17.11.2025

Keine Verpflichtung zum Abwarten einer Betriebsratswahl zur Ermöglichung der Mitbestimmung

Keine Verpflichtung zum Abwarten einer Betriebsrat

Hintergrund

Das Vorliegen von Mitbestimmungsrechten setzt das Bestehen eines Betriebsrats voraus. Nach ständiger Rechtsprechung besteht kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei Betriebsänderungen, wenn in einem betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat erst gewählt wird, nachdem bereits mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen wurde (u.a. BAG, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 1 ABR 2/21). Ebenso besteht nach Auffassung des BAG keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat gebildet ist. Das gilt selbst dann, wenn mit der Wahl eines solchen zu rechnen und die Zeit bis zu dessen Konstituierung absehbar ist (BAG, aaO). Eine solche Verpflichtung soll insbesondere auch nicht aus dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit folgen. Offen gelassen hat das BAG in vorgenannter Entscheidung, ob im Einzelfall etwas anderes gelten kann. 

Das LAG Baden-Württemberg befasste sich im Rahmen eines Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens mit Beschluss vom 30. September 2025 (2 TaBV 2/25) mit einem Sachverhalt, der – jedenfalls nach Auffassung des Betriebsrats – unter einen solchen „Einzelfall“ fallen könnte. Die Arbeitgeberin hatte sich im Februar 2025 entschieden, wesentliche Teile des Betriebs zu verlagern und sprach am 3. April 2025 betriebsbedingte Kündigungen aus. Am 23. April 2025 konstituierte sich der Betriebsrat und nahm Mitbestimmungsrechte wegen der Betriebsänderung in Anspruch. Zwar sei er erst nach der Umsetzung der Betriebsänderung gebildet worden. Allerdings hätte die Arbeitgeberin Anfang März 2025 während einer Betriebsversammlung bewusst wahrheitswidrig behauptet, dass es keine derartigen Pläne gebe. Vor dem Hintergrund seien nicht unmittelbar Betriebsratswahlen initiiert worden. Er argumentierte, die Arbeitgeberin könne sich vor dem Hintergrund nicht auf das Nichtbestehen von Mitbestimmungsrechten berufen, zumal sie die Umsetzungsmaßnahmen aufgrund der Wahlen zusätzlich beschleunigt habe. 

Das LAG Baden-Württemberg folgte diesen Erwägungen nicht und hielt an dem Grundsatz fest, dass ein Mitbestimmungsrecht nur besteht, wenn der Betriebsrat zum Zeitpunkt des Beginns der Umsetzung gebildet ist. Wahrheitswidrige Aussagen könnten uU Schadensersatzansprüche der Beschäftigten begründen, nicht aber zum nachträglichen Entstehen von Mitbestimmungsrechten führen. Weder bestehe eine Wartepflicht des Arbeitgebers noch ein Beschleunigungsverbot für anstehende Maßnahmen. Die Anträge des Betriebsrats auf Einsetzung der Einigungsstelle wurden daher zurückgewiesen, da diese offensichtlich unzuständig war. 

Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Die zeitlichen Abläufe sind entscheidend. Dies gilt auch, wenn in Ansehung einer laufenden Wahl Umsetzungsschritte eingeleitet bzw. beschleunigt werden.

Autor/in
Dr. Astrid Schnabel, LL.M. (Emory)

Dr. Astrid Schnabel, LL.M. (Emory)
Partnerin
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