27.11.2025
Mit Urteil vom 7. Oktober 2025 hat der Bundesgerichtshof (Az. II ZR 112/24) entschieden, dass deutsche Verbraucher bei Streitigkeiten mit Verbindung zum Vereinigten Königreich auch nach Ablauf der im Brexit-Abkommen vereinbarten Übergangsfrist weiterhin vor deutschen Gerichten gegen im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen vorgehen können. Der in Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-Verordnung, „EuGVVO”) geregelte sog. Verbrauchergerichtsstand findet trotz des Brexits weiterhin zugunsten deutscher Verbraucher Anwendung.
Die Klägerin hatte im Rahmen einer Vermögensanlage eine Genussrechtsbeteiligung an einer österreichischen Aktiengesellschaft erworben. Diese wurde nach einer Umwandlung auf die in London ansässige Beklagte verschmolzen. Die in Deutschland wohnhafte Klägerin hielt diese Umwandlung für rechtswidrig und begehrt Schadensersatz oder die Rückerstattung ihrer Einlagen.
In erster Instanz hatte das Landgericht München I (Urteil vom 25. April 2024, Az. 47 O 13979/22) die Beklagte unter Annahme seiner internationalen Zuständigkeit entsprechend verurteilt. In zweiter Instanz wies das Oberlandesgericht München (Urteil vom 16. September 2024, Az. 17 U 1521/24 e), die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit der deutschen Gerichte ab. Im Wesentlichen argumentierte das Oberlandesgericht München, dass das Brexit-Abkommen als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 216 Abs. 2 AEUV Vorrang gegenüber der Anwendung der EuGVVO habe. Aus dem Brexit-Abkommen ergebe sich, dass die EuGVVO nach Ablauf des Übergangszeitraums für Sachverhalte mit Bezug zum Vereinigten Königreich nicht mehr anzuwenden sei. Denn andernfalls würden die Regelungen des Abkommens weitestgehend leer laufen, was sicherlich nicht gewollt sei. Die internationale Zuständigkeit sei daher nach den Bestimmungen der deutschen Zivilprozessordnung zu ermitteln. Danach seien die Gerichte am Sitz der Beklagten in Großbritannien zuständig. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hatte das Oberlandesgericht München die Revision zugelassen.
Der Bundesgerichtshof folgte der Argumentation des Oberlandesgerichts München nicht. Er stellte klar, dass das Brexit-Abkommen der Anwendbarkeit der EuGVVO nach Ablauf der Übergangsfrist nicht entgegensteht. Im konkreten Fall leitete der Bundesgerichtshof daher die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus dem Gerichtsstand des Wohnsitzes der klagenden Verbraucherin nach Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO her.
[1] Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. vom 12. November 2019/C 384 I./01)
Der Bundesgerichtshof stellte zunächst klar, dass sich die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedsstaates bei Streitigkeiten mit Beklagten, die keinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates (sog. „Drittstaaten“) hat, gem. Art. 6 Abs. 1 EuGVVO zwar nach deren eigenem Recht richtet. Für Verbrauchersachen sehe Art. 18 EuGVVO allerdings vorrangig geltende Ausnahmen vor, die auch bei Drittstaatenbezug eine internationale Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte begründen können.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts München, dass die Anwendung der EuGVVO aufgrund des Brexit-Abkommens ausgeschlossen sei, teilte der Bundesgerichtshof nicht. Zwar besagt Art. 216 Abs. 1 EUV, dass die Europäische Union Vereinbarungen mit Drittstaaten treffen kann, die die Mitgliedstaaten binden. Das Brexit-Abkommen enthalte allerdings nur Regelungen zur Geltung des Unionsrechts während des Übergangszeitraums. Danach sollte das Unionsrecht für das Vereinigte Königreich die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten entfalten und sollte nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und verwendet werden.
Eine Regelung dazu, wie die EuGVVO nach dem Übergangszeitraum im Verhältnis zum Vereinigten Königreich anzuwenden ist, enthält das Brexit-Abkommen aber nicht. Das Brexit-Abkommen sehe vielmehr vor, dass das Vereinigte Königreich nach dem Austritt im Verhältnis zur Europäischen Union als Drittstaat gilt (so bereits BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021, Az.: II ZB 35/20). Eine spezielle Regelung, die die Anwendbarkeit der EuGVVO (hier insbesondere Art. 18 EuGVVO) in den Mitgliedstaaten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich als Drittstaat beschränken würde, sei im Brexit-Abkommen nicht enthalten. Der Brexit berühre daher nicht die Anwendbarkeit der EuGVVO in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Im Ergebnis ist die EuGVVO von den Gerichten der Mitgliedstaaten daher auch dann anzuwenden, wenn sie einen Sachverhalt mit Bezug zum Vereinigten Königreich zu entscheiden haben.
Der Bundesgerichtshof stellte zunächst klar, dass sich die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedsstaates bei Streitigkeiten mit Beklagten, die keinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates (sog. „Drittstaaten“) hat, gem. Art. 6 Abs. 1 EuGVVO zwar nach deren eigenem Recht richtet. Für Verbrauchersachen sehe Art. 18 EuGVVO allerdings vorrangig geltende Ausnahmen vor, die auch bei Drittstaatenbezug eine internationale Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte begründen können.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts München, dass die Anwendung der EuGVVO aufgrund des Brexit-Abkommens ausgeschlossen sei, teilte der Bundesgerichtshof nicht. Zwar besagt Art. 216 Abs. 1 EUV, dass die Europäische Union Vereinbarungen mit Drittstaaten treffen kann, die die Mitgliedstaaten binden. Das Brexit-Abkommen enthalte allerdings nur Regelungen zur Geltung des Unionsrechts während des Übergangszeitraums. Danach sollte das Unionsrecht für das Vereinigte Königreich die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten entfalten und sollte nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und verwendet werden.
Eine Regelung dazu, wie die EuGVVO nach dem Übergangszeitraum im Verhältnis zum Vereinigten Königreich anzuwenden ist, enthält das Brexit-Abkommen aber nicht. Das Brexit-Abkommen sehe vielmehr vor, dass das Vereinigte Königreich nach dem Austritt im Verhältnis zur Europäischen Union als Drittstaat gilt (so bereits BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021, Az.: II ZB 35/20). Eine spezielle Regelung, die die Anwendbarkeit der EuGVVO (hier insbesondere Art. 18 EuGVVO) in den Mitgliedstaaten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich als Drittstaat beschränken würde, sei im Brexit-Abkommen nicht enthalten. Der Brexit berühre daher nicht die Anwendbarkeit der EuGVVO in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Im Ergebnis ist die EuGVVO von den Gerichten der Mitgliedstaaten daher auch dann anzuwenden, wenn sie einen Sachverhalt mit Bezug zum Vereinigten Königreich zu entscheiden haben.
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall war der Verbrauchergerichtsstand in Deutschland gem. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO eröffnet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts München I war die Klägerin als Verbraucherin im Sinne der EuGVVO einzustufen. Zudem handelte es sich um eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 17 EuGVVO. Der Bundesgerichtshof betonte, dass auch der Erwerb von Geschäftsanteilen als Verbrauchergeschäft einzustufen ist, wenn der Zweck des Geschäfts nicht vorrangig darin besteht, Gesellschafter zu werden, sondern privates Kapital anzulegen.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe laut Bundesgerichtshof außerdem gewerblich gehandelt und ihre Tätigkeit auf in Deutschland ansässige Verbraucher im Sinne des Art. 17 EuGVVO ausgerichtet, indem sie ihre Dienstleistungen und Produkte auch in Deutschland anbot. (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, Az. C 585/08, 144/09).
Aus Sicht des Bundesgerichtshof war die richtige Auslegung des Brexit-Abkommens offenkundig zu beantworten und lasse keine ernsthaften Zweifel zu („acte clair“). Der Bundesgerichtshof verzichtet daher auf eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und verwies die Sache zur Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurück.
Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass deutsche Verbraucher auch nach dem Brexit grundsätzlich weiterhin vor deutschen Gerichten gegen britische Unternehmen klagen können. Das Brexit-Abkommen bzw. der Ablauf der darin vereinbarten Übergangszeit ändert nichts an der Anwendbarkeit der EuGVVO innerhalb der EU – insbesondere nicht am Verbrauchergerichtsstand nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO. Damit bleibt deutschen Verbrauchern der Zugang zu ihren heimischen Gerichten erhalten, selbst wenn der beklagte Unternehmer seinen Sitz im Vereinigten Königreich hat. Dabei verdeutlicht das Urteil des Bundesgerichtshof auch: Die Hürden zur Annahme eines Verbrauchergeschäfts mit Ausrichtung auf EU-Bürger sind äußerst gering. In der Praxis kann beispielsweise schon ein Online-Angebot in deutscher Sprache ausreichen.
Unternehmen, die in der EU tätig werden oder ihr Geschäft auf EU-Bürger ausrichten, müssen daher besonders sorgfältig prüfen, ob und wie Gerichtsstandsvereinbarungen rechtssicher gestaltet werden können. Gegenüber Verbrauchern sind Gerichtsstandsvereinbarungen nur in sehr engen Ausnahmefällen wirksam und können die Zuständigkeit deutscher Gerichte in der Regel nicht wirksam ausschließen. Bei unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarungen können sogar Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände drohen.
Pieter Krüger, Mag. iur.
Counsel
Frankfurt a.M.
pieter.krueger@luther-lawfirm.com
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Julian Wantzen, LL.M. (Wellington)
Associate
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