03.07.2025

Newsletter Commercial 1. Ausgabe 2025

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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Weltwirtschaft bleibt auch zur Jahresmitte 2025 von geopolitischen sowie ökonomischen Herausforderungen geprägt. Die protektionistischen Maßnahmen der US-Regierung unter Präsident Trump, allen voran die anhaltenden Zölle, belasten den globalen Handel. Unternehmen weltweit reagieren mit Preisanpassungen und strategischen Neuausrichtungen, während das Verbrauchervertrauen spürbar schwindet und die Börsenkurse schwanken. Parallel dazu lasten der weiterhin andauernde Krieg in der Ukraine und der Gaza-Konflikt schwer auf den betroffenen Regionen und wirken sich durch humanitäre Herausforderungen auf die globale Konjunktur aus. Lieferketten sind weiterhin gestört, Energiepreise volatil und die Inflation bleibt ein ständiger Begleiter.

In diesen bewegten Zeiten möchten wir Sie mit praxisnahen Informationen, Analysen und Handlungsempfehlungen unterstützen. In der aktuellen Ausgabe unseres Newsletters beleuchten die Autorinnen und Autoren beispielsweise die Verordnung (EU) 2024/3015, die ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt einführt – ein wichtiger Schritt für nachhaltige Lieferketten und unternehmerische Verantwortung. Überdies analysieren wir aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, beispielsweise zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung und deren Auswirkungen für Unternehmen und Verbraucher. Nicht zuletzt erwarten Sie spannende Gerichtsentscheidungen aus den Bereichen Restrukturierung und Insolvenz.

Auch im Jahr 2025 möchten wir Sie mit unseren Beiträgen und Analysen dabei unterstützen, rechtliche Herausforderungen im Wirtschaftsalltag erfolgreich zu meistern. In diesem Zusammenhang weisen wir gerne auch noch einmal auf unsere in regelmäßigen Abständen stattfindenden Webinare zu aktuellen Themen aus dem Bereich „Commercial“ hin. Weitere Informationen finden Sie in unserem Luther Veranstaltungskalender (Veranstaltungen | LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH).

Dr. Steffen Gaber, LL.M. (Sydney), Head of Commercial

Leon Breiden, Legal Content Coordinator 

Im Fall Wirecard: OLG München, Teil- und Zwischenurteil v. 17.09.2024 – 5 U 7318/22 e

Schadenersatzansprüche von Aktionären als Drittgläubiger 

Hintergrund:

Das OLG München hat sich mit Teil- und Zwischenurteil vom 17.09.2024 (Az. 5 U 7318/22 e) zu einer entscheidenden Frage im Wirecard-Insolvenzverfahren geäußert. Das Urteil klärt die Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche von getäuschten Aktionären im Fall Wirecard. In der Rechtsprechung ist bisher ungeklärt, ob Aktionäre als Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO eingestuft werden, die ihre Forderungen zur Tabelle anmelden können und am Ende des Verfahrens eine quotale Befriedigung erhalten, oder als Nachranggläubiger im Sinne des § 39 InsO anzusehen sind, deren Forderungen erst befriedigt werden, wenn sämtliche zur Tabelle angemeldete und festgestellte Forderungen vollständig erfüllt sind (sog. absoluter Nachrang). Bei Quoten für Insolvenzgläubiger von durchschnittlich nur 3-5 % versteht sich von selbst, dass Nachranggläubiger mit ihren Forderungen in aller Regel vollständig ausfallen. 

Sachverhalt:

Die E & Y GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verweigerte der Wirecard AG im Jahr 2020 ein positives Testat für den Jahresabschluss 2019, weil für (vermeintliches) Vermögen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Nachweise vorgelegt werden konnten. Der Betrag stellte rund 25% des gesamten Gesellschaftsvermögens dar. Die Verweigerung des Testats erfuhr die Öffentlichkeit mittels einer Ad-hoc-Mitteilung am 18.06.2020, woraufhin die Wirecard AG erhebliche Kursverluste an der Börse erlitt. In der Folge stellte Wirecard am 25.06.2020 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurden bis heute Forderungen im Umfang von 15,4 Milliarden Euro zur Tabelle angemeldet, wovon alleine ca. 8,5 Milliarden Euro auf ehemalige Aktionäre der Wirecard AG entfallen. Bisher wurden die von den Aktionären angemeldeten Forderungen noch nicht berücksichtigt, da es sich nach Auffassung des Insolvenzverwalters bei Aktionären lediglich um Nachranggläubiger handelt, denen die Anmeldung von Forderungen zur Tabelle verwehrt bleibt. Im Rahmen der hier besprochenen Entscheidung hatte nunmehr das OLG München in zweiter Instanz zu entscheiden, ob die Aktionäre ihre Schadensersatzforderungen zur Tabelle anmelden und damit wenigstens auf eine geringe Zahlung aus der Insolvenzmasse hoffen dürfen.

In der vorherigen Instanz entschied das LG-München I (Az. 29 O 7754/21), dass die Aktionäre ihre Forderungen nicht anmelden können. Ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung des Gerichts war, dass es sich um Forderungen von Aktionären und damit Gesellschaftern handelt, die in aller Regel dem Nachrang des § 39 InsO unterliegen.

Die Entscheidung des OLG München:

Der 5. Zivilsenat des OLG München hat die Anmeldung der Forderungen zur Tabelle hingegen zugelassen; nach seiner Auffassung sind die Aktionäre trotz ihrer Nähe zur Gesellschaft Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO. Hierzu führt das Gericht aus, dass eine gesonderte gesetzliche Grundlage für die insolvenzrechtliche Einordnung von kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzforderungen fehle. Auch mit juristischen Methoden sei keine Auslegung einer nur nachrangigen Gläubigerstellung nach § 39 InsO möglich.

Einleitend verweist der Senat auf eine BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2005 (EM.TV-Entscheidung, BGH, Urt. v. 09.05.2005 - II ZR 287/02). In dieser Entscheidung erläutert der BGH, dass ein Aktionär seiner Aktiengesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich auch wie ein außenstehender Gläubiger gegenüberstehen könne. Dafür sei beispielsweise ein Anspruch des Aktionärs gegen die Aktiengesellschaft aus §§ 826, 31 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 400 AktG notwendig. Anschließend überträgt der Senat diese Wertung unter Verweis auf den Beschluss des BGH vom 19.05.2022 (Az. IX ZR 67/21) auf vergleichbare Fälle in der Insolvenz. Die Aktionärsstellung der Forderungsinhaber führe somit nicht zwangsläufig zu einer vergleichbaren Stellung eines Gesellschafters und somit auch nicht zur Nachrangigkeit der Forderung.

Weitergehend führt der Senat aus, der Grund der potenziellen Haftung der Gesellschaft würde durch das deliktische Verhalten des Vorstandes begründet. Das deliktische Schuldverhältnis entstehe bereits mit der schädigenden Handlung des Vorstands. Für die Entstehung des Schadens sei die Aktionärsstellung demnach nicht notwendig. Vielmehr sei der Schaden durch einen Vergleich der jeweiligen Vermögenslage vor und nach dem schädigenden Ereignis zu bestimmen. Der Schaden könne mithin von der Aktionärsstellung entkoppelt sein. 

Eine andere Wertung ergebe sich auch nicht aus der Insolvenzordnung. Die Insolvenzordnung solle bestehende materielle Ansprüche hinnehmen und abwickeln, soweit keine anderweitige gesetzliche Regelung getroffen wird, an der es vorliegend fehle. Demgegenüber würde eine Kategorisierung der Forderungen als nachrangig im Sinne des § 39 InsO die rechtliche Position der Aktionäre unzulässig verkürzen, mithin wären die Aktionäre in ihren Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Die aus dieser Entscheidung folgende Verwässerung der Quote der übrigen Insolvenzgläubiger sei hinzunehmen. Der Senat führte hierzu wörtlich aus: „Kein Gläubiger ist davor geschützt, in Konkurrenz zu anderen Gläubigern zu stehen.“ 

Bedeutung für die Praxis

Durch die Entscheidung des OLG München werden die Rechte der Aktionäre gestärkt. Hiernach soll es möglich sein, eigene (deliktische) Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft als Insolvenzgläubiger geltend zu machen. Aktionäre können in derartigen Fällen damit wenigstens eine geringe Zahlung aus der Insolvenzmasse erwarten. Ob es rechtspolitisch sinnvoll ist, die dadurch verursachte Verwässerung der Insolvenzforderungen der übrigen Gläubiger hinzunehmen, bleibt fraglich – bereits vor der hier besprochenen Entscheidung waren die durchschnittlichen Insolvenzquoten verschwindend gering. Für viele Gläubiger wird sich die Frage stellen, ob sich eine Teilnahme am Insolvenzverfahren überhaupt noch lohnt.

Letztendlich bleibt abzuwarten, ob der BGH die Entscheidung – aller rechtspolitischen Bedenken zum Trotz – aufrechterhalten wird. Die Revision ist zugelassen. Die besseren materiellrechtlichen Argumente sprechen wohl für die Auffassung des OLG München.

Autoren

Dr. Boris Ober

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Leon Breiden

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

Tipps zur Vertragsverhandlung für Nichtjuristen (Teil 1)

Dies ist der erste Teil einer Serie von insgesamt drei Beiträgen, die nichtjuristische Mitarbeiter beim Verhandeln und Abschließen von Geschäften unterstützen sollen. Die Teile zwei und drei folgen in den kommenden Wochen. Die Darstellungen richten sich besonders an Mitarbeiter in Einkaufs- und Vertriebsabteilungen, die regelmäßig mit Lieferanten bzw. Kunden um die Konditionen der lang- oder kurzfristigen Zusammenarbeit ringen. Dieselben Grundsätze gelten aber gleichermaßen auch für Vertragsanbahnungen und -abschlüsse mit allen anderen Partnern Ihres Unternehmens. Dieser erste Teil der Serie soll die strategische Bedeutung und die rechtlichen Spielräume erläutern, die mit der Übermittlung des ersten schriftlichen Vertragsangebots einhergehen können und einige einfache Tipps zur Handhabung geben.

Weichenstellung: Erstes Vertragsangebot

Einigen sich zwei Parteien grundsätzlich auf eine geschäftliche Zusammenarbeit (etwa eine Belieferung), muss beiden Seiten an einer Verschriftlichung gelegen sein. Dazu wird regelmäßig eine der beiden Parteien der anderen einen ausformulierten Vertragstext zukommen lassen. Dieser wird oftmals auf einem unternehmensinternen Muster oder Dokumenten aus älteren Vorgängen beruhen. Dieser scheinbar banale Umstand ist eine entscheidende rechtliche Weichenstellung!

Der Hintergrund ist simpel: Textvorlagen, die zum mehrfachen Einsatz vorformuliert sind, werden rechtlich um ein Vielfaches strenger behandelt, als individuell für einen ganz bestimmten – einzelnen – Vorgang erstellte Entwürfe. Ob es sich bei den Vorlagen um Allgemeine Liefer-, Einkaufs-, Vertrags- oder Geschäftsbedingungen oder um Textbausteine in unternehmensinternen Vertragstemplates, auf Bestellvordrucken, Auftragsbestätigungsmustern, Lieferscheinen oder Rechnungen handelt: Rechtlich sind dies Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und rechtlich streng reglementiert.

Das gilt auch dann, wenn ein solches Template inhaltlich schon teilweise auf den einzelnen Vorgang zugeschnitten wird, also etwa Parteien, Vertragsgegenstand, Preis, Laufzeit und Ansprechpartner bereits darein eingetragen und der Text erst dann übersandt wird – nur diese individuell eingetragenen kaufmännischen Details unterliegen nicht der Kontrolle des AGB-Rechts, alle weiteren, nicht davon berührten Regelungsteile des Templates dagegen schon. Solche Regelungen dagegen, die der Verfasser nicht einem Muster entnimmt, sondern „sich selbst ausdenkt“, unterliegen schon von Beginn an nicht dem AGB-Recht und sind nicht Gegenstand dieses Beitrags.

AGB-Recht: Ungleichbehandlung der Parteien

Die Partei, die ein solches Angebot erhält („Empfänger“), soll vor der Verhandlungs- und Gestaltungsmacht der Partei geschützt werden, die auf Basis einer Mustervorlage ein Vertragsangebot unterbreitet („Verwender“). Die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen den Parteien bleiben dabei rechtlich irrelevant. Ebenso macht es keinen Unterschied, ob die Parteien sich nicht ohnehin auf viele der in der verwendeten Vorlage enthaltenen Regelungen geeinigt hätten. Es spielt außerdem keine Rolle, ob sich der Empfänger ausdrücklich mit allen oder einzelnen der vorgeschlagenen Regelungen einverstanden erklärt oder ob die Parteien vielleicht sogar einzelne Regelungsvorschläge nach Verhandlungen umformulieren:

All die Regelungen, die der Empfänger nicht individuell nachverhandelt, unterfallen dem AGB-Recht, was zur Unwirksamkeit vieler scheinbar harmloser Klauseln führen kann. Unwirksame Regelungen entfallen und werden durch die vom Gesetz jeweils vorgesehenen Regelungen ersetzt. Die gesetzlichen Regelungen können dabei deutlich ausgewogener sein; manchmal sind sie aber auch für beide Parteien überraschend (Beispiel: Wenn im vom Kunden verwendeten Template ein Zahlungsziel von 90 Tagen gefordert wird, der Lieferant ein Zahlungsziel von 30 Tagen eventuell akzeptiert hätte, beide Parteien dann aber erfahren, dass anstelle der unwirksamen Standardregelung des Kunden nach dem Gesetz sofort bei/gegen Lieferung gezahlt werden muss; s.u. 4.).

Die einzelnen Klauseln, die die Parteien dagegen individuell nachverhandelt haben (was in der Regel eine Änderung des Textes nach sich zieht, allerdings keine zwingende Voraussetzung ist), unterfallen nicht mehr dem für den Empfänger günstigen Schutz des AGB-Rechts. Sowohl die Frage, welche Seite einen Vertragstext (als Verhandlungsbasis) stellt, als auch die Frage, ob der Empfänger bestimmte darin vorgeschlagene Punkte überhaupt diskutieren sollte, haben demnach große praktische Bedeutung, wenn es sich bei dem vorgeschlagenen Text inhaltlich um ein Muster handelt.

Analyse: Unterschiedliche Perspektiven der Parteien

Analysiert der Empfänger seine Situation richtig, kann er diese Ausgangssituation für sich nutzen: Scheinen dem Empfänger die vorgeschlagenen Regelungen zunächst als nachteilig und inakzeptabel, spricht gerade das oft dafür, dass sie ggf. gerade aufgrund ihrer Einseitigkeit unwirksam sind. Viele Empfänger bewerten diese Situation instinktiv strategisch falsch: Sie versteigen sich in lange, verbissen geführte Verhandlungen über eigentlich unwirksame Regelungen des Verwenders, was am Ende entweder zum Scheitern des dringend benötigten Geschäfts oder – vielleicht noch schlimmer – dazu führt, dass die nachverhandelte Klausel aufgrund der darüber geführten Verhandlungen ggf. nicht mehr als AGB anzusehen und damit nunmehr überhaupt erst „wirksam geworden“ ist.

Während es sich für den Empfänger lohnen kann, nachteilige unwirksame Klauseln zu akzeptieren oder zu ignorieren und sich auf die Verhandlung der nachteiligen wirksamen Klauseln zu konzentrieren, ist die Ausgangssituation des Verwenders eine andere: Der Verwender sollte die in tatsächlicher Hinsicht vorteilhafte Position, den Vertragstext zunächst vorgeben zu können, nicht dadurch verspielen, dass er die Regelungen so einseitig gestaltet, dass sie unwirksam sind. Der Verwender ist deshalb verhandlungstaktisch oftmals gut beraten, zu versuchen, das Mindestmaß des „gerade noch rechtlich Zulässigen“ vorzuschlagen, nicht aber darüber hinausgehend eklatant einseitige Regelungen vorzuschlagen – andernfalls riskiert er die oben beschrieben Unwirksamkeitsfalle.

Beispielhafte Check Liste

Doch welche konkreten Regelungen sind typischerweise unwirksam? Da sich die Unwirksamkeit letztlich immer nach dem genauen Wortlaut der Klausel richtet, ist eine pauschale Bewertung schwierig und jede relevante Klausel im Zweifel anhand ihres genauen Wortlauts zu prüfen. Dennoch kann auch jeder Verhandlungsführer selbst anhand der folgenden beispielhaften Check-Liste, die einige gängige Klauseln beleuchtet, sein Problembewusstsein schärfen:

Zahlungsziel (Kunde als Verwender): Wirksam kann der Kunde ein Zahlungsziel von maximal 30 Tagen ab Leistungserbringung vorschlagen (auch individuell lassen sich nach dem Gesetz regelmäßig nicht mehr als 60 Tage vereinbaren). Jedes längere Zahlungsziel ist unwirksam und führt stattdessen zur sofortigen Zahlungspflicht bei Lieferung („Zug um Zug“). Ein Vorschlag des Kunden (oder das Verhandeln des Lieferanten) über ein längeres Zahlungsziel ist daher rechtlich nicht geboten.

Vertragsstrafe (Kunde als Verwender): Viele Auftraggeber drängen auf die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für Lieferverzug. Rechtlich ist dies für den Kunden mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden, da sowohl der prozentuale Tages-/Wochensatz, als auch der insgesamt maximal mögliche Betrag angemessen zu begrenzen sind. Nach der Rechtsprechung ist eine Vertragsstrafenregelung von insgesamt mehr als 5% der Auftragssumme aber jedenfalls in Standardfällen unwirksam. Sieht das Vertragsmuster des Kunden mehr vor, muss der Lieferant hierzu angesichts der Unwirksamkeit keine Verhandlung anstrengen.

Gewährleistungsfrist (Kunde als Verwender): Dem Kunden kann an einer Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist (von regelmäßig 24 Monaten für die Lieferung beweglicher Sachen) gelegen sein. Eine Verlängerung auf 36 Monate soll nach der Rechtsprechung auch in Kunden-AGB regelmäßig wirksam möglich sein. Ob auch eine noch weiterreichende Verlängerung als wirksam anzusehen wäre, ist offen. Der Kunde ist damit als Verwender im Regelfall mit 36 Monaten auf der sicheren Seite – dem Lieferant schaden Verhandlungen über 36 Monate aber auch nicht, da er ohnehin nicht auf eine Unwirksamkeit und damit ein Zurückfallen auf die gesetzliche Gewährleistungsfrist vertrauen könnte.

Gewährleistungsfrist (Lieferant als Verwender): Der Lieferant einer beweglichen, neu herzustellenden Sache kann die gesetzliche Gewährleistungsfrist in seinem Vertragsmuster auf maximal 12 Monate ab Übergabe begrenzen. Alles darunter ist kritisch. Er ist (bei rein rechtlicher Betrachtung) also gut beraten, 12 Monate vorzuschlagen. Spiegelbildlich kann der Kunde als Empfänger gut beraten sein, eine vom Lieferanten vorgeschlagene kürzere (und daher unwirksame) Frist nicht nach oben zu verhandeln, da er im Gewährleistungsfall ohnehin „weich“ auf die gesetzliche Frist von 24 Monaten fiele. Schlägt der Lieferant dagegen 12 Monate oder mehr vor, schaden Verhandlungen der Rechtsposition des Kunden nicht.

Haftungsbegrenzung (Lieferant als Verwender): Der Lieferant wird oft bestrebt sein, seine Haftung (etwa auf die Auftragssumme) zu begrenzen. Während sich die Wirksamkeit einer genauen summenmäßigen Obergrenze nicht pauschal bewerten lässt, kann eine Haftungsbeschränkungsklausel insgesamt schon allein dann unwirksam sein, wenn sie nicht ausdrücklich Schadensersatzansprüche des Kunden wegen Verletzung von Körper, Gesundheit oder Leben oder aufgrund von grobem Verschulden oder Vorsatz des Lieferanten oder seiner Erfüllungsgehilfen von der Begrenzung wieder ausnimmt. Dafür hat der Lieferant nämlich stets unbegrenzt zu haften. Fehlt diese Ausnahme in der Formulierung, kann der Kunde regelmäßig auf Verhandlungen zu diesem Punkt verzichten, da eine solche Haftungsbegrenzung des Lieferanten dann insgesamt unwirksam sein dürfte.

Fazit: Weichenstellung erkennen und nutzen

Die in der Checkliste aufgeführten „Unwirksamkeitsgrenzen“ knüpfen allein an die Position des Verwenders an und sind gerade nicht als allgemeingültige Grenzen zu verstehen. Konkret: Schlägt der Lieferant in der oben geschilderten Situation (etwa in den kommerziellen Bedingungen seines Leistungsangebots) eine Gewährleistungsfrist von sechs Monaten vor, ist diese regelmäßig unwirksam. Macht der Kunde dagegen zu diesem Punkt (etwa in den kommerziellen Bedingungen seiner Bestellung) den ersten Aufschlag und schlägt dieselben sechs Monaten vor, ist dies problemlos wirksam.

Gerade weil die oben genannten – und viele weitere, hier noch gar nicht erörterten – Regelungen vielfach für beide Parteien elementare Aspekte betreffen, sollte jeder Verhandlungsführer sich der Wichtigkeit der diskutierten grundsätzlichen Weichenstellungen (Vertrag vorlegen oder der anderen Seite den Vortritt überlassen? Erhaltenes Vertragsangebot verhandeln oder nicht?) bewusst sein. In vielen Fällen ist eine Analyse dieser Weichenstellung hilfreicher und effizienter, als zähes Verhandeln. Aufgabe der kaufmännischen Verhandlungsführer ist es dabei gar nicht zwingend, diese Analyse selbst durchzuführen, sondern zu erkennen, dass es der Analyse überhaupt bedarf.

Autor

David Bündgens

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

 

No forced labour: Neues Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten

27,6 Millionen Menschen sind laut Schätzung der EU-Kommission Opfer von Zwangsarbeit. Die Gewinnung, Ernte, Erzeugung oder Herstellung von Produkten steht dabei besonders im Fokus. Trotz diverser rechtlicher und privatwirtschaftlicher Bemühungen zur Beseitigung von Zwangsarbeit, besteht das Problem fort. Der europäische Gesetzgeber ist daher einen Schritt weiter gegangen: Mit der neuen Verordnung (EU) 2024/3015 über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt sowie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (FLR), die seit 13. Dezember 2024 in Kraft ist, wird es künftig verboten sein, Produkte in Verkehr zu bringen, bereitzustellen oder auszuführen, die unter Einsatz von Zwangsarbeit hergestellt wurden. 

I. Was ist Zweck der FLR?

Inhaltlich ergänzt die FLR das europäische Lieferkettenrecht und dient der wirksamen Umsetzung des Übereinkommens (Nr. 29) der Internationalen Arbeitsorganisation über Zwangsarbeit. Zwar sollen etwa die EU-Lieferkettenrichtlinie (EU) 2024/1760 und die Entwaldungsverordnung (EU) 2023/1115 auch Menschenrechtsverletzungen minimieren, sie räumen den Mitgliedsstaaten aber keine umfassenden Befugnisse ein, jede Art von Produkt „unmittelbar zurückzuhalten, zu beschlagnahmen oder dessen Rücknahme vom Markt anzuordnen“ nachdem eine Herstellung in Zwangsarbeit festgestellt wurde (Erwg. 17 FLR). 

II. Was und wer ist Gegenstand der Verordnung?

Die FLR gilt für alle Produkte, einschließlich ihrer Bestandteile. Das bedeutet, dass jegliche Branchen von der FLR betroffen sind. Unerheblich ist auch der Ursprung der Produkte und ob es sich um heimische oder eingeführte Produkte handelt. 

Die FLR gilt dabei sektorenübergreifend für alle Wirtschaftsakteure, unabhängig von ihrer Größe oder Rechtsform – sie gilt also auch für Kleinstunternehmer, kleine Unternehmen und mittlere Unternehmen (sog. KMU). 

III. Was ist verboten?

Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, sind künftig in der EU verboten; die FLR verbietet es, solche Produkte auf dem Unionsmarkt in Verkehr zu bringen, bereitzustellen oder auszuführen. Damit statuiert die FLR ein umfassendes Vermarktungsverbot. 

Maßgeblich ist, ob beim Herstellungsprozess der Produkte Zwangsarbeit eingesetzt wurde, also „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ (Art. 2 Nr. 1 FLR iVm Art. 2 des IAO-Übereinkommens Nr. 29). Der Einsatz von Zwangsarbeit kann auf jeder Stufe der Gewinnung, Ernte, Erzeugung oder Herstellung eines Produktes erfolgen, einschließlich der Be- oder Verarbeitung auf beliebiger Stufe seiner Lieferkette (Art. 2 Nr. 7 FLR).

IV. Wie überprüfen Behörden, ob ein Produkt in Zwangsarbeit hergestellt wurde? 

Bei der Bewertung und Untersuchung der Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes, bei der Einleitung und Durchführung von Voruntersuchungen und der Ermittlung der betroffenen Produkte und Wirtschaftsakteure haben die Behörden einen risikobasierten Ansatz zu verfolgen. Das bedeutet, dass sie z.B. Ausmaß und Schwere der mutmaßlichen Zwangsarbeit und die Menge der betroffenen Produkte berücksichtigen müssen. Auch haben sie u.a. Informationen über Risikoindikatoren (z.B. aus Berichten der IAO) und Informationen, die durch die zu implementierenden Informationskanäle zur Verfügung stehen, heranzuziehen. 

Das behördliche Verfahren selbst erfolgt dreistufig:

Zuerst wird eine Voruntersuchung eingeleitet, in der festgestellt wird, ob ein begründeter Verdacht eines Verstoßes vorliegt. Hierbei gibt die Behörde den Wirtschaftsakteuren und gegebenenfalls anderen Produktlieferanten die Möglichkeit, binnen 30 Arbeitstagen Informationen über Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die sie ergriffen haben, um Zwangsarbeitsrisiken zu ermitteln, zu verhindern, zu minimieren, zu beenden oder entsprechende Abhilfe zu schaffen. Sie kann diese Informationen auch von anderen Interessenträgern anfordern. Das bedeutet, dass der begründete Verdacht auch auf anderen verfügbaren Fakten basieren kann.

Stellt die Behörde einen begründeten Verdacht fest, wird eine Untersuchung in Bezug auf die betreffenden Produkte und Wirtschaftsakteure eingeleitet. Dabei hat die Behörde weitreichende Befugnisse. So können (erneut unter kurzer Fristsetzung) sämtliche relevanten Informationen von den betroffenen Wirtschaftsakteuren oder (auf freiwilliger Basis) von jeglicher sonst relevanten Person abgefragt werden. Unter Umständen können auch Kontrollen vor Ort durchgeführt werden. Letzteres ist bei Zwangsarbeitsrisiken außerhalb der EU aber an strenge Voraussetzungen geknüpft. 

Auf Basis aller mit den Untersuchungen eingeholten Informationen, wird über das tatsächliche Vorliegen eines Verstoßes entschieden. Hierbei ist zu beachten, dass die Behörde auch auf Grundlage von sonstigen verfügbaren Informationen eine Entscheidung fällen kann, wenn der Wirtschaftsakteur bspw. die angeforderten Informationen nicht vorlegt oder die Untersuchung in andere Weise behindert.

V. Was passiert, wenn die Behörde einen Verstoß feststellt?

Wenn die Behörde feststellt, dass ein unter Einsatz von Zwangsarbeit hergestelltes Produkt in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder ausgeführt wurde, erlässt sie unverzüglich eine Entscheidung mit folgendem Inhalt: 

Verbot des Inverkehrbringens oder der Bereitstellung sowie der Ausfuhr des Produkts;

Anordnung zur Verpflichtung des betroffenen Wirtschaftsakteurs, bereits in Verkehr gebrachte oder bereitgestellte Produkte, die den Endnutzer noch nicht erreicht haben, vom EU-Markt zu nehmen;

Anordnung zur Verpflichtung des betroffenen Wirtschaftsakteurs, das Produkt (oder die betroffenen Bestandteile) aus dem Verkehr zu ziehen. Zur Vermeidung von Störungen in Lieferketten von strategischer oder kritischer Bedeutung kann die Behörde aber auch anordnen, dass das betroffene Produkt für eine bestimmte Zeit auf Kosten der Wirtschaftsakteure zurückgehalten wird. In dieser Zeit hat der Wirtschaftsakteur die Möglichkeit die Zwangsarbeit in der bestehenden Lieferkette zu beenden. Um ein Produkt aus dem Verkehr zu ziehen, müssen die Produkte recycelt oder, sofern nicht möglich, unbrauchbar gemacht werden; verderbliche Produkte sollen vorrangig gemeinnützigen oder im öffentlichen Interesse liegenden Initiativen gespendet werden. 

Die Entscheidung muss die in Art. 22 FLR genannten Inhalte enthalten und wird entweder als Durchführungsrechtsakt durch die Kommission erlassen oder, wenn nationale Behörden entscheiden, von den anderen Mitgliedsstaaten anerkannt und durchgesetzt. 

Kommt ein Wirtschaftsakteur der Entscheidung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, setzt die Behörde die Entscheidung selbst durch und verhängt darüber hinaus gegen den Wirtschaftsakteur Sanktionen. Die Ausgestaltung, Höhe und Durchsetzung der Sanktionen obliegt wie üblich den Mitgliedsstaaten. 

VI. Welche Behörde ist zuständig? 

Die behördlichen Zuständigkeiten richten sich danach, in welchem Land die mutmaßliche Zwangsarbeit stattgefunden hat: 

Wenn der Verstoß in einem EU-Mitgliedsstaat vermutet wird, so fungiert die jeweils zuständige nationale Behörde dieses Mitgliedsstaates als federführende Behörde. 

Wird der Einsatz von Zwangsarbeit außerhalb der EU vermutet, fungiert die EU-Kommission als federführende zuständige Behörde.

Produkte, die auf den Unionsmarkt gelangen oder diesen verlassen, unterliegen zudem den Kontrollen und Maßnahmen der Zollbehörden. Diesen werden künftig für bestimmte Produktgruppen zusätzliche Informationen zur Identifizierung der Produkte zur Verfügung gestellt werden müssen.

Zur Förderung des Informationsaustausches und der Zusammenarbeit zwischen EU-Kommission und nationalen Marktüberwachungs- und Zollbehörden enthält die FLR zahlreiche Regelungen.

VII. Ab wann gilt das Vermarktungsverbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten?

Das Verbot gilt ab 14. Dezember 2027. 

Die Behörden müssen aber bereit jetzt tätig werden, um etwa Informations- und Kommunikationssysteme aufzubauen.

VIII. Was haben Unternehmen jetzt zu tun?

Unternehmen müssen künftig sicherstellen, dass sie keine Produkte in Verkehr bringen, bereitstellen oder ausführen, die unter Einsatz von Zwangsarbeit hergestellt wurden. 

Um sich frühzeitig vorzubereiten, können bereits jetzt folgende Schritte empfohlen werden:

Frühzeitige Einhaltung der in anderen Rechtsakten geregelten Sorgfaltspflichten (z.B. LkSG oder EUDR); 

Implementierung von Risikoanalysen zu möglichen Zwangsarbeitsrisiken in den Lieferketten;

Aufsetzen und Implementierung von Dokumentationen von Maßnahmen zur Ermittlung, Verhinderung, Minimierung und Beendigung von Zwangsarbeitsrisiken.

Wichtig werden in diesem Zusammenhang die in der FLR vorgesehenen, noch zu erlassenen Leitlinien sein. Bis zum 14. Juni 2026 soll die EU-Kommission u.a. Leitlinien für Wirtschaftsakteure zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf Zwangsarbeit sowie zu bewährten Verfahren zur Beendigung und Beseitigung von Zwangsarbeit, sowie Informationen über Risikoindikatoren für Zwangsarbeit zur Verfügung stellen. 

Speziell für KMU ist im Blick zu behalten, welche Maßnahmen die EU-Kommission erlässt, um die Wirtschaftsakteure zu unterstützen. Es ist bereits festgelegt, dass für KMU Kontaktstellen zur Verfügung stehen sollen, die Informationen zu Fragen im Zusammenhang mit der FLR bieten. 

Gerne unterstützen wir Sie bei Ihren praktischen Herausforderungen im Zusammenhang mit Lieferkettensorgfalt und Zwangsarbeit! 

Autorinnen

Dr. Astrid Seehafer, M.Sc.

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Berlin

Isabel Dorothee Ruhnke, LL.M.

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Berlin

Drei Probleme der Haftung zur Lohnsteuer in der Unternehmenskrise

Hintergrund 

Die Insolvenzantragspflicht tritt bei haftungsbeschränkten, juristischen Personen nach § 15a Abs. 1 InsO ein, wenn diese zahlungsunfähig i.S.d. § 17 InsO oder überschuldet i.S.d. § 19 InsO sind. Dieser gesetzliche Mechanismus bewirkt, dass nach dem Antrag Sicherungsmaßnahmen nach §§ 21 ff. InsO implementiert werden (sollen), die die spätere Insolvenzmasse schützen. Wird kein Insolvenzantrag gestellt, soll das handelnde bzw. handlungsverpflichtete Organ den daraus resultierenden Masseverlust ersetzen, § 15b InsO. Der Grundsatz, dass z.B. der GmbH-Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzantragspflicht keine Zahlungen mehr leisten darf, kollidiert grundsätzlich mit seinen Pflichten, Steuern pünktlich zu bezahlen. Die grob fahrlässige Nichtzahlung von Steuern ist nämlich ebenfalls haftungsbewehrt, § 69 AO.

Diese Pflichtenkollision soll § 15b Abs. 8 InsO auflösen, der in den Fällen, in denen das Vertretungsorgan pünktlich einen Insolvenzantrag stellt, die Nichtzahlung von Steuern in der Phase zwischen Eintritt der Insolvenzantragspflicht und Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht als pflichtgemäß bezeichnet. 

Die Lohnsteuer ist die Vorauszahlung auf die Einkommensteuer. Der Arbeitgeber behält sie vom Lohn des Arbeitnehmers ein und führt sie an das Finanzamt ab. Dazu ist er nach § 38 I EstG verpflichtet. Am Ende wird die Lohnsteuer auf die Einkommenssteuer verrechnet. 

Nun stellt sich die Frage, ob die vom Gesetzgeber formulierte Privilegierung der Nichtzahlung von Steuern in der Antragsphase das Vertretungsorgan des Steuerschuldners überhaupt absichert. Die vorhandenen Unklarheiten sind für die Vertretungsorgane nämlich empfindlich, da jede Verhaltensvariante hier zu persönlicher Haftung führen könnte. 

Alte Rechtslage

Nach alter Rechtslage (bis 2021) war die Haftung für masseschmälernde Zahlungen in einigen Spezialgesetzen geregelt; wobei der Wortlaut im Wesentlichen identisch war. 

Nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat, darf der Vorstand/Geschäftsführer keine Zahlungen leisten. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. (§ 64 GmbHG a.F., § 92 AktG a.F.),

Dem Grunde nach waren alle Zahlungen verboten, die  Ausnahme war z.B. in § 64 S. 2 GmbHG a.F. geregelt. Diese Ausnahme wurde derart restriktiv ausgelegt, dass die erlaubten Zahlungen de facto eine Fortführung eines Geschäftsbetriebs unmöglich machten, obgleich es der Zweck der Ausnahme war, die Fortführung des Unternehmens auch im Antragszeitraum zu ermöglichen. Allerdings bestand nach alter Rechtslage ein einheitlicher Haftungsmaßstab. Die rechtzeitige Antragstellung war nicht entscheidend. 

Die Pflichtenkollision bestand auch nach alter Rechtslage: die organschaftlichen Vertreter sind verpflichtet, für die juristische Person die Steuern abzuführen und haften für die grob fahrlässige Unterlassung auch persönlich, §§ 34, 69 AO. Im Ergebnis wurde die Pflichtenkollision von der Rechtsprechung aufgelöst, die eine Zahlung von Steuern dann nicht als haftungsbegründend i.S.d. § 64 GmbHG a.F. ansah (z.B. BGH, Urteil vom 14. 5. 2007 - II ZR 48/06 (KG)). 

Der Steuerpflicht wurde hiermit der Vorrang vor dem insolvenzrechtlichen Zahlungsverbot eingeräumt – mit der praktischen Folge einer Bevorzugung des Fiskus als sonst ungesichertem Gläubiger.

Einführung § 15b InsO 

§ 15b InsO wurde durch das SanInsFoG in die InsO eingefügt, die Organhaftung in den Spezialgesetzen wurden gestrichen. Somit befindet sich jetzt in der InsO eine zentrale Haftungsnorm, was systematisch stimmig ist und auch viele sonstige Missverständnisse ausgeräumt hat.

Der Wortlaut des § 15b I InsO entspricht im Wesentlichen immer noch dem der § 64 GmbHG a.F., § 92 AktG a.F.. Allerdings wurden in den Absätzen 2-8 viele Detailregelungen getroffen, die Ergänzungen enthalten.

In § 15b VIII InsO heißt es (gekürzt):

Eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten liegt nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 oder der Überschuldung nach § 19 und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a nachkommen. 

Die Pflichtenkollision wurde in Absatz 8 also neu geregelt. Offensichtlich hat der Gesetzgeber die oben skizzierte BGH Entscheidung und deren Sinn erkannt und wollte eine Kodifikation schaffen (Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/25353 Seite 11 f.).

Die Rechtsprechung, dass die Zahlung der Steuern trotz Zahlungsverbot privilegiert sei, dürfte also überholt sein. Nun besteht explizit ein Vorrang des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbotes vor den steuerlichen Pflichten – die Privilegierung gilt freilich nur, wenn im Ergebnis rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt worden ist. 

Erstes Problem:

Überraschend ist aber die Formulierung „Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis“. Die Lohnsteuer führt der Arbeitgeber nicht auf eigene, steuerliche Verpflichtungen ab, sondern auf die Steuerpflicht des Arbeitnehmers. Die Finanzverwaltung erzwingt lediglich, dass dieser Teil nicht über den Arbeitnehmer bezahlt, sondern direkt vom Arbeitgeber abgeführt wird.  Das Steuerschuldverhältnis kommt mit dem Arbeitnehmer zustande, dieser ist steuerpflichtig. 

Daher entsteht bisweilen die Auffassung, dass die Privilegierung des § 15b Abs. 8 InsO die Geschäftsleitungsorgane nicht hinreichend schütze. Diese Auffassung steht aber in Widerspruch zur Absicht des Gesetzgebers, die Nichtzahlung von Steuern im Antragszeitraum zu privilegieren. Ferner entspricht die Formulierung der Privilegierung insoweit auch der Formulierung in § 69 AO, der auch von „Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis“ spricht. Sollte sich die Finanzverwaltung also auf den Standpunkt stellen, dass diese Formulierung die Lohnsteuer nicht erfasst, fehlt es ihr bereits an einer Anspruchsgrundlage für die Haftung des Geschäftsleitungsorgans. Insofern ist recht evident, dass die Privilegierung des § 15b Abs. 8 InsO auch für die Lohnsteuer gilt.

Zweites Problem:

Ein weiteres Problem stellt sich aus der Privilegierungsbedingung, dass Insolvenzantragspflicht eingetreten sein muss. Dies kann nämlich – zum Beispiel bei der Beurteilung einer positiven Fortführungsprognose nach § 19 InsO, durchaus unklar sein. Da die Privilegierung auch dann entfällt, wenn die Insolvenzantragsfrist verstrichen ist, muss das Entfallen einer positiven Fortführungsprognose oder der Eintritt der Insolvenzantragspflicht recht exakt datiert werden, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Das ist häufig schwierig.

Ein geschicktes Argument für die Finanzverwaltung könnte demnach sein, bei einer Inanspruchnahme eines Geschäftsleitungsorgans nach § 69 AO das Vorliegen von Insolvenzantragsgründen zu bestreiten, sodass der Anspruchsgegner gehalten ist, diese in überzeugender Tiefe darzulegen. Hieraus könnte die Finanzverwaltung wieder Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Insolvenzantragspflicht ggf. schon etwas früher eingetreten sei – mit der gleichen, bedrohlichen Wirkung für das Geschäftsleitungsorgan.

Drittes Problem:

Ein drittes Problem entsteht dadurch, dass bisher einiges dafür spricht, eine Gleichwohlzahlung der fälligen Lohnsteuer als haftungsbegründend nach § 15b Abs. 1 InsO anzusehen. Immerhin enthält § 15b Abs. 8 InsO eine ausdrückliche Privilegierung der Nichtzahlung. Auf eine Pflichtenkollision kann sich das Geschäftsleitungsorgan dann also nicht mehr berufen. Ob eine solche Zahlung gleichwohl noch „sorgfaltsgemäß“ nach Abs. 1 oder wenigstens „ordnungsgemäß“ i.S.d. Abs. 2 wäre, darf bezweifelt werden. Wenn die Antragsfrist verstrichen ist und die Privilegierung nicht (mehr) greift, könnte eine Gleichwohlzahlung infolge der wiederauflebenden Pflichtenkollision wieder zulässig sein, also stellt sich das Problem lediglich „innerhalb“ der Antragsfrist. Allerdings ist die Gleichwohlzahlung dann jedenfalls keine Lösung dafür, Unsicherheiten zu beseitigen, wenn der Zeitpunkt des Eintritts von Insolvenzantragspflicht unklar ist. 

Konsequenzen für die Praxis

Es ist noch wichtiger geworden, den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzantragspflicht exakt zu bestimmen. Immer wieder bieten sich auch einige Zäsuren in einer Unternehmenskrise als überzeugende „Abrisskante“ an. Hier ist – wie stets – eine genaue Befassung mit der Liquidität des Unternehmens und eine aussagekräftige und weitreichende Liquiditätsplanung unerlässlich, auch wenn dies, gerade in einer Krise, lästige Mehrarbeit bedeutet.

Ebenfalls sollte ein Geschäftsführer – spätestens in der Unternehmenskrise – seine Erwägungen zum Vorliegen von Insolvenzgründen sauber dokumentieren und diese Dokumente jedenfalls fünf Jahre (Verjährungszeitraum des Anspruchs nach § 15b InsO) aufbewahren. Die z.B. für eine positive Fortführungsprognose nach § 19 InsO wesentlichen Details sind in der gebotenen Exaktheit selten über fünf Jahre auswendig abrufbar.

Autor

Gunnar Müller-Henneberg

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Stuttgart

Chancen und Risiken durch den neuen § 578 Abs. 1 S. 2 BGB – Einführung der Textform für Gewerberaummietverträge

Reform des § 578 Abs. 1 S. 2 BGB

Der Deutsche Bundestag hat in den letzten Zügen der alten Legislaturperiode das „vierte Bürokratieentlastungsgesetz“ verabschiedet. Es soll – wie der Name schon plastisch vor Augen stellt – die Wirtschaft, die Bürger und die Verwaltung von überflüssiger Bürokratie entlasten.

Das Gesetz trat zum 1. Januar 2025 unter anderem mit einer bedeutenden Änderung für Gewerberaummietverträge in Kraft: Anders als bisher können Gewerberaummietverträge, die über einen längeren Zeitraum als ein Jahr geschlossen werden, nun in Textform (§ 126b BGB) geschlossen werden, bisher war Schriftform (§ 126 BGB) hierfür erforderlich, §§ 578 Abs. 1 S. 2, 550 S. 1, 126b BGB.

Für diese spezielle Änderung hatte der Gesetzgeber weniger die Bürokratieentlastung selbst vor Augen, sondern vielmehr eine Besonderheit aus der Rechtspraxis: Wurde die Schriftform nicht eingehalten, so galt der Vertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen, § 550 S. 1 BGB. Dies galt auch bei Vertragsänderungen, die nicht schriftlich vereinbart wurden, welche sogar den ganzen Vertrag mit ihrer Formunwirksamkeit quasi „infizierten“. Bei Verstößen gegen das Schriftformerfordernis konnten sich Vermieter und Mieter (oder ebenso ein Erwerber, welcher in die Vermieterstellung eintritt, § 566 Abs. 1 BGB) dann vorzeitig durch Kündigung vom eigentlich gewollten Zeitmietvertrag lösen. Das ist nach § 580a Abs. 2 BGB bei Geschäftsräumen jeweils zum Quartalsende mit einer ca. sechs- bis neunmonatigen Frist möglich. Hier möchte der Gesetzgeber nun mögliche Vertragsunsicherheiten beseitigen, indem er die bestehenden Formerfordernisse vereinfacht.

Dieser Ansatz wirkt auf den ersten Blick zumindest vielversprechend. So erscheint die Textform als Formerfordernis sowohl praxistauglicher als auch mit Blick auf die soeben dargestellten bisher bestehenden Risiken lösungsorientiert. Doch bringen neue Regelungen zumeist auch potentielle neue Risiken mit sich.

Schriftform, elektronische Form und Textform

Die Schriftform (§ 126 BGB) verlangt, dass die Verträge von beiden Parteien eigenhändig handschriftlich unterzeichnet werden müssen. Die Unterschrift muss den Vertrag räumlich abschließen und hat eine Klarstellungs- und Beweisfunktion. Sie gewährleistet die Echtheit des Vertrages und die Identität des Ausstellers.

Um den Anforderungen des modernen Geschäftsverkehrs gerecht zu werden, kann statt der Schriftform mittlerweile im Regelfall die elektronische Form gewählt werden, §§ 126 Abs. 3, 126a BGB. Die Unterschrift kann so durch eine sogenannte „qualifizierte elektronische Signatur“ ersetzt werden. Dafür gibt es verschiedene Zertifizierungsanbieter wie z.B. DocuSign als derzeitigen „Platzhirsch“.

Die neue Regelung gemäß §§ 578 Abs. 1 S. 2, 550 S. 1 BGB sieht für Gewerberaummietverträge vor, dass für diese nun die Textform nach § 126b BGB ausreichend ist. Im Kern bedeutet dies schlicht eine lesbare Erklärung, die den Erklärenden nennt und auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben ist. Eine Unterschrift ist nicht mehr erforderlich. Die Erklärungen müssen dergestalt gespeichert sein, dass sie dauerhaft wiedergegeben werden können. Das heißt, dass dafür einfache Erklärungen auf Papier, per E-Mail, via Messenger-Diensten wie WhatsApp oder gar via Nachrichten über soziale Medien ausreichen. Vertragsschlüsse können somit im Ergebnis per E-Mail, via Messenger oder über ähnliche Kommunikationswege erfolgen.

Nach Art. 220, § 70 Abs. 1 EGBGB gilt das „alte“ Schriftformgebot noch bis zum Ende des Jahres 2026 für Verträge, die vor dem 1. Januar 2025 geschlossen wurden. Mietverträge, die ab diesem Datum geschlossen wurden, unterliegen schon der „neuen“ Textform. Gleiches gilt auch für Altverträge, die ab dem 1. Januar 2025 geändert werden.

Eine gesetzlich vorgeschriebene Form kann im Regelfall jedoch auch individualvertraglich abweichend vom Gesetz bestimmt werden, § 127 BGB. Dies kann bei Gewerberaummietverträgen auch in Zukunft noch sinnvoll sein:

Welche Chancen bringt die neue Regelung?

Durch die Abkehr von der Schriftform wird der Abschluss von Gewerberaummietverträgen vereinfacht. Durch die niedrigschwellige Textform können Vertragsabschlüsse schneller und noch ortsunabhängiger erfolgen, da dann nicht einmal mehr ein Zugang zu einem Zertifizierungsanbieter für die qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist.

Die Flexibilität der Textform zeigt sich insbesondere bei späteren Vertragsmodifikationen. Eine solche Anpassung kann nun unkompliziert per E-Mail oder via sonstigem textbasierten Kommunikationsweg erfolgen. Das erleichtert etwa Verhandlungen über Mietanpassungen, Verlängerungen oder sonstige Änderungen.

Bisher führte eine nicht eingehaltene Schriftform dazu, dass der Mietvertrag als unbefristet galt und daher vorzeitig mit der gesetzlichen Frist beendet werden konnte. Dieser Aspekt wurde in der Vergangenheit häufig strategisch genutzt, um sich vorzeitig aus langfristigen Gewerberaummietverträgen zu lösen. Mit der neuen Regelung entfällt dieses Risiko weitgehend, da die Textform sehr leicht einzuhalten ist und Formfehler seltener auftreten sollten. Insofern scheint der Gesetzgeber sein Ziel erreicht zu haben.

Wo liegen die Risiken?

Was zunächst nach einer administrativen Erleichterung klingt, kann in der Praxis aber erhebliche (neue) Herausforderungen mit sich bringen. Die Abkehr von der Schriftform bedeutet für sorgfältige Unternehmer nicht nur mehr administrativen Aufwand, sondern auch neue rechtliche Unsicherheiten, insbesondere im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit, Beweiskraft und Verbindlichkeit von Mietverträgen.

Zunächst können sich unklare Vertragssituationen ergeben: Mit der Textform ergeben sich insbesondere Schwierigkeiten, Entwürfe zum endgültigen Vertrag abzugrenzen. Denn im Vorfeld eines Vertragsschlusses werden in der Regel eine Vielzahl von Entwürfen beispielsweise per E-Mail hin und her geschickt, was grundsätzlich bereits das Textformerfordernis erfüllt. Die Unterschrift hatte hier einen entscheidenden Vorteil: Durch sie konnte meist zweifelsfrei festgestellt werden, dass gerade dieses Dokument – in klarer Abgrenzung zu etwaigen vorhergehenden Entwürfen – der endgültige Vertrag sein sollte. In der Literatur ist man beispielsweise der Auffassung, dass für eine Abgrenzung im Rahmen der Textform bei § 126b BGB auf das Merkmal der „Erklärung“ abzustellen wäre. Diese liegt dann vor, wenn eine Partei ihre Zustimmung zu einem bestimmten Vertragstext äußert. Insoweit wird es ausreichen, wenn die Erklärung außerhalb des Textes selbst, etwa in einem Anschreiben, bekundet wird.

Mit Aufgabe der Schriftform wird auch ihr besonderer Beweiswert aufgegeben, vgl. §§ 416, 440 Abs. 2 ZPO. Durch die Schriftform wird die Echtheit der Urkunde vermutet; ebenso gilt die Vermutung, dass sie von dem Aussteller stammt, dessen Unterschrift sich unter der Urkunde befindet. Das erspart oft langwierige Prozesse und Beweisaufnahmen, was mit der Textform aufgegeben wird.

Letztlich wird die Feststellung des konkreten Vertragsinhaltes durch die Textform erheblich erschwert und ist zudem fehleranfällig. Um festzustellen, worauf sich die Parteien schließlich geeinigt haben, sind eine Speicherung und Sichtung der gesamten Kommunikation erforderlich. Dadurch wird das Ziel, das mit einem „Bürokratieentlastungsgesetz“ impliziert wird, zumindest potentiell ins Gegenteil verkehrt.

Im Hinblick auf einen Immobilienverkauf wird dies besonders virulent. Bekanntlich gilt: Kauf bricht nicht Miete, § 566 BGB; der Käufer tritt also mit dem Immobilienerwerb in die Vermieterstellung ein. Beim Immobilienverkauf wird die geänderte Rechtslage deshalb eine intensivere Prüfung der Mietverträge erforderlich machen. Käufer müssen sich stärker absichern, da Änderungen an Mietverträgen nun formloser vorgenommen werden können. Verkäufer werden voraussichtlich zunehmend Garantien in Kaufverträgen abgeben müssen, um sicherzustellen, dass keine unentdeckten, textformkonformen Nebenabreden existieren und sämtliche Korrespondenz zum Mietvertrag offengelegt wurde. Es erscheint deshalb sinnvoll, auch im Mietvertrag vorausschauend eine Regelung zu treffen, dass der Mieter beim Verkauf der Immobilie die Vollständigkeit eines Datenraums bestätigen muss.

Die Gefahr der Nichtigkeitsfolge bei gewillkürter Schriftform

Zwar genügt nach dem Gesetz nun die Textform, es steht allerdings auch weiterhin frei, vertraglich eine strengere Form, etwa die Schriftform oder die elektronische Form, zu vereinbaren. Das kann gewisse Risiken verringern, aber auch neue Gefahren bergen: So könnte statt der Folge eines („nur“) kündbaren Vertrages beim Verstoß gegen eine vereinbarte Schriftform nach § 125 S. 2 BGB sogar die Nichtigkeit des ganzen Vertrages drohen.

Fazit

Die neue Regelung gemäß §§ 578 Abs. 1 S. 2, 550 S. 1, 126b BGB birgt wohl im Ergebnis mehr Risiken als Chancen. In der Regel wird in der Kommunikation eindeutig geklärt sein müssen, ob es sich um Verhandlungen oder um eine verbindliche Vereinbarung handelt. Gerade im Hinblick auf Immobilientransaktionen müssen Abreden möglichst sorgfältig dokumentiert werden, um Missverständnisse und gegebenenfalls sogar Haftungen zu vermeiden.

In jedem Fall gilt jedoch im Rahmen einer erforderlichen rechtlichen Beratung genauer hinzusehen, um insofern die für den jeweiligen Sachverhalt maßgeschneiderte „beste“ Lösung zu finden.

Autor

Paul Herter

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Stuttgart

Handelsbarrieren bewältigen – Was die neuen US-Zölle für internationale Lieferverträge bedeuten

Die Maßnahmen der Vereinigten Staaten (USA) zur Erhebung von Zöllen auf Warenimporte in die USA haben zu einer starken Verunsicherung der internationalen Wirtschaft geführt. Für die Europäische Union (EU) etwa sollen für Exporte in die USA Zölle in Höhe von 20 % gelten. Kurz danach setzte US-Präsident Trump für 90 Tage die flächendeckenden Zölle auf 10 % herab, um den Ländern Gelegenheit zur Verhandlung zu geben. Nahezu sicher ist nur eines: Es wird höhere Zölle geben.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass alle betroffenen Unternehmen jetzt die Auswirkungen der US-Zölle auf aktuelle und künftige Handelsgeschäfte sorgfältig prüfen. Ziel dieser Prüfung ist es, Risiken zu identifizieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sich vor unerwarteten Kosten und finanziellem Verlust zu schützen. Dieser Beitrag soll Unternehmen als Leitlinie dienen, um erforderliche Maßnahmen zu identifizieren.

Anwendungsbereich 

Jedes Unternehmen, das Waren aus den USA importiert oder dorthin exportiert, sollte in erster Linie rechtlich prüfen, ob es von den neuen Zöllen und Gegenzöllen überhaupt betroffen ist. Die USA erheben die Zölle insbesondere auf Produkte aus Schlüsselindustrien wie Technologie, Stahl, Aluminium, Automobil und Agrarwirtschaft. Hier hatten die USA bereits im Februar 2025 Zölle in Höhe von 25 % auf Einfuhren dieser Produkte angekündigt. Zudem berät die EU bereits über etwaige Gegenzölle, die als Reaktion auf neue US-Zölle eingeführt werden sollen. Daher sollten sich Unternehmen nicht nur mit den steigenden Zöllen für Exporte in die USA befassen, sondern auch mit steigenden Zöllen für Importe in die EU. Auf die Entscheidung der USA, ihre sogenannten „reziproken“ Zölle um 90 Tage aufzuschieben, hat die EU mit einer gleichlautenden Entscheidung reagiert. 

Wer trägt die US-Zölle in Lieferbeziehungen?

Primär sollten Unternehmen die Gültigkeit ihrer Verträge unter den neuen Bedingungen prüfen und klären, wie die aufgrund dieser Zölle entstehenden Mehrkosten zwischen den Parteien vertraglich aufzuteilen sind. Dies hängt vom anwendbaren Recht des Vertrags und den Vertragsbedingungen selbst ab.

Geltung von Incoterms®-Klauseln der ICC

In der Praxis wird in den meisten Verträgen ausdrücklich oder stillschweigend geregelt, welche Partei die Kosten für Transport und Zoll trägt, nicht selten durch die Aufnahme einer Incoterms®-Klausel. Die Incoterms®-Klauseln sind kein unmittelbar geltendes Recht, sondern von der Internationalen Handelskammer (ICC) veröffentlichte, vorformulierte Regelungen zur Auslegung bestimmter Handelsklauseln, sofern sie von den Vertragspartnern in den Vertrag einbezogen worden sind.

Mit Ausnahme der Incoterms®-Klauseln EXW und DDP ist grundsätzlich der Käufer für die Einfuhrfreimachung, d.h. den Import, und der Verkäufer für die Ausfuhrfreimachung, also den Export, verantwortlich. Sofern die Vertragsparteien die Incoterms®-Klausel „Delivered Duty Paid“ (DDP) vereinbart haben, trägt der Verkäufer alle Kosten für Einfuhr- und Ausfuhrzölle bis zum Lieferort. Dies ist in der Regel die Betriebsstätte des Käufers. Damit trägt der Verkäufer bei dieser Klausel ebenfalls das zollrechtliche Risiko im grenzüberschreitenden Verkehr. Spiegelbildlich zu der Incoterms®-Klausel DDP obliegt die Zollfreimachung bei Vereinbarung der Klausel „Ex Works“ (EXW) vollständig dem Käufer.

Keine vertragliche Regelung

Geht man einmal davon aus, dass keine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Zölle existiert und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) nicht anwendbar ist, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, wer die zusätzlichen Zollgebühren zu tragen hat. Nach der Zweifelsfallregelung des § 448 Abs. 1 BGB trägt bei einem Kaufvertrag der Verkäufer die Kosten der Übergabe der Sache, während der Käufer die Abnahme- und Versandkosten an einen anderen Ort als den Erfüllungsort trägt. Bei grenzüberschreitenden Versendungskäufen gemäß § 447 Abs. 2 BGB muss der Käufer sämtliche Transportkosten tragen, die nach Übergabe an die Transportoperson entstehen. Die durch die Versendung entstandenen zusätzlichen Kosten wie Steuern und Zölle nach Verlassen des Erfüllungsortes sind damit üblicherweise vom Käufer zu tragen. 

Möglichkeiten der Preisanpassung

Nach einer internen Vertragsprüfung und Risikobewertung der bestehenden Lieferverträge mit Vertragspartnern sollten die Unternehmen in einem zweiten Schritt den Dialog mit ihren Vertragspartnern suchen, um über die Auswirkungen der neuen US-Zölle zu sprechen. Hierbei sind insbesondere die folgenden Gesichtspunkte wichtig: 

Gesetzliches Recht auf Preisanpassung

Zwischen zwei Vertragspartnern besteht ein gesetzliches Recht auf Preisanpassung in der Regel nur bei einem grobem Missverhältnis zwischen der vertraglich vereinbarten Leistung und dem Leistungsinteresse der anderen Partei.

Nach § 275 Abs. 2 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse der anderen Partei steht. Bei unerwarteten Leistungserschwerungen, die zu einer bloßen Störung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung führen, greift der Einwand der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 BGB jedoch nicht. Die Erhöhung von Zollgebühren stellt keine grobe Unverhältnismäßigkeit für die betroffene Partei dar. 

Sofern sich Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben und die Parteien den Vertrag in Kenntnis dessen nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten und einer Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann, kann gemäß § 313 Abs. 1 BGB eine Vertragspartei eine Vertragsanpassung an die geänderten Umstände verlangen. Allerdings muss dafür eine schwerwiegende, wesentliche Änderung vorliegen. Zudem muss nach der Rechtsprechung durch die Änderung eine unter Umständen existenziell bedeutsame Folge für eine Partei eintreten, deren Vorliegen sich nach der Vertragsart und den Umständen des Einzelfalls bestimmt.

Darüber hinaus begründen vorhersehbare Änderungen grundsätzlich kein Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB, da die zum normalen Vertragsrisiko gehörenden Störungen zu Lasten der betroffenen Partei gehen. Lieferverträge beinhalten stets ein gewisses Risiko hinsichtlich Preisschwankungen oder gestiegener Transportkosten, etwa wenn die Vertragsparteien Festpreise vereinbaren. Zudem dürfte zu berücksichtigen sein, dass die Implementierung höherer US-Zölle durch US-Präsident Trump in der Vergangenheit nicht selten thematisiert wurde und dadurch nicht gänzlich unvorhersehbar gewesen sein wird. Ob durch die gestiegenen Zölle eine schwerwiegende, wesentliche und vor allem unvorhersehbare Änderung der Umstände vorliegt, ist stark zu bezweifeln. Sollten die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB dennoch vorliegen, ist die Rechtsfolge primär ein Anspruch auf eine inhaltliche Anpassung des Vertrages. Nur wenn eine Anpassung nicht möglich oder dem Vertragspartner nicht zumutbar ist, kann der Vertragspartner nach § 313 BGB vom Vertrag zurücktreten oder kündigen. Da bereits das Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB zweifelhaft ist, ist das Vorliegen eines Rechts auf Rücktritt oder Kündigung des Vertrages aufgrund der gestiegenen Zölle sehr unwahrscheinlich.

Vertragliche Gestaltungsoptionen

Sofern die Vertragsparteien in bestehenden Verträgen keine angemessene Regelung bezüglich einer Zollerhöhung getroffen haben, sollten die Vertragsparteien bestehende Verträge anpassen und in künftigen Verträgen etwaige Änderungen von Zollgebühren bereits im Vorhinein berücksichtigen.

Lieferverträge enthalten typischerweise eine Regelung für Fälle höherer Gewalt (sogenannte „Force Majeure“). Höhere Gewalt wird definiert als ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis. Internationale Wirtschaftsakteure müssen damit rechnen, dass sich Zölle verändern, insbesondere unter Berücksichtigung der vergangenen politischen Jahre in den USA. Außerdem ist eine Vertragspartei durch gestiegene Zölle in der Regel nicht an ihrer Leistung gehindert, sofern die Zölle lediglich höhere Kosten für die betroffene Partei verursachen. 

Daneben ist die Vereinbarung sogenannter „Hardship“-Klauseln üblich, um Vertragsbedingungen bei veränderten Umständen, dem Vorliegen eines sogenannten Härtefalls, anpassen zu können. Um sich vor unerwünschten Auswirkungen von Zolländerungen in Lieferbeziehungen wirksam abzusichern, muss die Klausel allerdings hinreichend definiert sein. Daran scheitern die Hardship-Klauseln oft. Die Parteien müssen abwägen, ob sie das Vorliegen eines Härtefalls weit oder eng definieren, was in beiden Fällen zu Auslegungsschwierigkeiten führen kann. Starre Grenzen für einen Härtefall existieren nicht. Je nach Ausgestaltung und Auslegung der Hardship-Klausel stellen erhöhte Zölle einen Ausnahmefall dar oder fallen gar nicht erst darunter. Die Beurteilung erfolgt damit stets nach den Umständen des Einzelfalls.

In der Praxis gängig ist schließlich die Vereinbarung von Preisanpassungsklauseln, um in langfristigen Vertragsverhältnissen Flexibilität zu gewährleisten. Diese Klauseln ermöglichen eine nachträgliche Anpassung vereinbarter Preise bei sich ändernden Rahmenbedingungen. Die genaue Formulierung der Klausel ist entscheidend, da die Rechtsprechung strenge Anforderungen an die Wirksamkeit der Klausel stellt, insbesondere bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nach § 307 BGB und nach den Regelungen des Preisklauselgesetzes (PreisklG). Eine wirksame Preisanpassungsklausel muss transparent sein und darf die Vertragsparteien nicht unangemessen benachteiligen, etwa durch einseitige Preissteigerungen bei Kostenerhöhungen ohne entsprechende Senkung des Preises im Falle von Kostensenkungen oder etwa dadurch, dass nur eine Partei die Anpassung verlangen kann. Es ist wichtig, dass eine Klausel zur flexiblen Anpassung des Preises an veränderte Zölle präzise formuliert und detailliert ausgearbeitet ist, um zu verhindern, dass die Klausel unwirksam wird. 

Fazit

Insgesamt ist es entscheidend, dass Unternehmen, die von den neuen US-Zöllen betroffen sind, jetzt proaktiv handeln und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihre internationalen Geschäftsmodelle zu schützen. Durch eine umfassende rechtliche Analyse, Anpassung von Verträgen und enge Zusammenarbeit mit juristischen Experten können Unternehmen die Auswirkungen von Handelsbarrieren minimieren und langfristigen Geschäftserfolg sichern. Faire Regelungen zur Preisanpassung, Lieferzeitverlängerung und Haftungsbegrenzung können den Vertragsparteien helfen, flexibler auf die veränderten Handelsbedingungen zu reagieren und ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Autoren

Dr. Christoph von Burgsdorff, 
LL.M. (Essex)

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg

Luisa Kramer

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg

Keine Angabe der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung von Unternehmern erforderlich - BGH Beschluss vom 25. Februar 2025 - VIII ZR 143/24

Hintergrund

Der für den Autokauf zuständige VIII. Senat des Bundesgerichtshofs („BGH“) hat sich mit Beschluss vom 25. Februar 2025 - VIII ZR 143/24 zu dem Erfordernis einer Telefonnummer in einer selbst verfassten Widerrufserklärung geäußert. 

Der in dem großvolumigen Klagekomplex federführend von Luther-Partnerin Dr. Anika Wendelstein beratene Automobilhersteller („Beklagte“) verkauft über seine deutsche Vertriebsgesellschaft Kraftfahrzeuge im Direktvertrieb an Kunden in Deutschland. In der gegenüber den Käufern von der Beklagten verwendeten, selbst formulierten Widerrufsbelehrung war keine Telefonnummer angegeben. 

In der sogenannten EIS-Rechtsprechung des für Wettbewerbsrecht zuständigen ersten Senats hatte der BGH entschieden, dass ein Unternehmer wettbewerbsrechtlich verpflichtet ist, Verbraucher vorvertraglich über eine Telefonnummer zu informieren, wenn er die gesetzlich vorgesehene Musterwiderrufsbelehrung verwendet (Urteil vom 24. September 2020 – I ZR 169/17). Dieses Urteil griffen eine Vielzahl von Einzelverbrauchern auf und argumentierten, dass sie auf Grund einer fehlenden Telefonnummer auch nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist von 14 Tagen zum Widerruf berechtigt seien.

Vor dem Hintergrund sah sich die Beklagte einer Vielzahl von Widerrufen und entsprechender Klagen im gesamten Bundesgebiet ausgesetzt. 

Sachverhalt

Der Kläger, ein Verbraucher, kaufte von der Beklagten ein Fahrzeug über den Online-Vertrieb. Die Beklagte stellte bei Vertragsschluss dem Kläger eine selbst formulierte Widerrufsbelehrung ohne die Angabe einer Telefonnummer zur Verfügung. Das Fahrzeug wurde dem Kläger im August 2022 übergeben. 

Rund 10 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs erklärte der Kläger per E-Mail den Widerruf seiner auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung. Der Kläger argumentierte, dass ihm durch die fehlende Telefonnummer ein verlängertes Widerrufsrecht auch nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist von 14 Tagen zustehe. 

Mit der Klage machte der Kläger unter anderem die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs geltend. In den Vorinstanzen unterlag der Kläger, zuletzt vor dem Kammergericht Berlin, welches die Revision nicht zugelassen hatte. Mit dem Beschluss hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verworfen. 

Der Beschluss des BGH

Der BGH hat sich – wie auch schon die Vorinstanz – umfassend der Ansicht der Beklagten angeschlossen und beschlossen, dass die Beklagte nicht zur Angabe einer Telefonnummer in der selbst formulierten Widerrufsbelehrung verpflichtet ist, wenn die Postanschrift sowie ihre E-Mail-Adresse angegeben wird. Der Widerruf des Klägers war daher verfristet.

Der BGH legt die durch Artikel 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB umgesetzte Verbraucherrechterichtlinie Richtlinie 2011/83/EU („Verbraucher-RL“) aus und betont, dass diese keine Verpflichtung zur Angabe einer Telefonnummer enthält. Zudem liege keine Irreführung des Verbrauchers vor, wenn eine im Internet leicht auffindbare und verfügbare Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht ausdrücklich genannt wird.

Keine Telefonnummer nach Wortlaut erforderlich

Der BGH stellt zunächst fest, dass der Wortlaut der Verbraucher-RL keine Beantwortung der Frage enthält, welche Kommunikationsmittel bei Fernabsatzverträgen in der selbst verfassten Widerrufsbelehrung anzugeben sind und ob neben der Postanschrift und der E-Mail Adresse auch eine Telefonnummer anzugeben ist. Der BGH beantwortet diese Frage mit Rekurs auf den Kontext und den Regelungszweck der Verbraucher-RL. 

Bezüglich des Kontexts stellt der BGH fest, dass der Unionsgesetzgeber in der Regelung Art. 6 Abs. 1 Buchst. h) Verbraucher-RL keine Angabe der Telefonnummer vorgesehen hat. Dort heißt es nur, dass der Unternehmer über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren zu informieren hat. An anderer Stelle ist jedoch eine Regelung zur Telefonnummer vorhanden (z.B. in Art. 6 Abs. 1 lit. c und Art. 5 Abs. 1 lit. b Verbraucher-RL). Auch aus der Musterwiderrufsbelehrung, welche die Angabe einer Telefonnummer enthält, lässt sich eine verpflichtende Angabe nach dem BGH nicht herleiten. Diese ist systematisch nachgelagert (Art. 6 Abs. 4 Verbraucher-RL) und lässt sich daher nicht auf den vorliegenden Fall einer selbst formulierten Widerrufsbelehrung anwenden, so der BGH. Im Gegenteil stellt der BGH vielmehr fest, dass der Unionsgesetzgeber in den Erwägungsgründen der Verbraucher-RL im Hinblick auf die Verteilung der Beweislast für die Tatsache, dass der Widerruf innerhalb der in der Richtlinie festgelegten Fristen erfolgt ist, sogar von einem Telefonanruf abrät.

Auch die Regelungsziele der Verbraucher-RL sprechen nach dem BGH gegen die Verpflichtung zur Angabe einer Telefonnummer. Nach dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) soll sichergestellt werden, dass der Verbraucher neben der Information über seinen Vertragspartner auch die notwendigen Informationen bekommt, um sein Widerrufsrecht wirksam auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2019 - C-649/17, NJW 2019, 3365, Rn. 41 - Amazon EU). Hierzu gehören die Informationen zur schnellen und effizienten Kontaktaufnahme mittels geeigneter Kommunikationsmittel, wobei die Beurteilung der Kommunikationsmittel den nationalen Gerichten überlassen wird (EuGH, ebd.). Der BGH betont, dass es zu einer schnellen und effizienten Kontaktaufnahme der im Internet tätigen Beklagten – über die Post- und E-Mail-Anschrift hinaus – nicht erforderlich ist, eine Telefonnummer anzugeben. Die Telefonnummer war im Fall des BGH zudem auf der Internetseite angegeben, was nach dem BGH durch den EuGH ausdrücklich gebilligt wurde (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2019 - C-649/17, NJW 2019, 3365 Rn. 52 - Amazon EU).

Keine Irreführung des Verbrauchers

Der BGH befasst sich darüber hinaus auch mit der Frage, ob eine – unterstellte – unvollständige Aufklärung überhaupt einem Anlaufen der Widerrufsfrist entgegenstehen würde. 

Nach dem BGH ist neben der formal unvollständigen oder unzutreffenden Information erforderlich, dass der Verbraucher dadurch irregeführt wurde und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte. Erst dann ist die Belehrung fehlerhaft. Dies ergibt sich aus den anzuwendenden Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH zur Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-38/21, C-47/21, C-232/21, juris Rn. 253, 264 - BMW Bank).

Die fehlende Angabe der – bereits mitgeteilten und unschwer im Internet auffindbaren – Telefonnummer hat sich nach dem BGH nicht auf die Fähigkeit des Verbrauchers ausgewirkt, sein Widerrufsrecht auszuüben und den Verbraucher damit nicht irregeführt. Insbesondere hat sich dies nicht auf die rechtzeitige – fristgerechte – Ausübung des Widerrufsrechts ausgewirkt, da die Beklagte andere Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat, ohne die Möglichkeit eines Telefonats auszuschließen.

Der BGH wandte die EIS-Rechtsprechung, nach der eine Telefonnummer angegeben werden müsse, ausdrücklich nicht auf diesen Fall an. Die EIS-Rechtsprechung bezog sich auf die Verwendung einer Musterwiderrufsbelehrung – nicht auf eine selbst verfasste Widerrufserklärung – und auf einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht (UWG). 

Acte Clair

Der BGH hält die Wirksamkeit der Widerrufsbelehrung auch ohne Telefonnummer sowie eine fehlende Irreführung des Verbrauchers in diesem Fall für derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt und verzichtet daher auf eine Vorlage an den EuGH. 

Fazit

Der BGH hat in dem Musterfall bemerkenswert schnell und ausführlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung genommen. Durch dieses Vorgehen hat er den mit einer Vielzahl von Klagen konfrontierten Instanzgerichten, der Beklagten sowie den klagenden Verbrauchern Rechtsicherheit verschafft. 

Der Beschluss des BGH ist zu begrüßen. Verbraucherschutz ist wichtig, aber die Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. In den gegen die Beklagte gerichteten Fällen kamen die Kläger weit nach Ablauf des 14-Tages-Zeitraumes auf die Idee, sich von dem Kaufvertrag über ein hochpreisiges Neufahrzeug lösen zu wollen, und suchten dafür nach „Formfehlern“. Nach dem BGH kann der Fehler für den Fernabsatzverkäufer nur dann negative Konsequenzen haben, wenn die unterlassene Angabe verpflichtend war und das Ausbleiben der Angabe den Verbraucher tatsächlich irreführt, sodass er die Widerrufserklärung nicht ordnungsgemäß (fristgemäß) ausüben kann. Nichtsdestotrotz ist für Fernabsatzverkäufer Vorsicht geboten. Schon der kleinste Fehler bei der Belehrung kann eine Klagewelle auslösen. Selbst wenn sie am Ende als Sieger herausgehen, dürfen der Reputationsschaden und die mit den Prozessen verbundenen internen und externen Aufwände nicht unterschätzt werden. 

Autoren

Dr. Johannes Teichmann

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Frankfurt a.M.

Julian Wantzen, LL.M. (Wellington)

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Frankfurt a.M.

Neues aus der Welt der Schiedsgerichtsbarkeit – Singapur:

Gestaltung der Zukunft der Schiedsgerichtsbarkeit: Aktualisierung der SIAC-Schiedsregeln 2025

Das Singapore International Arbitration Centre („SIAC“) wurde 1991 als unabhängige, gemeinnützige Organisation gegründet und bietet als eine der führenden internationalen Schiedsinstitutionen Dienstleistungen im Bereich der Streitbeilegung für die globale Geschäftswelt an. Das SIAC führt eine internationale Expertenliste mit über 600 erfahrenen Schiedsrichtern aus mehr als 40 Rechtsordnungen. Das SIAC verfügt über ein eigenes Regelwerk, die SIAC-Schiedsregeln, welche die Schiedsverfahren regeln.

Am 9. Dezember 2024 veröffentlichte das SIAC die lang erwartete Aktualisierung seiner Schiedsregeln (die „SIAC-Schiedsregeln 2025“); diese sind am 1. Januar 2025 in Kraft getreten. Neben strukturellen Aktualisierungen enthalten die SIAC-Schiedsregeln 2025 eine Reihe von Änderungen, die darauf abzielen, den Schiedsprozess zu modernisieren und zu vereinfachen, die Wirtschaftlichkeit und Verfahrenseffizienz zu steigern und die Integrität im Rahmen von Schiedsverfahren zu wahren. Das SIAC kündigte auch Änderungen seiner Gebührenordnung an, die ebenfalls am 1. Januar 2025 in Kraft getreten sind. Die SIAC-Schiedsregeln 2025 wurden nach einer umfassenden öffentlichen Konsultation und damit in Zusammenarbeit mit SIAC-Nutzern und Interessengruppen entwickelt.

I. Vereinfachtes Verfahren für Streitigkeiten mit geringem Streitwert (Rule 13, Schedule 2)

Mit Rule 13, Schedule 2 wurde ein vereinfachtes Verfahren (Streamlined Procedure) für Streitigkeiten mit geringem Streitwert (bis zu SGD 1 Mio.) und geringer Komplexität sowie für Fälle eingeführt, in denen sich die Parteien zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Einsetzung des Schiedsgerichts auf die Anwendung des vereinfachten Verfahrens einigen. Im vereinfachten Verfahren muss der Schiedsspruch innerhalb von 3 Monaten ab dem Tag der Einsetzung des Schiedsgerichts ergehen. Die Kosten des Schiedsgerichts und die Verwaltungsgebühren des SIAC bei im Wege des vereinfachten Verfahrens durchgeführten Schiedsverfahren wurden auf 50 % der jeweiligen Höchstgrenze gemäß Gebührenordnung begrenzt.

In Ergänzung zur Einführung des vereinfachten Verfahrens wurde der Streitwert, bis zu dem Parteien ein beschleunigtes Verfahren (Expedited Procedure) (Rule 14, Schedule 3) beantragen können, auf SGD 10 Mio. angehoben.

II. Vorgezogene Entscheidung (Rule 46)

Während die Vorgängerfassung der SIAC-Schiedsregeln (die “SIAC-Schiedsregeln 2016”) eine vorgezogene Entscheidung (Preliminary Determination) nicht ausdrücklich vorsah, ermächtigt Rule 46 das Schiedsgericht ausdrücklich, jede im Schiedsverfahren zu behandelnde Frage bereits in einem frühen Stadium endgültig und verbindlich zu entscheiden, sofern (i) sich beide Parteien damit einverstanden erklären, (ii) der Antragsteller den Nachweis erbringen kann, dass eine solche Entscheidung Zeit und Kosten spart oder die Beilegung der Streitigkeit beschleunigt, oder (iii) das Schiedsgericht feststellt, dass die Umstände des Falles dies rechtfertigen.

Sofern das Schiedsgericht den Antrag auf eine vorgezogene Entscheidung zulässt, muss es seine Entscheidung, sein Urteil, seine Anordnung oder seinen Schiedsspruch innerhalb von 90 Tagen nach Antragstellung erlassen; dies erleichtert eine schnelle Lösung bestimmter Fragen.

III. Verbesserung des Eilschiedsrichterverfahrens und Einführung von Anträgen auf einstweilige Verfügung (Rule 12.1 und Schedule 1)

Die SIAC-Schiedsregeln 2025 enthalten Verbesserungen, durch die es den Parteien leichter möglich sein soll, dringende einstweilige sowie Schutzmaßnahmen zu erlangen. Während die SIAC-Schiedsregeln 2016 die Ernennung eines Eilschiedsrichters für dringenden einstweiligen Rechtsschutz erst nach Einreichung der Anzeige über die Einleitung eines Schiedsverfahrens vorsahen, können Antragsteller nun die Ernennung eines Eilschiedsrichters vor Einreichung der Einleitungsanzeige beantragen, wobei die Anzeige dann innerhalb von 7 Tagen eingereicht werden muss. Die Parteien können nun auch einstweilige Verfügungen beantragen, die es einer Partei untersagen, den Zweck einer beantragten dringenden einstweiligen oder Schutzmaßnahme zu untergraben, bevor sie die Gegenparteien von dem Antrag auf Ernennung eines Eilschiedsrichters in Kenntnis setzen. Der Eilschiedsrichter muss innerhalb von 24 Stunden nach seiner Ernennung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entscheiden. Der Antragsteller muss die einstweilige Verfügung gegebenenfalls unverzüglich, innerhalb von 12 Stunden nach Erlass der Verfügung, an die Gegenparteien weiterleiten, anderenfalls tritt die einstweilige Verfügung 3 Tage nach dem Tag, an dem sie erlassen wurde, außer Kraft.

IV. Koordinierte Verfahren (Rule 17)

Die neue Rule 17 führt explizit einen Mechanismus zur koordinierten Entscheidung mehrerer die gleichen Rechts- oder Tatsachenfragen betreffender Schiedsverfahren ein, soweit dasselbe Schiedsgericht eingesetzt wurde. Ziel ist es, die Entscheidung mehrerer paralleler komplexer Schiedsverfahren zu rationalisieren, die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse zu verringern und zu verhindern, dass über mehrere Verfahren hinweg dieselben Kosten mehrfach anfallen.

Gemäß Rule 17 kann eine Partei beantragen, dass im Falle mehrerer Schiedsverfahren die Verfahren entweder gleichzeitig oder nacheinander geführt werden, dass im Rahmen der Verfahren eine gemeinsame Anhörung mit aufeinander abgestimmten Verfahrensschritten stattfindet oder dass ein Schiedsverfahren ausgesetzt wird, bis ein anderes Schiedsverfahren entschieden ist.

V. Gespräche über administrative Angelegenheiten (Rule 11)

Nach der neuen Rule 11 kann der Registrator vor Einsetzung eines Schiedsgerichts Gespräche über administrative Angelegenheiten mit den Parteien führen, um mit diesen die nach den Schiedsregeln vom Registrator zu treffenden verfahrens- oder verwaltungstechnischen Anordnungen zu besprechen.

VI. Aktive Förderung der Inanspruchnahme von Mediation (Rule 32.4 und Rule 50.2)

Die Gerichte sind nicht nur dazu angehalten, im Rahmen des ersten Gesprächs über die Handhabung des Falls auf die Möglichkeit der Wahl eines Verfahrens der gütlichen Streitbeilegung hinzuweisen (Rule 32.4), sondern sind nun auch befugt, Anordnungen zu treffen, einschließlich einer Aussetzung des Verfahrens, damit die Parteien sich in jeder Phase des Schiedsprozesses für solche Verfahren der gütlichen Streitbeilegung entscheiden können (Rule 50.2). Darüber hinaus werden die Parteien ermutigt, sich zu Beginn des Schiedsverfahrens mit Verfahren der gütlichen Streitbeilegung auseinanderzusetzen (Rule 6.4 und Rule 7.3).

VII. Bestimmungen zu Vereinbarungen über eine Finanzierung durch Dritte (Rule 38)

Während die SIAC-Schiedsregeln 2016 von den Parteien nicht die Offenlegung von Vereinbarungen über eine Finanzierung durch Dritte verlangten, müssen die Parteien nach der neuen Rule 38 das Vorliegen solcher Vereinbarungen sowie die Identität und Kontaktdaten der Drittfinanzierer in ihren Anzeigen oder Antworten oder schnellstmöglich nach Abschluss einer Vereinbarung über eine Drittfinanzierung offenlegen. Rule 38 ermächtigt die Schiedsgerichte darüber hinaus, solche Offenlegungen anzuordnen und Vereinbarungen über eine Drittfinanzierung im Rahmen der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Des Weiteren schreibt Rule 38 vor, dass es nach Einsetzung des Schiedsgerichts keiner Partei gestattet ist, eine Drittfinanzierungsvereinbarung abzuschließen, die bei einem Mitglied des Schiedsgerichts zu einem Interessenkonflikt führen könnte.

VIII. Anwendbarkeit der SIAC-Schiedsregeln 2025

Sofern ein Vertrag ausdrücklich auf die SIAC-Schiedsregeln 2016 verweist, bleiben diese Regeln für Streitigkeiten aus diesem Vertrag verbindlich. Wird in einem Vertrag jedoch allgemein und ohne Angabe einer bestimmten Version auf die „SIAC-Schiedsregeln“ verwiesen, so gilt das neueste Regelwerk, das zum Zeitpunkt des Schiedsverfahrens in Kraft ist (also die Schiedsregeln 2025). Die SIAC-Praxis und das Schiedsverfahrensrecht geben in der Regel der Anwendung der neuesten Schiedsregeln den Vorrang, um die Verfahrenseffizienz zu steigern und modernen Praktiken zu entsprechen.

Autoren

Dr. Maximilian Kressner, M.Jur. (Oxford)

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Singapur

Jan Zimmer

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Singapur

Erhalt der Verlustvorträge trotz Erwerbs von mehr als 50% der Anteile

Der Erhalt von Verlustvorträgen ist Gegenstand zahlreicher Gesetzgebungsvorhaben gewesen. Um zu verhindern, dass gut verdienende (und damit steuerpflichtige) Unternehmen leere GmbH-Mäntel mit hohen Verlustvorträgen kaufen, um durch Verschmelzung die Verlustvorträge zu nutzen und die eigene Steuerlast zu senken, hat der Gesetzgeber bereits in den 80er Jahren eine Neuordnung auf den Weg gebracht. Danach durften Verlustvorträge nur noch genutzt werden, wenn „überwiegend neues Betriebsvermögen“ zugeführt wurde (ehemals § 8 Abs. 4 KStG). Dies führte zu einer unklaren Rechtslage und damit zu vielen Gerichtsverfahren. Im Jahr 2007 beschloss der Gesetzgeber eine drastische Verschärfung durch die Einführung des § 8c KStG. Nunmehr gingen beim Erwerb von mehr als 25% der Gesellschaftsanteile die Verlustvorträge quotal unter, beim Erwerb von mehr als 50% komplett. Die Details sind noch deutlich komplizierter.

Jedenfalls führte der Gesetzgeber schon früh eine sogenannte Sanierungsklausel ein, nach der Verlustvorträge nicht untergingen, wenn der Beteiligungserwerb in der Krise und zum Zwecke der Sanierung erfolgte. Hintergrund war, dass ansonsten ein möglicher Investor lieber abwartete, bis das Unternehmen in der Insolvenz war und er den Geschäftsbetrieb kaufen und zumindest das Abschreibungspotential nutzen konnte.

Seit 2019 gilt nunmehr die heutige Regelung des § 8c Absatz 1a KStG: „Für die Anwendung des Absatzes 1 ist ein Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäftsbetriebs der Körperschaft unbeachtlich. 2Sanierung ist eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten.

Modifizierung: 

In einem Entwurf zu einem BMF-Schreiben an die Obersten Finanzbehörden der Länder werden nunmehr einige (strittige) Details der Vorschrift klargestellt:

Sanierungsvoraussetzungen

Die Anwendung der Sanierungsklausel setzt danach voraus, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs sanierungsbedürftig und sanierungsfähig ist. 

Sanierungsbedürftig ist die Körperschaft, wenn Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung (§§ 17-19 InsO) = Krise drohen oder bereits eingetreten sind.

Sanierungsfähig ist die Gesellschaft, wenn die objektive Möglichkeit besteht, durch die angestrebten Maßnahmen die Krise zu beseitigen.

Weitere Voraussetzungen

Der „Erhalt der wesentlichen Betriebsstrukturen“ liegt vor, wenn

Es eine Betriebsvereinbarung mit Arbeitsplatzregelung gibt oder

Die Lohnsumme nach einem bestimmten Schlüssel erhalten bleibt oder

Wesentliches Betriebsvermögen zugeführt wird.

Betriebsvereinbarung

Zur Annahme des Erhalts wesentlicher Betriebsstrukturen gehört zwingend der Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit einem Betriebsteil in dem mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Es müssen Aussagen über den Erhalt und die Sicherung der Arbeitsplätze getroffen werden, wobei es keine Mindestzahl der zu erhaltenden Arbeitsplätze gibt. Die Betriebsvereinbarung muss tatsächlich befolgt werden. 

Lohnsummenregelung

Nach dem Gesetz darf „die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen der Körperschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb 400 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht“ unterschreiten. Dies führte häufig zur Verwirrung, weil nicht klar war, was die Bezugsgröße sein sollte. Hier stellt das BMF-Schreiben klar, dass für die Ermittlung der Ausgangslohnsumme die letzten 5 Jahre vor dem Beteiligungserwerb maßgebend sind. Außerdem wird klargestellt, dass die Regelung nicht anwendbar ist, wenn die Körperschaft nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.

Wesentliches Betriebsvermögen

Das BMF-Schreiben stellt klar, dass die Zuführung von 25% Betriebsvermögen innerhalb von 12 Monaten nach dem Beteiligungserwerb entweder in das Nennkapital oder in die Kapitalrücklage erfolgen kann. Letzteres ist gesellschaftsrechtlich deutlich einfacher darstellbar. Auch Aufgelder sind als Zuführung zu qualifizieren. Der Erlass von Forderungen ist nur insoweit zu berücksichtigen, als diese im Zeitpunkt des Erlasses werthaltig waren.

Werden die vorstehenden Voraussetzungen nach dem Beteiligungserwerb wieder rückgängig gemacht, entfällt nachträglich der Erhalt der Verlustvorträge.

Das BMF Schreiben – so es denn in dieser Form veröffentlicht wird – stellt einige Zweifelsfälle klar und wird dadurch zu einer besseren Planbarkeit von Investitionen in der Krise sorgen. Weitere Verbesserungen sind denkbar – aber dies ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Autor

Reinhard Willemsen

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln

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