08.12.2025
Liebe Leserinnen und Leser,
pünktlich zum Weihnachtsfest präsentieren wir Ihnen in schon alter Tradition unseren Newsletter Arbeitsrecht, um Sie auch zum Jahresausklang über die wichtigsten Entwicklungen zu informieren.
In unserem Leitartikel blicken Moritz Mentzel aus Berlin und Stephan Sura aus Köln interdisziplinär aus gesellschafts- und arbeitsrechtlicher Perspektive auf ein Judikat des Zehnten BAG-Senats aus dem Frühjahr zurück: Darin stellte das BAG neue, strengere Regeln für die in der Praxis relevante Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen auf, konkret im Hinblick auf deren Verfall, wenn sie als virtuelle Aktienoptionen gewährt werden.
Im Anschluss an unseren im Herbst veröffentlichen Sondernewsletter zu den im kommenden Jahr anstehenden Betriebsratswahlen beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe zudem mit einem betriebsverfassungsrechtlichen, quasi „Post-Wahl“-Thema: Robert von Steinau-Steinrück und Hannes Raff aus Berlin diskutieren die noch nicht final entschiedene Frage, ob der Arbeitgeber eine Abmahnung gegenüber dem Betriebsrat und seinen Mitgliedern bei der Verletzung von Amtspflichten aussprechen kann.
Unsere zehn wichtigsten Entscheidungen bergen in diesem Quartal ein wahres Potpourri aus den verschiedensten Ecken des Arbeitsrechts, von der Tarifeinheit über assoziierte Diskriminierungen bis hin zur Wahlberechtigung bei Betriebsratswahlen in Matrix-Strukturen. Annekatrin Veit informiert in unserer Rubrik bAV-Aktuell zudem über den Stand der gesetzlichen Neuerungen durch das „Betriebsrentenstärkungsgesetz II“. Wie gewohnt schließen wir mit einem Blick zu unseren ausländischen Partnerkanzleien: Im Internationalen Newsflash aus unyer beschreibt Caroline Ferte von FIDAL in Paris, wie das spannende Thema von Arbeitnehmeräußerungen in sozialen Medien in Frankreich arbeitsrechtlich behandelt wird.
Wir hoffen, Ihnen auch mit dieser Ausgabe wieder eine interessante Lektüre zu bereiten und freuen uns auf Ihr Feedback. Nicht zuletzt wünschen wir Ihnen besinnliche und erholsame Feiertage sowie ein gesundes, glückliches und erfolgreiches neues Jahr!
Alles Gute und bis bald
Ihr
Achim Braner
Im März verschärfte das BAG die Anforderungen an Programme zur Mitarbeiterbeteiligung, wenn in deren Rahmen virtuelle Aktienoptionen gewährt werden. Teilweise entfallen damit Möglichkeiten zur Bindung von Beschäftigten durch den Einsatz dieser Form von Sonderleistung – aber nicht gänzlich.
Hintergrund
Mitarbeiterbeteiligungsprogramme in Form von Aktienoptionen, virtuellen Aktienoptionen oder virtuellen Geschäftsanteilen dienen primär der Vergütung von Mitarbeitern und Führungskräften. Gleichzeitig sollen sie die Begünstigten möglichst langfristig binden und einen Anreiz schaffen, durch gute Leistungen zum Erfolg des Unternehmens und seiner Wertsteigerung beizutragen. An dieser sollen die Mitarbeiter dann mittels ihrer Optionen oder virtuellen Beteiligung teilhaben. Die Mitarbeiterbindung wird bei „echten“ Aktienoptionen durch gesetzliche Wartezeiten (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG) und bei virtuellen Beteiligungen durch vertragliche Vereinbarungen erreicht (sog. Vesting-Perioden, Cliffs oder Good- bzw. Bad-Leaver-Klauseln). Alle verbindet, dass ein Mitarbeiter seine (virtuelle) Beteiligung nur er- bzw. behalten soll, wenn er dem Unternehmen mindestens für einen gewissen Zeitraum dient.
In seinem bis dato zentralen Urteil zu Bindungs- und Verfallbestimmungen in Aktienoptionsplänen entschied der für Sonderleistungen zuständige Zehnte BAG-Senat im Jahr 2008, dass seine Maßgaben für andere, „klassische“ Bonuszahlungen auf diese nicht übertragbar seien. Aktienoptionen seien weniger Gegenleistung für erbrachte Dienste, sondern vielmehr eine Gewinnchance und ein Anreiz für den zukünftigen Arbeitseinsatz (BAG, Urt. v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07). Im Gegensatz zu anderen Sondervergütungen hätten sie einen ungleich größeren spekulativen Charakter und verfolgten mit dem Anreiz für einen künftigen Einsatz auch ein anderes Ziel. Dem würde es widersprechen, wenn Mitarbeiter auch nach ihrem Ausscheiden im Bindungszeitraum noch Rechte aus einem Optionsprogramm ausüben könnten. Im Rahmen von Aktienoptionsplänen konnten daher bisher große Teile der Mitarbeitervergütung mit einer mehrjährigen Bindungswirkung ausgestattet werden. Zumindest für virtuelle Optionen hat das BAG dies jetzt jedoch eingeschränkt.
Das Urteil des BAG vom 19.3.2025 – 10 AZR 67/24
Im Sachverhalt der hier primär relevanten Entscheidung des BAG wurden dem klagenden Arbeitnehmer virtuelle Aktienoptionsrechte zugeteilt, wobei die Vesting-Periode vier Jahre betragen sollte. Die ersten 25 % der Optionen sollten nach zwölf Monaten ausübbar werden, der Rest sukzessive mit jedem Monat danach. Für die Optionen sollte explizit keine Gegenleistung erbracht werden müssen, das Vesting sollte jedoch aussetzen, wenn eine Freistellung von der Arbeitspflicht erfolgt, etwa bei Berufsunfähigkeit oder Elternzeit. Optionen, die nicht ausgeübt werden, sollten verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis vor einem Ausübungsereignis endet, unabhängig vom Grund dafür. Ausübbare Optionen sollten überdies graduell verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis vor einem Ausübungsereignis aufgrund einer Eigen-, einer verhaltensbedingten oder einer außerordentlichen Kündigung endet: nach Ende des Arbeitsverhältnisses alle drei Monate 12,5 % der ausübbaren Optionen. Als der Begünstigte sein Arbeitsverhältnis kündigte, waren 31,25 % seiner Optionen ausübbar. Zugehörige Ansprüche macht er erstmals im Juni 2022 geltend. Seines Erachtens waren diese nicht verfallen, weil erarbeitetes Entgelt nicht wieder entzogen werden dürfe.
Nachdem ArbG und LAG die Klage abgewiesen hatten, gab das BAG der Revision des Klägers statt. Die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gevesteten Optionen seien weder direkt noch anschließend schrittweise verfallen, da die zugehörigen Regelungen unangemessen benachteiligend und somit unwirksam seien. Gevestete Optionen seien auch eine Gegenleistung für die in der Vesting-Periode erbrachte Arbeitsleistung. Dies zeigten hier schon die Optionsbedingungen, nach denen das Vesting bspw. bei Berufsunfähigkeit oder Elternzeit ausgesetzt wurde. Es knüpfe somit an den Austausch von Arbeit und Vergütung an (§ 611a BGB). Ferner sei ein Anreiz geschaffen worden, durch gute Leistungen zur Steigerung des Unternehmenswertes beizutragen; andere an den Unternehmenserfolg anknüpfende Leistungen wie Tantiemen würden ebenfalls als zusätzliche Vergütung gezahlt. All dies bedeute zwar nicht, dass gevestete Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinem Verfall unterliegen können. Im Hinblick auf die Besonderheiten virtueller Optionen habe sich die Beurteilung, ob eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, am Sinn und Zweck des jeweiligen Programms zu orientieren. Eine Verfallregelung erscheine nicht unangemessen, wenn der Einsatz des ausgeschiedenen Arbeitnehmers auf den durch das Ausübungsereignis erzielten Exit-Erlös keinen Einfluss mehr haben kann. Dies hänge gleichwohl in der Regel von der Dauer bis zu dem Ereignis ab – je länger diese ausfällt, desto eher könne von einem fehlenden Einfluss ausgegangen werden. Die Bestimmung zum sukzessiven Verfall der Optionen sei hier jedoch ebenso unangemessen benachteiligend, weil darin kein angemessenes, also gleiches Verhältnis zur Dauer der im Arbeitsverhältnis verbrachten Vesting-Periode geregelt wurde.
Die Urteile des BAG vom 27.3.2025 – 8 AZR 63/24 und 8 AZR 139/24
Nur wenige Tage später ergingen zwei Entscheidungen des u. a. für das Wettbewerbsrecht zuständigen Achten BAG-Senats, in denen es jeweils darum ging, ob und wann virtuelle Optionen in die Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot einzubeziehen sind. Der Senat konstatierte, dass dies der Fall sei, sofern die Optionen im laufenden Arbeitsverhältnis ausgeübt wurden, und schloss sich der Bewertung des Zehnten Senats hinsichtlich des Entgeltcharakters von virtuellen Optionen an, weshalb diese auch als vertragsmäßige Leistungen nach § 74 Abs. 2 HGB anzusehen seien. Dass Optionsbedingungen eventuell das Gegenteil statuieren, sei irrelevant. Aktienoptionen seien unabhängig von der vertraglichen Grundlage als Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vergütung zu qualifizieren. Dies gelte auch für virtuelle Optionen. Unschädlich sei, wenn eine Muttergesellschaft die Verpflichtung zur Übertragung von Aktien übernommen hat: Zwar würden Aktienerwerbsrechte regelmäßig nicht in die Karenzentschädigung einfließen, wenn der Arbeitnehmer eine zugehörige Vereinbarung mit einer Obergesellschaft statt mit seinem Vertragsarbeitgeber schließt. Dies sei allerdings nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber originär eine eigene Verpflichtung eingeht. Für die Berechnung der Karenzentschädigung sei es schließlich allein von Bedeutung, wie hoch der Verdienst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses war. Nicht einzubeziehen seien die lediglich gevesteten, aber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübten Optionen.
Wirkungen für die Beteiligungsgestaltung
Anders als 2008 geht der Zehnte BAG-Senat nunmehr von einem vollwertigen Entgeltcharakter von Aktienoptionen aus – zumindest bei gevesteten virtuellen Optionen. Ob die Erfurter Richter ihre Bewertung mit allen Konsequenzen auch auf echte Aktienoptionsprogramme übertragen würden, ist derweil schon nach den Urteilsgründen fraglich. Mit echten Aktienoptionen gehen zusätzliche Werteigenschaften wie potenzielle Stimmrechte oder die Chance auf einen weiteren Kursanstieg einher, wenn die Aktien gehalten werden. Dieser Aspekt wurde vom Zehnten Senat nicht thematisiert, während er weiterhin eine Möglichkeit zum Verfall zuzulassen scheint, solange dieser nicht schneller geschieht als der „Verdienst“ der Optionen.
Für echte Aktienoptionen ordnet § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG derweil an, dass die Ausübungsfrist mindestens vier Jahre beträgt, sodass sich eine Art Mindestbindungsdauer ergibt, die – anders als bei virtuellen Optionen – nicht unterschritten werden kann. Auch ein sukzessives Vesting ist somit zumindest bis dahin ausgeschlossen, danach muss für echte Optionen jedoch ebenfalls eine Verfallmöglichkeit verbleiben, da Arbeitnehmer sonst noch jahrelang in den Genuss der Wertsteigerung der Optionen kommen können, obwohl ihr Einfluss auf die Unternehmensentwicklung schwindet. Selbst für virtuelle Optionen bleibt zudem gar ein unmittelbarer Verfall möglich, solange sie noch nicht gevestet sind. Entsprechende Regelungen in Optionsprogrammen sollten künftig mithin explizit zwischen gevesteten und nicht gevesteten Optionen differenzieren, dazu kann eine engere Definition der Ausübungsereignisse erfolgen. Ein „De-Vesting“, also ein Abschmelzen gevesteter Optionen, darf nicht schneller als das Vesting geschehen.
Nachvertragliche Wettbewerbsverbote
Sehr eindeutig sind die Maßgaben des Achten Senats zur Rolle von Optionsrechten für nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Bereits zuvor entschied der Senat, dass Optionsansprüche nicht in die Karenzentschädigung einbezogen werden, wenn ihre Gewährung originär durch eine andere Konzerngesellschaft geschieht – außer, es erfolgt eine (ausdrückliche oder konkludente) Mitverpflichtung des Vertragsarbeitgebers (BAG, Urt. v. 25.8.2022 – 8 AZR 453/21). Für die grundsätzliche Einbeziehung müssen die Optionen indes nicht nur gevestet, sondern auch im laufenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden sein, sodass eine tatsächliche, konkret bezifferbare Vermögensmehrung stattgefunden hat.
Gewährung durch eine andere Konzerngesellschaft
In seinem Urteil von 2008 betonte der Zehnte BAG-Senat, dass die Gewährung von Aktienoptionen durch den Arbeitgeber Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vergütungsregelung und damit zu Arbeitsentgelt wird. In den nun entschiedenen Fällen musste sich das BAG zu dieser Frage nicht neu verhalten, es dürfte aber gelten: Gewährt eine Ober- oder Schwestergesellschaft Optionsrechte, werden diese zwar mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis geleistet, stehen aber nicht im Synallagma mit der Arbeitsleistung. Eine Anwendbarkeit der vorstehenden Maßgaben scheidet aus – insbesondere, wenn die gewährende Gesellschaft im Ausland ansässig ist.
Autoren
Dr. Moritz Mentzel
Stephan Sura
Das Instrumentarium für eine Reaktion auf Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers ist weitläufig bekannt – aber welche Optionen hat der Arbeitgeber, wenn Betriebsräte ihre Amtspflichten verletzen? Insbesondere, ob der Arbeitgeber eine Abmahnung gegenüber dem Betriebsrat oder seinen Mitgliedern aussprechen kann, ist umstritten.
Einführung
Die Sanktionsmöglichkeit für die Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten eines Betriebsratsmitglieds ist grundsätzlich in § 23 BetrVG geregelt. Danach kann der Arbeitgeber beim ArbG den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats beantragen. Voraussetzung dafür ist eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten durch das Betriebsratsmitglied. Beispiele hierfür sind der Abschluss einer Betriebsvereinbarung unter Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG oder das Nichteinberufen von Pflichtversammlungen nach § 43 BetrVG. Vergleicht man diesen Sanktionsmechanismus für Amtspflichtverletzungen mit dem differenzierten Stufensystem der Sanktionierung arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen – Ermahnung, Abmahnung, ordentliche und außerordentliche Kündigung –, so fällt auf, dass der Gesetzgeber für Betriebsratsmitglieder ausdrücklich keine mildere Maßnahme als deren Amtsenthebung vorgesehen hat. Als solche könnte indes eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ dienen. Der Begriff wird im Folgenden bewusst nur in Anführungszeichen verwendet, da er im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext u. a. wegen der fehlenden Gläubigerstellung des Arbeitgebers rechtlich unscharf ist. In Rechtsprechung und Literatur herrscht ferner Uneinigkeit darüber, ob der Arbeitgeber befugt ist, gegenüber einem Betriebsratsmitglied eine solche „Abmahnung“ auszusprechen.
Inhalt der „Abmahnung“
Die „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ unterscheidet sich von der individualrechtlichen Abmahnung dadurch, dass nicht Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten mit einer Kündigungsandrohung sanktioniert werden, sondern ausschließlich Pflichtverletzungen des Betriebsrats oder seiner Mitglieder gerügt werden. Damit verbunden werden kann lediglich die Androhung des Ausschlusses aus dem Betriebsrat gem. § 23 Abs. 1 BetrVG. Der Ausspruch einer Abmahnung mit Kündigungsandrohung aufgrund einer ausschließlich betriebsverfassungsrechtlichen Amtspflichtverletzung ist nach herrschender Meinung – und insbesondere gemäß dem BAG – unzulässig (vgl. etwa BAG, Beschl. v. 9.9.2015 – 7 ABR 69/13). Da die Kündigung nicht auf eine Amtspflichtverletzung gestützt werden darf, würde eine solche Vorgehensweise gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG verstoßen.
Rechtliche (Un-)Zulässigkeit?
Auf Grundlage einer älteren Entscheidung des BAG wurde lange Zeit die Unzulässigkeit einer „betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung“ vertreten (BAG, Urt. v. 5.12.1975 – 1 AZR 94/74). In einer späteren Entscheidung hielten die Erfurter Richter jedoch das „Inaussichtstellen eines Antrags nach § 23 BetrVG für den Wiederholungsfall einer Amtspflichtverletzung“ für zulässig (BAG, Urt. v. 26.1.1994 – 7 AZR 640/92). Dies beschreibt im Wesentlichen den Inhalt der hier thematisierten „Abmahnung“. In jüngerer Zeit hat sich jedoch das Hessische LAG der (wohl) herrschenden Meinung im Schrifttum angeschlossen und das Rechtsinstitut der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung insgesamt nicht anerkannt (Beschl. v. 30.9.2019 – 16 TaBV 82/19). Das ArbG Solingen hingegen betrachtet eine der Antragstellung nach § 23 BetrVG vorausgehende betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung als geeignetes milderes Mittel (Beschl. v. 18.2.2016 – 3 BV 15/15 lev). Auch in Teilen der Literatur wird gleichwohl die Zulässigkeit einer „betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung“ als milderes Mittel vertreten. Hierfür wird der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG als Rechtsgrundlage herangezogen. Innerhalb des daraus erwachsenden gesetzlichen Schuldverhältnisses werde der Arbeitgeber als Gläubiger angesehen und sei daher berechtigt, die Einhaltung der im BetrVG normierten Pflichten anzumahnen. Demgegenüber wird indes wiederum eingewandt, dass § 23 Abs.1 BetrVG betriebsverfassungsrechtliche Sanktionen ausdrücklich nur für grobe Pflichtverletzungen vorsieht und weniger gravierendes Fehlverhalten bewusst sanktionslos lässt; zudem sei die Abmahnung als Instrument des Vertragsrechts im Kollektivrecht systemwidrig, weil der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsratsmitglied keinen vertraglichen Anspruch auf ordnungsgemäße Amtsführung habe. Die Annahme einer Abmahnbefugnis verstoße daher gar gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Wieder genau gegenteilig vertrat das ArbG Berlin einst die Auffassung, dass eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ vor Einleitung eines Ausschlussverfahrens nach § 23 Abs.1 BetrVG erforderlich sei (Beschl. v. 10.1.2007 – 76 BV 16593/06).
Folgerungen
Nach hier vertretener Auffassung sollte die „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ jedenfalls insoweit zulässig sein, als der Arbeitgeber für den Wiederholungsfall ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG in Aussicht stellt. Es ist nicht ersichtlich, warum es dem Arbeitgeber verwehrt sein sollte, seine Rechtsauffassung zu einer Amtspflichtverletzung des Betriebsrats mitzuteilen und zugleich auf die bestehende Rechtslage nach § 23 BetrVG hinzuweisen. Dem steht auch nicht das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG entgegen: Dieses begründet keinen Schutz amtspflichtwidrigen Verhaltens. Letztlich handelt es sich um einen Hinweis mit Warnfunktion. In der Akzeptanz dieses Instruments liegt auch nicht bloß eine unzulässige Repressalie durch den Arbeitgeber. Vielmehr dient sie auch dem Schutz des Betriebsratsmitglieds, dem so die Möglichkeit eröffnet wird, sein Verhalten anzupassen, bevor die ultima ratio der Amtsenthebung zur Anwendung kommt.
Autoren
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück
Hannes Raff
Ein Arbeitnehmer, der mehreren Betrieben desselben Unternehmens angehört, hat bei der Wahl des Betriebsrats in sämtlichen dieser Betriebe das aktive Wahlrecht – auch in einer unternehmensinternen Matrixstruktur.
BAG, Urteil vom 22.5.2025 – 7 ABR 28/24
Der Fall
Die Betriebspartner streiten über die Rechtmäßigkeit einer Betriebsratswahl, die im Sommer 2022 durchgeführt wurde. Der Arbeitgeber beschäftigt ca. 2.600 Arbeitnehmer in insgesamt fünf Betrieben. Die Wählerliste in einem der Betriebe führte neben den ca. 500 unstreitig dort wahlberechtigten Arbeitnehmern auch 128 Führungskräfte (Matrixmanager) auf. Diese Matrixmanager übten betriebsübergreifende Vorgesetztenfunktionen aus und waren originär/historisch einem anderen Betrieb zugeordnet. Ihre Arbeitsverträge sahen einen bestimmten Standort als Arbeitsort vor, obwohl manche von ihnen im Homeoffice tätig waren. Es stand ihnen frei, in welchen der Büroräume des Arbeitgebers sie ihre Arbeit verrichten. Der Betriebsrat wurde nach § 99 BetrVG zum Einsatz der 128 Matrixmanager angehört.
Der Arbeitgeber hat die streitgegenständliche Wahl mit dem Argument angefochten, die 128 Matrixmanager seien nicht wahlberechtigt i. S. d. § 7 Abs. 1 BetrVG, sodass die Wählerliste unter Verstoß gegen § 19 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG und damit eine wesentliche Wahlvorschrift aufgestellt wurde. Kern des Verfahrens war mithin die Frage, ob die Matrixmanager nicht nur in ihrem „Stammbetrieb“ wahlberechtigt sind, sondern auch in jenen Betrieben, in denen die ihnen nachgeordneten Mitarbeiter eingestellt sind.
Die Entscheidung
Sowohl das ArbG als auch das LAG erklärten die Wahl für unwirksam, der Siebte BAG-Senat verwies das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsermittlung an das LAG zurück und nahm (lediglich) eine rechtliche Einordnung der grundlegenden Rechtsfragen vor. Der Senat führte aus, dass ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften in der Tat vorliege, wenn den vom Wahlvorstand als wahlberechtigt angesehenen 128 Führungskräften kein aktives Wahlrecht zukäme. Ob dies der Fall sei, könne auf Grundlage der Feststellungen des LAG indes nicht entschieden werden. Neben der Vollendung des 16. Lebensjahres erfordert das aktive Wahlrecht nach § 7 BetrVG auch die Eingliederung in den Betrieb – vergleichbar der Einstellung nach § 99 BetrVG. Eine Eingliederung liege gemäß der ständigen Rechtsprechung des BAG vor, wenn der Arbeitgeber durch den weisungsgebundenen Einsatz des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgt. Hierzu seien die vertraglichen Regelungen des Arbeitsvertrags nicht von entscheidender Bedeutung, da es nur auf die tatsächlichen Umstände ankomme.
Die Zuordnung der Matrixmanager zu einem anderen Betrieb stehe der Zugehörigkeit zu weiteren Betrieben jedoch nicht entgegen: Eine gesetzliche Regelung zu einem solchen Ausschluss gebe es nicht, und zudem würde eine andere Auffassung auch teleologischen Bedenken begegnen. Auch vermeintliche tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, die Betriebszugehörigkeit von Matrixmanagern festzustellen, seien irrelevant. Die Frage der Eingliederung stelle sich im Übrigen nicht nur im Rahmen von § 7 BetrVG beim aktiven Wahlrecht, sondern auch bei der Einstellung gem. § 99 BetrVG – eine Differenzierung beim betriebsverfassungsrechtlichen Eingliederungsbegriff der beiden Normen verbiete sich, sodass die – hier tatsächlich vorgenommene – Anhörung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG einen „gewissen Rückschluss“ zulasse. Zuletzt statuierte der Senat einige praktische Anhaltspunkte für eine Eingliederung von Führungskräften: Sie liege vor, wenn die Führungskraft zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmern regelmäßig zusammenarbeiten muss und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnimmt. Entscheidung sei allerdings stets eine Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände.
Unser Kommentar
Die Entscheidung überzeugt in der Sache: Für das aktive Wahlrecht sind (ebenso wie für die Frage nach der Einstellung gem. § 99 BetrVG) die tatsächlichen Umstände maßgeblich. Viele der Kernaussagen des BAG sind weder überraschend noch neu: Es stand nicht ernsthaft zur Diskussion, dass das aktive Wahlrecht in mehreren Betrieben grundsätzlich möglich (und demokratietheoretisch geboten) ist, genauso wie der Umstand, dass die tatsächlichen Umstände für die Eingliederung maßgeblich sind. Wer sich vom BAG allerdings eine grundsätzliche Klärung der Frage erhoffte, ob und wann Matrixmanager „eingegliedert“ sind, wurde enttäuscht. Möglicherweise wird auch die nächste Entscheidung des LAG in dieser Sache den Weg nach Erfurt gehen – anders als in Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ steht der Vorhang also noch einen Spalt offen. Der Sachverhalt hier war kein solcher, der eine unternehmensübergreifende Matrixstruktur mit ihren Sonderproblemen zum Gegenstand hatte – eine Klärung dieser Spezialfragen durch das BAG bleibt also in jedem Fall weiter aus. Der Beschluss bietet derweil durchaus Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei diesen Konstellationen die Hürden für eine Eingliederung nicht besonders hoch sein werden.
Autoren
Paul Schreiner
Dr. Christoph Corzelius
Die Verdrängung eines Minderheitstarifvertrags im Fall einer Tarifkollision nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG tritt ipso iure ein und bedarf keines Beschlusses des Arbeitsgerichts nach § 99 ArbGG.
BAG, Beschluss vom 19.3.2025 – 4 ABR 35/23
Der Fall
Die Antragstellerin ist die GDL, die – genauso wie die EVG – in der Vergangenheit eine Vielzahl von Tarifverträgen mit dem Arbeitgeberverband AGV MOVE für Unternehmen der Deutschen Bahn AG vereinbarte, so auch für die DB Regio AG. Bis zum 31.3.2021 wandte diese in einem Wahlbetrieb in Oberbayern Tarifverträge beider Gewerkschaften an, seither aber nur noch die der EVG. Kurz zuvor teilte die Deutsche Bahn AG mit, dass sie davon ausgehe, dass die EVG dort eine Mehrheit an Mitgliedern organisiere. Im Herbst 2021 schloss der AGV MOVE mehrere neue Tarifverträge mit der GDL und der EVG. Anschließend wandte die DB Regio AG nunmehr allein diese Tarifverträge mit der EVG an. Die GDL machte daraufhin geltend, dass zum maßgeblichen Kollisionszeitpunkt am 31.5.2022 in dem Wahlbetrieb mehr Mitglieder aus ihren Reihen in einem Arbeitsverhältnis gestanden hätten. In der Folge beantragte sie die gerichtliche Feststellung, dass ihre Tarifverträge seit besagtem Datum die dort anwendbaren Tarifverträge sind und hilfsweise, dass ihre Tarifverträge zumindest auf die dortigen GDL-Mitglieder anwendbar sind. ArbG und LAG wiesen die Anträge zurück.
Die Entscheidung
So entschied auch der Vierte BAG-Senat. Das besondere Beschlussverfahren nach § 99 ArbGG diene dem Zweck, den sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenden Schutz der Tarifvertragsparteien auf Anwendung der von ihnen geschlossenen Tarifverträge zu flankieren, indem diese bei einer Tarifkollision feststellen lassen können, welcher Tarifvertrag in einem Betrieb anzuwenden ist. Die in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG angeordnete Verdrängung des Minderheitstarifvertrags setze jedoch keinen rechtskräftigen Beschluss nach § 99 ArbGG voraus. Für diese Einordnung würden bereits der Wortlaut beider Normen sprechen, insbesondere, dass nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG bei kollidierenden Tarifverträgen im Betrieb nur die Rechtsnormen des Mehrheitstarifvertrags anwendbar „sind“. Die Vorschrift des § 99 Abs. 3 ArbGG spreche zudem davon, dass der Beschluss über den „anwendbaren“ Tarifvertrag für und gegen jedermann wirkt. Sinn und Zweck des Tarifeinheitsgesetzes bestätigten diese Sichtweise, da dieses dazu diene, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch die Auflösung von Tarifkollisionen zu sichern. Diese Funktion könne die Verdrängungswirkung nur dann effektiv erfüllen, wenn sie im Kollisionsfall ipso iure und nicht erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens nach § 99 ArbGG eingreift. Würde die Kollisionsregel dies voraussetzen, käme sie faktisch nur selten zum Tragen.
Unser Kommentar
Trotz der insgesamt sehr „prozessrechtslastigen“ Entscheidung wird darin ausdrücklich erwogen, dass die materielle Gerechtigkeit nicht aus dem Blick gerät: Die normunterworfenen Arbeitnehmer werden verfahrensrechtlich nicht beigeladen, weil dies zu einem endlosen Verfahren führen würde. Gleichwohl bleibt Mitarbeitern unbenommen, in Individualverfahren ihre Rechte geltend zu machen, wenn sie von einem anderen Mehrheitstarifvertrag ausgehen. Dass der Gesetzgeber als maßgeblichen Zeitpunkt für eine Tarifkollision auf den Abschluss des kollidierenden Tarifvertrags abstellt, sah im Übrigen auch das BVerfG in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 4a TVG so (Beschl. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a.).
Autoren
Axel Braun
Stephan Sura
Allein in der fehlenden Bestellung eines Inklusionsbeauftragten liegt keine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung. Ein solcher Verstoß kann jedoch ein Indiz i. S. d. § 22 AGG darstellen, wenn die beanstandete Maßnahme spezifische Belange schwerbehinderter Menschen berührt.
BAG, Urteil vom 26.6.2025 – 8 AZR 276/24
Der Fall
Die klagende Arbeitnehmerin ist mit einem GdB von 50 schwerbehindert. Zwischen ihr und der beklagten Arbeitgeberin ist seit mehreren Jahren streitig, welche Tätigkeiten von der Klägerin erbracht werden können. Wegen mehrerer behaupteter Benachteiligungen verlangte sie im Zuge dessen eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 20.000,00 EUR. Im Mittelpunkt standen dabei die unterlassene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten sowie zwei Abmahnungen wegen verweigerter Arbeitsanweisungen, die ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wurden. Die Klägerin wertete das Fehlen des Inklusionsbeauftragten als Benachteiligung an sich und leitete für die Abmahnungen die Indizwirkung aus § 22 AGG her. Das ArbG gab der Klage teilweise statt, das LAG wies sie vollständig ab.
Die Entscheidung
Der Revision der Klägerin gab der Achte BAG-Senat wiederum teilweise statt. Ob und in welcher Höhe der Arbeitnehmerin Entschädigungszahlungen zustünden, müsse aber das LAG final entscheiden. Insbesondere sei zu klären, ob die Maßnahmen der Arbeitgeberin die Klägerin benachteiligt haben, indem ihr Tätigkeiten zugewiesen wurden, die nicht behinderungsgerecht gem. § 164 Abs. 4 SGB IX waren. Die Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten stelle indes keine unmittelbare Benachteiligung dar. Die zugehörige Vorschrift, § 181 SGB IX, normiere zwar eine Verfahrens- und/oder Förderpflicht zugunsten schwerbehinderter Menschen. Nur, weil es keinen Inklusionsbeauftragten gibt, würden diese aber nicht nachteiliger als Personen ohne eine Behinderung behandelt. Gleichwohl könne der Verstoß die Indizwirkung des § 22 AGG auslösen, wenn die angegriffene Maßnahme spezifische Belange schwerbehinderter Menschen betreffe. Hier sei dies für die ausgesprochenen Abmahnungen relevant, die ohne Beteiligung eines Inklusionsbeauftragten erfolgt sind. Daneben sei auch § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung als Verfahrenspflicht einzuordnen, die greife, wenn eine schwerbehinderte Person in einer Angelegenheit wegen ihrer Behinderung besonders betroffen ist. Auch hier könne ein Verstoß eine Indizwirkung nach § 22 AGG begründen – und erneut könne dies beiden Abmahnungen tangieren, vor deren Ausspruch die Schwerbehindertenvertretung nicht angehört wurde.
Unser Kommentar
Die Entscheidung stellt klar, dass die unterlassene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht anlasslos Entschädigungsansprüche von schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auslöst. Zugleich zeigt sie aber auch, wie schnell Versäumnisse bei der Beteiligung von Inklusionsbeauftragten und Schwerbehindertenvertretungen teuer werden können. Arbeitgebern sollten daher die Bestellung eines Inklusionsbeauftragten und die frühzeitige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung konsequent umsetzen; zugleich ist die inhaltliche Behinderungsgerechtigkeit jeder Maßnahme sorgfältig zu prüfen und zu Beweissicherungszwecken zu dokumentieren.
Autorin
Pia Wieberneit
Eine gegen die tarifliche Regelungssperre verstoßende Bestimmung in einer Betriebsvereinbarung ist auch dann unwirksam, wenn sie inhaltlich den Vorgaben eines einschlägigen Tarifvertrags entspricht.
BAG, Urteil vom 20.5.2025 – 1 AZR 120/24
Der Fall
Die beklagte Arbeitgeberin erbringt Beförderungsleistungen im Personennahverkehr und ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen. Der bei ihr anwendbare Tarifvertrag enthält Regelungen zur Möglichkeit bezahlter Freistellung von der Arbeitspflicht. Die Beklagte gestattete ihren Mitarbeitern ohne ausdrückliche Regelung über einen längeren Zeitraum eine 15-minütige bezahlte Frühstückspause während der Arbeitszeit. Später schloss sie mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, die u. a. die Abschaffung dieser Pause vorsah. Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger war daraufhin der Ansicht, die Abschaffung verstoße gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Die aus langjähriger gelebter Praxis entwickelte betriebliche Übung einer Frühstückspause bestehe fort. Er verlangte daher u. a. die Gutschrift der entfallenen Pausenzeiten auf seinem Arbeitszeitkonto. In den ersten beiden Instanzen hatte die Klage keinen Erfolg.
Die Entscheidung
Das BAG hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an das LAG zurück. Dieses habe zu Unrecht angenommen, dass eine etwaige betriebliche Übung über die bezahlte Frühstückspause durch die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung aufgehoben wurde. Die Betriebsvereinbarung verstoße vielmehr gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und sei deshalb insoweit unwirksam. Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, könnten nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Der Gegenstand der vorliegenden Betriebsvereinbarung sei bereits abschließend im einschlägigen Tarifvertrag enthalten. Auch wenn dessen Regelungsinhalte zur Möglichkeit bezahlter Freistellung der Abschaffung der Frühstückspause nicht konkret entgegenstehen, greife die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ein. Die Sperrwirkung gelte auch für solche Betriebsvereinbarungen, deren Inhalt nicht gegen die tariflichen Vorgaben „verstößt“. Die Vorschrift diene der Sicherung der Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie solle verhindern, dass Gegenstände, die die Tarifvertragsparteien vereinbart haben, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Die Regelungssperre sei hier ferner auch nicht nach § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben, da es sich bereits nicht um einen Tatbestand zwingender Mitbestimmung handele.
Unser Kommentar
Das BAG bestätigt den Grundsatz, dass tarifliche Regelungen einer konkurrierenden Betriebsvereinbarung zu demselben Regelungsgegenstand entgegenstehen. Zwar können Tarifverträge durch Öffnungsklauseln den Betriebsparteien abweichende Regelungen gestatten (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG), daran sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Dabei kommt es stets auf die konkreten Formulierungen im Tarifvertrag und deren Auslegung an. Arbeitgeber sollten dies gründlich prüfen und etwaigen Forderungen von Betriebsräten nach dem Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung nicht vorschnell nachkommen; ggf. kann die tarifliche Regelungssperre im Rahmen eines Verfahrens nach § 100 ArbGG sogar die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle begründen.
Autoren
Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago)
Dr. Delia Jusciak
Den Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen steht entsprechend der Grundsätze zu Betriebsratsmitgliedern ein Anspruch auf eine höhere Vergütung zu, wenn die Voraussetzungen für einen fiktiven Beförderungsanspruch vorliegen. Hierfür trägt die Vertrauensperson die Darlegungs- und Beweislast.
BAG, Urteil vom 25.02.2025 – 9 AZR 5/24
Der Fall
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin, die im Zeitraum von Januar 2014 bis Oktober 2022 als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen freigestellt war, eine höhere Vergütung auf Grundlage eines fiktiven Beförderungsanspruchs ab August 2020 zusteht. Vor der Freistellung war die Klägerin nach dem zunächst bei der beklagten Arbeitgeberin anwendbaren Stellenbewertungs- und Vergütungssystem mit 14 aufsteigenden Stufen (sog. „Hay Grades“) mit dem Hay Grade VII bewertet. Im Dezember 2017 führte die Beklagte ein neues System mit der Höhe nach absteigenden Leveln von 1 bis 7 ein. Die Klägerin wurde im Zuge dessen mit dem Level 5 geführt. Nach neuerlichen Wahlen im Oktober 2022 war die Klägerin zwar noch Mitglied der Schwerbehindertenvertretung, aber nicht mehr vollständig freigestellt. Sie verlangte eine höhere Eingruppierung in das neue System und begründete dies mit einem Vergleich zu einer Kollegin, die in der vorherigen Wahlperiode ebenfalls Teil der Schwerbehindertenvertretung, aber nicht freigestellt war, und nach einer Versetzung in dem neuen System höher eingestuft wurde. Die Klägerin verlangt eine Einordnung auf derselben Stufe, da sie sich in einem fiktiven Bewerbungs- und Stellenbesetzungsverfahren aufgrund ihrer besseren Qualifikation und größeren Erfahrung gegen die Kollegin durchgesetzt hätte. ArbG und LAG wiesen die Klage ab.
Die Entscheidung
So entschied auch das BAG. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf eine höhere Vergütung zu. Die zu § 78 Satz 2 BetrVG entwickelten Grundsätze zum fiktiven Beförderungsanspruch für Betriebsratsmitglieder seien in diesem Kontext auch auf Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen anzuwenden. Für die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die unzulässige Benachteiligung wegen des Ehrenamtes, trage die Vertrauensperson die Darlegungs- und Beweislast. Sie müsse zunächst darlegen, dass sie die Bewerbung auf eine höhere Stelle wegen der Freistellung unterlassen hat. Bei einer fehlenden Stellenausschreibung könne indes kein Vortrag dahingehend verlangt werden, dass die Bewerbung wegen der Freistellung unterlassen wurde. Gleichwohl sei Voraussetzung des fiktiven Beförderungsanspruchs, dass die betroffene Stelle zum Zeitpunkt der verlangten fiktiven Beförderung frei ist. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da die relevante Stelle zum Zeitpunkt der Geltendmachung des fiktiven Beförderungsanspruchs durch die Klägerin ab August 2020 nicht vakant, sondern besetzt war.
Unser Kommentar
Das BAG überträgt konsequenterweise erstmals die zum fiktiven Beförderungsanspruch von Betriebsratsmitgliedern entwickelten Grundsätze auch auf Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen. Hierbei hielten die Erfurter Richter zutreffend fest, dass für den fiktiven Beförderungsanspruch eine freie Stelle vorhanden und diese auch höher dotiert sein muss. Nur so kann ein höherer Vergütungsanspruch der Amtsträger bestehen. Zudem bestätigt das BAG die prozessualen Schutzmechanismen für freigestellte Amtsinhaber, insbesondere bei fehlender Stellenausschreibung durch den Arbeitgeber. Daher sollten Ausschreibungs- und Stellenbesetzungsprozesse transparent durchgeführt werden und für vakante Stellen deren Bewertung durchgängig dokumentiert werden. So kann das Risiko reduziert werden, dass erleichterte Darlegungslasten prozessual zulasten des Arbeitgebers wirken.
Autorin
Dr. Anna Mayr
Das Verbot mittelbarer Diskriminierungen wegen einer Behinderung untersagt auch die Mitdiskriminierung Dritter, z. B. pflegender Angehöriger. Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitsbedingungen erforderlichenfalls zur Vermeidung einer derartigen Diskriminierung anzupassen, soweit sie hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet werden.
EuGH, Urteil vom 11.9.2025 – C-38/24 (Bervidi)
Der Fall
Der Ausgangsfall stammt aus Italien. Die klagende Arbeitnehmerin, angestellt als Stationsaufsicht bei der U-Bahn und pflegende Mutter eines schwerbehinderten Sohnes, hatte in der Vergangenheit mehrfach die unbefristete Vereinbarung fester Arbeitszeiten beantragt, um sich am Nachmittag um ihren Sohn kümmern zu können. Die beklagte Arbeitgeberin lehnte eine dauerhafte Vereinbarung über die Lage der Arbeitszeit ab und gewährte lediglich befristete Anpassungen. Die Klägerin sah darin eine Diskriminierung wegen der Behinderung ihres Sohnes und ersuchte um Rechtsschutz. Nachdem die Klage in den Vorinstanzen abgewiesen worden war, legte der Kassationsgerichtshof das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Die Entscheidung
Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung auch Fälle erfasst, in denen ein Arbeitnehmer wegen der Pflege eines Kindes mit Behinderung benachteiligt wird. Dies begründet er mit der unionsrechtskonformen Auslegung im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (insbesondere Art. 21, 24 und 26) sowie des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Der Gerichtshof hob weiterhin die Bedeutung des Kindeswohls und die Verpflichtung zur Förderung der Eigenständigkeit und sozialen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie ihrer Familienangehörigen hervor. Auch die Frage, ob ggfs. Arbeitsbedingungen anzupassen sind, um Arbeitnehmern die Pflege behinderter Kinder zu ermöglichen, bejahte der EuGH. Arbeitgeber seien danach verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um Arbeitnehmern die Pflege zu ermöglichen. Dies gelte jedoch unter dem Vorbehalt, dass Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belastet werden.
Unser Kommentar
Die Entscheidung setzt die bereits in der Coleman-Entscheidung des Gerichtshofs aus dem Jahr 2008 (EuGH, Urteil vom 17.7.2008 – C-303/06) entwickelte Argumentation fort. Bereits damals stellte der EuGH fest, dass das unionale Diskriminierungsrecht auch Personen geschützt werden, die wegen ihrer Beziehung zu einer Person mit Behinderung benachteiligt werden. Der EuGH stärkt damit den Schutz von Familienangehörigen behinderter Menschen im Arbeitsleben, indem er auch den Schutz vor „Mitdiskriminierung“ (auch: drittbezogener oder assoziierter Diskriminierung) erfasst sieht. Für die Praxis bleiben gleichwohl Fragen offen: So dürfte in anderen Fällen zu klären sein, welches konkrete Näheverhältnis bestehen muss. Ebenso ist fraglich, ob und wie diese Grundsätze auf die anderen von der Richtlinie 2000/78/EG geschützten Merkmale zu übertragen sind. Ferner bleibt offen, wann eine Anpassung von Arbeitsbedingungen (un-)zumutbar ist.
Autorin
Dr. Astrid Schnabel, LL.M. (Emory)
Übermittelt der Vorsitzende einer Einigungsstelle den Betriebsparteien einen unvollständigen Spruch, der den Anforderungen des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG nicht entspricht, ist dieser unwirksam. Eine nachträgliche Korrektur kommt nicht in Betracht.
BAG, Beschluss vom 20.5.2025 – 1 ABR 11/24
Der Fall
Antragsteller ist der Betriebsrat der Arbeitgeberin, die Mitglied bei METALL NRW ist. Nach dem ERA NRW ist für ihre Beschäftigten entweder ein Leistungsentgelt oder ein Zeitentgelt vorgesehen. Die mitbestimmungspflichtige Entscheidung über den Entgeltgrundsatz ist zwischen den Betriebsparteien zu vereinbaren. Bei fehlender Einigung entscheidet eine tarifliche Einigungsstelle. Als die Arbeitgeber eine langjährig bestehende Betriebsvereinbarung kündigte, die bislang ein Leistungsentgelt in Form einer Prämie vorsah, wollte diese stattdessen ein Zeitentgelt mit Leistungszulage vorsehen. Eine Einigung mit dem Betriebsrat kam jedoch nicht zustande. Im nachfolgenden Verfahren vor der Einigungsstelle entschied diese in Teil I ihres Spruchs, dass 31 Kostenstellen dem Zeitentgelt und dass drei Kostenstellen weiterhin dem Leistungsentgelt entsprechen sollten (Teil II). In Teil I fehlte allerdings in der vom Vorsitzenden übermittelten Spruchfassung an die Beteiligten die Nennung einer Kostenstelle. Daraufhin stellte der Betriebsrat einen Antrag auf Unwirksamkeit von Teil I des Spruchs beim ArbG, wobei der Vorsitzende diesen anschließend korrigierte. Das ArbG wies den Antrag ab, ebenso wie das LAG die Beschwerde.
Die Entscheidung
Der Erste BAG-Senat stufte Teil I des Einigungsstellenspruchs unterdessen als unwirksam ein. Dieser bilde eine selbstständig anfechtbare Teilregelung. Die tarifliche Einigungsstelle sei zuständig und ihr Regelungsauftrag eindeutig festgelegt gewesen. Ferner handele es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da das ERA NRW keine abschließende tarifliche Entgeltregelung enthalte. Die Zuordnung einzelner Tätigkeiten zum Zeitentgelt bewege sich somit im Ermessen der Einigungsstelle. Konkret folge die Unwirksamkeit von Teil I des Spruchs aus einer Nichtbeachtung der formellen Vorgaben des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG. Danach seien die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat zuzuleiten. Hier fehlte in der übersandten Fassung jedoch eine ebenfalls beschlossene Kostenstelle. Eine spätere Ergänzung durch den Vorsitzenden könne den Verstoß nicht heilen, da eine Berichtigung nur durch die Einigungsstelle in ihrer Gesamtheit möglich und das Verfahren mit Übermittlung des Spruchs bereits abgeschlossen sei.
Unser Kommentar
Der Spruch der Einigungsstelle gestaltet das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unmittelbar und muss daher vollständig und rechtssicher übermittelt werden. Eine rückwirkende Heilung unvollständiger Niederschriften lehnte das BAG bereits früher ab (vgl. z. B. BAG, Beschl. v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18). Ein komplett neues Einigungsstellenverfahren führt (allein aus Kostengründen) jedoch nicht immer zu interessengerechten Ergebnissen, so auch hier, da die streitgegenständliche Kostenstelle lediglich bei der Niederschrift des Spruchs übersehen wurde. Angesichts der klaren Linie des BAG und der nach herrschender Auffassung privilegierten Haftung des Vorsitzenden der Einigungsstelle, die einen an sich möglichen Regress im Schadensfall erschwert, sollte in besonderem Maße darauf hingewirkt werden, dass alle formellen Vorgaben im gesamten Einigungsstellenprozess eingehalten werden.
Autorin
Charlotte Elsner LL.M. (Edinburgh)
Befristet beschäftigte Arbeitnehmer dürfen gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG aufgrund der Befristung nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare unbefristet Beschäftigte; dies gilt jedoch nicht, wenn das Arbeitsverhältnis für die Dauer bis Erreichen der Regelaltersgrenze befristet ist.
BAG, Urteil vom 31.7.2025 – 6 AZR 18/25
Der Fall
Die klagende Arbeitnehmerin war seit November 2018 beim Land Berlin beschäftigt und arbeitete ab Dezember 2022 in einer Observationsgruppe des Nachrichtendienstes. Für bestimmte Einsätze sieht eine landesrechtliche Verordnung eine Erschwerniszulage vor, die jedoch ausschließlich Polizeivollzugsbeamten gewährt wird. Die Klägerin, die als tarifbeschäftigte Arbeitnehmerin angestellt war, erhielt diese Zulage nicht und sah sich dadurch gegenüber den Beamten benachteiligt. Ihr Arbeitsvertrag enthielt zudem eine Regelung, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze für die Regelaltersrente automatisch enden sollte. Die Klägerin machte in der Folge die Zahlung der Erschwerniszulage geltend und berief sich zur Begründung ihres Anspruchs u. a. auf § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Die Entscheidung
Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis auf das Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze befristet ist, sich nicht auf den Diskriminierungsschutz für befristet Beschäftigte berufen können. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei solchen Arbeitsverhältnissen nicht um atypische oder besonders schutzbedürftige Beschäftigungsverhältnisse, sondern vielmehr um konsolidierte Normalarbeitsverhältnisse. Diese würden sich im Ergebnis kaum von unbefristeten Verträgen unterscheiden, da sie häufig über viele Jahre bestehen und lediglich mit dem regulären Renteneintritt enden. Sinn und Zweck von § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sei es jedoch, einen Ausgleich für die in der Regel schlechtere Verhandlungsposition von befristet beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schaffen. Es solle sichergestellt werden, dass ihnen keine Rechte vorenthalten werden. Diese Schutzbedürftigkeit bestehe bei Arbeitsverhältnissen, die ausschließlich auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersrente befristet sind, hingegen nicht.
Unser Kommentar
Die Bewertung des BAG verfängt. Wird ein Arbeitsverhältnis tatsächlich nur auf die Regelaltersgrenze hin befristet, so befinden sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelmäßig in einer deutlich stärkeren Verhandlungsposition, als es bei zeit- oder sachgrundbefristeten Verträgen der Fall ist – zumindest im Anwendungsbereich des KSchG. Zwar ist es üblich, Arbeitsverhältnisse mit Blick auf das Erreichen des Renteneintrittsalters zu befristen, ohne entsprechende Regelung enden sie allerdings nicht automatisch zu diesem Zeitpunkt. Anderenfalls wird das Arbeitsverhältnis über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus fortgesetzt und kann im Anwendungsbereich des KSchG von Seiten des Arbeitgebers nur bei Vorliegen eines entsprechenden Kündigungsgrundes gekündigt werden. Soll ein Arbeitsverhältnis über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus fortgesetzt werden, erlaubt die Regelung des § 41 SGB VI es den Parteien des Arbeitsvertrages, das Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses – wiederholt – befristet hinauszuschieben. Diese Möglichkeit besteht aber nur dann, wenn eine entsprechende Vereinbarung noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses getroffen wird.
Autorin
Nadine Ceruti
Im Arbeitsleben übliche Konflikte, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, sind regelmäßig nicht geeignet, einen Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Rücksichtnahmepflichten und somit einen Schadensersatzanspruch des betroffenen Arbeitnehmers zu begründen.
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.6.2025 – 5 SLa 20/25
Der Fall
Die klagende Arbeitnehmerin war seit Oktober 2021 als Stationssekretärin in einem Krankenhaus beschäftigt und geriet dort mehrfach in Konflikte mit Kolleginnen, Kollegen und der Stationsleitung. So gab es etwa Uneinigkeiten über die Übernahme bestimmter Arbeitsaufgaben, was zum Teil in hitzige Diskussionen mündete. Ferner wurde öfter Material der Klägerin versteckt und ihr Name von Kolleginnen und Kollegen falsch geschrieben. Andere Mitarbeitende ignorierten die Klägerin regelmäßig und grüßten sie nicht. Die Klägerin gab an, aufgrund dessen an gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses machte sie eine Entschädigung in Geld in Höhe von 30.000,00 EUR als Schadensersatz geltend. Das ArbG wies die Klage ab.
Die Entscheidung
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Entscheidung. Zwar verpflichte § 241 Abs. 2 BGB die Arbeitsvertragsparteien jeweils zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen der anderen Seiten, weshalb ein Arbeitgeber insbesondere verpflichtet sei, seine Beschäftigten vor physischen und psychischen Gesundheitsgefahren zu schützen. Hierbei vertrete ein Arbeitgeber über § 278 Satz 1 BGB auch das Verhalten seiner Beschäftigten. Nichtsdestotrotz müsse zwischen im Arbeitsleben üblichen Konfliktsituationen und rechtswidrigen, vorwerfbaren Pflichtverletzungen unterschieden werden. Letztere seien gegeben, wenn Handlungen oder Äußerungen gerade auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Beschäftigten abzielten, was anhand einer objektiven Gesamtschau zu bewerten sei. Demnach liege hier keine Pflichtverletzung der beklagten Arbeitgeberin vor. Bei den Vorkommnissen handele es sich lediglich um arbeitsplatzbezogene Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten, die nicht die Person der Klägerin selbst, sondern vielmehr deren Arbeitsverhalten kritisieren sollten. Das bewusste und wiederholte Falschschreiben ihres Namens könne zwar geeignet sein, sie zu herabwürdigen, dies wurde jedoch seitens der Klägerin nicht hinreichend genug dargelegt.
Unser Kommentar
Das LAG stellt richtigerweise klar, dass die Arbeitgeberin ihre Beschäftigten nicht vor allen im arbeitsplatzüblichen Konfliktsituationen schützen muss. Für den Umstand, dass es sich gerade nicht um eine solche, sondern vielmehr um eine systematische und anhaltende Einschüchterung handelt, die den Mobbing-Begriff erfüllt, ist der betroffene Beschäftige voll darlegungs- und beweisbelastet.
Autorin
Sophie Haeberlein
Ein Mitglied des Betriebsrats kann wegen der Weiterleitung dienstlicher E-Mails an seine private E-Mail-Adresse aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden.
Hessisches LAG, Beschluss vom 10.3.2025 – 16 TaBV 109/24
Der Fall
Nach Feststellungen des antragstellenden Arbeitgebers hatte der Betriebsratsvorsitzende eine automatische Weiterleitung aller in seinen Betriebsratsaccount eingehenden E-Mails an seine private E-Mail-Adresse eingerichtet. Der Arbeitgeber mahnte ihn daraufhin ab, der Betriebsratsvorsitzende richtete jedoch als Reaktion eine neue private E-Mail-Adresse ein und leitete an diese eine Excel-Datei mit einer vollständigen Personalliste inklusive aller relevanten Vergütungsangaben weiter. Die Datei bearbeitete er vollständig auf seinen privaten Speichermedien und sandte sie dann wieder an seinen E-Mail-Account als Betriebsrat. Der Arbeitgeber sah darin eine grobe Verletzung der datenschutzrechtlichen Pflichten des Betriebsrats und beantragte beim ArbG den Ausschluss des Vorsitzenden aus dem Gremium. Dem entsprach das Gericht.
Die Entscheidung
Das Hessische LAG bestätigte diese Entscheidung. Das Verhalten des Betriebsratsvorsitzenden stelle eine grobe Verletzung datenschutzrechtlicher Pflichten dar. Die Datenverarbeitung auf dem privaten Rechner sei – auch unter Berücksichtigung vorgebrachter Rechtfertigungsgründe (Eilbedürftigkeit der Bearbeitung der Datei im Vorgriff zur Verhandlung einer Betriebsvereinbarung, bessere Bearbeitungsmöglichkeit der Datei wegen eines größeren Bildschirms) – nicht erforderlich gewesen. Der Vorsitzende hätte sich an den Arbeitgeber wenden müssen, um ggfs. eine bessere technische Ausstattung zu beantragen. Stattdessen habe er durch die Verarbeitung auf privaten Speichermedien eine erhebliche Gefährdung der Daten in Kauf genommen. Wegen der sehr detaillierten Vergütungsinformationen sei der Verstoß auch grob i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Aufgrund seines Gesamtverhaltens – Einrichtung und Nutzung einer neuen privaten E-Mail-Adresse trotz vorheriger Abmahnung – sei der Betriebsratsvorsitzende auch als unbelehrbar zu bezeichnen. Dies vertiefe die Schwere des Verstoßes.
Unser Kommentar
Aus der Entscheidung lässt sich der Unterschied zwischen einem betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtverstoß – mögliche Sanktion Amtsenthebung – und einem arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß – mögliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses – gut nachvollziehen. Da der Betriebsratsvorsitzende den Datenschutzverstoß in Ausübung seiner Amtstätigkeit beging, beantragte der Arbeitgeber (allein) den Ausschluss aus dem Betriebsrat. Das LAG hob dabei hervor, dass der Betriebsrat in seinem Bereich für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften verantwortlich ist, auch wenn das Gremium in datenschutzrechtlicher Hinsicht Teil des Arbeitgebers sei. Im Hinblick auf das vorherige Verhalten des Vorsitzenden zeigt sich, dass eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ durchaus sinnvoll sein kann (vgl. hierzu oben den Beitrag von Robert von Steinau-Steinrück und Hannes Raff).
Autor
Axel Braun
Das Gesetzgebungsverfahren zum zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz ist weit fortgeschritten. Wir informieren zum aktuellen Stand, den Inhalten und Kritikpunkten.
Gesetzgeberischer Hintergrund
Im Jahr 2018 trat das (erste) Betriebsrentenstärkungsgesetz in Kraft. Es führte u. a. das sog. Sozialpartnermodell ein (§§ 21 ff. BetrAVG), mittels dessen Arbeitgeber auf tarifvertraglicher Grundlage reine Beitragszusagen erteilen können. Umgesetzt wurde dies bislang in einigen wenigen Fällen in den Branchen Energie, Chemie und Banken.
Im letzten Jahr kam es dann zum Entwurf eines zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetzes (Regierungsentwurf v. 18.9.2024). Damit sollte u. a. das Sozialpartnermodell weiterentwickelt werden. Das Gesetzgebungsverfahren konnte jedoch in der 20. Legislaturperiode nicht abgeschlossen werden. Nunmehr ist der Gesetzesentwurf (Regierungsentwurf v. 29.9.2025, BT-Drs. 21/1859) in geringfügig veränderter Fassung im Zuge des Rentenpakets 2025 erneut eingebracht worden. Die erste Lesung im Bundestag erfolgte am 16.10.2025.
Wesentliche Inhalte
Weiterentwicklung des Sozialpartnermodells
Wie bisher können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung eines einschlägigen Sozialpartnermodells vereinbaren. Künftig kann auch die Anwendung eines nicht einschlägigen Sozialpartnermodells vereinbart werden, wenn dies entweder ein für das Arbeitsverhältnis einschlägiger Tarifvertrag eröffnet oder wenn die das Sozialpartnermodell tragende Gewerkschaft nach ihrer Satzung für das Arbeitsverhältnis tarifzuständig ist. Damit stehen nach der Gesetzesbegründung bspw. Sozialpartnermodelle, die die Gewerkschaft ver.di im Energiebereich und bei den Banken abgeschlossen hat, grundsätzlich auch anderen Branchen offen, für die ver.di satzungsgemäß zuständig ist, also etwa dem Handel, Versicherungen oder der IT-Branche.
Opting-out-Systemen
Die Vorschrift des § 20 BetrAVG sieht bislang vor, dass auf tarifvertraglicher Basis eine automatische Entgeltumwandlung eingeführt werden kann, gegen die der Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht hat (Optionssystem). Nunmehr werden solche Systeme auch in tariflosen Bereichen möglich sein, wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet, einen Zuschuss zur Entgeltumwandlung in Höhe von 20 % des umgewandelten Entgelts zu zahlen. Der Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung beträgt ansonsten nur 15 %.
Erweiterung der Abfindungsmöglichkeit
Die Abfindung von Anwartschaften und laufenden Leistungen ist grundsätzlich verboten. Es bestehen nur wenige Ausnahmen, etwa im Fall der sog. Bagatellrenten (Monatsbetrag der laufenden Leistung übersteigt 1 % der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV nicht), bei Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses in der EU oder bei Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Arbeitgeber kann künftig eine Anwartschaft mit Zustimmung des Arbeitnehmers abfinden, wenn der Monatsbetrag der laufenden Leistung 2 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigt und der Abfindungsbetrag in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt wird.
Vorzeitige Betriebsrente
Den Anspruch auf vorzeitigen Betriebsrentenbezug (§ 6 BetrAVG) gibt es künftig auch dann, wenn die gesetzliche Rente als Teilrente (und nicht mehr nur als Vollrente) bezogen wird. Hintergrund ist, dass seit 2023 bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung Arbeitseinkommen nicht mehr angerechnet wird, unabhängig davon, ob diese als Voll- oder Teilrente bezogen wird.
Kritik
Angesichts der stagnierenden Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung und der nicht ausreichenden Sicherung des Lebensstandards allein durch die gesetzliche Rente fordern verschiedene Stimmen weitreichende Reformen und kritisieren den Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes II als nicht ausreichend. So fordert etwa illustrativ der Eberbacher Kreis bezüglich des Sozialpartnermodells einen Entfall des Tarifvorbehalts: „Existiert kein einschlägiger Flächentarifvertrag und kommt mit der zuständigen Gewerkschaft auch ein Haustarifvertrag nicht zustande, muss eine reine Beitragszusage auch auf der rechtlichen Grundlage einer Einzel- oder Gesamtzusage oder einer Betriebsvereinbarung möglich sein.“
Autorin
Prof. Dr. Annekatrin Veit
Posts von Arbeitnehmern in sozialen Medien unter Erkennbarkeit des Arbeitgebers oszillieren zwischen der Förderung des Rufs des Arbeitgebers und öffentlichkeitswirksamen Streitigkeiten zwischen den Arbeitsvertragsparteien – die dann für negative Publicity sorgen. Gerade im Kontext kontroverser Themen in Politik und Weltgeschehen ist gerade Letzteres auch in Frankreich immer mehr ein Problem.
Seit dem französischen Auroux-Gesetz von 1982 ist es nicht mehr der Bürger-Arbeitnehmer, sondern der Arbeitnehmer-Bürger, der seine Meinungsfreiheit ausübt, auch innerhalb des Unternehmens. Diese Freiheit, die Verfassungsrang hat, wird durch Art. 11 der Französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789 sowie durch Art. 10 EMRK geschützt. Diese Freiheit darf nur durch gerechtfertigte und verhältnismäßige Einschränkungen limitiert werden.
Gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Frankreich können Missbräuche der Meinungsfreiheit – d. h. diffamierende, beleidigende oder übertriebene Kommentare – eine Bestrafung rechtfertigen. Die Gerichte berücksichtigen dabei den Kontext, die Sichtbarkeit und die Reichweite von Äußerungen sowie die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers. Es hängt aber auch vom verwendeten Medium ab. Facebook, das lange Zeit als privater Raum galt, wurde von der Cour de cassation neu eingestuft: Wenn eine Nachricht mit einer großen Anzahl von Kontakten geteilt wird, geht ihre Verbreitung über den engen Kreis hinaus (Urteil vom 30.9.2020 – Nr. 19-12.058). Umgekehrt wurde eine geschlossene Facebook-Gruppe mit 14 Mitgliedern als privater Raum anerkannt (Urteil vom 12.9.2018 – Nr. 16-11.690). Andere Plattformen wie LinkedIn lassen wenig Raum für Zweifel: Aufgrund ihres beruflichen Charakters sind sie öffentlich. Die Herabwürdigung des eigenen Unternehmens kann daher einen Missbrauch der Meinungsfreiheit darstellen (dazu etwa Cour d’appel de Douai, Urteil vom 31.5.2024 – Nr. 22/01378).
Die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben bleibt jedoch verschwommen. Selbst unter einem Pseudonym hinterlassen soziale Medien Spuren. Führungskräfte können aufgefordert werden, im Namen der Ethik Stellung zu beziehen, auch wenn dies eventuell bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Ist dies eine Chance oder ein Risiko? Wahrscheinlich beides. Online-Kommentare können das Image des Unternehmens verbessern, die Transparenz fördern und sogar die Debatte bereichern. Aber sie erfordern gemeinsame Wachsamkeit: Die Mitarbeiter müssen ihr Urteilsvermögen und Arbeitgeber ihre Ausgewogenheit walten lassen. Die besten Schutzmaßnahmen sind nach wie vor Vertraulichkeitsklauseln in Arbeitsverträgen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, eine Social-Media-Charta, die Schulung von Führungskräften in Bezug auf Grundfreiheiten und nicht zuletzt ein angemessener Umgang mit Exzessen.
Autorin
Caroline Ferte
FIDAL, Paris
Achim Braner
Partner
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Axel Braun
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Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago)
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Dr. Astrid Schnabel, LL.M. (Emory)
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Paul Schreiner
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Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück
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Prof. Dr. Annekatrin Veit
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Dr. Moritz Mentzel
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Dr. Christoph Corzelius
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Dr. Anna Mayr
Senior Associate
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Pia Analena Wieberneit
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Charlotte Elsner, LL.M. (Edinburgh)
Associate
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Sophie Haeberlein
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