18.11.2025
Der pharmazeutische Unternehmer trägt nach § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) die Haftung für Schäden, die durch ein in den Verkehr gebrachtes Arzneimittel entstehen. Die Lohnhersteller werden durch vertragliche Vereinbarung jedoch zunehmend gedrängt, das Haftungsrisiko aus § 84 AMG zu übernehmen. Dies ist mit Blick auf die Verteilung der wirtschaftlichen Chancen jedoch nicht sachgerecht. Es sind vor allem die pharmazeutischen Unternehmer, die wirtschaftlich von den Arzneimitteln profitieren (Umsatz, Marktposition) und somit auch die Hauptverantwortung für Risiken tragen sollten. Dieser Beitrag erläutert die Begrifflichkeiten „pharmazeutischer Unternehmer“ und „Lohnhersteller“, den Umfang der Haftung nach § 84 AMG sowie die Absicherung der Haftungsrisiken aus § 84 AMG.
Gemäß § 4 Abs. 18 AMG ist pharmazeutischer Unternehmer, wer die Zulassung oder Registrierung eines Arzneimittels innehat oder wer Arzneimittel unter seinem Namen in Verkehr bringt. Der pharmazeutische Unternehmer steuert das Inverkehrbringen des Arzneimittels und trägt die Verantwortung für Arzneimittelqualität. Der Lohnhersteller hingegen produziert das Arzneimittel nach den Vorgaben des pharmazeutischen Unternehmers, agiert also nicht unter eigenem Namen und besitzt auch keine Zulassung. Der Lohnhersteller kann nach der Legaldefinition somit nicht pharmazeutischer Unternehmer sein.
Dieses Rollenverständnis ist maßgeblich für die Haftungszuschreibung nach § 84 AMG. Der pharmazeutische Unternehmer (und nicht der Lohnhersteller) ist im Außenverhältnis zum Patienten oder Endverbraucher verantwortlich. Er trägt die Marktmacht und entscheidet, wie das Arzneimittel von dem Lohnhersteller hergestellt wird. Deshalb trägt der pharmazeutische Unternehmer auch das Haftungsrisiko.
Die Haftung nach § 84 AMG ist eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Das bedeutet, dass der pharmazeutische Unternehmer für jeden Schaden haftet, der durch ein von ihm in den Verkehr gebrachtes Humanarzneimittel entsteht – unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden (Fahrlässigkeit oder Vorsatz) trifft. Die Haftung umfasst personenbezogene Schäden wie Verletzungen oder Todesfälle infolge von Anwendung des Humanarzneimittels.
Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, eine Deckungsvorsorge für die potenziellen Schadensersatzansprüche aus § 84 AMG zu treffen, vgl. § 94 AMG. Die Deckungsvorsorge kann ausschließlich auf zwei Wegen erfolgen: (1) durch den Abschluss einer ausreichenden Haftpflichtversicherung oder (2) durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung eines Kreditinstituts. Die Mindestdeckung muss den Beträgen gemäß § 88 Satz 1 AMG entsprechen, somit mindestens € 120 Mio. je Schadensfall. In der Praxis erfolgt die Absicherung aufgrund der hohen Summen fast ausschließlich über Versicherungsverträge, nur selten über Banken/Kreditinstitute.
Die meisten pharmazeutischen Unternehmen schließen sich zu Rückversicherungsgemeinschaften, den sogenannten Pharmapools, zusammen. Die Pharmapools bündeln die Deckungssummen und ermöglichen so eine besonders gute Absicherung gegen die – für einzelne Unternehmen existenzbedrohenden – Schadensersatzsummen.
Aus unternehmerischer Sicht ist gut nachvollziehbar, dass die pharmazeutischen Unternehmer ihre Haftungsrisiken im Innenverhältnis auf die Lohnhersteller verlagern möchten. In der Regel werden umfangreiche Freistellungspflichten und eine unbeschränkte Haftung für sämtliche Ansprüche verlangt. Die hierdurch entstehende faktische Übernahme der Haftung nach § 84 AMG ist für die Lohnhersteller jedoch existenzgefährdend. Im Gegensatz zu den pharmazeutischen Unternehmen sind Lohnhersteller nämlich nicht Teil der Pharmapools, was ihre Absicherung im Schadensfall erheblich schwächt.
Lohnherstellern steht somit kein vergleichbarer Versicherungsschutz zu. Vielmehr sind die Lohnhersteller auf eigene, geringere Versicherungssummen angewiesen. In der Regel werden Deckungssummen von € 10 Mio. oder € 20 Mio. pro Jahr mit den Versicherungsunternehmen vereinbart.
Für Lohnhersteller ist aus den genannten Gründen besonders entscheidend, dass ihre Haftung in Lohnherstellungsverträgen zumindest der Höhe nach beschränkt wird (Haftungscap). Eine unbeschränkte Haftung und die faktische Übernahme der Haftungsrisiken nach § 84 AMG sind aus versicherungstechnischer Sicht kaum umsetzbar, jedenfalls aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar. Im Übrigen entspricht eine solche Haftungsübernahme auch nicht dem klaren Leitbild des Gesetzeswortlauts.
Anne Biebler
Partnerin
Leipzig
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