27.10.2020

Newsletter Arbeitsrecht 3. Ausgabe 2020

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Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 5. Oktober 2020 einen Gesetzentwurf für ein „Mobiles-Arbeiten-Gesetz“ vorgelegt. Auch wenn es angesichts der deutlichen Kritik sehr fraglich erscheint, ob der von Hubertus Heil vorgelegte Gesetzentwurf in dieser Form umgesetzt wird, so ist das Thema Mobile Work in den Unternehmen dennoch gegenwärtig in aller Munde. In Zeiten der Corona-Krise sowie der schnell voranschreitenden Digitalisierung und einer sich hierdurch dramatisch verändernden Arbeitsorganisation müssen sich Arbeitgeber flexibel zeigen. Michael Rinke widmet sich daher in unserer aktuellen Ausgabe umfassend den sich Arbeitgebern in der Praxis stellenden Fragen.

Crowdworking ist ein weiteres aktuelles Thema unserer modernen Arbeitswelt, mit welchem wir uns in dieser Ausgabe beschäftigen. Wir allen kennen Plattformen wie Uber, Deliveroo und Clickworker. Aber wie sind die Tätigkeiten von Crowdworkern rechtlich einzuordnen? Crowdworking wirft eine Reihe von rechtlichen Fragen auf, insbesondere mit Blick auf das Arbeits- und Sozialrecht. Das BAG wird sich im Dezember 2020 mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei einem Crowdworker um einen Arbeitnehmer handelt. Katharina Gorontzi und Jana Voigt geben daher schon einmal einen Ausblick und zeigen die wesentlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Crowdworking auf.

Selbstverständlich befassen wir uns daneben auch in diesem Newsletter mit den aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung. Wir haben hierbei wieder eine Auswahl getroffen, bei der wir hoffen, dass sie für Sie von besonderem Interesse ist.

Wie immer freuen wir uns auf Ihre Feedback zu unseren Themen. Sprechen Sie unsere Autorinnen und Autoren gerne direkt an, wenn Sie Anregungen oder Fragen haben.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

Bleiben Sie gesund!

Ihr

Achim Braner

Mobile Working – Chancen, Risiken und Gestaltungsspielräume für Mitarbeitende und Unternehmen

Mobile Working ist im Grundsatz kein neues Phänomen. Nach einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom aus Anfang 2019 haben im Jahr 2018 bereits 39 % der Unternehmen Mobile Working praktiziert; in 2014 waren es noch lediglich 22 %. Allerdings wurde nur abgefragt, ob „einzelnen Mitarbeitern“ diese Möglichkeit eingeräumt werde; über die Gesamtzahl der Mitarbeitenden, die Mobile Working nutzen durften, enthielt die Umfrage keine Aussage.

Im Zuge der Corona-Krise haben nach einer – nicht unbedingt statistisch abgesicherten – weiteren Umfrage von Bitkom aus März 2020 (also zu Beginn der Krise) ca. 50 % der befragten Mitarbeitenden angegeben, ganz oder teilweise im „Homeoffice“ zu arbeiten. Tendenziell dürfte dieser Prozentsatz u. a. wegen der Notwendigkeit der Kinderbetreuung während der Schließung von Kitas und Schulen jedenfalls vorübergehend noch deutlich angestiegen sein. Außerdem war (und ist) die größtmögliche Vermeidung persönlicher Kontakte das Gebot der Stunde, um die Verbreitung des SARS-CoV-2 – Virus zu verlangsamen. Daher werden Homeoffice-Tätigkeiten unter Präventionsgesichtspunkten jedenfalls derzeit auch von vielen Unternehmen befürwortet und unterstützt. Die im Zusammenhang mit Mobile Working anfallenden Rechtsfragen sind vielfältig. Der nachfolgende Artikel konzentriert sich deshalb auf Fragen, die im Rahmen unserer Beratungstätigkeit von unseren Mandanten immer wieder gestellt werden.

Begrifflichkeiten

Der Begriff „Mobile Working“ (bzw. „Mobiles Arbeiten“) ist gesetzlich bisher nicht geregelt. Das Gesetz verwendet nur den Begriff der Telearbeit (z. B. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, § 2 Abs. 7 ArbStättV). Danach liegt Telearbeit (nur) vor, wenn

  • ein vom Arbeitgeber inklusive Mobiliar fest eingerichteter Bildschirmarbeitsplatz im Privatbereich des Mitarbeitenden vorliegt und
  • der Arbeitgeber mit dem Mitarbeitenden die wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat.

Der Begriff des Mobile Working geht erheblich weiter als der der „Telearbeit“ und umfasst – ausgenommen Dienstreisen -räumlich jede Tätigkeit des Mitarbeitenden außerhalb des Betriebes des Arbeitgebers. Diese kann grundsätzlich sowohl in der Privatwohnung des Mitarbeitenden als auch an einem sonstigen Ort (z. B. Privatwohnung eines Dritten, öffentliches Verkehrsmittel, Cafe, Park usw.) verrichtet werden; in zeitlicher Hinsicht kann sie dauerhaft oder vorübergehend außerhalb des Betriebes stattfinden.

Die Differenzierung zwischen Telearbeit und Mobile Working entspricht der (bisherigen) Sicht des Gesetzgebers. In der Begründung zur Neufassung der Arbeitsstättenverordnung (BR-Drucks. 506/16 vom 23. September 2016) werden „Telearbeit im eigentlichen Sinne“ und das „gelegentliche Arbeiten von zuhause oder während der Reisetätigkeit sowie Arbeit zu Hause ohne eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz“ voneinander abgegrenzt. Mobile Working – so die Begründung zur Neufassung der Arbeitsstättenverordnung – sei nicht mit (dauerhafter oder alternierender) Telearbeit gleich zu setzen.

Diese Begrifflichkeiten sind auch nicht nur akademischer Natur, sondern haben insbesondere auf das Arbeitsschutzrecht erhebliche Auswirkungen (vgl. nachfolgend).

Gesetzliche Regelungen

Eine umfassende gesetzliche Regelung des Mobile Working fehlt bisher. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) hat am 5. Oktober 2020 einen Gesetzentwurf für ein „Mobiles-Arbeiten-Gesetz“ (MAG) vorgelegt; ob der Entwurf in dieser Form umgesetzt wird, erscheint angesichts der harschen Kritik insbesondere aus Kreisen der Union und der Wirtschaft sowie der für 2021 anstehenden Bundestagswahl eher fraglich.

Anspruch des Mitarbeitenden / Anordnung des Arbeitgebers / Vereinbarung / Beendigung

Bis zu einer eventuellen spezialgesetzlichen Regelung und vorbehaltlich abweichender Regelungen in Tarifverträgen oder freiwilligen Betriebsvereinbarungen gilt Folgendes:

1. Anspruch des Mitarbeitenden

Der Arbeitgeber entscheidet gemäß § 106 GewO nach billigem Ermessen über Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung.

Der Arbeitgeber kann deshalb den Wunsch eines Mitarbeitenden nach Mobile Working ablehnen, sofern er das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausübt. Dies ist z. B. zu bejahen, wenn die Anwesenheit einer Mindestzahl an Mitarbeitenden im Betrieb des Arbeitgebers zur Durchführung des Betriebszwecks zwingend erforderlich ist. Gleiches gilt, wenn Mobile Working mit finanziellem / technischem Aufwand verbunden wäre; zu denken ist hier an die Beschaffung von mobilen Geräten für Mitarbeitende mit Desktop oder die Erhöhung der Anzahl der VPN-Zugänge.

Es besteht in aller Regel deshalb kein Anspruch des Mitarbeitenden auf Bewilligung einer Tätigkeit im Mobile Working aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 106 GewO (LAG Rheinland- Pfalz, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 5 Sa 378/14 – zu familiären Gründen). Dies gilt in der Regel auch für schwerbehinderte Mitarbeitende, die einen entsprechenden Anspruch auf § 164 SGB IX stützen (LAG Köln, Urteil vom 24. Mai 2016 – 12 Sa 677/13). Fraglich ist, ob in Zeiten der Corona- Pandemie eine abweichende Beurteilung geboten ist. Das ist u. E. in der Regel abzulehnen. Zwar ist die gegenwärtige Pandemie-bedingte Krisenlage eine besondere: Für Mitarbeitende, die einer Risikogruppe angehören, bestehen bei Erbringung der Arbeitsleistung im Betrieb des Arbeitgebers erhebliche Gesundheitsgefahren durch die Ansteckungsgefahr sowohl am Arbeitsplatz als auch während der Fahrt zum/vom Arbeitsplatz, sofern öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden müssen. Schulen und Kitas sind wegen Quarantäne immer wieder temporär geschlossen, alternative Betreuungsmöglichkeiten (z. B. durch die Großeltern oder private „Kita-Ersatzgruppen“) sind keine wirkliche Alternative. Das alles ändert jedoch nichts daran, dass dem Arbeitgeber auch hier die Entscheidung über das betriebliche Organisationskonzept vorbehalten bleiben muss; entgegenstehende betriebliche Gründe sowie Rücksichtnahmepflichten gegenüber anderen Mitarbeitenden bleiben deshalb für die Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens relevant. Eine „Ermessensreduktion auf Null“ wird u. E. allenfalls in ganz seltenen Ausnahmefällen zu bejahen sein.

Wenn allerdings der Arbeitgeber im Prinzip bereit ist, Mitarbeitenden ganz oder teilweise Mobile Working zu ermöglichen, wird er bei der Ausübung des ihm nach § 106 GewO eingeräumten Ermessens zumindest prüfen müssen, ob wegen des hohen Ranges der körperlichen Unversehrtheit Mitarbeitende mit Vorerkrankungen bevorzugt berücksichtigt werden können.

In der betrieblichen Praxis stellt sich gelegentlich die Frage, ob der Arbeitgeber einzelne Mitarbeitende aus „verhaltensbedingten“ Gründen von der Möglichkeit zum Mobile Working ausnehmen kann. Zu denken ist etwa an Mitarbeitende, deren Leistung bereits früher Anlaß zu Kritik geboten hat (z. B. Arbeitszeitverstöße, Schlechtleistung) und bei denen der Arbeitgeber die Sorge hat, dass sie Mobile Working dazu nutzen könnten, ihre Arbeitsleistung nicht mehr im gewünschten Umfang zu erbringen. U. E. kann der Arbeitgeber bei der Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens auch derartige Aspekte berücksichtigen, sofern die Schlechtleistung in der Vergangenheit nachprüfbar festgehalten, gegenüber dem Mitarbeitenden gerügt und von Relevanz für die Arbeit im Mobile Working ist. Die Interessen des Mitarbeitenden sind jedoch auch hier abzuwägen.

2. Anordnung des Arbeitgebers

So wenig, wie die Mitarbeitenden einen Anspruch auf Mobile Working haben, kann umgekehrt der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden zwingen, ihre Arbeitsleistung in ihren Privaträumen zu erbringen. Eine derartige Weisung ist nicht mehr vom Direktionsrecht gedeckt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. November 2018 - 17 Sa 562/18 -).

3. Vereinbarung

Eine entsprechende Vereinbarung kann ausdrücklich oder stillschweigend getroffen werden. Letzteres ist zu u. a. bejahen, wenn – wie während der Corona-Pandemie gerade in Unternehmen ohne Betriebsrat zu beobachten – der Arbeitgeber Mobile Working „anordnet“ und der Mitarbeitende das Angebot stillschweigend durch Erbringung der Arbeitsleistung an einem Ort außerhalb des Betriebs (in der Regel die Privatwohnung des Mitarbeitenden) annimmt.

4. Beendigung

Wenn der Arbeitgeber einem Wunsch des Mitarbeitenden auf Mobile Working zugestimmt hat, hat er damit sein Direktionsrecht entsprechend dem Wunsch des Mitarbeitenden ausgeübt. Streitig ist, ob der Arbeitgeber das Mobile Working in gleicher Weise – also durch erneute Ausübung seiner Direktionsrechts – beenden und erneut den Betrieb als alleinigen Arbeitsort festlegen kann; u. E. ist das zu bejahen. Diese erneute Ausübung des Direktionsrechts wird in der Regel auch durch längere vorbehaltlose Praktizierung von Mobile Working nicht ausgeschlossen.

Allerdings hat der Arbeitgeber hier – wie bei jeder Ausübung des Direktionsrechts – die Interessen des Mitarbeitenden angemessen zu berücksichtigen. Eine ohne angemessene Berücksichtigung der Interessen des Mitarbeitenden ergangene Weisung ist unwirksam und der Arbeitgeber gerät in Annahmeverzug (§ 297 BGB), d. h. äußerstenfalls muss er den Mitarbeitenden vergüten ohne die geschuldete Gegenleistung zu erhalten. Dies gilt in gleicher Weise, wenn eine Vereinbarung vorliegt. Hat sich der Arbeitgeber den voraussetzungslosen Widerruf des vereinbarten Mobile Working vorbehalten, so ist diese Klausel jedenfalls nach Ansicht des LAG Düsseldorf (Urteil vom 10. September 2014 – 12 Sa 505/14) unwirksam. Soweit in der Literatur vorgeschlagen wird, die Widerrufsgründe in die Vereinbarung aufzunehmen, erscheint das wenig praktikabel.

U. E. bleibt bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung nur die Möglichkeit, in einer Widerrufsklausel die Anforderungen der §§ 315, 106 GewO in allgemeiner Form zu nennen und diese bei der Ausübung des Widerrufs zu beachten.

Mitbestimmung des Betriebsrats

Die Einführung von Mobile Working als solche (sei es auf Wunsch des Mitarbeitenden, sei es aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung) ist mitbestimmungsfrei, da dem Betriebsrat bei die Arbeitspflicht konkretisierenden Weisungen des Arbeitgebers kein Mitbestimmungsrecht zusteht.

Gleichwohl können dem Betriebsrat im Zusammenhang mit der Durchführung von Mobile Working verschiedene Mitbestimmungsrechte zustehen. So ist denkbar, dass der Arbeitgeber Beginn und Ende der Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Erreichbarkeit während der Arbeitszeit abweichend von den sonst im Betrieb geltenden Bestimmungen regeln möchte (§ 87 Abs. 2 Nr. 2 und 3. BetrVG).

Weiter kann dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zustehen (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG), insbesondere bei der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG). Gelingt in Betrieben mit Betriebsrat hierüber keine Einigung, so wäre dem Begehren des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle gem. § 100 ArbGG in der Regel stattzugeben, da diese nicht „offensichtlich“ unzuständig ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 5 TaBV 1/20).

Arbeitszeiterfassung

Die Frage der Erfassung der Arbeitszeit kann bei Mobile Working ein Problem darstellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt der komplette Verzicht des Arbeitgebers auf die Erfassung der Arbeitszeit gegen EU-Recht. Bei der Ausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Arbeitszeiterfassung haben die EU-Mitgliedsstaaten jedoch einen Ermessensspielraum. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher von einer Novellierung des § 16 Abs. 2 ArbZG abgesehen. Die für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zuständigen Behörden (in NRW: Gewerbeaufsicht) wenden nach unseren Erkenntnissen weiterhin § 16 ArbZG in der derzeit geltenden Fassung an, ohne dass es eine Garantie gäbe, dass das so bleibt.

Mobile Working (insbesondere in der Privatwohnung des Mitarbeitenden) birgt jedoch Besonderheiten. Der klingelnde Paketbote, das Be- und Entladen der Waschmaschine oder die plötzlich im Zimmer stehenden Kinder sind nur einige Beispiele für Störungen, die in dieser Form am Arbeitsplatz im Betrieb nicht auftreten. Außerhalb von verpflichtenden Telefon-/Videokonferenzen u. ä. wird es vielen Arbeitgebern jedoch gleichgültig sein, wann genau der Mitarbeitende seine Arbeit erledigt. Der Mitarbeitende müsste bei solchen Störungen grundsätzlich regelmäßig die Zeiterfassung betätigen, um arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Es darf bezweifelt werden, dass dies immer so geschieht. Umgekehrt überschreitet die Zeit zwischen erstem Log-in und letztem Log-out bei Arbeit in der heimischen Wohnung häufig die regelmäßige vertragliche tägliche Durchschnittsarbeitszeit. Deshalb automatisch von Mehrarbeit oder gar einer „Entgrenzung von Arbeit und Privatleben“ zu sprechen, ist nach unserer Erfahrung jedoch verfehlt.

Bis zu einer Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes bzw. einer spezialgesetzlichen Regelung von Mobile Working könnte es aus unserer Sicht z. B. überlegenswert sein, die Mitarbeitenden einerseits zur mobilen Erfassung von Arbeitsaufnahme und -ende anzuhalten, ausdrücklich die Möglichkeit zu Arbeitsunterbrechungen ohne erneutes „Aus-/Einstempeln“ einzuräumen und andererseits den Anfall von Mehrarbeit von einer vorherigen ausdrücklichen Genehmigung des Vorgesetzten abhängig zu machen. Das räumt den Mitarbeitenden zwar mehr Arbeitszeitsouveränität ein und beinhaltet zugegebenermaßen auch die Gefahr eines Missbrauchs durch den Mitarbeitenden; aber dieser Gefahr sollte man eher durch stichprobenartige Kontrollen der Arbeitsleistung begegnen können (dazu nachfolgend).

Leistungs- und Verhaltenskontrolle

Die mit dem Homeoffice verbundene Arbeitszeitsouveränität bei örtlicher Abwesenheit vom Betrieb bringt nach allgemeiner Lebenserfahrung die Missbrauchsgefahr der unrichtigen Arbeitszeiterfassung mit sich. Nicht wenige Arbeitgeber ziehen deshalb Überwachungsmaßnahmen in Erwägung.

Grundsätzlich ist die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Arbeitszeiterfassungsdaten ebenso wie von Daten zur IT-Nutzung (Log-Files, Browserverläufe) durch § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG („Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses“) gerechtfertigt. Offene Überwachungsmaßnahmen erfordern nach der Rechtsprechung des BAG keinen Anfangsverdacht i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG; sie sind auch nicht auf die Aufdeckung von Straftaten beschränkt. Nach Ansicht des BAG sind nach abstrakten Kriterien durchgeführte, keinen Mitarbeitenden besonders unter Verdacht stellende offene Überwachungsmaßnahmen, die der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen sollen, auch ohne Anfangsverdacht zulässig. Um einen psychischen Anpassungsdruck zu vermeiden, hat an die Stelle der flächendeckenden eine stichprobenartige Kontrolle zu treten. So kann der Arbeitgeber beispielsweise ankündigen, die Mail- und Internetaktivitäten eingeloggter Rechner auf ungewöhnliche Verläufe zu kontrollieren, z. B. fehlende Aktivitäten über einen längeren Zeitraum. Weitergehende Maßnahmen wie die Betrachtung konkreter Aktivitätenverläufe eines Nutzers dürften hingegen nur bei Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig sein.

Besteht ein Betriebsrat, sind derartige Kontrollmaßnahmen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig.

Arbeits-und Gesundheitsschutz

Ebenfalls schwierig ist die Frage, welche Pflichten genau den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Gestattung von Mobile Working treffen und vor allem, wie er diese erfüllen soll.

Der Arbeitsstättenverordnung i.d.F vom 3. Dezember 2016 (ArbStättV) findet – wenn auch in eingeschränktem Umfang – auch auf Telearbeitsplätze Anwendung. Allerdings bestimmt § 2 Abs. 7 ArbStättV, dass als Telearbeitsplätze nur „vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich“ gelten; „fest eingerichtet“ ist ein solcher Arbeitsplatz nur, wenn der Arbeitgeber u. a. Mobiliar und Arbeitsmittel in der Privatwohnung des Mitarbeitenden installiert hat. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber kann die Anwendung der Arb- StättV vermeiden, wenn er z. B. auf die Gestellung von Büromobiliar komplett verzichtet und dem Mitarbeitenden nur einen Laptop zur Verfügung stellt oder die temporäre Mitnahme eines Desktops mit Bildschirm gestattet. Denkbar dürfte auch sein, dem Mitarbeitenden nach eigenem Ermessen die Mitnahme z. B. Bürostuhls für die Dauer der Pandemie zu gestatten, ohne dass der Arbeitgeber sich am Transport und der Aufstellung beteiligt.

Eine solche Vorgehensweise entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers bei der Novellierung der ArbStättV, wie sich aus der entsprechenden BR-Drucksache ergibt. Anwendbar bleiben allerdings die Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes, vor allem die Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG. Die Gesundheitsrisiken im betrieblichen und im privaten Umfeld können sich unterscheiden; das beginnt bei der Größe des Displays eines Laptops im Vergleich zu einem Monitor und endet bei Ergonomie, Beleuchtung und Belüftung des vom Mitarbeitender in seiner Wohnung ausgewählten Arbeitsplatzes. Streitig ist, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich vom Mitarbeitenden ein Zutrittsrecht zu seiner Privatwohnung gewähren zu lassen. Wir halten dies unter Berücksichtigung des Art. 13 GG (Schutz der Wohnung) nicht für erforderlich. Das gilt gegenwärtig umso mehr für das mit einer Kontrolle des Arbeitsplatzes verbundene Infektionsrisiko sowohl für den Mitarbeitenden als auch für den Kontrollierenden. Der Arbeitgeber darf sich deshalb darauf beschränken, anhand eines vom Mitarbeitenden auszufüllenden Fragebogens, der in aller Regel für betriebliche Arbeitsplätze bereits besteht, die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Allerdings ist das Interesse beider Parteien hieran häufig gering, zumal sich die Frage stellt, welche Abhilfemaßnahmen der Arbeitgeber ergreifen soll, wenn er Gefährdungen, die so am betrieblichen Arbeitsplatz nicht auftreten, erkennt. Es bliebe dann nur die verpflichtende Rückkehr in den Betrieb, an der aber ebenfalls keine Partei ein Interesse hat.

Die Unterweisung nach § 12 ArbSchG hängt vom Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung ab. In jedem Falle sollten Hinweise zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sowie zur Ergonomie bei Arbeit im privaten Umfeld gegeben werden.

Gesetzliche Unfallversicherung

In der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es bei Mobile Working im Prinzip keine Besonderheiten. Telearbeit ist in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Ob bei Unfällen in der Privatwohnung ein Arbeitsunfall vorliegt, hängt sehr stark vom Einzelfall ab. Grundsätzlich ist die Rechtsprechung hier bei den klassischen Fällen (Sturz auf dem Weg zur Toilette oder Küche) eher zurückhaltend, auch wenn der identische Sachverhalt im Betrieb versichert gewesen wäre.

Ausblick

Mobile Working schafft für Mitarbeitende erhebliche Freiräume bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Corona-Pandemie neben ihren vielen negativen Auswirkungen als positiven Effekt eine gesteigerte Bereitschaft vieler Arbeitgeber geschaffen hat, von diesem Instrument mehr als bisher Gebrauch zu machen. Unser Eindruck ist, dass viele Unternehmen in Übereinstimmung mit den Wünschen ihrer Mitarbeitenden auch nach Ende der Corona-Pandemie Mobile Working in viel umfassenderer Form praktizieren werden als zuvor. Derzeit sind insbesondere die Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung und zum Arbeitsschutz dieser neuen Arbeitsform noch nicht ausreichend angepasst. Ob das vom BMAS auf den Weg gebrachte „Mobile-Arbeit-Gesetz“ in seiner bisher bekannt gewordenen Form geeignet ist, Mobile Working zu vereinfachen, zu entbürokratisieren und so eine echte Hilfe für Arbeitgeber und Mitarbeitende zu sein, darf bezweifelt werden. Bis dahin sind Arbeitgeber, Mitarbeitende und – sofern vorhanden – Betriebsräte aufgerufen, gemeinsam praktikable Lösungen zu finden, auch wenn letzte Rechtsunsicherheiten sich nicht immer werden vermeiden lassen.

Autor:

Michael Rinke 
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln

Crowdworking: Eine Beschäftigung zwischen Selbständigkeit und Abhängigkeit

Die fortschreitende Digitalisierung – auch und gerade in Zeiten der Corona-Pandemie – führt dazu, dass neue Beschäftigungsformen immer weiter auf dem Vormarsch sind. Hierzu zählt auch das sog. Crowdworking, welches insbesondere arbeits- und sozialrechtliche Fragestellungen aufwirft. Als Tätigkeiten zu nennen sind z. B. das Ausliefern von Essen, Fahrdienste sowie Mystery-Shopping. Bekannt sind Plattformen wie Uber, Deliveroo und Clickworker.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wird sich im Dezember 2020 mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei einem Crowdworker um einen Arbeitnehmer handelt. Sollte dies der Fall sein, unterfällt der Crowdworker nicht nur (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) dem Kündigungsschutzgesetz. Es sind insbesondere auch die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Im Blick zu behalten ist zudem auch eine Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen.

Dem nunmehr beim BAG anhängigen Verfahren liegt folgender Fall zugrunde:

Die Beklagte stellt eine Plattform zur Verfügung, über die Unternehmen bestimmte Aufträge vergeben können. Die Beklagte stellt die Aufträge auf ihrer Plattform ein und bei der Beklagten registrierte Auftragnehmer können diese Aufträge dann annehmen. Zwischen der Beklagten und den Auftragnehmern, hier dem Kläger, besteht eine sog. „Basis-Vereinbarung“, es wurden die Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen akzeptiert und die erforderliche App für das Smartphone wurde heruntergeladen.

Die zwischen dem Kläger und der beklagten Plattform vereinbarte „Basis-Vereinbarung“ war jederzeit kündbar. In den Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen war u. a. bestimmt, dass mit Auftragsannahme allein ein Vertragsverhältnis zwischen der Plattform und dem Crowdworker entsteht. Zwischen dem Crowdworker und dem Auftraggeber entstand kein Vertragsverhältnis (sog. indirektes Crowdworking). Die Aufträge waren nach detaillierten Vorgaben durchzuführen. Nach korrekter Auftragsdurchführung erhielt der Crowdworker die vereinbarte Vergütung. Es war ein Level- System implementiert, wonach mit steigendem Level lukrativere Aufträge angenommen werden konnten. Dem Crowdworker stand es jederzeit frei, einen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen. Ein Anspruch auf Auftragsangebote bestand vertraglich nicht. Vorgaben zum Arbeitsort oder Arbeitszeit existierten nicht, gleichwohl waren projektbezogene inhaltliche und zeitliche Vorgaben gemäß dem jeweiligen Auftrag einzuhalten. Der Kläger war jahrelang über die beklagte Plattform durchschnittlich 20 Stunden pro Woche tätig. Seine monatliche Durchschnittsvergütung betrug ca. EUR 1.750. Aufgabe des Klägers war es meistens, innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums Warenpräsentationskontrollen z. B. in Tankstellen durchzuführen, ein Foto zu machen und dieses an den Auftraggeber zu senden.

Nachdem der Kläger eine E-Mail erhielt, dass ihm über die Plattform zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine Aufträge mehr angeboten und sein Account geschlossen werden würde, klagte er auf Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der vermittelnden Plattform besteht.

Das Landesarbeitsgericht München (LAG) entschied, dass der Kläger nicht als Arbeitnehmer einzustufen sei (Urteil vom 4. Dezember 2019, Az. 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316). Die zugrundeliegende vertragliche Konstruktion ist fürs Crowdworking typisch. Deshalb ist sie auch für uns relevant. Über die gegen das Urteil zugelassene Revision wird das BAG am 1. Dezember 2020 entscheiden (Az. 9 AZR 102/20). Das LAG München begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass aufgrund der Basis-Vereinbarung kein Arbeitsvertrag begründet worden sei. Danach habe generell keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung bestanden. Dem Kläger habe es frei gestanden, Aufträge anzunehmen. Etwas Gegenteiliges habe der Kläger nicht darlegen und beweisen können.

Die Basis-Vereinbarung stelle lediglich einen Rahmenvertrag dar, der nur die Bedingungen der noch abzuschließenden „Arbeitsverträge“ wiedergebe. Auch aus der faktischen Auftragsdurchführung folge nichts anderes, insbesondere da der Kläger nicht aufgezeigt habe, dass von einem dauerhaften Arbeitsverhältnis auszugehen sei. Weiter führte das LAG München aus, dass allein die vergleichsweise hohe Auftragszahl keine Grundlage dafür sei, einen anderen „wahren“ Geschäftsinhalt anzunehmen als von der Basis-Vereinbarung vorgesehen. Es habe keine Pflicht zur Auftragsübernahme bestanden. Eine Eingliederung in den Betrieb der Plattform sei ebenfalls nicht erfolgt. Der Kläger hatte vorgetragen, auf die durch die Tätigkeit erzielten Einkünfte angewiesen zu sein. Insoweit verwiesen ihn die Richter in München jedoch darauf, dass es für den Arbeitnehmerbegriff auf eine persönliche, nicht auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit ankäme. Durchschlagende Anhaltspunkte für eine persönliche Abhängigkeit aufgrund des implementierten Level-Systems sah das LAG München ohnehin nicht, weil bei Nichtannahme von Aufträgen keine Herabstufung erfolgte. Eine Verpflichtung zum Tätigwerden wider Willen aufgrund der technischen Möglichkeit des „Trackens“ des Aufenthaltsorts der Crowdworker sei letztlich auch nicht nachvollziehbar. Das Tracking wurde im zu entscheidenden Fall genutzt, um Angebote innerhalb eines bestimmten Gebiets anzubieten.

Offen lassen konnte das LAG München, ob durch die Auftragsannahme und Erledigung binnen des Zeitfensters jeweils ein befristeten Arbeitsverhältnis begründet wurde. Die Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG war nicht gewahrt, so dass möglicherweise mit jedem einzelnen Kleinstauftrag ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen worden ist. Der Kläger hatte jedoch die Frist des § 17 TzBfG (Befristungskontrollklage) versäumt, so dass das LAG München diese Frage nicht entscheiden musste.

Auch das Landesarbeitsgericht Hessen hat in einem vergleichbaren Fall (Beschluss vom 14. Februar 2019, Az. 10 Ta 350/18, NZA-RR 2019, 505) die Arbeitnehmereigenschaft verneint. Es stellte ebenfalls auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien des § 611a Abs. 1 BGB bei der statusrechtlichen Einordnung ab. In dem Verfahren ging es um einen Busfahrer, der sich, ohne ein eigenes Fahrzeug zu besitzen, für nur eine Busreise über eine Plattform bei einem Busunternehmen beworben hatte. Die Richter entschieden, dass der Busfahrer kein Arbeitnehmer sei. Es spräche tendenziell gegen die Arbeitnehmereigenschaft, wenn die geschäftliche Beziehung nur wenige Tage andauern solle und eine Eingliederung in den Geschäftsbetrieb des Auftraggebers nicht stattgefunden habe. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit sei nicht erkennbar. Die Entscheidung des BAG ist vor diesem Hintergrund mit großer Spannung zu erwarten. Wir ordnen sie nachfolgend in den derzeitigen Stand der Diskussion ein und setzen uns sodann mit den möglichen Folgen auseinander:

Was ist Crowdworking?

Beim „typischen“ Crowdworking können Unternehmen über eine webbasierte Vermittler-Plattform Arbeitsaufträge anbieten, die ein oder auch mehrere Auftragnehmer (Freelancer) annehmen und nach vorgegebenen Vorgaben ortsunabhängig erbringen können. Der Beitritt zur Plattform begründet weder einen Anspruch auf Zuteilung eines Auftrags, noch eine Pflicht zum Tätigwerden.

Charakteristisch ist ein Dreiecksverhältnis zwischen Crowdworker, Auftraggeber und Vermittler. Dabei pflegt der Vermittler jedenfalls zum Crowdworker und Auftraggeber Vertragsbeziehungen (meist über einen Rahmenvertrag) und üblicherweise zahlen Auftraggeber dem Vermittler Vermittlungsprovisionen. Wird ein Auftrag angenommen, wird gleichzeitig ein Einzelauftrag über die beauftragte Tätigkeit geschlossen. Dieser bildet die Grundlage für den Honoraranspruch. Interessant ist vor allem das externe Crowdworking. Dabei werden Arbeitsaufträge an externe Personen über eine Plattform vermittelt. Beim sog. „direkten Crowdworking“ dient die Plattform nur als Vermittler. Dann wird zwischen dem Crowdworker und dem Auftraggeber ein Vertragsverhältnis (Einzelauftrag) geschlossen. Beim „indirekten Crowdworking“ besteht ein Vertragsverhältnis zwischen der Plattform und dem Crowdworker (Rahmenvertrag und Einzelauftrag), die Plattform ist mithin alleiniger Vertragspartner des Crowdworkers. Diese Konstellation liegt dem vom BAG zu entscheidenden Verfahren zugrunde.

Gesetzliche Ausgangslage

Ob Crowdworker tatsächlich selbstständig sind oder ob sie ein Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber oder zum Vermittler begründet haben, ist noch ungeklärt. Die Ermittlung des Status des Crowdworkers ist daher essentiell, da sich weitreichende Rechtsfolgen ergeben.

Arbeitsrecht

a) Arbeitnehmer

Dass ein Arbeitnehmer eine Person ist, die auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, ist hinlänglich bekannt und spätestens durch § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB kodifiziert. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Derjenige, der weder seine Tätigkeit, noch die Arbeitszeit und den Arbeitsort im Wesentlichen frei gestalten kann, ist Arbeitnehmer.

Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Nach der Rechtsprechung des BAG zeichnet sich eine persönliche Abhängigkeit durch weisungsgebundene, in eigener Person zu erbringende Arbeit und die Eingliederung in die Organisation des Arbeitgebers aus. Weisungsgebunden ist ein Beschäftigter, soweit er im Wesentlichen nicht frei über seine Tätigkeit, die Arbeitszeit, die Arbeitsdauer und den Arbeitsort bestimmen kann. Er ist überwiegend also fremdbestimmt.

Aber wie sieht es mit Crowdworkern aus? Charakteristisch ist für diese Personengruppe vornehmlich, dass sie

  • frei in der Auswahl der Arbeitsaufträge, der Arbeitszeit und des Arbeitsorts sind,
  • regelmäßig weisungsfrei sind, aber Rahmenbedingungen und Einzelaufträge konkretisieren die Aufgaben,
  • nicht in den Betrieb der Plattform und/oder Auftraggeber eingegliedert sind,
  • keine Arbeitsmittel unentgeltlich bereitgestellt bekommen,
  • weder Urlaubs- noch Entgeltfortzahlungsansprüche haben und
  • die Arbeitsleistung nicht persönlich erbringen müssen.

Grundsätzlich ist ein Crowdworker also überwiegend selbstbestimmt tätig, da er schon nicht verpflichtet ist, Aufträge überhaupt anzunehmen. Es fehlt damit an einer Arbeitspflicht sowie einer persönlichen Abhängigkeit. Ferner unterliegt der Crowdworker weder einer örtlichen noch einer zeitlichen Weisungsgebundenheit. Er kann den Arbeitsort und die Arbeitszeit, in der er Aufträge erbringen möchte, frei wählen. Auch die Vorgabe der Auftragsdurchführung innerhalb eines kurzen Zeitfensters spricht nicht gegen eine Weisungsunabhängigkeit. Hierdurch wird lediglich die Tätigkeit auftragsorientiert konkretisiert. Gegen eine Arbeitnehmereigenschaft spricht zudem die Möglichkeit, eigene Mitarbeiter einzusetzen. Ein Arbeitnehmer ist demgegenüber zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verpflichtet.

Auch wenn § 611a Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisationsform vorsieht, so ist sie dennoch zu berücksichtigen. Dies spricht vorliegend als weiteres Indiz gegen eine Arbeitnehmereigenschaft des Crowdworkers. Er ist weder in den Betrieb der Plattform noch die des Auftraggebers eingegliedert. Der Crowdworker wird in der Regel weder ein Büro, noch sonstige Arbeitsgeräte der Plattform oder des Auftraggebers nutzen. Auch wird er nicht organisatorisch oder hierarchisch in Arbeitsabläufe einbezogen werden. Dass die Nutzung einer App bzw. Plattform zur Auftragsannahme erforderlich ist, ist für sich betrachtet nicht ausreichend. Bereits im Jahr 2000 entschied das Bundesarbeitsgericht im Falle eines programmgestaltenden Rundfunkmitarbeiters, dass das bloße Angewiesensein auf technische Einrichtungen für sich genommen nicht ausreichend ist, um eine Arbeitnehmereigenschaft zu bejahen (Urteil vom 19. Januar 2000, Az. 5 AZR 644/98).

Wird ein Crowdworker gleichwohl als Arbeitnehmer eingestuft, hätte das weitreichende Folgen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das deutsche Arbeitsrecht Anwendung findet, soweit die Tätigkeit in Deutschland erbracht wird. Das würde dazu führen, dass für den Crowdworker nicht nur Sozialabgaben zu zahlen wären, sondern auch, dass der Crowdworker zahlreichen Arbeitnehmerschutzrechten (z. B. Mindestlohngesetz, Bundesurlaubsgesetz, Entgeltfortzahlungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz und Betriebsverfassungsgesetz) unterliegen würde. Ob dann der Auftraggeber oder der Plattformbetreiber als Arbeitgeber gelten würde, hängt vom Einzelfall ab.

b) Arbeitnehmerähnliche Personen

Das Fehlen einer Arbeitnehmereigenschaft schließt jedoch nicht aus, den Crowdworker als arbeitnehmerähnliche Person zu qualifizieren. Dies hat zur Folge, dass insbesondere ein Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn, der gesetzliche Urlaubsanspruch sowie Schutz nach dem Arbeitsschutzgesetz bestünde. Bei dieser Personengruppe handelt sich um Selbständige, die zwar nicht persönlich, aber wirtschaftlich abhängig sind. Letzteres ist gegeben, wenn der Betroffene auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Dienstleistung zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist. Aus der Höhe der vertraglich eingeräumten Vergütung resultiert oftmals die soziale Schutzbedürftigkeit der Person und die Behandlung wie einen Arbeitnehmer.

Grundsätzlich hat der Crowdworker zwar verschiedene Auftraggeber, so dass er von diesen – einzeln betrachtet – nicht wirtschaftliche abhängig ist. Möglicherweise ist der Crowdworker aber wirtschaftlich von der vermittelnden Plattform abhängig, so dass eine Arbeitnehmerähnlichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen wäre. Dann wäre weiter zu untersuchen, ob der Crowdworker im Einzelfall ggf. Heimarbeiter nach dem Heimarbeitergesetz (HAG) ist.

c) Befristetes Arbeitsverhältnis

Zudem ist zu prüfen, ob das Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) bei Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft einschlägig ist. Bei sehr kurzzeitigen Einsätzen scheitert die Anwendbarkeit im Zweifel an der fehlenden Arbeitnehmereigenschaft. Dennoch ist hier große Vorsicht geboten. Wenn wider Erwarten die Arbeitnehmereigenschaft bejaht wird, wäre in der Regel die Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG nicht eingehalten. Dies hat dann zur Folge, dass ein unbefristeten Arbeitsverhältnis besteht.

Sozialrecht

Neben arbeitsrechtlichen Fragestellungen schwingen auch stets solche des Sozialrechts mit. Die Risiken liegen aufgrund der drohenden Sozialversicherungsbeitragszahlungen auf der Hand. Als zu bewertendes Beschäftigungsverhältnis kommt der jeweilige Einzelauftrag (entweder mit dem Plattformbetreiber oder dem Auftraggeber) in Betracht, da aufgrund des Rahmenvertrags bereits keine Arbeitspflicht hergeleitet werden kann. Eine andere Bewertung könnte für den Fall resultieren, dass der Crowdworker zur Übernahme einer bestimmten Anzahl von Aufträgen verpflichtet ist.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass einige Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Absatz 1 SGB IV sprechen. Zum einen könnte die bereits erwähnte Nutzung einer App zur Auftragsverwaltung als Eingliederung in den Betrieb verstanden werden. Zum anderen sind z. B. die Implementierung gewisser Kontrollmechanismen (Fertigung von Fotos/Screenshots als Nachweis der Auftragserfüllung, Nachverfolgung von GPS-Daten bei der Essensauslieferung etc.) sowie das Tragen einer Dienstkleidung (z. B. Essenslieferung) eher untypisch für eine selbständige Tätigkeit. Gleichwohl bleibt die Weisungsgebundenheit zentrales Merkmal einer abhängigen Beschäftigung. Diese ist bei einem Crowdworker schwerlich zu bejahen. Dennoch tendiert die Deutsche Rentenversicherung derzeit dazu, dieses Merkmal sehr weit auszulegen. Im Zweifelsfall sollte deshalb die Einleitung eines sog. Statusfeststellungsverfahren bei der „Clearingstelle“ der Deutschen Rentenversicherung gemäß § 7a SGB IV geprüft werden. Dies gilt umso mehr, als einschlägige sozialgerichtliche Rechtsprechung zu Crowdworking noch nicht existiert. Zu vergleichbaren „Freelancern“ gibt es zwar Rechtsprechung. Darin zeichnet sich aber noch kein einheitliches Bild ab. So hat das Bundessozialgericht jedenfalls in einer Randnotiz angemerkt, dass auch bei digital geprägten Konstellationen alle möglichen Vertragsverhältnisse zu berücksichtigen sein könnten (BSG, Urteil vom 14. März 2018, Az. B 12 KR12/17 R, BeckRS 2018, 14960, Rn. 22).

Datenschutzrecht

Nicht näher beleuchtet werden soll, wie weit das Datenschutzrecht auf das Crowdworking ausstrahlt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei Auftragsdurchführung jedenfalls eine Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgt und möglicherweise eine Speicherung der Daten auf dem privaten Mobiltelefon des Crowdworkers erfolgt. Es ist zu empfehlen, den Crowdworker umfassend zur Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften und zur Umsetzung technischer und organisatorischer Maßnahmen zu verpflichten, insbesondere soweit eine Auftragsdatenverarbeitung im Sinne des Art. 28 Abs. 3 DSGVO vorliegt.

Europarecht

Durch die im Jahr 2019 beschlossene Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU (RL 2019/1152/EU) soll die bisherige Nachweisrichtinie (RL 91/533/EWG) aus 1991 abgelöst werden. Durch die neue Richtlinie sollen u. a. Crowdworkern mehr Rechte eingeräumt werden, wodurch ihre Beschäftigung planbarer werden soll. So sollen Crowdworker folgenlos Aufträge ablehnen können und eine Entschädigung erhalten, wenn die Auftragsdurchführung nicht rechtzeitig abgesagt wird. Die neue Richtlinie ist aber bis dato noch nicht in deutsches Recht umgewandelt worden.

Einen ausführlichen Beitrag zu der neuen Richtlinie hat unser Kollege Klaus Thönißen auf dem Blog Expertenforum Arbeitsrecht verfasst, der hier zu finden ist: https://efarbeitsrecht.net/ crowdworking-neue-eu-richtlinie/  

Fazit

Die Entscheidung des Landesarbeitsgericht München ist sehr begrüßenswert. Anhand klarer Kriterien kommt es zu dem Ergebnis, dass eine persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit im zu entscheidenden Fall nicht gegeben ist. Ein Einfallstor könnte für die Erfurter Richter jedoch sein, dass das LAG München es dahinstehen ließ, ob der Crowdworker möglicherweise als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen ist. Der Kläger hatte jedenfalls vorgetragen, auf die Einkünfte aus der Tätigkeit angewiesen zu sein. Da der Kläger nicht innerhalb von drei Wochen – wie in § 17 TzBfG geregelt – Befristungskontrollklage erhoben hatte, beleuchtete das LAG München zudem nicht , ob zwischen dem Crowdworker und dem Auftraggeber ein Arbeitsvertrag begründet worden sein könnte. Das Gericht führte jedoch aus, dass der Rahmenvertrag „nur die Bedingungen der noch abzuschließenden Arbeitsverträge“ abbilde.

Klar ist jedenfalls, dass letztlich der Gesetzgeber wird handeln müssen. Aufgabe des Gesetzgebers wird es sein, den Spagat zwischen der Schaffung sozialverträglicher Arbeitsbedingungen und der schnell wachsenden, flexiblen Arbeitswelt 4.0 zu schaffen. Solange noch keine klaren Vorgaben bestehen, ist jedenfalls anzuraten, die Auftragsverhältnisse so zu gestalten, dass insbesondere die aufgezeigten Risiken aus dem Arbeits- und Sozialrecht vermieden werden. So sollten die jeweiligen Einzelaufträge vor Tätigkeitsbeginn schriftlich erfolgen. So wird – eine Arbeitnehmereigenschaft einmal unterstellt – die Schriftform des TzBfG gewahrt. Ferner sind die Aufträge so genau zu formulieren, dass es keiner weiteren Weisungen bedarf. Dann ist eine persönliche Abhängigkeit nicht gegeben. Unabhängig hiervon ist jedoch die Frage der Sozialversicherungspflicht zu beurteilen. So wird die Entscheidung des BAG jedenfalls nicht ohne Weiteres auf den Sozialversicherungszweig zu übertragen sein. Wenn also eine hohe Vergütung oder eine längerfristige Tätigkeit im Raum steht (und damit die erhöhte Gefahr von Sozialversicherungsbeiträgen in nicht zu vernachlässigender Höhe), sollte ein Statusfeststellungsverfahren in Betracht gezogen werden.

Autoren:

Katharina Gorontzi, LL.M. und Jana Voigt
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf

Vergütungspflichtige Arbeitszeit – Fahrtzeit

Die Fahrtzeit eines Außendienstmitarbeiters von der Wohnung zum ersten Kunden bzw. vom letzten Kunden zur Wohnung ist grundsätzlich vergütungspflichtige Arbeitszeit. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages, der keine Öffnungsklausel enthält, sind abweichende betriebliche Regelungen nicht möglich.

BAG, Urteil vom 18.03.2020 – 5 AZR 36/19

Der Fall

Die Parteien stritten um die Vergütungspflicht von Fahrtzeiten des Klägers. Dieser ist bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Der Kläger fährt – wie bei Außendienstmitarbeitern der Beklagten typisch – arbeitstäglich von seiner Wohnung zum ersten Kunden und kehrt vom letzten Kunden wieder zu seiner Wohnung zurück. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung. Nach dessen Regelungen sind sämtliche Tätigkeiten zur Erfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflichten mit der tarifvertraglichen Grundvergütung abzugelten. Daneben findet auf das Arbeitsverhältnis eine Betriebsvereinbarung Anwendung. Die Betriebsvereinbarung sieht vor, dass die Fahrtzeiten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden erst zur Arbeitszeit zählt, soweit sie jeweils 20 Minuten überschreiten. Der Kläger ist hingegen der Auffassung, dass es sich bei den Fahrtzeiten insgesamt um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt.

Die Entscheidung

Nachdem der Kläger vor dem Arbeits- und dem Landesarbeitsgericht unterlag, gab ihm das BAG schließlich recht. Der Entscheidung sind zwei wesentliche Aspekte zu entnehmen:

a) Vergütungspflichtige Arbeitszeit

Das BAG arbeitet zunächst heraus, dass es sich bei den Fahrtzeiten des Klägers zwischen der Wohnung und dem ersten Kunden bzw. von dem letzten Kunden zur Wohnung um grundsätzlich vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt. Dies deshalb, da zu den vom Kläger versprochenen Diensten im Sinne des § 611a Abs. 1 BGB nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende sonstige Tätigkeit, die mit der eigentlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, gehört. Der Arbeitgeber ist hiernach zur Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts abverlangt, verpflichtet. Hat der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen, gehört das Fahren zur außerbetrieblichen Tätigkeitsstätte zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, da sie mit den übrigen Fahrten (vom ersten Kunden zum zweiten Kunden usw.) eine untrennbare Einheit bildet. Dabei spielt es keine Rolle, ob Fahrtbeginn und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen.

b) Abweichende Regelung durch Betriebsvereinbarung

Dass es sich bei den Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters dem Grunde nach um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt, besagt aber noch nichts darüber, wie diese Zeit zu vergüten ist. Die Parteien können für Fahrtzeiten die Vergütung (vorbehaltlich der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns) auch gänzlich ausschließen.

Insofern prüfte das BAG zunächst, ob durch die Betriebsvereinbarung der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers für die ersten 20 Minuten der Fahrtzeit ausgeschlossen wurde. Zwar regelt die Betriebsvereinbarung dem Wortlaut nach nicht unmittelbar den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers. Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung – so das BAG – zielt hierauf jedoch ab, u. a. weil durch die Regelung auch die Vergütung der Überstunden beeinflusst wird. Dies zugrunde gelegt stellte sich die Frage, ob die Betriebsvereinbarung wegen des Regelungsvorrangs des Tarifvertrages (§ 77 Abs. 3 BetrVG) teilweise unwirksam ist. Auch dies bejaht das BAG, da der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag die Vergütung abschließend regelt und auch keine Öffnungsklausel für betriebliche Regelungen enthält.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des 5. Senats des BAG überrascht in Ansehung einer früheren Entscheidung des 1. Senats des BAG. Dieser hatte mit Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 1 ABR 59/05 in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass es sich bei einer Betriebsvereinbarung über die Anerkennung bestimmter Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters als Arbeitszeit weder um eine Vergütungsregelung noch um eine Regelung über die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit handelt und die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung somit nicht gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verstieß. Der 5. Senat des BAG geht hierüber jedoch hinweg, da beiden Entscheidungen jeweils andere Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge zugrunde lagen.

Für die Praxis dürfte die Entscheidung des 5. Senats des BAG jedenfalls zur Folge haben, dass durch Betriebsvereinbarungen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages Fahrtzeiten in der Regel nicht von der vergütungspflichtigen Arbeitszeit ausgenommen werden können, soweit der Tarifvertrag nicht ausnahmsweise eine Öffnungsklausel enthalten sollte.

Autor

Joschka Pietzsch
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung nach Ausscheiden des Betriebes aus dem Konzern

Eine Konzernbetriebsvereinbarung gilt als Einzelbetriebsvereinbarung normativ weiter, wenn durch Übertragung der Geschäftsanteile eines Konzernunternehmens (Share Deal) ein dazugehöriger Betrieb aus dem Konzern ausscheidet und nicht dem Geltungsbereich einer im neuen Konzernverbund geltenden Betriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand unterfällt.

BAG, Beschluss vom 25.02.2020 – 1 ABR 39/18

Der Fall

Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin streiten über die Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung. Die ehemalige M-AG schloss 1988 mit dem bei ihr errichteten Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorge, die Rentenleistungen für Beschäftigte des M-Konzerns vorsah. Der Betrieb S der konzernangehörigen MK AG unterfiel dem Geltungsbereich der Konzernbetriebsvereinbarung. Zwischen 1997 und 1999 wurden durch Share Deal die Gesellschaftsanteile der MK AG sukzessive auf ein nicht zum M-Konzern gehörendes Unternehmen übertragen. Im Jahr 2001 sind die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb S beschäftigten Arbeitnehmer infolge eines Asset Deals durch Betriebsübergang (§ 613 a BGB) auf die beklagte Arbeitgeberin übergegangen. Diese führte die Altersvorsorge für die übernommenen Arbeitnehmer zunächst fort und kündigte schließlich gegenüber dem bei ihr gebildeten Betriebsrat die Betriebsvereinbarung.

Der Betriebsrat begehrt mit seinem Prozessantrag die Feststellung, dass die Konzernbetriebsvereinbarung nach dem Ausscheiden der MK AG aus dem M-Konzern und dem Übergang der Arbeitsverhältnisses des Betriebes S auf die beklagte Arbeitgeberin bis zu deren Kündigung normativ als Einzelbetriebsvereinbarung weitergegolten und daher auch Ansprüche für die bis zur Kündigung neu in den Betrieb eingetretenen Arbeitnehmer begründet hat. Erst- und zweitinstanzlich ist dem Antrag des Betriebsrats entsprochen worden.

Die Entscheidung

Das BAG hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Weder die Übertragung der Geschäftsanteile der MK AG auf das nicht zum M-Konzern gehörende Unternehmen noch der später erfolgte Betriebsübergang auf die beklagte Arbeitgeberin stehe der normativen Fortgeltung der Konzernbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung im Betrieb S entgegen.

Nach Ansicht des BAG gelten Konzernbetriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend weiter (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), wenn der Vertragsarbeitgeber aus einem Konzern ausscheidet und in einem neuen Unternehmensverbund eine Betriebsvereinbarung zum selben Regelungsgegenstand nicht existiert oder der Betrieb des Arbeitnehmers nicht dem Geltungsbereich einer solchen Betriebsvereinbarung unterfällt. Wie Einzel- und Gesamtbetriebsvereinbarungen gestalte auch eine Konzernbetriebsvereinbarung inhaltlich ausschließlich die kollektive Ordnung der von ihr erfassten Betriebe. Für die Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung sei deshalb unerheblich, dass diese – im Gegensatz zu Einzel- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen – von einem anderen Rechtsträger als dem der betroffenen Betriebe geschlossen worden ist. Dass die Konzernbetriebsvereinbarung zugleich in Betrieben anderer Unternehmen gilt, ändere nichts an ihrer betriebsbezogenen Normwirkung.

Die normative Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung nach einem Share Deal scheitere auch nicht daran, dass der bislang zuständige Konzernbetriebsrat beim Ausscheiden des Unternehmens aus dem Konzern die Interessenvertretung der Arbeitnehmer der betroffenen Betriebe nicht länger wahrnimmt. Der Fortbestand oder die fortdauernde Zuständigkeit desjenigen (Gesamt-)Betriebsrats, der in der Vergangenheit eine (Gesamt-)Betriebsvereinbarung abgeschlossen hat, sei keine zwingende Voraussetzung für die Fortgeltung der von ihm mitgeschaffenen betrieblichen Normen. Für Konzernbetriebsvereinbarungen gelte nichts anderes. Gehören dem aus einem Konzern ausscheidenden Unternehmen mehrere Betriebe an, gelte diese als Gesamtbetriebsvereinbarung fort. Unterhält das ausscheidende Unternehmen nur einen Betrieb, gelte die Konzernbetriebsvereinbarung in diesem als Einzelbetriebsvereinbarung normativ weiter.

Ein inhaltlicher Konzernbezug der durch die Konzernbetriebsvereinbarung ausgestalteten Angelegenheit hindere deren Fortgeltung in dem Betrieb oder den Betrieben des ausscheidenden Unternehmens ebenfalls grundsätzlich nicht. Dem Interesse des Unternehmens an einer etwa erforderlichen Regelungsmodifikation sei dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass es mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung oder mit Hilfe der betriebsverfassungsgesetzlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten unternehmensbezogene Anpassungen der Betriebsvereinbarung vornehmen kann. Die Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung scheide nach diesen Grundsätzen nur aus, wenn ihr Inhalt die Unternehmenszugehörigkeit zum bisherigen Konzern zwingend voraussetzt oder sie nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmensverbund gegenstandslos wird.

Der Betriebsübergang der im Betrieb S beschäftigten Arbeitnehmer auf die beklagte Arbeitgeberin im Jahr 2001 ändert nach Ansicht des BAG ebenfalls nichts an der normativen Fortgeltung der Betriebsvereinbarung. Der Betrieb sei als wirtschaftliche Einheit im Sinne des § 613 a Abs. 1 BGB fortgeführt und die Betriebsidentität gewahrt worden.

Unser Kommentar

Erwartungsgemäß führt das BAG seine bisherige Rechtsprechung zur normativen Fortgeltung von Einzel- und Gesamtbetriebsvereinbarungen konsequent nun auch für Konzernbetriebsvereinbarungen fort.

Behält im Zuge eines Share Deals oder eines z. B. durch Asset Deal ausgelösten Betriebsübergangs ein unternehmenszugehöriger Betrieb seine Identität unverändert bei, gelten bereits zuvor in diesem Betrieb gültige Einzel-, Gesamtoder Konzernbetriebsvereinbarungen normativ beim Erwerber weiter, es sei denn, bei diesem existieren betriebliche Vereinbarungen zum selben Regelungsgegenstand oder der übergegangene Betrieb unterfällt nicht dem Geltungsbereich einer solchen existenten Betriebsvereinbarung. Dies gilt für Betriebsvereinbarungen über betriebliche Versorgungsleistungen ebenso wie für andere Inhalte. Nach der Rechtsprechung des BAG gilt dies auch beim Übergang eines Betriebsteils, sofern dieser nicht in einen anderen Betrieb eingegliedert wird.

Vor einem Anteilserwerb oder absehbaren Betriebsübergang ist der Erwerber hiernach gut beraten, die beim Veräußerer gültigen Betriebsvereinbarungen einzusehen und innerhalb des eigenen Hauses zu prüfen, inwieweit vorhandene Betriebsvereinbarungen nach ihrem Inhalt die Ablösung „betriebsfremder“ Regelungen bewirken oder mit welchen sinnvollen und bei der eigenen Arbeitnehmervertretung rechtzeitig durchsetzbaren Modifikationen dies gegebenenfalls erreicht werden kann. Lässt sich nicht vermeiden, dass nicht gewollte Regelungen in den Erwerberbetrieb „hineingetragen“ werden und auch für künftige Neueinstellungen Wirkung entfalten, verbleibt dem Erwerber vorbehaltlich abweichender Abreden noch die Möglichkeit, die betreffenden Betriebsvereinbarungen (unmittelbar) nach dem Betriebsübergang (vorsorglich) zu kündigen.

Autor: 

Robert Pacholski
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Leipzig

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall während der Weiterbeschäftigung

Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzahlung an Feiertagen besteht dann nicht, wenn der gekündigte Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vorläufig weiterbeschäftigt wird.

BAG, 27.05.2020, 5 AZR 247/19

Zum Fall:

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Feiertagsvergütung während einer Prozessbeschäftigung. Der Kläger war seit November 2010 als Schlosser bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2015. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Die Beklagte wurde zudem verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Unter Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen verlangte der Kläger von der Beklagten die Weiterbeschäftigung. Die Beklagte erklärte daraufhin, den Kläger zur Abwendung von etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen zu beschäftigen. Der Kläger nahm am 31. August 2017 seine Arbeit bei der Beklagten wieder auf. Der Kläger erkrankte am selben Tag und war bis 10. September 2017 sowie in der Zeit vom 27. September bis zum 30. Oktober 2017 arbeitsunfähig. Die Beklagte vergütete dem Kläger die von ihm geleisteten Arbeitsstunden, nicht aber die infolge von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und an gesetzlichen Feiertagen ausgefallenen Arbeitszeiten.

Die Parteien beendeten das Kündigungsschutzverfahren in der Berufungsinstanz durch Vergleich. Die Parteien einigten sich darin, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2015 beendet sei. Der Kläger macht in einem neuen arbeitsgerichtlichen Verfahren die Vergütung von Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und arbeitsfreien Feiertagen während der Weiterbeschäftigung geltend, die die Beklagte nicht vergütet hatte.

Das ArbG gab der Klage statt. Die Berufung vor dem LAG Hamm hatte teilweise Erfolg.

Die Entscheidung:

Das BAG wies die Revision des Klägers als unbegründet ab. Der Kläger hat für die Dauer der vorläufigen Weiterbeschäftigung im Rahmen einer Prozessbeschäftigung weder einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) noch auf Entgeltzahlung an Feiertagen gem. § 2 EFZG.

Der Kläger sei im Zeitraum der Weiterbeschäftigung kein Arbeitnehmer im Sinne des EFZG gewesen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des EFZG ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Das Vorliegen eines solchen richtet sich nach den allgemeinen Regelungen. Die Arbeitnehmereigenschaft setzt eine Verpflichtung zur weisungsgebundenen Tätigkeit auf Grundlage eines gegenseitigen Vertrages voraus. Ein solcher Arbeitsvertrag lag im Zeitraum der Weiterbeschäftigung nicht vor. Die Parteien hatten das Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen Vergleich mit Wirkung zum 30. September 2017 beendet.

Die Parteien hatten kein neues Arbeitsverhältnis begründet. Eine Vereinbarung eines durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage auflösend bedingten Arbeitsverhältnisses wurde nicht vereinbart. Die Beklagte ist mit der Beschäftigung des Klägers lediglich ihren Rechtspflichten aus der erstinstanzlichen Entscheidung des Kündigungsschutzverfahrens nachgekommen. Das Arbeitsgericht titulierte mit seiner Entscheidung einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers. Die Beklagte hat den Kläger lediglich tatsächlich und ausdrücklich zur Erfüllung dieses Anspruchs sowie zur Abwendung von etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen des Klägers weiterbeschäftigt.

Ein Arbeitsverhältnis ergibt sich auch nicht aus der Prozessbeschäftigung selbst. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch beinhaltet lediglich einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers auf Erzielung eines Einkommens ist, für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung, durch § 615 BGB (Annahmeverzugslohn) gesichert. Die tatsächliche Beschäftigung im Rahmen der Prozessbeschäftigung begründet zudem auch kein faktisches bzw. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis. Im Rahmen einer Beschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung fehlt es bereits an einer rechtsgeschäftlichen Willenseinigung zum Abschluss eines (fehlerhaften) Arbeitsverhältnises.

Der fehlende rechtsgeschäftliche Wille des Arbeitgebers zum Abschluss eines Arbeitsverhältnisses wurde auch nicht durch einen vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsanspruch ersetzt. Das BAG trennt insoweit zwischen Rechtsbindungswille und Beschäftigungswille. Der Beschäftigungswille sei dabei allein auf die tatsächliche Handlung der Weiterbeschäftigung gerichtet. Anders als ein Rechtsbindungswille könne der Beschäftigungswille als tatsächliche unvertretbare Handlung nicht ersetzt werden.

Ein Anspruch ergebe sich insbesondere auch nicht aus der analogen Anwendung der Rechtsfolgen einer Weiterbeschäftigung des Arbeitsnehmers nach dem Widerspruch des Betriebsrates gegen die Kündigung. Im Rahmen des besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Absatz 5 BetrVG besteht das Arbeitsverhältnis wegen des Widerspruchs des Betriebsrates auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung des Kündigungsschutzverfahrens fort. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ergibt sich hingegen aus der dem Kündigungsschutzantrag stattgebenden vorläufigen Verurteilung zur tatsächlichen Beschäftigung. Die Verschiedenheit der Regelungszwecke lasse keinen Raum für eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen.

Eine, wegen Wirksamkeit der ursprünglichen Kündigung, zu Unrecht erfolgte Weiterbeschäftigung wird vom BAG nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer hierzu Wertersatz nur für die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zu gewähren. Für Zeiten in denen der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, wie Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und an Feiertagen, hat der Arbeitgeber keine Arbeitsleistung erlangt und muss daher auch keinen Wertersatz leisten.

Unser Kommentar

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Mit der Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung hält das BAG an der Natur des von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs fest. Solange sich das Arbeitsverhältnis wegen des laufenden Kündigungsschutzverfahrens in der Schwebe befindet, wird dem Arbeitnehmer ein Recht auf tatsächliche Beschäftigung zugestanden. Gleichzeitig sind bei einem bereits erzwungenen Beschäftigungsverhältnis die damit verbundenen Belastungen für die Parteien möglichst gering zu halten. Dem BAG ist daher auch hinsichtlich der Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht beizupflichten.

Für die Praxis ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidung zu raten, vor einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters den Zweck der Weiterbeschäftigung eindeutig zu dokumentieren. Dient die Weiterbeschäftigung ausschließlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, ist dies zu Beweiszwecken ausdrücklich festzuhalten. Erweist sich die Kündigung mit rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsschutzstreites als wirksam, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung verweisen. Gleichzeitig kann der Arbeitgeber sich, für den Fall der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, bereits während der Weiterbeschäftigung auf etwaige Ansprüche vorbereiten. Eine laufende Rückstellung kann sich dabei konkret nach dem tatsächlichen Umfang etwaiger Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Entgeltzahlung für arbeitsfreie Feiertage richten.

Zielt die Weiterbeschäftigung hingegen auf die Reduzierung eines möglichen Annahmeverzugslohns, sollte auch dies klar kommuniziert werden. In diesem Fall wird das Arbeitsverhältnis unter der auflösenden Bedingung der rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage fortgesetzt. Die tatsächliche Beschäftigung wird dabei auf eine vertragliche Grundlage im Sinne des EFZG gehoben. Die Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und die Entgeltzahlung an arbeitsfreien Feiertagen finden bereits während der laufenden Weiterbeschäftigung Anwendung.

Ob im Einzelfall eine Weiterbeschäftigung allein zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung oder eine Beschäftigung im Rahmen eines auflösend bedingten Beschäftigungsverhältnis zur Vermeidung von Annahmeverzugslohn angezeigt ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen. Hierzu bedarf es einer Risikoabwägung unter Berücksichtigung der Einzelheiten der Kündigung sowie der Erfolgsaussichten des Kündigungsschutzverfahrens.

Autorin: 

Cyrielle Therese Ax
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.

Verletzung von Meldepflichten bei fortdauernder Erkrankung kann zur Kündigung berechtigen

Zu den Meldepflichten bei Arbeitsunfähigkeit zählt auch die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung. Auch Verstöße hiergegen können grundsätzlich zur Kündigung berechtigen und sind nicht anders zu bewerten sind als Verstöße gegen die Pflicht zur unverzüglichen (Erst-)Meldungen einer Erkrankung.

BAG, Urteil vom 07.05.2020 – 2 AZR 619/19

Der Fall

Der Kläger war seit Oktober 2007 bei der Beklagten als Lagerist beschäftigt und ab Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Während seiner Arbeitsunfähigkeit wurde der Kläger insgesamt dreimal von der Beklagten schriftlich abgemahnt, einmal wegen unentschuldigten Fehlens und zweimal wegen Verstoßes gegen die im Betrieb geltenden Meldepflichten bei Arbeitsunfähigkeit. Die letzten beiden Abmahnungen erhielt der Kläger, weil die Beklagte der Meinung war, der Kläger habe seine Folgebescheinigungen verspätet eingereicht und ihr daher nicht rechtzeitig die Fortdauer seiner Erkrankung angezeigt. Dies, obwohl in der Betriebsordnung die Meldepflichten im Krankheitsfall im Einzelnen geregelt seien und der Kläger auch noch einmal zusätzlich im November 2016 auf diese Pflichten hingewiesen worden sei.

Nachdem der Kläger die Beklagte – nach ihrer Auffassung – erneut nicht rechtzeitig über die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit informiert hatte, kündigte diese schließlich im Dezember 2017 das Arbeitsverhältnis.

Hiergegen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben und macht geltend, dass die Kündigung unwirksam sei, da er sich jederzeit ordnungsgemäß (weiter) bei der Beklagten krankgemeldet habe.

Das Arbeitsgericht Ulm gab der Klage statt. Die von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom LAG Baden-Württemberg zurückgewiesen. Dies unter anderem mit der Begründung, dass ein Arbeitnehmer nach § 5 EFZG zwar grundsätzlich dazu verpflichtet sei, auch die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Ein etwaiger Verstoß gegen diese Meldepflicht wiege jedoch im Regelfall weniger schwer als eine fehlende oder verspätet erfolgte erstmalige Anzeige einer Erkrankung. Das Nichterscheinen des Arbeitnehmers treffe den Arbeitgeber in diesem Fall nämlich nicht unvorbereitet. Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung sei dies bei der zuvor durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte Erfolg, sie führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das LAG. Nach Auffassung des BAG habe das LAG neben verschiedenen weiteren Aspekten in seiner Entscheidung insbesondere rechtsfehlerhaft angenommen, dass eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung im Rahmen der Interessenabwägung grundsätzlich als weniger gravierend zu bewerten sei als die nicht unverzügliche Anzeige des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. In seiner Entscheidung selbst stellt das BAG zunächst ausdrücklich klar, dass auch eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 EFZG ergebenden Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet sein kann, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. Die gesetzlichen Meldepflichten seien nämlich nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie würden ebenso die Verpflichtung, dem Arbeitgeber auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen, umfassen. Die gesetzliche Ausgestaltung der Meldepflichten im Krankheitsfall lasse auch nicht ohne Weiteres eine unterschiedliche Behandlung von Verstößen bei Erstmeldung gegenüber der Meldung der Fortdauer einer Erkrankung zu. Dies gelte auch bei Langzeiterkrankungen. Anders als vom LAG angenommen, gebe es keine allgemeinen Erfahrungssätze, wonach es weniger wahrscheinlich sei, dass ein Mitarbeiter nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen „ohne anderslautende Verlautbarung“ seine Arbeit wieder aufnehmen würde, sodass Arbeitgeber bei Meldeverstößen bei andauernder Arbeitsunfähigkeit weniger belastet würden. Es bedürfe daher grundsätzlich sowohl bei Meldeverstößen im Zusammenhang mit Erst- wie auch mit Folgeerkrankungen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung. Die Vornahme einer ordnungsgemäßen Interessenabwägung sei dem BAG selbst jedoch nicht möglich, da es hierfür ergänzender Tatsachenfeststellungen, insbesondere hinsichtlich der in Rede stehenden Verstöße, sowie einer darauf bezogenen tatgerichtlichen Würdigung bedürfe. Dies sei nunmehr vom LAG nachzuholen.

Unser Kommentar

Die Entscheidung ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen. Mit der Entscheidung stellt das BAG nämlich nicht nur eindeutig klar, dass auch die (wiederholte) Verletzung der gesetzlich geregelten Meldepflichten bei fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet sein kann, einen Kündigungsgrund darzustellen. Das BAG gibt dem Arbeitgeber hierdurch darüber hinaus jedenfalls einen gewissen Handlungsspielraum, um Nachlässigkeiten bei (längeren) Fehlzeiten entgegenzuwirken. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Mitarbeiter – jedenfalls nach Ende des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraumes – ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nur noch per Post verschicken oder nur verzögert einreichen. Dies mit der Folge, dass beim Arbeitgeber teilweise über Tage oder sogar mehrere Wochen Ungewissheit darüber besteht, ob ein Mitarbeiter weiterhin arbeitsunfähig ist bzw. was der Grund für das weitere Fernbleiben vom Dienst ist. Dies kann unter Umständen zu erheblichen (Planungs-)Schwierigkeiten im und für das Unternehmen führen, denen der Arbeitgeber nur effizient entgegenwirken kann, wenn ihm irgendein Instrument bleibt, um die Mitarbeiter zur rechtzeitigen Mitteilung ihrer Verfügbarkeit zu bewegen.

Gleichzeitig unterstreicht das BAG mit seiner Entscheidung jedoch wieder einmal, wie wichtig die Vornahme einer umfassenden einzelfallbezogenen Interessenabwägung vor Ausspruch einer Kündigung ist. Es macht damit neuerlich deutlich, wie bedeutend es – neben der Prüfung und Bewertung des Pflichtenverstoßes – regelmäßig ist, dass der betreffende Mitarbeiter zuvor (mehrmals) wirksam wegen eines gleichartigen Verstoßes abgemahnt wurde und ihm so die Gelegenheit gegeben wurde, sein Verhalten für die Zukunft zu korrigieren.

Autorin: 

Nina Stephan
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.

Gleichbehandlung bei der Betriebsrente

Soweit eine im Rahmen einer Gesamtzusage geregelte betriebliche Altersversorgung gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, führt dies zu einer Anpassung der Versorgungsleistung nach oben.

BAG, Urteil vom 03.06.2020 – 3 AZR 730/19

Der Fall

Die Beklagte gewährte ihren Arbeitnehmern auf der Basis eines als „Dienstvereinbarung 2011“ („VO 2011“) bezeichneten Regelungswerkes eine betriebliche Altersversorgung. Die Regelungen der VO 2011 sollten nicht für diejenigen Arbeitnehmer gelten, denen bereits eine individuelle betriebliche Altersversorgung zugesagt worden war. Dem Kläger war durch eine Rechtsvorgängerin der Beklagten individualvertraglich eine betriebliche Altersversorgung beim Bankenversicherungsverein des Deutschen-Bank- und Bankiersgewerbes (BVV) zugesagt worden. Danach hatte der Arbeitgeber zwei Drittel der Beiträge zu tragen, der Kläger ein Drittel der Beiträge. Die betriebliche Altersversorgung nach der VO 2011 war jedoch werthaltiger, als die betriebliche Altersversorgung des Klägers über den BVV.

Daraufhin machte der Kläger Ansprüche aus der VO 2011 mit dem Argument geltend, dass die Regelung, nach welcher solche Arbeitnehmer, denen bereits eine individualvertragliche Altersversorgung zugesagt worden war, keinen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung nach der VO 2011 erwerben, gleichheitswidrig sei. Er vertrat die Auffassung, dass seine betriebliche Altersversorgung über den BVV nicht auf die Altersversorgung nach der VO 2011 anzurechnen sei. Das Arbeitsgericht hatte der Klage teilweise stattgegeben und angenommen, dass die Beklagte zur Gewährung einer Altersversorgung nach der VO 2011 unter Anrechnung der Leistungen des BVV verpflichtet sei, soweit die Leistungen des BVV auf Beitragszahlungen der Beklagten beruhen. Das Landesarbeitsgericht schloss sich dieser Rechtsauffassung an.

Die Entscheidung

Die von beiden Parteien eingelegten Revisionen hatten keinen Erfolg. Das BAG bejahte einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung nach der VO 2011 und begründete dies mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch das BAG schränkte den Anspruch des Klägers jedoch dahingehend ein, dass dieser sich seine BVV-Altersversorgung in dem Umfang anrechnen lassen muss, welcher der Beitragszahlung der Beklagten an den BVV in dem Zeitraum entspricht, in welchem der Kläger für seine Beschäftigungszeiten aus der VO 2011 Anwartschaften erworben hat.

Das BAG setzte sich zunächst im Detail mit der Frage auseinander, welchen Rechtscharakter die VO 2011 hat. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass die VO 2011 – trotz Bezeichnung als „Dienstvereinbarung“ – eine Gesamtzusage an die Arbeitnehmer darstellt. Das in der VO 2011 enthaltene Angebot einer betrieblichen Altersversorgung sei mithin ergänzender Vertragsinhalt der mit den Arbeitnehmern bestehenden Arbeitsverhältnisse geworden. Die Regelung in der VO 2011, nach welcher Mitarbeiter mit einer individuellen Versorgungszusage aus dem Anwendungsbereich der VO 2011 herausgenommen werden sollten, verstoße gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Eine solche Regelung sei nur zulässig, solange gewährleistet sei, dass die aus dem Anwendungsbereich der VO 2011 fallenden Mitarbeiter über eine zumindest annähernd gleichwertige individuelle Altersversorgungszusage verfügen. Das BAG erteilte schließlich der Rechtsauffassung des Klägers eine Absage, wonach eine Anrechnung seiner BVV-Altersversorgung gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion des AGB-Rechtes verstoße, da der Ausschluss der Mitarbeiter mit individueller Versorgungszusage in der VO 2011 in Gänze unwirksam und mithin für eine (teilweise) Anrechnung kein Raum sei. Zwar sei es Grundlage des AGB-Rechts, dass ganz oder teilweise unwirksame Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden, allerdings beinhalte der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ein gegenüber dem AGB-Recht spezielleres und abgeschlossenes Regelungs- und Rechtsfolgenkonzept.

Unser Kommentar

Der Entscheidung des BAG ist im Ergebnis zuzustimmen. Wieder einmal zeigt sich jedoch, wie sehr die Tücken im Detail liegen und dass insbesondere bei der Ausgestaltung von Versorgungszusagen mit besonderer Vorsicht ans Werk zu gehen ist. Fehler oder Ungenauigkeiten bei der Regelung von Versorgungszusagen können im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung erhebliche wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen nach sich ziehen. In Zeiten niedriger Zinsen, in denen die Lasten aus betrieblichen Altersversorgungszusagen ohnehin schon erdrückend sind, können unvorhergesehene zusätzliche Belastungen zum Stolperstein werden. Gerade wenn, wie in dem durch das BAG entschiedenen Fall, aufgrund von zahlreichen Betriebsübergängen unterschiedlichste betriebliche Altersversorgungszusagen bestehen, gilt es, den Überblick zu bewahren. Es ist dann zu prüfen, welche Personenkreise aufgrund welcher Regelungen Versorgungsansprüche in welcher Höhe erworben haben bzw. voraussichtlich noch erwerben werden. Auch muss sich der Arbeitgeber bei der Gestaltung der betrieblichen Altersversorgung bewusst sein, dass eine Gesamtzusage bereits dann wirksam wird, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form bekanntgegeben wird, die den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis des Arbeitnehmers kommt es hingegen nicht an. Hinzu kommt, dass es einer ausdrücklichen Annahme des in der Erklärung enthaltenen Angebots nicht notwendig ist. Wie schnell ist etwas in der Welt, was man dort eigentlich nicht haben wollte.

Autorin:

Nadine Ceruti
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.

Auslegung eines Prozessvergleichs Abrechnung eines Arbeitsverhältnisses

Ein Prozessvergleich, welcher die ordnungsgemäße Abrechnung des Arbeitsverhältnisses vorsieht, zielt grundsätzlich auf eine Abrechnung nach den außerhalb des Vergleichs vorzufindenden Rechtsnormen ab und begründet in der Regel keine eigenständige Zahlungspflicht des Arbeitgebers.

BAG, 27.05.2020 - 5 AZR 101/19

Der Fall

Die Parteien streiten über Lohnzahlungs- und Abrechnungsansprüche sowie die Auslegung eines in diesem Zusammenhang stehenden Prozessvergleichs. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1996, zuletzt mit einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von EUR 2.687,50 beschäftigt. Mit Schreiben vom 7. September 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 30. September 2015, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess schlossen die Parteien im März 2016 einen Vergleich, der u. a. – neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 2016 – in Ziffer 2 vorsah: „Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung auf Basis eines Bruttomonatsgehalts i.H.v. EUR 1.343,75 ordnungsgemäß ab und zahlt den entsprechenden Nettobetrag, vorbehaltlich auf Dritte übergegangener Ansprüche, an die Klägerin aus.“

Bereits seit November 2015 ging die Klägerin einer anderen Beschäftigung bei einer anderen Arbeitgeberin nach, wobei sie eine Vergütung erzielte, die über EUR 1.343,75 brutto monatlich hinausging. Nach Abschluss des Vergleichs erteilte die Beklagte der Klägerin keine Abrechnungen und leistete auch keine Zahlungen. In dem von der Klägerin daraufhin angestrengten Vollstreckungsverfahren hat sie den Antrag gestellt, sie zu ermächtigen, die nach Ziffer 2 des Prozessvergleichs geschuldete Abrechnung durch einen Steuerberater vornehmen zu lassen. Dieser Antrag ist vom Landesarbeitsgericht abgelehnt worden, da die Regelung keinen vollstreckbaren Inhalt habe. Sie sei insofern auslegungsbedürftig, ob § 615 Satz 2 BGB (Anrechnung anderweitigen Verdienstes) ausgeschlossen werden sollte. Diese Unsicherheit könne jedoch nicht im Vollstreckungsverfahren behoben werden.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, ihr stehe aus Ziffer 2 des Prozessvergleichs für die Zeit von Oktober 2015 bis Januar 2016 eine Vergütung in Höhe von EUR 1.343,75 brutto monatlich abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes zu. Ihrer Auffassung nach hätten die Parteien mit der Regelung im Vergleich eine eigenständige Zahlungspflicht der Beklagten begründet, welche eine Anrechnung anderweitig erzielten Verdienstes gerade nicht vorsehe.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben. Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht hatte nun Erfolg.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts begründe die Regelung in Ziffer 2 des Prozessvergleiches gerade keine „eigenständige, von außerhalb des Prozessvergleichs bestehenden Anspruchsgrundlagen losgelöste Pflicht der Beklagten […], der Klägerin – vorbehaltlich eines erfolgten Anspruchsübergangs auf Dritte – für den Streitzeitraum ein monatliches Bruttogehalt von EUR 1.343,75 zu zahlen.“ Die Klägerin hat sich demnach anderweitig erzielten Verdienst anrechnen zu lassen. Das Bundesarbeitsgericht führt insofern aus, dass der Inhalt von Prozessvergleichen durch Auslegung gemäß der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln sei.

Hierbei habe zunächst der Wortlaut der Regelung Berücksichtigung zu finden. Dieser begründe im vorliegenden Fall keine Rechtsgrundlage für eine Zahlungspflicht, welche über die gesetzlichen Bestimmungen und insbesondere § 615 BGB hinausgehe. Sofern sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich zur Abrechnung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, liege darin nicht das Anerkenntnis einer Zahlungspflicht, sondern lediglich die Bestätigung der ohnehin bestehenden Rechtslage. Dies gelte nach dem Bundesarbeitsgericht zumindest dann, wenn die Ansprüche auf welche sich die Abrechnungspflicht bezieht, nicht benannt seien. Die „Abrechnung“ beziehe sich insofern nur auf tatsächlich bestehende Ansprüche. Die Formulierung „ordnungsgemäß“ ziele auf eine Abrechnung anhand der außerhalb des Vergleichs geltenden Rechtsnormen ab.

Da sich die Arbeitgeberin (hier die Beklagte) im Abrechnungszeitraum mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug befunden habe, gelte daher neben § 615 Satz 1 BGB (Vergütung bei Annahmeverzug) eben u. a. auch der § 615 Satz 2 BGB, mit der Folge, dass sich der Arbeitnehmer (hier die Klägerin) anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen müsse.

Diesem Ergebnis stehe nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts weder die Formulierung „auf der Basis“ des konkret berechneten Monatsbetrages noch die Einschränkung „vorbehaltlich auf Dritte übergegangener Ansprüche“ entgegen. Erstgenannte Formulierung beziehe sich in Verbindung mit dem Begriff „ordnungsgemäß“ auf den Betrag, der für die Berechnung berücksichtigt werden soll; zweitgenannte Formulierung beziehe sich lediglich auf § 115 SGB X (Übergang von Ansprüchen des Arbeitnehmers auf den Leistungsträger).

Über den Wortlaut hinaus seien zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände sowie die Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Doch auch diesbezüglich sieht das Bundesarbeitsgericht keine besonderen Anhaltspunkte dafür, dass Ziffer 2 anders als wie beschrieben ausgelegt werden müsse. Der Umstand, dass die Höhe der vereinbarten Vergütung bis zum Beendigungsdatum genau die Hälfte des durchschnittlichen Monatsgehalts des beendeten Arbeitsverhältnisses darstellt, könne als „zusätzlicher Ausdruck einer gewollten Verteilung des sich aus der Ungewissheit über die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung ergebenden Prozessrisiken verstanden werden.“ Ein besonderer Anhaltspunkt, der zweifelsfrei auf eine andersartige Auslegung schließen lasse, ergebe sich hieraus jedenfalls nicht.

Zuletzt rechtfertige auch der Umstand, dass der Vergleich für die Klägerin nahezu wertlos ist, keine andere Auslegung. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs Kenntnis von der neuen Anstellung der Klägerin gehabt habe. Im Übrigen ergebe sich für die Beklagte infolge der Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses durch die Klägerin ein erheblich gemindertes Annahmeverzugsrisiko. Deshalb sei – so das Bundesarbeits-gericht – nicht ersichtlich, welches Interesse die Beklagte bei unterstellter Kenntnis des Beschäftigungsverhältnisses hätte haben sollen, der Klägerin die Vergütung ohne Anrechnung zu versprechen. Wäre es den Parteien lediglich um die Auszahlung eines bestimmten Betrages gegangen, so hätte es vielmehr nahegelegen, im Vergleich eine Abfindungszahlung zu vereinbaren.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist von äußerster Relevanz, wenn man bedenkt, dass Verfahren vor den Arbeitsgerichten sehr häufig durch einen Prozessvergleich beendet werden. Die Formulierung der „ordnungsgemäßen Abrechnung“ „auf Basis“ eines bezifferten Bruttogehalts ist fast standardmäßig in Prozessvergleichen enthalten. Die Parteien gehen hierbei regelmäßig davon aus, dass eine solche Formulierung aus sich heraus und für jedermann verständlich ist. Doch gerade in den von den Parteien nur selten bedachten Konstellationen, etwa wie hier, wenn der Arbeitnehmer bereits lange vor Vergleichsschluss eine anderweitige Beschäftigung gefunden hat, wird die zunächst als eindeutig empfundene Regelung plötzlich auslegungsbedürftig und die unterschiedlichen Interessenlagen der Parteien offenbar.

Es verwundert daher nicht, dass die Formulierung der „ordnungsgemäßen Abrechnung“ in einem Prozessvergleich gleich mehrfach Gegenstand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war.

Bereits 2008 hatte das Bundesarbeitsgericht über einen Fall zu entscheiden, in dem die dortige Klägerin – zum Zeitpunkt des Prozessvergleichs bereits mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt – nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber im Wege eines Vergleichs unwiderruflich unter Fortzahlung ihrer Bezüge von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt wurde (Urteil vom 23. Januar 2008 5 AZR - 393/07). Hier folgerte die Klägerin, dass ihr durch die im Vergleich vereinbarte „ordnungsgemäße Abrechnung“ die volle Zahlung ihres Lohns bis zum Beendigungsdatum zustünde.

Auch in der Entscheidung über die Lohnfortzahlung ist das Bundesarbeitsgericht der Auffassung gefolgt, dass aus dem Vergleich kein Vergütungsanspruch folge, der über die gesetzlichen Grundlagen hinaus gehe. Dadurch, dass der Klägerin aufgrund ihrer Krankheitszeiten keine Lohnfortzahlung mehr zustand, ergebe sich ein solcher Anspruch auch nicht aus der im Vergleich formulierten „ordnungsgemäßen Abrechnung“. Die vom Bundesarbeitsgericht im hiesigen Fall vorgenommene Auslegung ist nachvollziehbar und führt die bisherige Rechtsprechung schlüssig fort.

Autor: 

Andre Schüttauf
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen

Keine Erforderlichkeit der Arbeitszeiterfassung mittels Fingerabdruck

Ein Arbeitnehmer darf nicht abgemahnt werden, weil er sich weigert, ein biometrisches Zeiterfassungssystem zu verwenden. Eine Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint ist in aller Regel nicht erforderlich im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO, § 26 Abs. 3 BDSG.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.06.2020 – 29 Ca 5451/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die Entfernung von drei Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers. Die Beklagte sprach zwei Abmahnungen aus, da sich der Kläger weigerte, das von der Beklagten neu eingeführte Zeiterfassungssystem zu nutzen. Dieses System erfasst zur Identifikation oder Verifikation die Minutien (Koordination der Schnittpunkte) von Fingerabdrücken. Der Kläger weigerte sich, dieses System zu nutzen und erfasste seine Arbeitszeiten weiterhin wie zuvor handschriftlich. Die dritte Abmahnung erhielt der Kläger, da er eine von der Beklagten angeordnete ärztliche Vorsorgeuntersuchung nicht wahrnahm. Das Arbeitsgericht gab der Klage in vollem Umfang statt und verurteilte die Beklagte zur Entfernung der Abmahnungen.

Die Berufung der Beklagten vor dem LAG hatte keinen Erfolg. Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach die Abmahnungen in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB aus der Personalakte zu entfernen seien. Der Kläger habe mit dem in den drei Abmahnungen gerügten Verhalten keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Minutien seien entgegen der Ansicht der Beklagten biometrische Daten, deren Verarbeitung zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person gemäß Art. 9 Abs. 1 DS-GVO ausdrücklich untersagt sei. Die allein in Betracht kommende Ausnahme des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO sei vorliegend nicht einschlägig. Die Verarbeitung der biometrischen Daten eines Menschen sei nur dann erforderlich im Sinne dieser Vorschrift, wenn ein legitimer Zweck verfolgt werde und zur Erreichung dieses Zwecks kein gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung stehe. Das von der Beklagten neu eingeführte Zeiterfassungssystem könne auch mithilfe eines Ausweisleser-Systems verwendet werden, bei dem gerade keine Nutzung biometrischer Daten der Mitarbeiter notwendig wäre. Auch die dritte Abmahnung sei aus der Personalakte zu entfernen, da für den Kläger keine Verpflichtung bestanden habe, die angeordnete Untersuchung wahrzunehmen.

Massive Datenschutzverstöße rechtfertigen Auflösung des Betriebsrats

Sammelt, analysiert und kategorisiert der Betriebsrat vertrauliche Vorgänge und stellt sie anschließend gegenüber Dritten monatelang über einen Internetlink zum Download zur Verfügung und missachtet er das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat iSd § 2 Abs. 1 BetrVG, so kann er gem. § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG wegen grober Pflichtverletzung aufgelöst werden.

ArbG Iserlohn, Beschluss vom 14.01.2020 – 2 BV 5/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Arbeitgeberinnen begehren die Auflösung des Betriebsrats ihres Gemeinschaftsbetriebes, hilfsweise begehren sie den Ausschluss des Vorsitzenden des Betriebsrats. Bei dem von den Arbeitgeberinnen geführtem Gemeinschaftsbetrieb bestand ein Betriebsrat. Nach einer Reihe von wirtschaftlichen Rückschlägen trafen die Arbeitgeberinnen die unternehmerische Entscheidung, einen der Gemeinschaftsbetriebe zu schließen und allen dort beschäftigten Arbeitnehmern zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach den Kündigungen und unterstützte die Arbeitnehmer in den folgenden Kündigungsschutzprozessen. Vor diesem Hintergrund versandte der Betriebsratsvorsitzende eine E-Mail an mehrere Adressaten, insbesondere den mit den Kündigungsschutzverfahren betrauten Kanzleien, mit der den Empfängern ein Link zur Verfügung gestellt wurde, über den man Zugriff auf einen Ordner mit einer Dateigröße von mehr als 150 MB ohne einen Passwortschutz erhielt. Inhalt des Ordners waren unter anderem Daten in Form von Abschriften von E-Mails, Schriftsätzen, Kalenderauszügen, behördlichen Bescheiden, Rechnungen, Konzeptzeichnungen, Urlaubsanträgen, Vertragstexten und Präsentationen. Der Ordner mit den Dateien war von dem Betriebsrat in einer Cloud privat angelegt worden. Dieses Vorgehen wurde vom gesamten Betriebsrat zumindest gebilligt.

Das Arbeitsgericht hat entschieden, dem Antrag der Arbeitgeberinnen stattzugeben und den Betriebsrat gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG wegen grober Pflichtverletzung aufzulösen. Diese liege hier zum einen in dem massiven Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen, der Missachtung der Vertraulichkeit persönlicher Informationen durch entsprechende Weitergabe an Dritte und der Verletzung von Geheimhaltungspflichten. Mit diesem Verhalten habe der Betriebsrat auf massive Weise die ihm eingeräumten Kompetenzen überschritten und damit gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 BetrVG verstoßen. Auf ein Verschulden des Betriebsrats käme es dabei nicht an. Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheine die weitere Amtsführung des Betriebsrats vorliegend untragbar.

Anforderungen für die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens zulasten des Arbeitgebers

Schließt der Arbeitnehmer einen Vertrag unter kollusivem Zusammenwirken mit einem Vertreter des Arbeitgebers ab, durch den er sich Leistungen versprechen lässt, die aus keinem Gesichtspunkt berechtigt sein können und offensichtlich den Interessen des Arbeitgebers zuwiderlaufen, liegt darin eine Verletzung seiner Rücksichtnahmepflicht. Die Rücksichtnahmepflicht geht jedoch nicht so weit, dass der Arbeitnehmer seine eigenen Interessen denen des Arbeitgebers unterzuordnen hat.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.08.2020 – 5 Sa 4/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten insbesondere noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Arbeitnehmerin war langjährig bei der Arbeitgeberin und anderen Konzernunternehmen bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Dabei war sie unter anderem auch als Assistentin der Geschäftsführung tätig. Aufgrund einer wirtschaftlichen Schieflage wollte die Arbeitgeberin die Zusammenarbeit mit den bisherigen Geschäftsführern beenden. In diesem Zusammenhang wurde auch das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin gekündigt. Die Arbeitnehmerin schloss mit dem ihr aus jahrelanger Zusammenarbeit vertrauten Geschäftsführer einen Abwicklungsvertrag ab, der insbesondere die Zahlung einer Abfindung vorsah. Auch verzichtete die Arbeitnehmerin in dem Abwicklungsvertrag auf ihr Recht eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Die neueingesetzte Geschäftsführung warf der Klägerin vor, ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt zu haben, indem sie den Abwicklungsvertrag annahm, weshalb ihr erneut, diesmal außerordentlich, gekündigt wurde. Gegen diese Kündigung wehrte sich die Arbeitnehmerin.

Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das der Klage stattgab. Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Der Arbeitnehmerin könne nicht vorgeworfen werden, den ihr angebotenen Abwicklungsvertrag nebst Abfindung angenommen zu haben. Zwar verletze ein Arbeitnehmer seine Rücksichtnahmepflicht, wenn er einen Vertrag eingeht, der unter kollusivem Zusammenwirken zustande kommt und sich dabei Leistungen versprechen lässt, die aus keinem Gesichtspunkt berechtigt sein können. Diese Rücksichtnahmepflicht gehe aber nicht so weit, dass der Arbeitnehmer seine eigenen Interessen hintenan stellen und für ihn günstige Vertragsgestaltungen ablehnen müsste. Hier würden die Vereinbarungen die Arbeitgeberin zwar wirtschaftlich belasten; andererseits gewinne sie aber auch Rechtssicherheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Zuweisung einer geringerwertigen Tätigkeit

Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Wird entgegen den vertragsgemäßen Bestimmungen die Personalverantwortung entzogen, kann darin eine Herabstufung der Tätigkeit liegen. Die Zuweisung einer geringerwertigen Tätigkeit ist auch dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung fortgezahlt wird.

LAG Köln, Urteil vom 09.07.2020 – 8 Sa 623/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung. Der zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Arbeitsvertrag enthält unter anderem eine Bestimmung, nach der die Klägerin als „Leiterin Finanz- und Rechnungswesen“ beschäftigt wird. Zudem beinhält der Vertrag einen Versetzungsvorbehalt, wonach dem Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes eine andere gleichwertige und gleichbezahlte Aufgabe zugewiesen werden kann. Die Arbeitgeberin wies die Klägerin an, künftig eine neu geschaffene Stelle mit der Bezeichnung „Leitung Prozessoptimierung“ einzunehmen. Im Unterschied zu ihrer bisherigen Beschäftigung, gehörte zu ihrer neuen Stelle jedoch keine Personalverantwortung. Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Weisung der Arbeitgeberin unwirksam gewesen sei und verurteilte die Beklagte, die Klägerin wieder als „Leiterin Finanz- und Rechnungswesen“ zu beschäftigen.

Das LAG wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Weisung der Arbeitgeberin, mit der der Klägerin die Tätigkeit „Leitung Prozessoptimierung“ zugewiesen wurde, sei zu Recht als unwirksam bewertet worden. Sie sei nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht nach § 106 GewO gedeckt. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers diene nur der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, beinhalte aber nicht das Recht zu einer Änderung des Vertragsinhalts. Die Versetzung der Klägerin von ihrer vertraglich vereinbarten Tätigkeit als „Leitung Finanz- und Rechnungswesen“ zur Tätigkeit „Leitung Prozessoptimierung“ sei auch unter Berücksichtigung des Versetzungsvorbehaltes nicht vom durch den Arbeitsvertrag eingeschränkten Direktionsrecht der Beklagten gedeckt. Die neu zugewiesene Tätigkeit sei keine gleichwertige Aufgabe, wobei die Gleichwertigkeit insbesondere anhand von Kriterien, wie der Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, dem Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder einer Personalkapazität und den betrieblichen Rahmenbedingungen beurteilt wird. Der Entzug der Leitungsfunktion führe hier zu einer Herabstufung der Tätigkeit und sei somit nicht vom Direktionsrecht umfasst.

Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags wegen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns

Schließt der Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns ab, muss er nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Der Arbeitnehmer ist dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19.05.2020 – 5 Sa 173/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages. Der Kläger wurde von dem beklagten Land mit befristeten Arbeitsvertrag als Lehrkraft an einer Schule angestellt. Zuvor war er bereits mehrere Jahre in anderen Bereichen tätig gewesen. Nach mehrmaliger Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses und zwei Jahren Beschäftigung, bewarb sich der Kläger erfolgreich auf eine unbefristete Stelle an einer Förderschule des beklagten Landes. Die kommissarische Schulleiterin hospitierte die erste Unterrichtsstunde des Klägers. Im unmittelbaren Anschluss an den Unterricht teilte sie dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit zu beenden. Dies löste beim Kläger einen enormen psychischen Druck aus, weshalb er als arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. Am ersten Tag der Krankschreibung lud der Justiziar des Schulamtes den Kläger zu einem Gespräch in seinem Büro ein. In dem Gespräch wiederholte der Justiziar die Ankündigung, der Kläger solle noch in der Probezeit gekündigt werden und überredete ihn stattdessen einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Die vom Kläger erbetene Bedenkzeit lehnte er ab. In der Folge erklärte der Kläger die Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Mit der Klage verfolgte er erfolgreich die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag beendet worden ist.

Das LAG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang. Der Aufhebungsvertrag sei unwirksam, da er unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sei. Das aus § 241 Abs. 2 BGB abgeleitete Gebot fairen Verhandelns werde missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Als unfair sei eine Verhandlungssituation zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Das beklagte Land habe vorliegend beim Kläger eine psychische Drucksituation geschaffen und diese ausgenutzt, um den Aufhebungsvertrag zu schließen. Die Vereinbarung der Probezeit im Arbeitsvertrag sei zudem aufgrund der zweijährigen ununterbrochenen Vorbeschäftigung nicht zulässig gewesen.

Außerordentliche Kündigung wegen Drohung mit Krankmeldung

Versucht der Arbeitnehmer seine Interessen im Arbeitsverhältnis durchzusetzen, indem er eine zukünftige, im Zeitpunkt der Äußerung noch nicht bestehende Erkrankung androht, stellt ein derartiges Vorgehen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle eine Verletzung der wechselseitigen Loyalitätspflichten im Arbeitsverhältnis dar.

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.07.2020 – 8 Sa 430/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Die Arbeitgeberin zog einen Standortwechsel innerhalb der Region in Betracht. Der Arbeitnehmer, der hiervon Kenntnis erlangte, bemühte sich der Geschäftsleitung eine Immobilie nahezulegen, die sich seiner Meinung nach als neuer Standort eignen würde. Er nahm dafür insbesondere eigenmächtig einen Besichtigungstermin wahr. Der Geschäftsführer der Beklagten wies den Kläger an, sich nicht mehr mit der Suche nach Büroräumen zu beschäftigen. Die Situation führte zu Spannungen zwischen den Parteien, die zur Freistellung des Arbeitnehmers führten. In der Folge fanden Gespräche über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses statt. Im Rahmen dessen wurde der Arbeitnehmer aufgefordert, am Folgetag für ein Abstimmungsgespräch an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Der Kläger teilte mit, dass er an einem solchen Gespräch nicht ohne Rechtsbeistand teilnehmen wolle. Auf den ausdrücklichen Widerruf der Freistellung und die erneute Aufforderung, am Folgetag am Arbeitsplatz zu erscheinen, antwortete der Arbeitnehmer mit den Worten „er könne ja noch krank werden“. Die Arbeitgeberin sprach eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus und stützte sich zur Begründung insbesondere auf diese Äußerung. Der Arbeitnehmer legte dagegen ohne Erfolg Kündigungsschutzklage ein.

Das LAG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Das Verhalten des Arbeitnehmers stelle eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar und sei als wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB geeignet, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Es treffe zwar zu, dass eine Weisung mit dem alleinigen Inhalt, ein Personalgespräch zwecks Vertragsaufhebung zu führen, nicht vom Weisungsrecht aus § 106 GewO umfasst sei. Hier ginge es jedoch nicht darum, dass sich der Arbeitnehmer der Weisung widersetzt habe, sondern um die Art und Weise seines Vorgehens. Bei der Drohung mit einer willkürlichen Krankmeldung handele es sich auch um eine derart schwere Pflichtverletzung, dass eine Abmahnung entbehrlich sei.

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