11.08.2025
Wenn Brücken nicht gebaut, Schulen nicht saniert und Bahnstrecken nicht modernisiert werden, liegt das nicht immer am fehlenden Geld, sondern teils auch an zeitintensiven Vergabeverfahren. Öffentliche Aufträge sind das Rückgrat unserer Infrastruktur, doch ihre Umsetzung gleicht häufig einem Marathon durch Formulare, Fristen und Vorschriften. Mit dem Vergabebeschleunigungsgesetz 2025 wagt die Bundesregierung den Versuch, diesen Knoten zu lösen. Die Frage ist: Wird es gelingen, den teils zähen Behördenlauf in einen Sprint in die Zukunft zu verwandeln? Nachdem das 2024 angestoßene Vergabetransformationsgesetz aufgrund der Neuwahlen nicht verabschiedet wurde, liegt mit dem am 6. August 2025 vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge (sog. Vergabebeschleunigungsgesetz) ein neuer Anlauf zur Modernisierung und Vereinfachung des Vergaberechts vor. Der Gesetzentwurf soll eine Antwort auf die bestehenden Herausforderungen, dem Sanierungs- und Investitionsstau, der grünen Transformation und den neuen sicherheitspolitischen Realitäten sein.
Der Gesetzentwurf sieht primär Änderungen im Bereich der oberschwelligen Vergaben vor. Neben dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erhalten die einschlägigen Vergabeverordnungen VgV, SektVO, KonzVgV und VSVgV ein Markup. Zudem sind Änderungen am Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), der Bundeshaushaltsordnung (BHO), dem Wettbewerbsregistergesetz (WRegG) sowie der Vergabestatistikordnung (VergStatVO) vorgesehen. Der zweite und dritte Abschnitt der Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) soll ebenfalls entsprechend den im Vergabebeschleunigungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen angepasst werden.
Die weitgehendste Änderung ist im Bereich des Rechtsschutzes angesiedelt. Sofern die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag abgelehnt hat, soll die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde entfallen (§ 173 Abs. 1 GWB-E). Die zweite Instanz, die regelmäßig am OLG angesiedelt ist, soll somit für den essentiellen Primärrechtsschutz an Bedeutung verlieren und eine schnellere Erteilung des Zuschlags ermöglicht werden.
Gegen diese Verkürzung des Rechtsweges bestehen sowohl aus verfassungs- als auch aus europarechtlicher Sicht erhebliche Bedenken. Mehr und mehr werden daher Stimmen aus der Anwaltschaft laut, die sich zu Recht kritisch positionieren. Aber auch jenseits dieser rechtsdogmatischen Überlegungen, erscheint es zweifelhaft, dass hiermit der „große Durchbruch“ gelingt. Jährlich werden in Deutschland ca. 23.000 Aufträge im Oberschwellenbereich vergeben. Nicht einmal 1.000 dieser Vergaben landen im Vergabenachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern. In bis zu 150 Fällen, also in deutlich unter 1% der Vergabeverfahren, geht ein Verfahren mit der sofortigen Beschwerde in die zweite Instanz. In den allermeisten Fällen ergibt sich somit keinerlei Beschleunigung. Der von der Bundesregierung angesetzte Hebel zu einer vermeintlichen Beschleunigung des Vergaberechts verfehlt hier auf Kosten des Primärrechtsschutzes das Ziel!
Mit der Digitalisierung der Arbeit der Vergabekammern sowie der erweiterten Befugnis zur Entscheidung nach Lage der Akten (§ 166 Abs. 1 Satz 4 GWB-E) sieht der Gesetzesentwurf zwar Maßnahmen zur Entlastung der Vergabekammern vor, eine Entscheidung der Vergabekammern innerhalb der stets anvisierten Frist von fünf Wochen (§ 167 Abs. 1 GWB) erscheint damit jedoch (weiterhin) nicht in Reichweite. Eine effektive Beschleunigung des Rechtsschutzes könnte vielmehr durch eine bessere personelle Ausstattung der Vergabekammern und der Gerichte erzielt werden.
Die vorgesehene Beschränkung des Losgrundsatzes hat sich nicht durchgesetzt. Dafür soll eine neue Abweichungsmöglichkeit eingeführt werden, die eine Gesamtvergabe für die Realisierung dringlicher Infrastrukturvorgaben aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ ermöglicht, sofern der geschätzte Auftrags- oder Vertragswert die EU-Schwellenwerte um das 2,5-fache übersteigt (§ 97 Abs. 4 Satz 4 GWB-E).
Diese Ausnahme ist zu befürworten. Gerade bei Infrastrukturprojekten kommt es auf die fach- und termingerechte Leistungserbringung an, damit langwierige Verzögerungen vermieden werden. Hierfür hat sich in der Vergangenheit die Durchführung einer Gesamtvergabe bewährt. Mit der einheitlichen Leistungserbringung sinkt das Risiko, dass es zu Verzögerungen im Bauablauf kommt, sei es durch mangelhafte Kommunikation zwischen den verschiedenen Auftragnehmern oder durch langwierige Bestimmung, wer der richtige Adressat zur Beseitigung von Mängeln ist.
Mit der geplanten Änderung reduziert sich nicht nur der Begründungsaufwand für die Vergabestellen bei diesen privilegierten Aufträgen. Sie können nunmehr rechtssicher auf die Bildung von Losen verzichten. Diese Rechtssicherheit wäre jedoch für jegliche Vergaben, die dringende und wichtige Großprojekte betreffen, unabhängig von der Herkunft der Finanzierung wünschenswert.
Auch Bieter sollen künftig entlastet werden, indem künftig der Nachweis der Eignung durch Eigenerklärungen erfolgen soll (§ 122 Abs. 3 GWB-E). Der Nachweis der Eignung soll künftig auf aussichtsreiche Unternehmen begrenzt werden. Dieser reduzierte Aufwand soll den Anreiz zur Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen erhöhen und den Wettbewerb im Vergabeverfahren stärken.
Die geplante Neufassung von § 122 Abs. 4 Satz 4 GWB stellt klar, dass die Eignungskriterien weder in der Auftragsbekanntmachung abschließend aufgeführt werden müssen, noch dass es eines direkten Links zur Fundstelle in den Vergabeunterlagen bedarf. Vielmehr ist es ausreichend, wenn erkennbar ist, an welcher Stelle der Vergabeunterlagen diese Informationen eingesehen werden können, sodass der personelle Aufwand bei der Erstellung der Bekanntmachung zulasten der Transparenz sinken wird. Obgleich diese Änderung im Sinne der Vereinfachung des Vergaberechts einen Treffer landen, steht zu befürchten, dass die gesetzliche Normierung dieser Neuerung nicht mit Art. 58 Abs. 5 der Europäischen Richtlinie RL 2024/24 EU vereinbar ist, nach dem die Eignungskriterien und Eignungsnachweise in der Auftragsbekanntmachung zu nennen sind.
Mit der geplanten Neufassung des § 97 Abs. 2 GWB soll die Rechtsprechung des EuGH zur Teilnahme von Bietern aus Drittstaaten, mit denen kein Freihandelsabkommen besteht, umgesetzt werden (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2024 – C-652/22). Die durch das Urteil entstandene Unsicherheit zum Umgang mit solchen Bietern wird dadurch leider nicht beseitigt. Auftraggeber müssen sich weiterhin in die bestehenden Freihandelsabkommen einarbeiten und die konkreten europäischen Vorgaben beachten.
Mit der Neufassung des § 108 GWB soll die effiziente Verwaltungskooperation erweitert werden. Dies dient insbesondere der gemeinsamen Digitalisierung der Verwaltung und soll bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigen.
Der Grundsatz der Unwirksamkeit eines Vertrages, der durch eine rechtswidrige Direktvergabe geschlossen wurde, soll nunmehr durch § 134 Abs. 4 GWB-E durchbrochen werden. Dieser sieht vor, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es ausnahmsweise rechtfertigen können, dass ein solcher Vertrag von Anfang an wirksam ist. In diesem Fall kann die Vergabekammer oder das Beschwerdegericht gegen den Auftraggeber eine Geldsanktion verhängen oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages aussprechen.
Mit der Änderung der Bundeshaushaltsordnung wird die Wertgrenze für Direktvergaben auf Bundesebene auf 50.000 Euro angehoben. Diese Anhebung entlastet die Vergabestellen und beschleunigt die öffentliche Beschaffung. Zugleich werden auch die entsprechenden Vorschriften zur Meldepflicht an die Vergabestatistik und zur Abfragepflicht des Wettbewerbsregisters angepasst.
Künftig ist zudem eine Neufassung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) vorgesehen. Diese soll jedoch unabhängig vom Vergabebeschleunigungsgesetz im Einvernehmen mit den Ländern erarbeitet werden. Ein Zeitrahmen ist bislang nicht bekannt.
Der Gesetzesentwurf wird größtenteils positiv wahrgenommen. Viele begrüßen die Vereinfachungen im Vergabeverfahren und erwarten eine Beschleunigung der künftigen Vergaben. Oftmals werden jedoch weitere Akzente und tiefgreifendere Änderungen gewünscht, insbesondere zur Durchführung von Gesamtvergaben. Erhebliche Kritik an der Verkürzung des Rechtsschutzes durch die Abschaffung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde kommt mit guten Gründen aus der Anwaltschaft.
Es ist zu erwarten, dass das Gesetz nach der Sommerpause in den Bundestag eingebracht wird. Nach der Verabschiedung im Bundestag und der Zustimmung des Bundesrats soll das Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Quartalsanfangs in Kraft treten.
Mit dem Gesetzentwurf wird die lange erwartete Modernisierung des Vergaberechts angestoßen. Trotz aller Kritik bietet der Gesetzentwurf die notwendigen Impulse zur Beschleunigung und Vereinfachung der Vergabeverfahren, die große Reform bleibt (in gewohnter Manier) aus.
Es bleibt abzuwarten, ob sich im Gesetzgebungsverfahren noch weitere Änderungen ergeben oder gar aufgrund der immer lauter werdenden Stimmen gegen die Verkürzung des Rechtsschutzes Kursänderungen vorgenommen werden. Über die Entwicklungen halten wir Sie natürlich auf dem Laufenden und bringen Sie rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Änderungen in unserem Veranstaltungsformat VergabeINSIGHT auf den neuesten Stand.
Matthias Mehlwitz, LL.M.
Counsel
Essen
matthias.mehlwitz@luther-lawfirm.com
+49 201 9220 24014
Andrea Heim
Senior Associate
Stuttgart
andrea.heim@luther-lawfirm.com
+49 711 9338 17383