur pulsiert oder die Lungenatmung einsetzt (angelehnt an § 31 Abs. 1 Personenstandsverordnung [PStV] i. V. m. § 21 Abs. 2 Personenstandsgesetz [PStG]). Zudem wurde eine Entbindung bei sog. Totgeburten bejaht, wenn das Kind mindestens 500 Gramm wog oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht war. In den übrigen Fällen wurde von einer Fehlgeburt gesprochen. Zentraler Punkt der Gesetzesänderung ist die Ergänzung der Definition einer Entbindung in § 2 Abs. 6 MuSchG sowie die grundsätzliche Gleichstellung einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche, sodass sich der Kündigungsschutz des MuSchG künftig auch auf diese Fälle erstreckt.

II. Gestaffelte Mutterschutzfristen

Diese Gleichstellung verfolgt der Gesetzgeber indes mit Blick auf die Mutterschutzfristen nur bedingt und sieht in § 3 Abs. 5 MuSchG nunmehr eine Staffelung vor: Bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche beträgt die Frist zwei Wochen, ab der 17. Schwangerschaftswoche sechs Wochen und der 20. Schwangerschaftswoche acht Wochen. Die Vorschriften des nachgeburtlichen Mutterschutz sind dabei grundsätzlich zwingend, d. h. es ist nicht möglich, darauf zu verzichten. Beschäftigt ein Arbeitgeber Frauen entgegen des nachgeburtlichen Mutterschutzes, begeht er eine Ordnungswidrigkeit, die nach § 32 Abs. 2 MuSchG mit einem Bußgeld von bis zu 30.000,00 EUR bedroht ist. Bei einer Fehlgeburt ab der 13. Woche besteht zwar auch ein Beschäftigungsverbot. Eine Frau kann dann jedoch nach § 3 Abs. 5 Satz 1 MuSchG ausdrücklich ihre Beschäftigung verlangen; der Arbeitgeber handelt dann nicht ordnungswidrig. Gleichzeitig ist ein jederzeitiger Widerruf der Frau möglich.

III. Verlängerte Mutterschutzfristen nur bei Lebendgeburten

Ferner hat der Gesetzgeber einen neuen Satz 5 in § 3 Abs. 2 MuSchG ergänzt. Danach gelten die verlängerten Mutterschutzfristen nach der Entbindung von zwölf statt acht Wochen bei einer Frühgeburt, Mehrlingsgeburten oder bei ärztlicher Feststellung einer Behinderung des Kindes binnen acht Wochen nach der Entbindung nicht bei einer Totgeburt. Begründet wird dies damit, dass in diesen Fällen nicht nur eine erhöhte körperliche und psychische Belastung der betroffenen Frau gegeben ist, sondern auch ein erhöhter Betreuungsaufwand des Kindes oder der Kinder besteht.

IV. Keine Pflicht zum Schwangerschaftstest bei Kündigung

Parallel zur Novelle des MuSchG hat das BAG jüngst eine zentrale Entscheidung für das Mutterschaftsrecht gefällt (BAG, Urteil vom 3.4.2025 – 2 AZR 156/24). Im zugrunde liegenden Fall wurde das Arbeitsverhältnis der klagenden Arbeitnehmerin am 14.5.2022 gekündigt. Am 29.5.2022 fiel bei dieser sodann ein Schwangerschaftstest positiv aus. Sie informierte die beklagte Arbeitgeberin hierüber noch am selben Tag per E-Mail, einen Termin bei ihrer Frauenärztin erhielt sie aber erst für den 17.6.2022. Am 13.6.2022 legte sie Kündigungsschutzklage ein, verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung. Ein anschließendes eingereichtes ärztliches Zeugnis attestierte eine Schwangerschaft ca. in der 7+1 Schwangerschaftswoche. Demnach begann die Schwangerschaft am 28.4.2022. ArbG und LAG ließen die Klage nachträglich zu.

Das BAG stellte fest, dass die Klägerin die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage an sich versäumt habe. Sofern die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf und die Frist zur Klageerhebung nach § 4 Satz 4 KSchG erst mit Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung beginne, sei diese Regelung gleichwohl teleologisch zu reduzieren. Sie sei bei einer Schwangerschaft nur dann anzuwenden, wenn der Arbeitgeber Kenntnis davon habe. Andernfalls beginne die Frist bereits mit dem Zugang der Kündigung zu laufen. Eine betroffene Arbeitnehmerin könne dann aber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG stellen. Die „Behebung des Hindernisses“ i. S. d. § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG (= Unkenntnis der Schwangerschaft) sei erst mit ärztlicher Feststellung der Schwangerschaft gegeben. Dies gelte jedenfalls, soweit die Arbeitnehmerin sich um einen zeitnahen Termin bemühe. Bei Zugang einer Kündigung bestehe ferner keine Pflicht, unmittelbar einen Schwangerschaftstest durchzuführen, auch wenn eventuell Anhaltspunkte dafür vorliegen. Eine ausreichende Information gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG sei im Übrigen gegeben, wenn eine Betroffene den Arbeitgeber nach Kenntniserlangung über die Schwangerschaft unverzüglich informiert. Für Arbeitgeber folgt aus der Entscheidung, dass nicht nur den Zugang der Kündigung nachweisbar zu dokumentieren ist, sondern auch die Kommunikation im Arbeitsverhältnis insgesamt.

Autoren:

Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M., Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf

Jana Anna Voigt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf

Einseitige Verrechnung von Zeitguthaben verschiedener Arbeitszeitkonten

Regelungen über eine einseitige Verrechnung von Zeitguthaben verschiedener Arbeitszeitkonten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung sind nicht per se unzulässig, müssen bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber jedoch den tarifvertraglichen Anforderungen entsprechen. 

BAG, Urteil vom 4.12.2024 – 5 AZR 277/23

Der Fall

Die Parteien streiten über die Höhe von Zeitguthaben. Der Kläger ist als Leitstellendisponent bei der Flughafenfeuerwehr beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis finden der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Dienstleistungsbereich Flughäfen (TVöD-F) sowie ein Haustarifvertrag für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal (TV Feuerwehrpersonal) Anwendung. Die nach dem TV Feuerwehrpersonal geschuldeten bzw. geleisteten Schichten werden auf einem sog. Sollkonto erfasst. Der TVöD-F enthält Regelungen zum Ausgleichszeitraum sowie einer möglichen Verlängerung desselben. Im Betrieb galt außerdem eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung (BV Arbeitszeit). Danach wurden zusätzlich zu den Schichten geleistete Stunden auf einem separaten Stundenkonto gutgeschrieben; sobald sich auf diesem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt hatten, konnte eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden. 

Das Stundenkonto sollte nach der Betriebsvereinbarung ferner bei einem Ausscheiden des Beschäftigten ausgeglichen und die Salden zum 31.12. eines Jahres automatisch ins Folgejahr übertragen werden. Die Beklagte verrechnete jeweils zum Jahresende Zeitguthaben aus dem Stundenkonto mit Minusstunden auf dem Sollkonto, ohne dass der Kläger dem zugestimmt hatte. Der Kläger beantragte in der Folge die Feststellung, dass eine Verrechnung nur mit seiner Zustimmung erfolgen dürfe und sein Stundenkonto ein ungekürztes Zeitguthaben aufweise. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG Köln gab ihr statt.

Die Entscheidung

Das BAG entsprach wiederum der Revision der Beklagten. In einer Betriebsvereinbarung könne zwar eine einseitige Verrechnungsmöglichkeit von Salden verschiedener Arbeitszeitkonten geregelt werden. Die vorliegenden Bestimmungen seien allerdings tarifwidrig. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 TVöD-F sei für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen. Der maßgebliche Ausgleichszeitraum sei daher das jeweilige Kalenderjahr. Zwar erlaube Satz 2 der Vorschrift eine Verlängerung dieses Ausgleichszeitraums. Die Regelungen der BV Arbeitszeit würden den Ausgleichszeitraum hier jedoch auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses ausdehnen, was eine Aufhebung des Ausgleichszeitraums darstelle. Zudem führe die Übertragung der Salden ins Folgejahr zur Einrichtung von „Ansparkonten“, die an § 10 TVöD-F zu messen seien und dessen besondere, strenge Anforderungen hier nicht erfüllt seien. 

Unser Kommentar

Das BAG hält die Regelung einer einseitigen Verrechnung indes grundsätzlich für zulässig. Die Entscheidung ermöglicht Arbeitgebern somit eine gewisse Flexibilität. Für tarifgebundene Arbeitgeber gilt beim Abschluss solcher Regelungen jedoch insofern Vorsicht, als dass Regelungen in einer Betriebsvereinbarung eben nur möglich sind, wenn und soweit sie einen tariflich nicht geregelten Gegenstand betreffen oder der jeweils anwendbare Tarifvertrag insoweit eine Öffnungsklausel enthält. Überdies ist darauf zu achten, dass die in der Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen mit den tarifvertraglichen Regelungen vereinbar sind – andernfalls ist die Betriebsvereinbarung ganz oder jedenfalls teilweise unwirksam.

Autorin:

Dr. Isabel Schäfer, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg

Keine Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl wegen vorfristigen Aushangs eines Wahlvorschlags

Macht der Wahlvorstand bei der Durchführung einer Betriebsratswahl nach dem vereinfachten einstufigen Wahlverfahren den einzigen Wahlvorschlag schon vor Ablauf der gesetzlichen Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen nach § 14a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BetrVG bekannt, begründet dies nicht die Anfechtbarkeit der Wahl.

BAG, Beschluss vom 27.11.2024 – 7 ABR 32/23

Der Fall

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb ca. 77 Arbeitnehmer. Zur Einleitung einer neuen Betriebsratswahl erließ der Wahlvorstand am 24.3.2022 ein Wahlausschreiben, wonach Wahlvorschläge bis spätestens 6.5.2022 beim Wahlvorstand einzureichen seien. Der Wahlvorstand machte den einzigen eingereichten Wahlvorschlag bereits am Nachmittag des 6.5.2022 durch Aushang bekannt. Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht, die durchgeführte Betriebsratswahl aufgrund der verfrühten Bekanntmachung des Wahlvorschlags für unwirksam zu erklären. ArbG und LAG gaben dem Antrag statt.

Die Entscheidung

Das BAG hob die Entscheidung auf und stellte fest, dass die Betriebsratswahl nicht deswegen unwirksam ist, weil der Wahlvorstand den von ihm als gültig erkannten Wahlvorschlag bereits am Nachmittag des 6.5.2022 und damit vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist für die Einreichung von Wahlvorschlägen ausgehängt hat. Die im vereinfachten einstufigen Wahlverfahren in Kleinbetrieben geltende Frist, wonach Wahlvorschläge bis eine Woche vor der Wahl gemacht werden können (§ 14a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BetrVG), sei als sog. Rückwärtsfrist analog den §§ 187 ff. BGB zu berechnen. Nach Ablauf dieser gesetzlichen Mindestfrist habe der Wahlvorstand die gültigen Wahlvorschläge durch Aushang bekannt zu machen (§ 36 Abs. 5 Satz 3 WO). Nur diese Bekanntmachungspflicht stelle eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren i. S. d. § 19 Abs. 1 BetrVG dar, die zur Anfechtung der Betriebsratswahl berechtigt. Hierdurch werde gleichwohl nicht strikt die Bekanntgabe vor Ablauf der Frist untersagt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass im normalen Wahlverfahren die Bekanntgabe „spätestens“ eine Woche vor der Wahl zu erfolgen hat (§ 10 Abs. 2 WO) und diese Formulierung im vereinfachten Wahlverfahren fehlt. Es erfolge kein Umkehrschluss dahin gehend, dass im vereinfachten Wahlverfahren eine frühere Bekanntgabe verboten ist. Das vereinfachte Wahlverfahren solle die Betriebsratswahl in Kleinbetrieben gerade erleichtern. Dem würde es widersprechen, wenn dabei strengere Vorgaben hinsichtlich der vorzeitigen Bekanntgabe als im normalen Verfahren gelten würden.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG betrifft zwar nur eine spezielle Fragestellung im Rahmen der Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens und sorgt hier für eine rechtliche Klärung. Sie zeigt gleichzeitig aber auch, dass trotz der äußerst detaillierten gesetzlichen Ausgestaltung des Ablaufs von Betriebsratswahlen im BetrVG und in der WO dennoch Widersprüchlichkeiten auftreten können. Für die Praxis bedeutsam ist die generelle Aussage, dass nicht jeder denkbare Verstoß gegen formale Wahlvorgaben eine Betriebsratswahl anfechtbar macht. Dies ist zu begrüßen, denn aufgrund der äußerst hohen formalen Vorgaben lässt sich eine Betriebsratswahl kaum völlig fehlerfrei durchführen.

Autor:

Dr. Paul Gooren, LL.M., Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Berlin

Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe

Zielvorgaben für eine variable Vergütung können die damit verbundene Motivations- und Anreizfunktion nur erreichen, wenn die Zielvorgaben dem Arbeitnehmer so rechtzeitig mitgeteilt werden, dass dieser seine Arbeitsleistung darauf einstellen kann; erfolgt die Mitteilung nicht rechtzeitig, kann dies einen Schadensersatzanspruch begründen.

BAG, Urteil vom 19.2.2025 – 10 AZR 57/24

Der Fall

Der Arbeitsvertrag des klagenden Arbeitnehmers regelte ein Jahreszielgehalt, das sich aus einem Bruttofixgehalt und einer variablen erfolgsabhängigen Vergütung zusammensetzte. Zur Ausgestaltung der variablen Vergütung galt eine Betriebsvereinbarung, nach der Arbeitnehmer bis zum 1.3. des Kalenderjahres eine zuvor zu besprechende Zielvorgabe erhalten, die sich zu 70 % aus Unternehmenszielen und zu 30 % aus individuellen Zielen zusammensetzt. Für das Jahr 2019 wurde zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin streitig, ob die für die variable Vergütung maßgeblichen Parameter der Unternehmensziele im Rahmen einer Präsentation im März 2019 oder bei einem Heads-Meeting im April 2019 mitgeteilt wurden. Jedenfalls am 15.10.2019 wurden dem Arbeitnehmer konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen genannt; eine Vorgabe individueller Ziele erfolgte nicht. Die Arbeitgeberin zahlte die variable Vergütung in der Folge nur anteilig aus, woraufhin der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machte. Das ArbG wies die Klage ab, die Berufung des Klägers vor dem LAG war erfolgreich.

Die Entscheidung

Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG und wies die Revision der Beklagten zurück. Diese habe ihre Pflicht zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe schuldhaft verletzt, indem sie dem Arbeitnehmer keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt habe, nachdem bereits etwa 3/4 der Zielperiode abgelaufen waren. Eine Zielvorgabe, die ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht wird, sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen. Daher habe der Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Kalenderjahr 2019. Zielvorgaben würden – anders als Zielvereinbarungen, die vereinbart werden – allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zustehe. Ob und ggfs. bis zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber eine Zielvorgabe vornehmen muss, ergebe sich regelmäßig aus den Vereinbarungen der Parteien oder den für das Arbeitsverhältnis geltenden kollektivrechtlichen Bestimmungen. Kann eine verspätete Zielvorgabe ihre Motivations-, Anreiz- und Steuerungsfunktionen nicht mehr erfüllen, trete Unmöglichkeit ein; eine nachträgliche Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber scheide dann aus. 

Die Festlegung von Zielen durch eine Zielvorgabe werde jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode unmöglich. Das BAG ließ offen, ob die Zielvorgabe allein deshalb unmöglich wird, weil ein in einer Betriebsvereinbarung festgelegter Zeitpunkt für die Festlegung von Zielen verstrichen ist. Im vorliegenden Fall sei die Zielvorgabe gleichwohl nicht rechtzeitig erfolgt, da individuelle Ziele überhaupt nicht gesetzt wurden und die Mitteilung von Unternehmenszielen für das laufende Kalenderjahr erst im Oktober erfolgte. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob die Kennzahlen der Unternehmensziele bereits im vorangegangenen Frühjahr vorgestellt wurden. Hierin liege keine erforderliche Willenserklärung, da die Zielvorgabe konkret gegenüber dem Kläger abzugeben sei.

Unser Kommentar

Das BAG konkretisiert die Anforderungen an die rechtzeitige Aufstellung und die Gestaltung von Zielvorgaben. Hierbei lassen die Erfurter Richter zwar offen, ob sich die Unmöglichkeit einer Zielvorgabe allein aus der Versäumung einer festgelegten Frist für die Aufstellung der Zielvorgabe ergibt und dem Arbeitnehmer in der Folge ein Schadensersatzanspruch zusteht. Arbeitgeber müssen allerdings jedenfalls damit rechnen, dass sie sich an selbst gesetzten oder vereinbarten Fristen festhalten lassen müssen. Keinesfalls reicht es aus, Unternehmensziele in allgemeiner Form – etwa bei einer Unternehmenspräsentation – bekannt zu geben. Die Zielvorgabe sollte immer unmittelbar gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer erklärt werden, bestenfalls mit Nachweis.

Autorin:

Martina Ziffels, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg

Zulässigkeit der Erteilung einer Entgeltabrechnung über ein digitales Mitarbeiterpostfach

Der Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung kann vom Arbeitgeber auch durch Einstellung der Abrechnung in Textform in ein passwortgeschütztes digitales Mitarbeiterpostfach erfüllt werden.

BAG, Urteil vom 28.1.2025 – 9 AZR 48/24

Der Fall

Die klagende Arbeitnehmerin ist bei einem Lebensmitteldiscounter beschäftigt. Das Arbeitgeberunternehmen ist Teil eines Konzerns, in dem eine Konzernbetriebsvereinbarung zu „Personaldokumenten“ besteht. Darin geregelt ist insbesondere, dass Entgeltabrechnungen nicht mehr in Papierform, sondern ausschließlich über einen externen Anbieter in einem digitalen, passwortgeschützten Mitarbeiterpostfach zur Verfügung gestellt werden, wo Mitarbeiter ihre Dokumente online einsehen und herunterladen können. Die Klägerin widersprach der Bereitstellung ihrer Gehaltsabrechnung über das digitale Postfach und verlangte, dass ihre Abrechnungen weiterhin in Papierform übersendet werden. Der Nutzung des digitalen Portals habe sie zu keinem Zeitpunkt zugestimmt; ihr fehlendes Einverständnis sei zudem nicht durch die Konzernbetriebsvereinbarung ersetzt worden. Sie klagte daher auf erneute Erteilung der monatlichen Abrechnungen in Papierform. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab der Berufung der Klägerin derweil statt.

Die Entscheidung

Das BAG entsprach wiederum der Revision der Beklagten. Ein Arbeitgeber genüge seiner gesetzlichen Pflicht zur Erteilung von Entgeltabrechnungen, wenn er diese ausschließlich elektronisch in einem passwortgeschützten Mitarbeiterpostfach zur Verfügung stellt. Die gesetzlich vorgeschriebene Textform gem. § 108 Abs. 1 GewO werde auch auf diesem Wege erfüllt. Voraussetzung sei, dass das Dokument dauerhaft zugänglich und inhaltlich unverändert ist und der Absender eindeutig erkennbar bleibt. Der Zugang i. S. d. § 130 BGB sei nicht erforderlich; unerheblich sei ferner, ob ein Einverständnis der Arbeitnehmer vorliegt oder ggf. durch eine Betriebsvereinbarung ersetzt wurde. Der Anspruch auf Erteilung der Entgeltabrechnung stelle eine Holschuld dar: Der Arbeitgeber müsse diese lediglich an einer geeigneten Ausgabestelle bereitstellen, die auch elektronisch sein kann, also etwa in einem digitalen Mitarbeiterpostfach. Mitarbeitern ohne privaten Zugang zu digitalen Angeboten müsse der Arbeitgeber allein ermöglichen, die Abrechnungen im Betrieb einsehen und ausdrucken zu können. Offen ließen die Erfurter Richter, ob vorliegend der Konzernbetriebsrat für die Einführung und den Betrieb des digitalen Postfachs zuständig war. Es verwies das Verfahren daher zurück an das LAG. 

Unser Kommentar

Das BAG betont die grundsätzliche Zulässigkeit digitaler Entgeltabrechnungen, sofern die gesetzlichen Vorgaben und die Belange der Arbeitnehmer gewahrt bleiben. Zur Vermeidung von Benachteiligungen sind Arbeitgeber allein verpflichtet, technische und organisatorische Lösungen bereitzuhalten, die allen Mitarbeitern die Einsicht und den Ausdruck ihrer Entgeltabrechnungen ermöglichen. Die Einführung, Anwendung und Änderung von Personalabrechnungs- und Informationssystemen, z. B. PAISY, sind jedoch mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Insgesamt schafft das BAG Rechtssicherheit für digitale Prozesse und stärkt damit einen kleinen Mosaikstein für die Digitalisierung im Arbeitsrecht, ohne den Schutz der Arbeitnehmer aus dem Blick zu verlieren.

Autorin:

Kerstin Belovitzer-Franz, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Stuttgart

Befristetes Arbeitsverhältnis und unverhältnismäßige Probezeitvereinbarung

Entspricht bei einem befristeten Arbeitsverhältnis die vereinbarte Probezeit der gesamten Befristungsdauer, ist die Vereinbarung zur Probezeit nach § 15 Abs. 3 TzBfG unwirksam.

BAG, Urteil vom 5.12.2024 – 2 AZR 275/23

Der Fall

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Kläger war seit dem 22.8.2022 im Autohaus des beklagten Arbeitgebers tätig. Das Arbeitsverhältnis galt auf Probe bis zum 28.2.2023 und sollte im Rahmen einer Probezeit ferner beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen schriftlich gekündigt werden können. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis sodann auch mit Schreiben vom 28.10.2022 zum 11.11.2022. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung und beantragt die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses. Die vereinbarte Probezeit sei unwirksam, da sie außer Verhältnis zur Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehe. Eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt habe der Beklagte nicht ausgesprochen. Das ArbG wies die Klage durch Versäumnisurteil ab, das LAG wies im Anschluss auch die Berufung des Klägers zurück.

Die Entscheidung

Das BAG entsprach indes teilweise der Revision des Klägers. Die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis erst zum 30.11.2022 beendet, weil die verkürzte zweiwöchige Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 3 BGB keine Anwendung finde. Stattdessen gelte die vierwöchige ordentliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB. Bei einem auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrag verstoße die Vereinbarung einer sechsmonatigen Probezeit gegen § 15 Abs. 3 TzBfG und sei daher unwirksam: Eine Probezeit, die der gesamten Befristungsdauer entspreche, sei unverhältnismäßig. Auch eine Verkürzung auf die zulässige Dauer scheide wegen des Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion aus. 

Allerdings lasse die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung die ordentliche Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses unberührt. Bei einer nach § 15 Abs. 3 TzBfG unverhältnismäßigen Probezeitvereinbarung entfalle das Recht zur ordentlichen Kündigung nicht, falls neben oder in der Vereinbarung über die Probezeit eine Abrede über die Kündbarkeit an sich getroffen werde. Dies sei hier der Fall, da die Parteien eine von der Probezeitregelung unabhängige Regelung über die grundsätzliche Kündbarkeit während der Befristung vereinbart hätten. 

Unser Kommentar

Mit der 2022 eingeführten Fassung des § 15 Abs. 3 TzBfG besteht erstmals eine Vorschrift zum Verhältnis von befristeten Arbeitsverhältnissen und Probezeit, die nach § 622 Abs. 3 BGB längstens sechs Monate andauern darf und während der ein Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden kann. Welche Probezeitlänge bei einer Befristung wann verhältnismäßig ist, lässt das BAG aber leider offen. Die Vorschrift selbst gibt zwei Kriterien vor, die erwartete Dauer der Befristung und die Art der Tätigkeit; an genaueren Maßgaben fehlt es jedoch. Auch das BAG bestimmt weder prozentuale Werte noch konkrete Parameter für eine Abwägung, weshalb die Antwort stets einzelfallabhängig ist. Jedenfalls darf die Probezeit wohl nicht der gesamten Befristungsdauer entsprechen; etwas anderes kann laut BAG nur dann gelten, wenn besondere Umstände hinzutreten. Wesentlich ist vor allem, dass auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen die ordentliche Kündbarkeit vereinbart wird, bestenfalls separat von der Probezeitvereinbarung.

Autor:

Stephan Sura, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Herausgabe eines Dienstwagens nach berechtigter Freistellung

Der Arbeitgeber kann sich arbeitsvertraglich das Recht vorbehalten, die Privatnutzung eines Dienstwagens bei berechtigter Freistellung des Arbeitnehmers zu widerrufen. Der Widerruf kann jedoch im Regelfall nur zum Monatsende erklärt werden. 

BAG, Urteil vom 12.2.2025 – 5 AZR 171/24

Der Fall

Die beklagte Arbeitgeberin stellte dem klagenden Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur Verfügung, den er auch privat nutzen durfte. Im Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte das Recht zur Privatnutzung des Dienstwagens u. a. dann widerrufen darf, wenn „das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und der Arbeitgeber den Mitarbeiter berechtigt von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt oder suspendiert hat“. Am 8.5.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.8.2023 und stellte den Kläger mit sofortiger Wirkung frei. Zugleich verlangte sie die Rückgabe des Dienstwagens bis zum 24.5.2023. Der Kläger gab diesen am 23.5.2023 zurück, klagte anschließend jedoch auf eine Nutzungsausfallentschädigung für die entgangene Privatnutzung. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

Die Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Dieser habe Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung zumindest für den Zeitraum vom 23.-31.5.2023. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Widerrufsmöglichkeit der Privatnutzung des Dienstwagens durch den Arbeitgeber war nach Ansicht des BAG wirksam und hielt einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB stand. Insbesondere sei es interessengerecht, wenn im Zusammenhang mit einer berechtigten Freistellung auch der Anspruch auf die Privatnutzung eines Dienstwagens entzogen werden kann. Die Ausübung des Widerrufsrechts entspreche hier jedoch nicht billigem Ermessen i. S. v. § 315 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG der zu versteuernde geldwerte Vorteil für die Privatnutzung des Dienstwagens nur monatlich und nicht kalendertäglich angesetzt werden könne. Bei einer Rückgabe des Dienstwagens innerhalb des laufenden Monats trage der Arbeitnehmer mithin die Steuerlast auch für die Zeit, in der er den Dienstwagen nicht mehr privat nutzen kann. Daher könne im Regelfall nur ein Widerruf der Privatnutzung zum jeweiligen Monatsende billigem Ermessen entsprechen. In der Folge sei dem Kläger für den Zeitraum vom 23.-31.5.2023 ein Nutzungsausfallschaden entstanden, den die Beklagte zu ersetzen habe.

Unser Kommentar

Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts für die Privatnutzung eines Dienstwagens ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG zulässig. Von dieser Möglichkeit sollten Arbeitgeber auch im Arbeitsvertrag oder in einer gesonderten Dienstwagenvereinbarung Gebrauch machen, um sich eine Zugriffsmöglichkeit auf den Dienstwagen vorzubehalten. Anzugeben sind allerdings stets die Gründe, die zu einem Widerruf berechtigen können. Neben der berechtigten Freistellung betrifft dies vor allem Fälle von Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der Dienstwagennutzung oder wenn dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zugewiesen wird, die keinen Dienstwagen mehr erfordert. Auch längere Abwesenheit können erfasst werden. Die Ausübung des Widerrufsrechts muss i. Ü. billigem Ermessen entsprechen. 

Autor:

Leif Born, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Essen

Rechtsprechung in Kürze: Immaterieller Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen nur bei konkreter Missbrauchsgefahr

Für den Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO bedarf es einer begründeten Befürchtung über den Missbrauch der betroffenen personenbezogenen Daten, etwa durch deren Veröffentlichung im Internet. 

BAG, Urteil vom 20.2.2025 – 8 AZR 61/24

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer war 2016 kurzzeitig bei einer Rechtsvorgängerin der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im Jahr 2020 verlangte er nach Art. 15 DS-GVO Auskunft über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten und erhielt diese. Im Herbst 2022 wiederholte er sein Begehren zwei Mal, woraufhin die Beklagte ihm erneut Auskunft gab. Der Kläger hielt diese für unzureichend; weshalb die Beklagte ihm im Dezember 2022 weitere Auskünfte erteilte. Anschließend verlangte der Kläger Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, weil die Beklagte der Auskunftspflicht nicht unverzüglich nachgekommen sei. Ihm sei ein immaterieller Schaden entstanden, da er einen wochenlangen Kontrollverlust über seine Daten erlitten habe. Dazu habe all dies ein erhebliches Maß an Sorge hervorgerufen. Das ArbG sprach ihm einen Schadensersatz i. H. v. 10.000,00 EUR zu, das LAG entsprach indes der Berufung der Beklagten und wies die Klage ab.

Die Entscheidung

Das BAG folgte dem LAG und wies die Revision des Klägers zurück. Dieser habe keinen Anspruch auf Schadensersatz. Es könne dahinstehen, ob überhaupt eine Verletzung der Auskunftspflicht vorliegt. Jedenfalls fehle es an einem Schaden. Der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten könne zwar einen immateriellen Schaden i. S. v. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO darstellen, ein solcher liege hier aber nicht vor. Eine verspätete Auskunftserteilung bewirke keinen Kontrollverlust. Dieser könne zwar auch dann gegeben sein, wenn keine missbräuchliche Verwendung der Daten erfolgt ist; auch die Furcht vor einem Missbrauch könne einen immateriellen Schaden darstellen. Das rein hypothetische Risiko eines Missbrauchs könne derweil nicht zu einer Entschädigung führen, vielmehr bedürfe es einer begründeten Befürchtung, etwa bei einem Datenleck und der Veröffentlichung von sensiblen Daten im Internet. Daneben liege auch kein immaterieller Schaden durch die negativen Gefühle des Klägers vor. Etwas anderes gelte nur, wenn ein Verstoß ggfs. so schwerwiegende Konsequenzen hat, dass ein Schaden in Form von Befürchtungen selbstverständlich angenommen werden kann, z. B. bei einem Datenleck in Bezug auf Bank- oder Gesundheitsdaten. Pauschale Unmutsbekundungen reichten nicht aus. 

 

Einwurf-Einschreiben und Zugangsnachweis

Die bloße Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung des Sendungsverlaufs begründen für sich genommen keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger.

BAG, Urteil vom 30.1.2025 – 2 AZR 68/24

Der Fall

Die beklagte Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit der klagenden Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 14.3.2022 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.4.2022. Gegen die Kündigung erhob die Klägerin am 18.3.2022 Kündigungsschutzklage und wies auf ihre bestehende Schwangerschaft hin. Das zuständige Regierungspräsidium erteilte der Beklagten am 25.7.2022 die Zustimmung zur Kündigung. Die Beklagte wies im Anschluss darauf hin, dass der Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 26.7.2022 ein weiteres Mal außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt habe. Eine Mitarbeiterin habe das Schreiben als Einwurf-Einschreiben aufgegeben, ausweislich des Sendungsstatus sei es am 28.7.2022 zugestellt worden. Die Klägerin bestritt den Zugang. Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage ab, das LAG gab ihr statt. 

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Laut dem Zweiten BAG-Senat habe die Beklagte für den Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin keinen Beweis angeboten. Es bestehe auch kein Anscheinsbeweis; der vorgelegte Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens, in dem allein Datum und Uhrzeit der Einlieferung sowie die Sendenummer ersichtlich seien, genüge zusammen mit einem von der Beklagten im Internet abgefragten Sendungsstatus nicht für den Beweis des ersten Anscheins, dass das Schreiben auch tatsächlich zugegangen ist.

Rechtsmissbrauch bei ungeprüfter Annahme freier Mitarbeit

Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, das fälschlicherweise als freie Mitarbeit behandelt wurde, steht der Forderung des Arbeitgebers auf Rückzahlung eines überhöhten Honorars nicht immer der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. 

BAG, Urteil vom 4.12.2024 – 5 AZR 272/23

Der Fall

Streitgegenstand ist die Rückzahlung von Honoraren und Umsatzsteuer. Die klagende Arbeitgeberin leistete zwischen 2015 und 2018 Zahlungen an die beklagte Beschäftigte für Tätigkeiten im Rahmen eines als freie Mitarbeit behandelten Vertragsverhältnisses. Schriftliche Vereinbarungen bestanden nicht. Die Klägerin meinte anschließend, sie hätte mit der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis gestanden, sodass die Dienste für ein um 3,70 EUR geringeres Entgelt hätten vergütet werden müssen. Ebenso fehle es für die erhobene Umsatzsteuer in Ermangelung der freien Mitarbeit an einer Rechtsgrundlage. Die Klägerin begehrte deshalb die Rückzahlung überbezahlter Honorare i. H. v. 16.744,20 EUR sowie abgeführter Umsatzsteuer von 15.864,57 EUR.

Die Entscheidung

Das BAG verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück, gab allerdings Hinweise für das weitere Verfahren. Zum einen müsse das LAG prüfen, ob im fraglichen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis vorlag. Sollte dies zutreffen, könne dem Verlangen der Klägerin auf Rückzahlung überhöhter Honorare grundsätzlich der Einwand des Rechtsmissbrauchs gem. § 242 BGB entgegenstehen. Dieser Einwand beruhe auf dem schützenswerten Vertrauen der arbeitenden Person. Ob im konkreten Fall ein Vertrauensschutz besteht, sei von den Umständen abhängig, die zur Begründung der Beschäftigung als freie Mitarbeit geführt haben. Allein die Annahme einer freien Mitarbeit und eine dementsprechende Vergütung seien dafür in der Regel nicht ausreichend. Zum anderen müsse das LAG beachten, dass sich die Klägerin im Rahmen des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auch die auf die übliche Vergütung anfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag anrechnen lassen müsse. Soweit zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, sei eine Rückzahlung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer grundsätzlich möglich. Die Beklagte könne wiederum Erstattung vom Fiskus nach § 14c Abs. 2 Satz 3-5 UStG verlangen.

Stichtagsregelung als generelle Voraussetzung für den Anspruch auf eine Sonderzuwendung

Wird in einer tarifvertraglichen Regelung über eine Jahressonderzahlung bestimmt, dass Begünstigte diese „mit dem Novembergehalt“ erhalten, so stellt dies keine bloße Fälligkeitsregelung dar, sondern eine Voraussetzung für die Zuwendung dahingehend, dass in diesem Monat ein Entgelt gezahlt wird und somit ein Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt besteht. 

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.1.2025 – 5 SLa 115/24

Der Fall

Auf das Arbeitsverhältnis des klagenden Arbeitnehmers fand ein Manteltarifvertrag Anwendung, der eine Regelung zu einer Sonderzahlung enthielt. Diese lautete: „Die Mitarbeiter erhalten mit dem Novembergehalt eine Jahressonderzahlung i. H. v. 100 % des Bruttomonatstabellenentgelts. Im Jahr des Eintritts wird die Jahressonderzahlung zeitanteilig entsprechend für jeden vollen Beschäftigungsmonat zu 1/12 gezahlt.“ Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.8.2023 durch Kündigung des Klägers. Als er für 2023 keine Jahressonderzahlung erhielt, klagte er diese in voller Höhe und hilfsweise zu 8/12 ein. Seines Erachtens handelt es sich bei der Maßgabe, dass die Zahlung mit dem Novembergehalt erfolgt, nur um eine Fälligkeitsregelung. Das ArbG wies die Klage ab. 

Die Entscheidung

Ebenso entschied das LAG Mecklenburg-Vorpommern. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Jahressonderzahlung. Tarifvertragliche Stichtagsregelungen seien grundsätzlich zulässig. Sind Sonderzuwendungen nur für Zeiten zu zahlen, in denen ein Vergütungsanspruch besteht, zeige dies, dass es sich um Vergütung für geleistete Arbeit handele. Sofern die Zahlung den Bestand des Arbeitsverhältnisses wiederum zu einem bestimmten Stichtag voraussetzt, bspw. dem 1.12., so diene die Zuwendung auch dazu, die Betriebstreue in dem zu Ende gehenden Jahr zu honorieren. Die unterschiedliche Behandlung durch damit einhergehende Differenzierung sei sachlich gerechtfertigt, sofern die Leistung auch bezweckt, Betriebstreue zu belohnen und die Begünstigten zu reger und engagierter Mitarbeit zu motivieren. Bei bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern könne dieser Zweck nicht mehr erreicht werden. Die vorliegende Formulierung setze begrifflich voraus, dass der Mitarbeiter ein Entgelt für den Monat November erhält, was wiederum ein bestehendes Arbeitsverhältnis zumindest an einem Novembertag erfordere. Die Tarifvertragsparteien hätten damit nicht nur die Fälligkeit des Anspruchs festgelegt, sondern auch eine Bedingung dafür, und dabei ausdrücklich auf den Erhalt einer Entgeltzahlung für November Bezug genommen. 

Alkoholverbot in arbeitsfreier Zeit an Bord eines Schiffes bedingt keinen Bereitschaftsdienst

Die Einschränkung der Freizeitgestaltung für Kapitäne an Bord eines Schiffes in ihren dienstfreien Zeiten durch das Verbot des Konsums von Alkohol führt nicht zum Vorliegen von Bereitschaftszeiten, wenn das Verbot der Sicherheit an Bord dient. 

LAG Hamburg, Urteil vom 13.11.2024 – 7 SLa 16/24

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer ist bei der beklagten Arbeitgeberin als Schiffskapitän beschäftigt. Seine Einsätze auf Schiffen dauern zum Teil mehrere Monate an. Auf das Heuerverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung, der eine Regelung enthält, welche die pauschale Überstundenvergütung für Besatzungsmitglieder mit Ausnahme von Kapitänen anordnet. Im März 2022 fragte der Kläger bei der Beklagten an, ob er außerhalb seiner Arbeitszeiten an Bord Alkohol trinken dürfe. Eine Mitarbeiterin wies ihn daraufhin per E-Mail auf die Null-Toleranz-Politik der Arbeitgeberin in Bezug auf Alkohol und Drogen an Bord wegen der Gesetze zur Regelung der sicheren Arbeitsumgebung hin. Dies müsse auch in dienstfreien Zeiten gelten, da in Notfällen sichergestellt werden müsse, dass die Seeleute in der Lage sind, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Ein Jahr später forderte der Kläger indes die Vergütung von 11.120 Stunden Bereitschaftszeit, die er sodann auch einklagte. Seines Erachtens habe immer in Bereitschaft sein müssen, was auch aus der E-Mail der Mitarbeiterin der Beklagten folge. Das ArbG Hamburg wies die Klage ab.

Die Entscheidung

So entschied auch das LAG Hamburg. Die Freizeitphasen währen der Einsätze des Klägers seien nicht als vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten anzusehen. Die Beklagte habe keine Bereitschaftszeiten gegenüber dem Kläger angeordnet, weder ausdrücklich noch konkludent. Das Alkoholverbot an Bord sei ferner schon mit Abschluss des Heuervertrages vereinbart worden, in dem ein Anhang u. a. statuiert, dass kein Arbeitnehmer zu irgendeinem Zeitpunkt unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen an Bord stehen darf. Aus der Existenz des Verbots während des gesamten Aufenthalts an Bord ergebe sich überdies keine Anordnung von Bereitschaftszeit, auch wenn dadurch die Freizeitgestaltung eingeschränkt sein kann. Befindet sich ein Schiff auf See, ergebe sich die ständige Anwesenheit der Besatzungsmitglieder aus der Natur der Sache. Wenn eine Beschränkung der Freizeitgestaltung dabei die Sicherheit an Bord gewährleisten soll, so lasse sich die Annahme eines konkludent angeordneten Bereitschaftsdienstes damit nicht begründen.

bAV-Aktuell: Entgeltumwandlung ohne Arbeitgeberzuschuss

Tarif ist Trumpf?! Eine aktuelle Entscheidung des BAG zeigt: Auch alte Tarifverträge können eine Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer ausschließen.

Der für das Betriebsrentenrecht zuständige Dritte BAG-Senat war zuletzt einer der aktivsten Senate beim höchsten deutschen Arbeitsgericht – und hat nunmehr erneut eine zentrale Entscheidung gefällt. Gemäß den Erfurter Richtern geht eine abschließende Regelung zur Entgeltumwandlung in einem Tarifvertrag dem gesetzlichen Anspruch aus § 1a BetrAVG vor – und zwar auch dann, wenn der Tarifvertrag vor Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes geschlossen wurde (BAG, Urteil vom 11.3.2025 – 3 AZR 53/24).

Im zugrunde liegenden Fall war der klagende Arbeitnehmer seit 1995 bei der Beklagten beschäftigt. Kraft beidseitiger Tarifbindung fanden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes der Kommunen Anwendung auf das Arbeitsverhältnis. Hierzu zählte u. a. der Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst vom 18.2.2003 (TV-EUmw/VKA). Dieser regelt die Grundsätze zur Umwandlung tarifvertraglicher Entgeltbestandteile zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung. Eine Regelung über einen Arbeitgeberzuschuss enthält der Tarifvertrag nicht. Auf Grundlage der tarifvertraglichen Regelungen wandelte der Kläger monatlich Entgeltbestandteile um und vertrat die Auffassung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm einen Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 15 v. H. der monatlichen Umwandlungsbeträge zu zahlen. Die zum 1.1.2018 in Kraft getretene Regelung des § 1a BetrAVG sei nicht durch den – rund fünfzehn Jahre zuvor abgeschlossenen – TV-EUmw/VKA abbedungen worden. Mit seiner Klage begehrte er die Nachzahlung sowie die zukünftige Leistung entsprechender Arbeitgeberbeiträge. ArbG und LAG gaben der Klage statt. 

Das BAG entsprach wiederum der Revision und wies die Klage ab. Die Regelung des § 1a BetrAVG sei sehr wohl wirksam abbedungen worden. Dies gelte trotz des Umstandes, dass die gesetzliche Vorschrift zum Arbeitgeberzuschuss erst nach Abschluss des TV-EUmw/VKA in Kraft getreten sei. Einer ausdrücklichen Regelung im Tarifvertrag habe es nicht bedurft. Es genüge, dass der TV-EUmv/VKA die Entgeltumwandlung abschließend ohne Arbeitgeberzuschuss regele. Die Entscheidung enthält damit für die Praxis zwei relevante Kernaussagen:

1. Regelt ein Tarifvertrag die Entgeltumwandlung abschließend, geht dieser der gesetzlichen Reglung in § 1a Abs. 1a BetrAVG vor. Das gilt auch dann, wenn der Tarifvertrag vor Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes abgeschlossen wurde. Ob eine abschließende Regelung vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. 

2. Schweigt der Tarifvertrag zur Frage des Arbeitgeberzuschusses, gilt dieser als abbedungen. 

Was auf den ersten Blick als begrüßenswerte Stärkung der Tarifautonomie erscheint, führt bei genauerer Betrachtung indes zu misslichen Konsequenzen auf Seiten der Arbeitnehmer und zu Rechtsunsicherheiten auf Seiten der Arbeitgeber. Denn soweit Tarifverträge keine Regelung zum Arbeitgeberzuschuss enthalten, können sich die Versorgungsberechtigten nicht auf § 1a BetrAVG berufen. Tarifgebundene Arbeitgeber hingegen müssen sorgfältig prüfen, ob der für sie einschlägige Tarifvertrag eine abschließende Regelung zur Entgeltumwandlung enthält.

Autor:

Jan Hansen, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Internationaler Newsflash aus unyer: Österreich: Digitale Barrierefreiheit wird Pflicht – Der European Accessibility Act und dessen nationale Umsetzung in Österreich

Mit dem Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) setzt Österreich die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) in nationales Recht um. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu digitalen Produkten und Dienstleistungen zu ermöglichen. Das Gesetz tritt am 28.6.2025 in Kraft und bedeutet einen Paradigmenwechsel: Barrierefreiheit ist dann keine freiwillige Maßnahme mehr, sondern Pflicht.

Wer ist betroffen?

Das Gesetz gilt für alle sog. „Wirtschaftsakteure“ – das sind Hersteller, Dienstleister, Händler und Importeure. Erfasst sind insbesondere digitale Dienstleistungen wie Webshops, Terminbuchungssysteme oder Apps, sofern diese im Rahmen eines Verbrauchervertrags angeboten werden.

Gibt es Ausnahmen?

Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanzsumme unter 2 Mio. EUR sind bei Dienstleistungen von der Pflicht ausgenommen, nicht jedoch bei der Herstellung von Produkten.

Was ist zu tun?

Die Anforderungen an die Barrierefreiheit sind hoch: Informationen müssen über mindestens zwei Sinne wahrnehmbar sein, Funktionen wie Bezahlung und Identifikation barrierefrei gestaltet werden. Unternehmen müssen außerdem sicherstellen, dass ihre Angebote mit assistiven Technologien (z. B. Screenreadern) kompatibel sind.

Fristen und Sanktionen

Bestehende Verträge und Systeme genießen Übergangsfristen von bis zu fünf bzw. 20 Jahren. Bei Verstößen drohen empfindliche Geldstrafen – je nach Unternehmensgröße bis zu 80.000,00 EUR.

Fazit

Die Digitalisierung hat die Interaktion zwischen Unternehmen und Verbrauchern grundlegend verändert. Während dieser Wandel einerseits den Zugang zu Dienstleistungen erleichtert, droht er andererseits, bestimmte Bevölkerungsgruppen von der digitalen Teilhabe auszuschließen. Mit dem Barrierefreiheitsgesetz hat der österreichische Gesetzgeber nun einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der die digitale Inklusion von Menschen mit Behinderungen sicherstellen soll.

Autoren:

Anna Mertinz, KWR, Wien

Stefan Burischek, KWR, Wien

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Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago)

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