06.10.2025
Liebe Leserinnen und Leser,
die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland ist weiterhin von erheblichen Herausforderungen geprägt. Insbesondere die anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten und die Transformation zentraler Industriezweige beeinflussen die ökonomische Entwicklung maßgeblich. Die unmittelbaren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind spürbar. Arbeitsrechtliche Themen rund um die Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen und die Gestaltung betrieblicher Veränderungsprozesse rücken deutlich wahrnehmbar in den Fokus.
Dies alles verdeutlicht, wie eng wirtschaftliche Rahmenbedingungen und arbeitsrechtliche Fragestellungen miteinander verflochten sind. Wir freuen uns, Ihnen daher auch in der vorliegenden Herbst-Ausgabe unseres Newsletters aktuelle arbeitsrechtliche Entwicklungen sowohl in der Rechtsprechung als auch auf legislativer Ebene präsentieren zu können.
Es eröffnen unsere Hamburger Kolleginnen Sandra Sfinis und Anna Mayr, die eine Revue zur jüngsten Rechtsprechung zum Gegenstand der Scheinselbstständigkeit präsentieren – ein nimmermüdes Thema und ein enorm praxisrelevanter Bereich, gerade in Zeiten der digitalen Transformation und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Paul Gooren aus Berlin beschäftigt sich wiederum mit den gesetzgeberischen Aktivitäten und bewertet den zuletzt vorgelegten Entwurf zu einem „Tariftreuegesetz“, mit dem die Bundesregierung öffentliche Aufträge nur noch an solche Unternehmen vergeben will, die Tarifverträge einhalten.
In unserer Analyse der aktuellen Rechtsprechung führen wir mit diesem Newsletter eine Neuerung ein und präsentieren von nun an die unseres Erachtens zehn wichtigsten Entscheidungen des Quartals, allesamt flankiert mit Einordnungen und Praxishinweisen durch unsere Kolleginnen und Kollegen. Auf diesem Weg möchten wir noch fokussierter die wirklich zentralen Urteile und Beschlüsse für Sie herausfiltern. In unserer Rubrik „bAV Aktuell“ bewertet unsere Kollegin Annekatrin Veit ein Urteil des BAG zu tariflichen Abweichungen beim Arbeitgeberzuschuss zur Betriebsrente. Wie immer schließen wir mit einem Blick ins Ausland: Wie immer schließen wir mit einem Blick ins Ausland: Dort skizziert Xavier Drouin von unserer französischen unyer-Partnerkanzlei Fidal den „Plan de sauvegarde de l’emploi“, der Pflichten für Arbeitgeber bei Kündigungen über bestimmten Schwellenwerten anordnet.
Wir hoffen, unsere Themenauswahl sorgt für eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre. Wie immer freuen wir uns auf Ihr Feedback!
Bis bald, Ihr
Achim Braner
Die Beschäftigung von selbständigen Dienstleistern ist in vielen Unternehmen gängige Praxis. Doch die Grenze zwischen echter Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung ist fließend und geht nach wie vor mit erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für Unternehmen einher.
Zwischen Vertragsfreiheit und rechtlicher Realität
Die rechtliche Bewertung von Beschäftigungsverhältnissen orientiert sich nicht an vertraglichen Regelungen oder den Vorstellungen der Parteien, sondern an den tatsächlichen Gegebenheiten im betrieblichen Alltag. Diese können sich im Laufe der Zusammenarbeit ändern. Die jüngste Rechtsprechung der Sozialgerichte und des BAG verdeutlicht die Komplexität der Abgrenzung zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung. Eine sorgfältige Analyse jedes Einzelfalls ist unerlässlich, aber auch komplex, da die Grenzen der Vertragsfreiheit nicht nur durch gesetzliche Vorgaben, sondern auch durch die tatsächliche Umsetzung bestimmt werden.
Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn ein tatsächlich abhängig Beschäftigter als selbständiger Mitarbeiter geführt wird. Sie ist in Deutschland weit verbreitet, da sie auf den ersten Blick für beide Seiten Vorteile bietet:
Rechtliche Risiken für Unternehmen
Vor dem Einsatz von Selbständigen sollten Unternehmen die Voraussetzungen einer selbständigen Tätigkeit genau prüfen, da bei Feststellung einer abhängigen Beschäftigung erhebliche rechtliche Konsequenzen drohen.
Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer
Wird eine Tätigkeit rückwirkend als abhängige Beschäftigung eingestuft, muss der Auftraggeber sämtliche Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen (§ 28e SGB IV). Dies betrifft den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil und kann bis zu vier Jahre (bei Vorsatz bis zu 30 Jahre) zurückreichen. Der Auftraggeber haftet allein für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge – unabhängig davon, ob er den Arbeitnehmeranteil einbehalten hat. Das Finanzamt kann ferner Lohnsteuer nachfordern (§§ 38 ff. EStG); auch hier haftet der Arbeitgeber für nicht abgeführte Abgaben (§ 42d EStG).
Arbeitsrecht
Es gelten für das Beschäftigungsverhältnis sämtliche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften wie das KSchG, das EFZG und das BurlG – Scheinselbständige können mithin nachträglich sämtliche Ansprüche aus diesen Gesetzen geltend machen. Bereits gezahlte Honorare können unter Umständen zurückgefordert werden. Bei Arbeitsunfällen haftet ggf. nicht mehr die Berufsgenossenschaft des Selbständigen, sondern die des Unternehmens.
Strafrechtliche Risiken
Da das Unternehmen für den vermeintlich Selbständigen keine Sozialversicherungsbeiträge abführt, kann der Tatbestand des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) erfüllt sein. Bei vorsätzlicher Beschäftigung eines Scheinselbständigen drohen Geld- oder Freiheitsstrafen. Führt das Unternehmen für den vermeintlich Selbständigen auch keine Lohnsteuer ab, kann der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sein (§ 370 AO): die vorsätzliche Nichtabführung von Lohnsteuer ist strafbar.
Aktuelle Rechtsprechung
Bei der Beurteilung des Status von Beschäftigten betonen die Gerichte in einer Reihe aktueller Entscheidungen, dass stets eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls notwendig ist.
Das „Herrenberg-Urteil“ des BSG
Das Bundessozialgericht entschied mit Urteil vom 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R über die abhängige Beschäftigung einer Musiklehrerin mit Jahresverträgen und Honorarzahlungen. Trotz Ausfallhonoraren und Nachholmöglichkeiten war sie in die Organisation der Musikschule eingebunden, musste Vorgaben befolgen und konnte keine eigenen Schüler akquirieren. Das BSG stellte klar, dass eine abstrakte Zuordnung von Mitarbeitern in den Status als selbständige oder abhängige Beschäftigung nach Berufsgruppen nicht möglich ist. Die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung in betriebliche Abläufe müssen nicht kumulativ vorliegen, um eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Entscheidend war vorliegend das Fehlen eigenverantwortlichen unternehmerischen Handelns. Bemerkenswert ist, dass das BAG in einem ähnlichen Fall im Jahr 2018 noch anders entschieden hatte. Hieran wird deutlich, dass das Gesamtbild im Einzelfall ausschlaggebend ist.
LSG Baden-Württemberg
Das LSG Baden-Württemberg entschied jüngst über den Status von Dopingkontrolleuren, die formal als freie Mitarbeiter geführt wurden (Urteil vom 18.3.2025 – L 13 BA 3631/22). Dabei stellte das Gericht fest, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt, wenn die Kontrolleure in den Betriebsablauf eingegliedert und hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Tätigkeit weisungsgebunden sind. Ein unternehmerisches Risiko trugen diese hingegen nicht. Auch die vertragliche Bezeichnung als „selbständige Dopingkontrolleure“ war unerheblich. Das Gericht betonte die Möglichkeit, im Zweifel ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung auch schon vor Aufnahme der Tätigkeit anzustrengen (§ 7a Abs. 4a SGB IV).
LSG Hessen
Daneben entschied das LSG Hessen (Urteil vom 16.5.2025 – L 1 BA 34/23), dass selbst Rennsportfahrer abhängige Beschäftigte sein können, obwohl sie als Selbständige geführt werden. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Exklusivität der Tätigkeit nur für das Vertragsunternehmen, mit fehlenden Werbeeinnahmen/Sponsoring, dem fehlenden unternehmerischen Risiko des Fahrers sowie den Umstand, dass sämtliche Vorgaben durch das Team erfolgen. Diese Kriterien sprechen aus Sicht des Gerichts in der Gesamtschau für die persönliche Abhängigkeit auch von Rennsportfahrern.
Fazit
Die aktuelle Rechtsprechung betont die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung aller Umstände zur Abgrenzung zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung. Für Unternehmen bedeutet dies eine erhöhte Prüfpflicht und eine sorgfältige Vertragsgestaltung, die in der Praxis auch umgesetzt werden muss. Insbesondere bei lang andauernden Vertragsverhältnissen ist regelmäßig zu prüfen, ob die Beschäftigung (weiterhin) die vertraglichen Festlegungen erfüllt. In Zweifelsfällen ist frühzeitig ein Statusfeststellungsverfahren einzuleiten. Im Übrigen wird aktuell politisch an einer schnelleren und rechtssichereren Statusfeststellung gearbeitet: Laut dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD soll eine Genehmigungsfiktion eingeführt werden. Zudem ist geplant, Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen – Details bleiben abzuwarten.
Autorinnen:
Sandra Sfinis, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg
Dr. Anna Mayr, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg
Die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat wie in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt einen Gesetzesentwurf zur Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen vorgelegt. Eine Vorstellung der Inhalte samt kritischer Bewertung.
Hintergrund
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Bundestariftreuegesetzes (BTTG-E) vorgelegt. Dessen Ziel ist es, bestehende Wettbewerbsnachteile tarifgebundener Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen des Bundes zu beseitigen und die Anwendung tariflicher Mindeststandards zu stärken. Künftig sollen auch nicht tarifgebundene Unternehmen ihren Beschäftigten bei der Ausführung von Bundesaufträgen branchenspezifische tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren. Bereits die Ampel-Koalition hatte einen Vorstoß hierzu unternommen, der jedoch nicht mehr zur Verabschiedung kam. Bundesarbeitsministerin Bas greift die Initiative nun auch mit Blick auf das Sondervermögen Infrastruktur erneut auf. Vor dem Hintergrund milliardenschwerer Investitionen soll das Gesetz sicherstellen, dass der Ausbau nicht auf Kosten fairer Löhne erfolgt und „Lohndumping“ verhindert wird.
Die wichtigsten Regelungen
Im Zentrum des Entwurfs steht das sogenannte Tariftreueversprechen (§ 3 BTTG-E): Auftragnehmer, Nachunternehmer und von ihnen beauftragte Verleiher müssen den bei Bundesaufträgen eingesetzten Arbeitnehmern Tarifstandards gewähren, die vom BMAS per Verordnung festgelegt werden. Zu den erfassten Arbeitsbedingungen zählen die Vergütung, bezahlter Urlaub sowie Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Pausen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BTTG-E). Die Bestimmungen zum Urlaub und zur Arbeitszeit finden aber erst ab einer Auftragsdauer von mehr als zwei Monaten Anwendung, die Festlegung erfolgt durch das BMAS auf Antrag einer Gewerkschaft oder Arbeitgebervereinigung. Das Ministerium kann von einer Festlegung gleichwohl absehen, wenn ausnahmsweise kein öffentliches Interesse besteht. Liegen Anträge zu unterschiedlichen Tarifverträgen vor, bestimmt das BMAS den repräsentativen Tarifvertrag.
Die Pflicht zur Tariftreue gilt grundsätzlich erst ab einem Auftragsvolumen von 50.000 EUR (§ 1 BTTG-E). Ausgenommen von der Pflicht zur Tariftreue sind sicherheits- und verteidigungsspezifische Aufträge. Die Auftragnehmer müssen die Einhaltung des Tariftreueversprechens nachweisen (§ 9 BTTG-E). Anstelle einer Einzelnachweisführung pro Auftrag kann ein entsprechendes Zertifikat vorgelegt werden (§ 10 BTTG-E).
Die Einhaltung des Tariftreueversprechens soll durch eine neu einzurichtende „Prüfstelle Bundestariftreue“ bei der Deutschen Rentenversicherung überwacht werden (§ 8 BTTG-E). Verstöße können mit Vertragsstrafen, einer außerordentlichen Kündigung des Auftragsverhältnisses oder dem Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren geahndet werden (§§ 11, 14 BTTG-E). Arbeitnehmer erhalten nach § 4 BTTG-E überdies einen unmittelbaren Anspruch gegen den Arbeitgeber auf die Einhaltung dieser Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber ist ferner verpflichtet, seine Arbeitnehmer und eingesetzte Leiharbeitnehmer über das Bestehen des Anspruchs in Kenntnis zu setzen.
Bewertung
Angesichts der niedrigen Tarifbindung in Deutschland – derzeit etwa 49 % – ist das Motiv der Bundesregierung, die Anwendung von Tarifverträgen zu stärken, zunächst nachvollziehbar. Je mehr der Staat aber selbst die Arbeitsbedingungen im Detail vorgibt, sei es durch den Mindestlohn, allgemeinverbindliche Tarifverträge oder eben Tariftreuevorgaben, desto weniger Bereitschaft besteht generell bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich selbst einer unmittelbaren Tarifbindung zu unterwerfen. Insofern ist eine gewisse Skepsis angebracht, was die Tauglichkeit des Weges der Tariftreue anbetrifft. Hierfür sprechen auch die bisherigen Erfahrungen mit bestehenden Landestariftreuegesetzen. Dazu führt das geplante Gesetz zu weiterem Bürokratieaufwand für Unternehmen. Die Wirtschaft fordert seit Langem einen Bürokratieabbau, der Gesetzesentwurf ist das Gegenteil davon. Die vorgesehenen Vorlage- und Nachweispflichten oder der Erwerb von Zertifikaten bedeutet für Unternehmen einen spürbaren zusätzlichen Aufwand bei öffentlichen Vergaben und Konzessionen. Es besteht die Gefahr, dass das Vorhaben die Teilnahme am Vergabewettbewerb gerade unattraktiver macht. Zusätzliche Bürokratie ist zudem ein weiterer Standortnachteil Deutschlands, erst recht in der aktuellen Wirtschaftslage.
Positiv hervorzuheben ist, dass jedenfalls die Vorlage- und Dokumentationspflichten für Nachunternehmer im Vergleich zum Ampel-Entwurf entfallen sind. Derweil bleibt durch das individuelle Klagerecht für Arbeitnehmer ein erhöhtes Prozessrisiko für Arbeitgeber. Rechtlich kritisch ist auch, dass das BMAS durch Rechtsverordnungen die einzuhaltenden Mindestarbeitsbedingungen festsetzen soll. Dies stellt einen Eingriff in die Tarifautonomie und die negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) dar. Ob dieser durch die Ziele des Gesetzes verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, wird früher oder später das BVerfG entscheiden müssen. Die neu einzurichtende Prüfstelle schafft zudem eine überflüssige Doppelstruktur in der Verwaltung. Sinnvoller wäre es, die Zuständigkeit z. B. dem Zoll zu übertragen.
Autor
Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago), Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Berlin
Arbeitnehmer können im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht – auch nicht durch gerichtlichen Vergleich – wirksam auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichten können. Dies gilt selbst dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ohnehin kein Urlaub mehr genommen werden kann.
BAG, Urteil vom 3.6.2025 – 9 AZR 104/24
Der Fall
Ein Betriebsleiter war vom 1.1.2019 bis zum 30.4.2023 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im Jahr 2023 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens schlossen die Parteien am 31.3.2023 einen Prozessvergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zum 30.4.2023 enden sollte. Der Vergleich enthielt eine Regelung, dass Urlaubsansprüche „in natura gewährt“ werden und eine allgemeine Ausgleichsklausel. Der Kläger machte dennoch die Abgeltung von sieben Tagen gesetzlichen Mindesturlaubs für 2023 geltend. Er argumentierte, ein Verzicht auf diesen sei nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unwirksam. ArbG und LAG entschieden zugunsten des Klägers.
Die Entscheidung
Der Neunte Senat des BAG bestätigte dies: Auch während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit entstehe der Urlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG. Vereinbarungen, wonach Urlaubsansprüche „in natura gewährt“ seien, stellten einen unzulässigen Verzicht dar und seien gem. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG i. V. m. § 134 BGB unwirksam. Der gesetzliche Mindesturlaub dürfe nicht durch finanzielle Abgeltung oder Verzicht ausgeschlossen werden, solange das Arbeitsverhältnis rechtlich besteht. Dies gelte auch dann, wenn die Beendigung bereits feststeht und der Arbeitnehmer krankheitsbedingt keinen Urlaub mehr nehmen kann. Ein Abgeltungsanspruch entstehe erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zulässig seien allein Tatsachenvergleiche, also Einigungen über tatsächliche Unsicherheiten (z. B. ob und in welchem Umfang Urlaub bereits genommen wurde).
Unser Kommentar
Das BAG bekräftigt die Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubs im bestehenden Arbeitsverhältnis. Zentral ist die Feststellung, dass auch eine vertragliche oder gerichtliche Vergleichsregelung, die auf einen Ausschluss des Urlaubsanspruchs hinausläuft, unwirksam ist. Der gesetzliche Mindesturlaub unterliegt auch in diesem Kontext einem besonderen Schutz. Allein Dispositionen über bereits entstandene Abgeltungsansprüche nach der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind hingegen zulässig. Arbeitgeber können in der Folge nicht darauf vertrauen, dass mittels umfassender Vergleichsklauseln Urlaubsansprüche abgegolten werden können. Um spätere Nachforderungen zu vermeiden, sollte Urlaub möglichst vor Ende des Arbeitsverhältnisses tatsächlich gewährt werden; andernfalls besteht das Risiko einer gesonderten Abgeltung. Gesetzliche Mindesturlaubsansprüche sind daher stets einer gesonderten Prüfung zu unterziehen und – sofern eine Erfüllung in natura nicht mehr möglich ist – zwingend in Geld abzugelten.
Autoren
Lena Barry, LL.M., Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Leipzig
Dr. Jan-Moritz Hahn, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Leipzig
Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln auf tarifliche Vergütungsregelungen sind AGB und daher hinsichtlich ihrer Reichweite nach objektivem Inhalt und typischem Sinn auszulegen. Ausgangspunkt ist stets der Vertragswortlaut.
BAG, Urteil vom 21.05.2025 – 4 AZR 166/24
Der Fall
Die klagende Arbeitnehmerin ist seit 1995 als Altenpflegehelferin bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag enthält eine Regelung, nach der sie eine monatliche Vergütung der Gruppe KR I, Stufe 4 mit einem Monatsgehalt von 3.226,87 DM erhält und dass mit dieser Vergütung alle weitergehenden Ansprüche abgegolten sind. Zudem bestimmt der Arbeitsvertrag, dass ohne gegenteilige arbeitsvertragliche Bestimmung „alle betrieblichen Regelungen“ gelten. Seit 1995 besteht bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung, wonach der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) vom 11.1.1961 in der jeweils geltenden Fassung Anwendung findet. Die Parteien führten einen Rechtsstreit über die Reichweite dieser Bezugnahmeklausel. Der das Verfahren beendete Vergleich enthielt die Regelung, wonach die Klägerin nach der Entgeltgruppe P5 des TVöD mit einer individuellen Endstufe von damals 2.854,51 EUR brutto vergütet wird. Im Tarifabschluss für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wurden 2023 eine lineare Erhöhung der Tabellenentgelte sowie Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vereinbart, darunter eine Inflationsausgleichsprämie. Die Beklagte leistete indes keine der Zahlungen an die Klägerin, woraufhin diese sie gerichtlich geltend machte. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab hingegen der Berufung der Klägerin statt.
Die Entscheidung
Der Vierte BAG-Senat entsprach der Revision der Beklagten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung. Grundlage sei die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel, die nach den Grundsätzen über AGB voll überprüfbar sei. Von Bedeutung seien daher der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten. Maßgeblicher Ansatzpunkt sei dabei der Wortlaut der Klausel: Die Bezugnahme beschränke sich eindeutig auf die Eingruppierungs- und Vergütungsregelungen des BAT bzw. TVöD/VKA und damit auf das Tabellenentgelt. Weitere Tarifbestimmungen etwa im Hinblick auf Jahressonderzahlungen und damit auch die Inflationsausgleichsprämie seien nicht erfasst. Dies entspreche auch dem erkennbaren Regelungswillen der Parteien, wonach mit dem Tabellenentgelt „alle weitergehenden Ansprüche“ abgegolten sein sollten. Der Inflationsausgleich stelle ausdrücklich eine zusätzliche Leistung dar, dessen Zweck ausschließlich in der Abmilderung gestiegener Verbraucherpreise liege. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung scheide aus, da keine planwidrige Lücke vorliege: die Bezugnahme sei bewusst eng gefasst, um ausschließlich künftige Tariferhöhungen zu sichern.
Unser Kommentar
Das BAG legt die Bezugnahmeklausel richtigerweise minutiös entlang ihres Wortlauts aus und bestätigt, dass sich eine eng gefasste Bestimmung auch nach längerer Zeit noch an ihrer Regelungsabsicht festmachen lassen muss. Die Klausel war nicht missverständlich oder intransparent, da ausdrücklich nur auf Bestimmungen zum Basisgehalt verwiesen wurde. Dies wird durch die bewusste Abgrenzung und Kappung der Grundvergütung gegenüber späteren Sonderleistungen bestätigt, deren Höhe nicht absehbar war und unabhängig von der Entgeltgruppe festgelegt werden konnte. Das Urteil demonstriert, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln in ihrer Reichweite möglichst präzise formuliert werden sollten, um Unklarheiten und damit letztlich gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Autorin
Charlotte Elsner, LL.M. (Edinburgh), Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf
Arbeitgeber sind vor Ausspruch einer ordentlichen Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
BAG, Urteil vom 3.4.2025 – 2 AZR 178/24
Der Fall
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung innerhalb der Wartezeit. Der schwerbehinderte Kläger war seit Anfang 2023 bei der Beklagten beschäftigt. Seine Schwerbehinderung war ihr bereits bei Vertragsabschluss bekannt und wurde bei der Stellenbesetzung im Hinblick auf das Anforderungsprofil sowie das individuelle Leistungsvermögen berücksichtigt. Nur drei Monate nach der Einstellung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aufgrund fehlender fachlicher Eignung des Klägers. Dieser griff die Kündigung mit der Begründung an, dass sie wegen Verstoßes gegen das AGG nichtig sei. Eine Ungleichbehandlung resultiere bereits daraus, dass die Beklagte das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt und gegen die Pflicht zum Angebot eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes verstoßen habe. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Die Entscheidung
Ebenso entschied das BAG. Einleitend stellten die Erfurter Richter klar, dass ein arbeitgeberseitiger Verstoß gegen Regelungen, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten Schwerbehinderter enthalten (u. a. § 167 Abs. 1 SGB IX), für sich genommen keine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung darstelle. Ein solcher Verstoß begründe jedoch in der Regel die Vermutung einer – unmittelbaren – Benachteiligung wegen der Behinderung, da er geeignet sei, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Personen kein Interesse zu haben. Dies sei indes dann zweifelhaft, wenn der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmer in Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft eingestellt hat und dann während des laufenden Arbeitsverhältnisses gegen spezifische Regelungen zugunsten Schwerbehinderter verstößt.
Die Frage, ob das Unterlassen des Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX an sich eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung darstelle, konnte das BAG insgesamt dahinstehen lassen. Die Beklagte habe schon nicht gegen diese Pflicht verstoßen. Die Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX finde – wie auch schon ihre nahezu identische Vorgängerregelung – während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Das Präventionsverfahren solle bei Eintreten von „personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten“ durchgeführt werden. Damit knüpfe die Vorschrift terminologisch erkennbar an die in § 1 Abs. 2 KSchG verwendeten Begriffe an. Beiläufig stellt das BAG zudem klar, dass eine Anwendung des § 167 Abs. 1 SGB IX auch in Kleinbetrieben ausgeschlossen ist.
Unser Kommentar
Das BAG bestätigt seine – bereits zur Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 SGB IX – ergangene Rechtsprechung zum Präventionsverfahren. Damit schafft es Rechtsklarheit: Eines Präventionsverfahrens bedarf es vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung eines (schwer-)behinderten Arbeitnehmers innerhalb der Wartezeit nicht. Dies ist aus Sicht der Praxis zu begrüßen, schließlich müssten Arbeitgeber sonst bereits kurz nach Beginn der Beschäftigung ein Präventionsverfahren einleiten, um dies vor Ablauf der Wartezeit abschließen zu können.
Autoren
Dr. Isabel Schäfer, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg
Denis Miller-Smechowski, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg
Ein Arbeitgeber darf einen Bewerber ablehnen, weil dieser die tarifvertraglich geltende Altersgrenze überschritten hat, wenn ein jüngerer qualifizierter Bewerber eingestellt wird.
BAG, Urteil vom 8.5.2025 – 8 AZR 299/24
Der Fall
Die Beklagte, ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, ist tarifgebunden. Es gilt ein Tarifvertrag, der eine Altersgrenze (Regelrentenalter) und die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus vorsieht. Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer jenseits der Altersgrenze bewarb sich auf eine ausgeschriebene Stelle und wies auf seine Schwerbehinderung hin. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt eine Absage. Daraufhin verlangte er die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern. Zur Begründung gab er an, die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch indiziere, dass er wegen seiner Schwerbehinderung nicht eingestellt worden sei. Den Einwand des Arbeitgebers, die Einladung sei wegen des Erreichens der Altersgrenze unterblieben, wertete er zudem als Indiz für eine Benachteiligung wegen seines Alters.
Die Entscheidung
Nachdem bereits die beiden Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, blieb der Kläger auch vor dem BAG erfolglos. Zwar sei er wegen seines Alters unmittelbar benachteiligt worden, da er wegen des Erreichens der Altersgrenze abgelehnt wurde. Dies sei aber nach § 10 Satz 1 i. V. m. Satz 2 AGG zulässig. Der Arbeitgeber verfolge das legitime Ziel der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen. Es gehe (ebenso wie bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von einzelvertraglich oder kollektivrechtlich festgelegten Altersgrenzen) bei der Verweigerung, Bewerber einzustellen, die die Altersgrenze bereits erreicht haben, um die Förderung der beruflichen Entwicklung junger Menschen. Die Ablehnung des Bewerbers sei angemessen und erforderlich, um das legitime Ziel zu erreichen, dass ein Bewerber eingestellt wird, der die Altersgrenze noch nicht erreicht hat. Dies gelte auch dann, wenn es sich nur um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, da auch ein solches jüngeren Bewerbern die Möglichkeit biete, Berufserfahrung zu sammeln. Das BAG verneinte zudem eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Die gesetzliche Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 Satz 3 SGB IX), bestehe nicht gegenüber Bewerbern, die die Altersgrenze überschritten haben und aus diesem Grund zulässigerweise abgelehnt werden.
Unser Kommentar
Arbeitgeber, die durch die Vereinbarung von Altersgrenzen zum Ausdruck bringen, dass sie die Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer mit Erreichen des Regelrentenalters beenden wollen, um damit jüngeren Arbeitnehmern den Zugang zur Beschäftigung ermöglichen, dürfen ebenso Bewerber ablehnen, welche die Altersgrenze überschritten haben. Die damit verbundene Ungleichbehandlung ist keine Altersdiskriminierung. Für öffentliche Arbeitgeber ergibt sich eine formale Erleichterung dadurch, dass das BAG die Pflicht, schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich fachlich ungeeignet sind, reduziert, wenn der Bewerber bereits das Regelrentenalter erreicht hat. Im vom BAG entschiedenen Fall handelte es sich um einen tarifgebundenen Arbeitgeber mit einer tariflichen Altersgrenze. Die Urteilsbegründung legt nahe, dass gleiches gilt, wenn die Altersgrenze individualvertraglich vereinbart wird.
Autor
Dr. Volker Schneider, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Der Auskunftsanspruch gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgTranspG besteht nur in Bezug auf tatsächlich vorhandene Entgeltregelungen und kann durch Verweis auf Betriebsvereinbarungen erfüllt werden. Er ist zudem strikt betriebsbezogen und auf ein Kalenderjahr begrenzt.
LAG Köln, Urteil vom 12.2.2025 – 5 Sa 479/23
Der Fall
Die klagende Arbeitnehmerin ist seit 2002 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und dort der Karrierestufe „IC 2“ sowie dem Joblevel 58 zugeordnet. Männliche Kollegen waren überwiegend in höhere Level eingeordnet. Sie verlangte Auskunft nach § 11 Abs. 2 EntgTranspG über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung. Darüber hinaus begehrte sie nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG Auskunft über das durchschnittliche Bruttoentgelt männlicher Vergleichspersonen für die Jahre 2017 bis 2020 sowie über deren Basisentgelte und gewährte Aktienoptionen. Die Beklagte verwies auf bestehende (Gesamt-)Betriebsvereinbarungen zu Leistungsbeurteilungen und Karrierestufen und lehnte weitere Angaben ab. Das ArbG gab der Klage im Teilurteil statt.
Die Entscheidung
Das LAG Köln entsprach der Berufung der Beklagten und wies die Klage insgesamt ab. Zwar habe grundsätzlich ein Anspruch auf Auskunft über Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung bestanden. Dieser sei jedoch durch Erfüllung erloschen, da die Beklagte auf Betriebsvereinbarungen mit einem detaillierten Regelwerk zur Einstufung der Beschäftigten verwiesen habe. Die in § 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG für tarifvertragliche Regelungen vorgesehene Verweisungsmöglichkeit sei auf Betriebsvereinbarungen analog anzuwenden. Ob diese wirksam zustande gekommen oder inhaltlich fehlerfrei sind, sei im Rahmen des Auskunftsanspruchs ohne Belang. Der Arbeitgeber müsse lediglich Auskunft über die Regelungen geben, die er tatsächlich zugrunde legt. Soweit die Klägerin zusätzlich Auskünfte zur Bestimmung des innerhalb der Karrierestufe maßgeblichen Joblevels erfahren wollte, habe kein Anspruch bestanden, weil in den Betriebsvereinbarungen keine solchen Kriterien geregelt seien und die Beklagte daher mangels bestehender schriftlicher Bestimmungen keine weitergehende Auskunft erteilen könne. Auch hinsichtlich des Vergleichsentgelts nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG scheiterte das Begehren: Der Auskunftsanspruch bezieht sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ausschließlich auf das dem Antrag vorausgehende Kalenderjahr. Da die Klägerin ihr Auskunftsverlangen 2019 stellte, erfasse der Anspruch somit nur das Jahr 2018. Zuletzt stellte das LAG klar, dass sich der Auskunftsanspruch strikt auf den Betrieb bezieht; da die Klägerin eine unternehmensweite Auskunft verlange, sei ihr Antrag insgesamt unbegründet. Die Revision wurde zugelassen und ist beim BAG anhängig (Az.: 8 AZR 83/25).
Unser Kommentar
Ein individueller Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG besteht in Betrieben oder Dienststellen mit regelmäßig mehr als 200 Beschäftigten (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG). Der Umfang der Auskunftspflichten ist von Bedeutung, da die Auskunft regelmäßig der Durchsetzung des Anspruchs auf Entgeltgleichheit dient. Die Bewertung des LAG überzeugt derweil sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis: Die Annahme, wonach Arbeitgeber auch auf Betriebsvereinbarungen verweisen können, ist wegen der damit verbundenen Begrenzung des Verwaltungsaufwands zu begrüßen. Zudem wird so bloßer Formalismus vermieden. Der Auskunftsanspruch ist ferner stets auf ein Kalenderjahr beschränkt und betriebsbezogen. Bis Juni 2026 muss der Gesetzgeber im Übrigen die EU-Entgelttransparenzrichtlinie in nationales Recht umsetzen, woraus ggfs. erweiterte Auskunfts- und Berichtspflichten resultieren.
Autor
Daniel Greger, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg
Gewerkschaften haben keinen pauschalen Anspruch gegen einen Arbeitgeber auf Herausgabe betrieblicher E-Mail-Adressen oder Zugang zu Kommunikationsplattformen.
BAG, Urteil vom 28.1.2025 – 1 AZR 33/24
Der Fall
Das beklagte Unternehmen ist ein weltweit agierender Sportartikelhersteller, die Klägerin ist die für die Beklagte tarifzuständige Gewerkschaft. Am streitgegenständlichen Standort sind ca. 5.400 Arbeitnehmer beschäftigt, die bis zur 40 % ihrer Arbeit mobil verrichten können. Zwischen Montag und Donnerstag sind täglich ca. 3.000 bis 3.500 Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände präsent. Die Kommunikation bei der Beklagten erfolgt hauptsächlich digital. Zu diesem Zweck sind den Mitarbeitern E-Mail-Adressen zugeordnet und eine Kommunikationsplattform eingerichtet worden. Darauf können Mitarbeiter interagieren und Informationen wie Namen, dienstliche Kontaktdaten und Berichtslinien einsehen. Die Klägerin stellte insgesamt 11 Anträge, mit denen sie im Wesentlichen drei Anliegen verfolgte: die Übermittlung sämtlicher dienstlicher E-Mail-Adressen samt einer fortlaufenden Pflicht der Beklagten zur Aktualisierung, einen dauerhaften Zugang zur besagten Kommunikationsplattform und eine Verlinkung zu ihrem Internetauftritt auf der Startseite des Intranets der Beklagten. ArbG und LAG wiesen die Klage ab.
Die Entscheidung
Auch das BAG wies die Revision und damit sämtliche Anträge der Klägerin zurück. Anhand der sog. praktischen Konkordanz seien die widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen. Diese komplexe Interessenabwägung nahm das BAG sodann für die einzelnen Themenkomplexe sorgfältig vor und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zwar ein großes Interesse an den geltend gemachten Rechtspositionen habe, das Interesse der Beteiligten aber jeweils überwiege. Ein digitales Zutrittsrecht für Gewerkschaften sei in der heutigen Arbeitswelt zwar unerlässlich, da ein rein physisches Zutrittsrecht aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung nicht gleichwertig sei. Diesem Interesse stehe aber mit größerem Gewicht gegenüber, dass die Beklagte durch die Pflicht zur fortlaufenden Mitteilung der E-Mail-Adressen einem erheblichen Arbeits- und Organisationsaufwand ausgesetzt sei. Das Interesse einer Gewerkschaft finde bei einer derart eingriffsintensiven, dauerhaften Mitwirkungspflicht seine Grenze. Zudem erhalte die Klägerin so detaillierte Kenntnisse über betriebsinterne Vorgänge. Hinzu komme, dass die Lektüre von Werbematerial im beantragten Umfang geeignet sei, Arbeitskraft in erheblichem Umfang zu binden und so die betrieblichen Interessen signifikant zu belasten. Hinsichtlich der digitalen Kommunikationsplattform beeinträchtige der Zugang einer Gewerkschaft die Interessen der Beklagten ebenfalls erheblich, da Details aus der Organisationsstruktur unbeschränkt einsehbar seien. Ebenso wenig bestehe schließlich ein Recht auf eine dauerhafte Verlinkung im Intranet.
Unser Kommentar
Die (insgesamt sehr lange) Entscheidung des BAG überzeugt vollends und macht geradezu schulbuchmäßige rechtliche Ausführungen, insbesondere in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Abwägungen. Das Urteil erteilt digitalen Zugängen einer Gewerkschaft zum Betrieb zwar keine Komplettabsage, zeigt aber eine sensible Abwägung gegenüber den Interessen des Arbeitgebers, die stets in eine umfassende Einzelfallentscheidung einzubeziehen; dabei berücksichtigt das BAG im Übrigen auch das Interesse der Arbeitnehmer an ihrer informationellen Selbstbestimmung. Die Entscheidung ein beruhigendes Zeichen an Arbeitgeber, die ähnlich wie die Beklagte zunehmend digital kommunizieren.
Autor
Dr. Christoph Corzelius, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln
Sind weder Konzern- noch Gesamtbetriebsrat offensichtlich unzuständig, können zwei Einigungsstellen zur Regelung derselben Angelegenheit eingesetzt werden, etwa zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung.
LAG Köln, Beschluss vom 28.1.2025 – 9 TaBV 88/24
Der Fall
Bei der Arbeitgeberin und zwei weiteren konzernangehörigen Unternehmen soll ein System zur Erfassung von An- und Abwesenheitszeiten sowie zur Personaleinsatzplanung eingeführt werden, weshalb die Konzernmutter den Konzernbetriebsrat zu Verhandlungen auffordert. Dieser ist der Auffassung, dass die Zuständigkeit beim Gesamt- oder den örtlichen Betriebsräten liegt. Die Konzernmutter beantragt deshalb die Einsetzung einer Einigungsstelle, das ArbG gibt dem statt. Korrespondierend geht der Gesamtbetriebsrat bei der Arbeitgeberin von seiner Zuständigkeit aus und beantragt seinerseits die Einsetzung einer Einigungsstelle. In dem geplanten System sei eine Mandantentrennung möglich, also auch eine unternehmensbezogene Nutzung. Die Einigungsstelle sei daher jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig. Dazu stehe nicht fest, ob nicht auch die Reichweite des Systems mitbestimmungspflichtig ist. Das ArbG entspricht dem Antrag.
Die Entscheidung
Das LAG Köln wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Die vom Gesamtbetriebsrat angerufene Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig i. S. d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, weil die Einführung und Anwendung des streitgegenständlichen Systems der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliege. Umgekehrt handele es sich nicht offenkundig um eine mehrere Konzernunternehmen betreffende Angelegenheit, die nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte geregelt werden könne. Zwar lägen wichtige Argumente dafür vor, dass eine einheitliche Einführung und Anwendung des Zeiterfassungssystems für die drei Unternehmen in Ausführung einer „Ein-Mandaten-Lösung“ inklusive der Erfassung sämtlicher Arbeitszeitdaten in einer einheitlichen Datenbank eine Regelung mit dem Konzernbetriebsrat erfordere. Ohne tiefere Analyse könne jedoch u. a. nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Administration der Software nur einheitlich erfolgen kann. Im beschleunigten Verfahren nach § 100 ArbGG könne überdies nicht abschließend geklärt werden, ob sich ein objektiver Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Regelung ergibt. Gleiches gelte für die Frage, ob die Entscheidung für das Ein-Mandanten-Modell, also die unternehmensübergreifende Systemeinführung, mitbestimmungsfrei getroffen werden durfte. All dies habe die Einigungsstelle vorab selbst zu prüfen, weshalb es sachdienlich sei, denselben Vorsitzenden wie in der Einigungsstelle auf Konzernebene zu bestellen – gerade, damit es nicht zu unterschiedlichen Bewertungen komme.
Unser Kommentar
Die betriebsverfassungsrechtliche Gremienzuständigkeit ist gerade bei IT-Systemen oft nicht leicht zu beurteilen; bei erster Betrachtung kann sowohl ein übergreifender Konzern- oder Gesamtbetriebsrat als auch ein örtlicher Betriebsrat zuständig sein. Vor dem Hintergrund des Offensichtlichkeitsmaßstabs sind dann zwei Einigungsstellen einzusetzen, die ihre Zuständigkeit beurteilen müssen. Ein wichtiger Beitrag zur praktischen Beherrschbarkeit dieser Problematik ist geleistet, wenn – wie das LAG entschieden hat – für beide Einigungsstellen der gleiche Vorsitzende vorgeschlagen wird. Der Offensichtlichkeitsmaßstab stellt im Übrigen keine hohen Anforderungen, ein Mitbestimmungsrecht muss nur möglich sein.
Autor
Axel Braun, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln
Erklärt ein Vorgesetzter einem Arbeitnehmer am Ende der Probezeit, dass er übernommen wird, schafft dies einen Vertrauenstatbestand im Hinblick auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ende der Probezeit, weshalb eine unmittelbar nachfolgende Kündigung treuwidrig und damit unwirksam ist.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 14.01.2025 – 3 SLa 317/24
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 15.6.2023 bei den drei Beklagten, die eine Rückversicherung betreiben, als Wirtschaftsjurist beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag wurde unbefristet geschlossen, die Probezeit sollte sechs Monate mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen betragen. Am 17.11.2023 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und seinem Abteilungsleiter statt. Dieser gab kund, dass die Personalabteilung angefragt hätte, ob der Kläger übernommen werden soll. Unstreitig erklärte er gegenüber dem Kläger: „Das tun wir natürlich.“ Nachdem der Betriebsrat zustimmte, wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers dennoch zum 22.12.2023 gekündigt, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die gegen die Kündigung gerichtete Klage wies das ArbG ab.
Die Entscheidung
Das LAG Düsseldorf entsprach wiederum der Berufung des Klägers. Die Kündigung sei wegen Treuwidrigkeit nach § 242 BGB unwirksam. Außerhalb des KSchG würden Arbeitnehmer grundsätzlich durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (§ 138 Abs. 1, § 242 BGB) vor einer sitten- oder treuwidrigen Kündigung geschützt; maßgeblich seien indes stets die Umstände des Einzelfalls, weil der so vermittelte Schutz nicht dazu führen dürfe, dass dem Arbeitgeber praktisch die vom KSchG vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auch außerhalb von dessen Anwendungsbereichs auferlegt werden. Typischer und anerkannter Anwendungsfall einer treuwidrigen Kündigung sei gleichwohl ein widersprüchliches Verhalten des kündigenden Arbeitgebers. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses könne rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Kündigende sich damit in einen unvereinbaren Gegensatz zu seinem früheren Verhalten setzt, jedoch erst dann, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde – etwa wenn der kündigende Arbeitgeber Anlass dazu gegeben hat zu glauben, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht und der Arbeitnehmer nicht mit einer Kündigung zu rechnen braucht. Dies sei hier der Fall. Mit der Aussage des Vorgesetzten sei ein berechtigtes Vertrauen darauf geschaffen worden, dass die Probezeit bestanden wurde und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird, sodass die nachfolgende Kündigung als widersprüchliches und mithin treuwidriges Verhalten einzustufen sei. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Unser Kommentar
Auch gemäß dem BAG kann eine Kündigung wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig und deshalb unwirksam sein, wenn ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen wurde. Für eine Probezeitkündigung scheint auch der Zeitpunkt relevant zu sein. Ein Vertrauenstatbestand liegt indes z. B. dann nicht vor, wenn der Arbeitgeber einem befristet angestellten Arbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Aussicht stellt, dann aber das befristete Arbeitsverhältnis kündigt – gerade, wenn in dem unbefristeten Arbeitsverhältnis das KSchG nicht gegolten hätte (BAG, Urteil vom 5.12.2019 – 2 AZR 107/19). Die Maßgaben der Rechtsprechung führen jedoch nicht zu einem Freifahrtschein: Wie das LAG Düsseldorf ebenfalls betont, bleibt außen vor, wenn der Arbeitgeber wegen eines anderen, ggfs. nachträglich entstanden Grundes kündigt.
Autor
Stephan Sura, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln
Eine fristlose Kündigung ist gerechtfertigt, wenn ein Arbeitnehmer vorsätzlich und wiederholt gegen seine Pflichten zur ordnungsgemäßen Arbeitszeiterfassung verstößt. In diesem Fall kann er zur Erstattung der zur Aufdeckung veranlassten Detektivkosten verpflichtet sein.
LAG Köln, Urteil vom 11.2.2025 – 7 Sa 635/23
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war seit 2009 bei der Beklagten, einem Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, als Fahrausweisprüfer tätig. Die Arbeits- und Pausenzeiten wurden über ein Zeiterfassungssystem per App dokumentiert. Mitte 2022 erhielt die Beklagte von einem Sicherheitsunternehmen Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten bei den Zeitangaben des Klägers. Daraufhin beauftragte sie eine Detektei mit einer zeitlich begrenzten Beobachtung. Die Ermittlungen zeigten, dass der Kläger an mehreren Arbeitstagen längeren privaten Beschäftigungen nachging, ohne diese Zeiten als Pausen zu erfassen. Insgesamt stand ein Arbeitszeitbetrug von fast 26 Stunden im Raum. Anfang 2023 sprach die Beklagte daraufhin eine außerordentliche Kündigung aus. Gegen die Kündigungsschutzklage des Klägers legte die Beklagte Widerklage ein und verlangte Ersatz der Detektivkosten in Höhe von 21.608,90 EUR. Das ArbG Köln gab der Widerklage statt und wies die Kündigungsschutzklage zurück.
Die Entscheidung
So entschied auch das LAG Köln, das die außerordentliche Kündigung für wirksam hielt. Der Kläger habe vorsätzlich erhebliche Pausenzeiten nicht erfasst und sei während der Arbeitszeit privaten Beschäftigungen nachgegangen. Dies sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen, da regelmäßig ein schwerer Vertrauensmissbrauch vorliege. Nach den Feststellungen der Vorinstanz sei der Kläger an mehreren Tagen privaten Tätigkeiten nachgegangen, ohne diese als Pausen zu kennzeichnen. Dass er dabei Arbeitsleistungen erbracht habe, sei auszuschließen. Die Observation durch die Detektei sei ferner nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig gewesen; ein Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Dies gelte selbst bei unterstellter Unzulässigkeit der Maßnahme. Denn die Überwachung beschränkte sich auf wenige Tage, erfolgte ausschließlich während der Schichtzeiten im öffentlichen Raum und erfasste lediglich allgemein wahrnehmbare Vorgänge. Dies stelle zwar einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers dar. Der Eingriff sei aber von nur geringer Intensität. Da die Beklagte einen konkreten Tatverdacht hatte und der Kläger einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wurde, habe er die Detektivkosten zu erstatten.
Unser Kommentar
Eine fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs kann auch bei langjähriger Beschäftigung gerechtfertigt sein; dies muss erst recht gelten, wenn Arbeitszeiten von den Arbeitnehmern eigenständig über mobile Systeme erfasst werden. Allgemeine Hinweise auf mögliche technische Störungen genügen nicht, um Pflichtverletzungen zu entkräften. Wer nicht nachvollziehbar darlegt, welche Arbeitsleistungen er während vergüteter Zeiten tatsächlich erbracht hat, riskiert nicht nur den Verlust seines Arbeitsplatzes, sondern muss unter Umständen auch erhebliche Detektivkosten erstatten. Arbeitgeber sollten Verdachtsmomente daher genau dokumentieren und den Einsatz externer Unterstützung rechtlich damit sorgfältig absichern.
Autor
Andre Schüttauf, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Essen
Ein Jura-Student kellnert in einer Münchener Gaststätte und will eine Betriebsratswahl initiieren. Daraufhin teilt ihn die Arbeitgeberin nicht mehr zu Diensten ein und kündigt ihm schlussendlich. Der Betroffene klagt – und das LAG München spricht ihm nicht nur rund 100.000 € Schadensersatz zu, sondern auch einen Anspruch auf eine Entschuldigung.
LAG München, Teilurteil vom 16.4.2025 und Schlussurteil vom 4.6.2025 – 11 Sa 456/23
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war als Kellner bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im Sommer 2021 wollte der Kläger gemeinsam mit weiteren Beschäftigten eine Betriebsratswahl initiieren. Nach dem Aushang der Einladung zur Wahlversammlung entfernte der Betriebsleiter den Kläger aus der betrieblichen WhatsApp-Gruppe und teilte ihn nicht mehr zu Diensten ein. Als man ihn in der Küche einsetzen wollte, weigerte der Kläger sich, weil diese Tätigkeit seines Erachtens nicht vertragsgerecht sei. Dazu forderte Gehaltsnachzahlungen. Im April 2022 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich wegen Arbeitsverweigerung und unentschuldigtem Fehlen. In einem Schriftsatz argumentierte die Arbeitgeberin, dass der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Kinderlosigkeit nicht auf das Einkommen angewiesen sei – was dieser als Altersdiskriminierung rügte. Das ArbG entsprach indes nur dem Kündigungsschutzantrag. In der Berufung beantragte der Kläger zusätzlich, die Beklagte zu einer schriftlichen Entschuldigung zu verurteilen.
Die Entscheidung
Die Berufung des Klägers war in weitem Umfang erfolgreich. Laut dem LAG München stehe ihm ein Annahmeverzugslohn von etwa 25.000 € brutto zu. Daneben sei die fehlende Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Sachbezügen wie vergünstigter Speisen und Getränke einzubeziehen. Überdies habe der Kläger einen Schadensersatzanspruch von ca. 65.000 € aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 20 Abs. 2 BetrVG, bestehend aus dem Verdienstausfall und der entgangenen Sachbezüge sowie Trinkgeldern. Die fehlende Einteilung zum Dienst seit seiner Initiative zur Errichtung eines Betriebsrats stelle eine Maßregelung gem. § 612a BGB sowie eine Behinderung der Betriebsratswahl dar. Zuletzt verpflichtete das LAG die Beklagte, sich beim Kläger schriftlich für ihre Äußerungen zu seinen persönlichen Lebensumständen im Zusammenhang mit der Kündigung zu entschuldigen. In Ermangelung einer grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits ließ das LAG die Revision nicht zu.
Unser Kommentar
Die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes ist auf den ersten Blick erstaunlich, lässt sich aber durch die Kumulierung der zahlreichen Ansprüche sowie dem langfristigen Annahmeverzug erklären. Die Verurteilung zur Abgabe einer schriftlichen Entschuldigung als Schadensersatz darf derweil als innovativ bezeichnet werden – gerade vor diesem Hintergrund überrascht jedoch, dass das LAG die Revision nicht zugelassen hat. Nach jüngster Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 4.10.2024 – C-507/23 – Patērētāju tiesību aizsardzības centrs) soll neben einem finanziellen Ausgleich auch eine öffentliche oder schriftliche Entschuldigung als symbolischer Akt zum Ausgleich eines immateriellen Schadens geeignet sein. Ob eine erzwungene Entschuldigung tatsächlich einen derartige Kompensationswirkung hat, darf indes bezweifelt werden.
Autorin
Gina Susann Kriwat, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln
In einem aktuellen Urteil des für das Betriebsrentenrecht zuständigen Dritten BAG-Senats stellte dieser klar, dass § 19 Abs. 1 BetrAVG dahin auszulegen ist, dass von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltumwandlung (§ 1a BetrAVG) auch in Tarifverträgen abgewichen werden kann, die bereits vor Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1.1.2018 geschlossen wurden.
In dem der Entscheidung (BAG, Urteil vom 20.8.2024 – 3 AZR 286/23) zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob Beschäftigte einen Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG haben, wenn der Tarifvertrag keine Regelung zum Arbeitgeberzuschuss beinhaltet. Das BAG verneinte dies. Die Erfurter Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Wortlaut des § 19 Abs. 1 BetrAVG eine allgemeine Tariföffnung von § 1a BetrAVG ohne zeitliche Einschränkung vorsehe. Es komme nicht darauf an, wann der Tarifvertrag abgeschlossen wurde. Die Systematik des Gesetzes und die Gesetzesmaterialien bestätigten dieses Verständnis. Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, eine zeitliche Begrenzung einzuführen, und in der Gesetzesbegründung sogar explizit klargestellt, dass auch in bestehende Tarifverträge nicht eingegriffen werden soll.
Die Entscheidung des BAG steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung und setzt die Linie seiner Rechtsprechung (vgl. nur BAG, Urteil vom 8.3.2022 – 3 AZR 362/21) fort. Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass Tarifverträge, die vor dem 1.1.2018 abgeschlossen wurden und keine Regelungen zum Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG enthalten, keinen Anspruch auf diesen Zuschuss begründen. Für den Ausschluss des Anspruches auf den Arbeitgeberzuschuss genügt es, dass ein Tarifvertrag eigenständige Regelungen zur Entgeltumwandlung und keinen Anspruch auf einen Arbeitgeberzuschuss vorsieht. Dies schafft Rechtssicherheit auch für vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1.1.2018 abgeschlossene Tarifverträge.
Autorin
Prof. Dr. Annekatrin Veit, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, München
In Frankreich müssen mittlere und große Unternehmen, die eine große Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wollen, einen speziellen Entlassungsplan erstellen und befolgen, der als „PSE“ (Plan de sauvegarde de l’emploi = Plan zur Sicherung der Beschäftigung) bezeichnet wird. Der rechtliche Rahmen des PSE wird derzeit politisch diskutiert.
Der Inhalt des PSE
Der PSE soll konkrete und spezifische Maßnahmen enthalten, um so viele Entlassungen wie möglich zu vermeiden (z. B. durch eine Versetzung des Arbeitnehmers etwa in die Muttergesellschaft) und die Wiedereingliederung von Arbeitnehmern zu erleichtern, die dennoch entlassen werden. So kann der Plan vorsehen, dass das Unternehmen die Kosten für Umschulungsprogramme und Umzüge für eine neue Arbeitsstelle übernimmt oder gar die Gründung von Unternehmen durch ehemalige Arbeitnehmer finanziert.
Kontrolle durch die Behörden
Jeder PSE muss von der regionalen Arbeitsagentur genehmigt werden, die die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen überprüft. Generelles Ziel ist es, die Arbeitsplätze in der Region zu erhalten. Die Behörden können einen PSE ablehnen, wenn die Gründe für die Entlassungen nicht ausreichend sind. Diese Gründe werden von den Behörden sorgfältig geprüft, um Entlassungen zu vermeiden, die ausschließlich der Gewinnoptimierung dienen. Das französische Arbeitsgesetzbuch nennt vier wirtschaftliche Gründe für die Zulässigkeit eines PSE: ein erheblicher Rückgang der Aufträge oder des Umsatzes über einen bestimmten Zeitraum, technologische Veränderungen, eine zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendige Umstrukturierung des Unternehmens sowie dessen Schließung.
Statistische Entwicklungen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen des PSE wurden 2013 reformiert, was zu einem Rückgang der Zahl der Entlassungspläne führte: von rund 800 im Jahr 2013 auf 300 im Jahr 2022, mit einem Zwischenstand von ungefähr 600 während der COVID-19-Pandemie. Dieser Abwärtstrend scheint nun jedoch ins Stocken geraten zu sein, da in den letzten zwei Jahren wieder ein Anstieg an Entlassungen zu verzeichnen war. Vom ersten Quartal 2024 bis zum ersten Quartal 2025 ist die Zahl der PSE laut dem französischen Arbeitsministerium um 16,9 % gestiegen; der Anstiegt verlangsamt sich also auch nicht. Vor diesem Hintergrund hat eine neu eingerichtete parlamentarische Untersuchungskommission im Juli 2025 einen Bericht vorgelegt, der wiederum zu einer Änderung des rechtlichen Rahmens für PSE führen könnte.
Autor
Xavier Drouin, FIDAL, Straßburg
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