30.09.2025

Commercial Newsletter - 3. Quartal 2025

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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

das dritte Quartal 2025 hat gezeigt, wie schnell sich wirtschaftliche Realitäten verändern und wie Unternehmen und Institutionen gleichermaßen gefordert sind, sich flexibel auf neue Rahmenbedingungen einzustellen. Während viele Branchen sich weiterhin mit den Nachwirkungen internationaler Handelskonflikte und Lieferkettenproblemen auseinandersetzen, gewinnen Fragen der Technologieentwicklung und Transformation immer mehr an Bedeutung. Digitalisierung, nachhaltige Wertschöpfung und innovative Geschäftsmodelle stehen im Mittelpunkt der Diskussionen und bieten Chancen, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.

Diese dynamischen Entwicklungen bringen zahlreiche rechtliche und strategische Erfordernisse mit sich. Neue Regulierungen, Veränderungen in der Steuerpolitik, und Anpassungsdruck im Unternehmensalltag verlangen praxisnahe Lösungen und vorausschauende Planung. Der Arbeitsmarkt verändert sich genauso wie die Anforderungen an Compliance und Risikomanagement.

In der aktuellen Ausgabe unseres Newsletters finden Sie beispielsweise eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuerungen durch die KI-Verordnung, die seit dem 2. Februar 2025 für Anbieter und Betreiber von KI-Systemen in der Europäischen Union gilt. Ferner befassen sich unsere Autorinnen und Autoren beispielsweise mit dem 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland, das zahlreiche Einschränkungen für exportierende Unternehmen enthält. Tipps zur Vertragsverhandlung für Nichtjuristen sowie spannende Urteilsbesprechungen aus dem Bereich des Insolvenzrechts runden unseren Newsletter für das dritte Quartal 2025 ab.

Gerne leisten wir mit unseren Kurzanalysen einen praxisnahen Beitrag für die Umsetzung strategischer sowie rechtlicher Maßnahmen und Entscheidungen. Zusätzlich laden wir Sie ein, unsere interaktiven Webformate zu nutzen, um Neuerungen zeitnah im Austausch mit Expertinnen und Experten zu diskutieren. Weitere Informationen finden Sie in unserem Luther Veranstaltungskalender (Veranstaltungen | LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH).

Dr. Steffen Gaber, LL.M. (Sydney) Leon Breiden

Head of Commercia Legal Content Coordinator

Wichtige Neuerungen durch die KI-Verordnung!

Mit Inkrafttreten der neuen KI-Verordnung gilt seit dem 2. Februar 2025 für Anbieter und Betreiber von KI-Systemen in der Europäischen Union die Verpflichtung nach Artikel 4, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass ihr Personal und andere Personen, die in ihrem Auftrag mit dem Betrieb und der Nutzung von KI-Systemen befasst sind, über ein ausreichendes Maß an KI-Kompetenz verfügen. Diese Verpflichtung erfordert weitreichende Maßnahmen, die über technisches Wissen hinausgehen und die Einhaltung komplexer Compliance-Anforderungen betreffen. 

Unter „KI-Kompetenz“ im Sinne des Artikel 4 KI-VO sind gemäß Artikel 3 Nr. 56 KI-VO die Fähigkeiten, Kenntnisse und das Verständnis zu verstehen, welche es ermöglichen sollen, KI-Systeme sachkundig verwenden sowie Chancen und Risiken von KI und mögliche Schäden erkennen zu können.

Für die zwingende interne Organisation und entsprechende Maßnahmen sind in Zukunft die Schaffung interner klarer Richtlinien für Best Practices, ethische Grundsätze und Compliance-Anforderungen speziell ausgerichtet auf den KI-Einsatz relevant. Daneben sind fortlaufende Schulungen und Weiterbildungen erforderlich, um die KI-Strategie aufrechterhalten zu können. Anbieter und Betreiber von KI-Systemen, die keine angemessenen Maßnahmen ergreifen, riskieren nicht nur Compliance-Verstöße, sondern auch haftungsrechtliche Konsequenzen.

Die Vorgaben in Artikel 4 KI-VO erfordern mithin neue Unternehmensstrukturen und ein Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit KI-Systemen. Daher bieten wir im Rahmen unserer zweitägigen Grundlagenschulung „KI & Compliance“, die alle zwei Monate stattfindet, eine speziell entwickelte Schulung zum „AI-Officer / KI-Beauftragten“ mit anschließendem Zertifikat nach Artikel 4 KI-VO an. Als ausgewiesene Experten vermitteln wir kompakt und praxisnah und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert das erforderliche Wissen, um die Anforderungen der KI-VO zu verstehen und effizient im Unternehmen umzusetzen. Theorie und Praxis werden in der Schulung eng verknüpft, sodass das erlangte Wissen im Anschluss unmittelbar im beruflichen Alltag umgesetzt werden kann. So ermöglicht unsere Schulung den Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben optimal umzusetzen und gleichzeitig Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.

Die nächste Schulung startet am 30. September – 1. Oktober 2025 in Köln. Weitere voraussichtliche Termine:

  • 25. – 26. November 2025, Hannover
  • 27. – 28. Januar 2026, Frankfurt
  • 17. – 18. März 2026, Köln
  • 19. – 20. Mai 2026, Hannover
  • 7. – 8. Juli 2026, Frankfurt

Darüber hinaus sind weitere spezialisierte Veranstaltungen in Vorbereitung – unter anderem zu Themen wie „Vertragsgestaltung & KI“, „Cybersecurity & KI“ sowie „KI für Entscheider“. Nähere Details folgen.

Dr. Kuuya Chibanguza, Patrick Vinson

OLG Frankfurt: Rechtsfolgen der Verletzung der Masseerhaltungspflicht in der D&O-Versicherung

Einordnung des Urteils vom 5. März 2025 - 7 U 134/23

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (‚OLG Frankfurt‘) fällte am 5. März 2025 (7 U 134/23) ein bedeutsames Urteil für den D&O-Versicherungsschutz von Geschäftsleitern bei Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 15b InsO (§ 64 GmbHG a.F.). Im Ergebnis schränkt der Senat die Einstandspflicht des D&O-Versicherers durch zusätzliche Beweiserleichterungen ein. Dies kann für den Umfang der persönlichen Einstandspflicht des Geschäftsleiters im Falle der Inanspruchnahme wegen sog. Insolvenzverschleppungshaftung erhebliche Auswirkungen haben. Das Urteil bietet ungeachtet der noch nicht eingetretenen Rechtskraft spannende Einblicke in diverse Haftungs- und Beweisfragen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von D&O-Versicherern.

Hintergrund

Der Haftungsnorm des § 15b InsO liegt eine einfache Systematik zugrunde: Sobald bei einer Gesellschaft Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (sog. Insolvenzreife) eintritt, dürfen Geschäftsleiter zum Schutz der Gläubiger grundsätzlich keine Verfügungen mehr über das Gesellschaftsvermögen vornehmen. Werden dennoch Zahlungen geleistet, sind diese der Gesellschaft in vollem Umfang zu ersetzen. Für die Haftung nach § 15b InsO reicht fahrlässiges Handeln des Geschäftsleiters aus, d.h. vorsätzliches oder wissentliches Handeln wird von der Haftungsnorm nicht vorausgesetzt.

In der Praxis erfolgt in der Regel die Inanspruchnahme sowohl des Geschäftsleiters als auch des D&O-Versicherers. Nach den branchenüblichen „Allgemeinen Versicherungsbedingungen“ entfällt die Einstandspflicht des Versicherers allerdings bei wissentlichen Pflichtverletzungen des Geschäftsleiters. 

Nach ständiger Rechtsprechung greift bei der Verletzung sogenannter Kardinalpflichten, d.h. der Verletzung wesentlicher Hauptpflichten des Geschäftsleiters, der Beweis des ersten Anscheins dahingehend, dass der Geschäftsleiter diese Pflicht vorsätzlich verletzt hat. Der BGH verlangt in diesem Zusammenhang allerdings einen substantiierten Vortrag der Umstände, die auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsleiters schließen lassen.

Sachverhalt

Der für seine Tätigkeit bei einer D&O-Versicherung versicherte Geschäftsführer der insolventen A-GmbH leistete vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbotene Zahlungen im Sinne des § 15b InsO (§ 64 GmbHG a.F.). Der Versicherungsvertrag enthielt die branchenübliche Klausel, wonach der Versicherer nicht leisten muss, soweit ihm der Nachweis einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung gelingt. Der Insolvenzverwalter der A-GmbH klagte den Anspruch aus Geschäftsführerhaftung gegen die D&O-Versicherung ein. Der D&O-Versicherer lehnte seine Einstandspflicht unter Hinweis auf die Verletzung von Kardinalpflichten und damit wissentlichem Handeln des Geschäftsführers ab. 

In erster Instanz entschied das Landgericht Frankfurt am Main zulasten des D&O-Versicherers. Der Versicherer habe den ihm obliegenden Beweis eines wissentlichen Handelns des Geschäftsführers nicht erbringen können. 

Das OLG Frankfurt gab der Berufung des D&O-Versicherers hingegen mit der nachfolgend zusammengefassten Begründung statt. 

Kernpunkt der Entscheidung und Kritik

Der zuständige Senat des OLG Frankfurt ging – soweit übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechungslinie – von dem Vorliegen eines Anscheinsbeweises für wissentliches Handeln des Geschäftsführers im Falle der Verletzung von Kardinalspflichten aus. Aufgrund der Bedeutung des aus § 15b InsO folgenden Zahlungsverbots für den Schutz der Gläubiger konnte es insofern auch nicht überraschen, dass das Gericht Zahlungen nach Insolvenzreife als Verstoß gegen Kardinalspflichten ansieht. 

Entgegen der bisher ständigen BGH-Rechtsprechung ließ das OLG Frankfurt hierbei für das Eingreifen eines Anscheinsbeweises für ein wissentliches Handeln des Geschäftsführers allerdings den Nachweis einer verbotswidrigen Zahlung, d.h. einer Zahlung durch den Geschäftsführer nach objektiv eingetretener Insolvenzreife, genügen – weitere Umstände für ein wissentliches Handeln des Geschäftsführers sind in diesem Fall nach Ansicht des OLG Frankfurt durch den Versicherer nicht nachzuweisen.

Im Ergebnis wird dem Geschäftsleiter damit im Falle von Zahlungen nach Insolvenzreife stets auch Kenntnis der Insolvenzreife selbst unterstellt. Diese Wertung erscheint alleine vor dem Hintergrund der mitunter äußerst komplexen Prüfung der Voraussetzungen des Überschuldungstatbestands nach § 19 InsO zweifelhaft. Ohne insolvenzrechtliche Beratung können Geschäftsführer das Vorliegen von Insolvenzreife oft nicht beurteilen.

Praktische Auswirkungen

Sollte die Entscheidung des OLG Frankfurt vom BGH bestätigt werden, müsste der Insolvenzverwalter für eine erfolgreiche Inanspruchnahme des D&O-Versicherers beweisen, dass der Geschäftsleiter keine Kenntnis von der Insolvenzreife der Gesellschaft hatte. Dieser Nachweis dürfte in der Praxis schwierig zu erbringen sein.

Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt wäre es mithin wesentlich schwieriger, Ansprüche gegen den D&O-Versicherer geltend zu machen. Dies würde die Rechtsstellung des Geschäftsführers verschlechtern, der geringeren Versicherungsschutz genießen würde und folglich sein persönliches Vermögen zur Deckung der entstandenen Schäden einsetzen müsste. Darüber hinaus würde sich die Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger verschlechtern, da in der Regel nur die D&O-Versicherung über die finanziellen Mittel zur Begleichung derartiger Schadensersatzansprüche verfügt.

Dr. Boris Ober, Leon Breiden

„Wer schweigt verliert“ – zur sekundären Darlegungslast im Anfechtungsprozess

 BGH Urteil vom 6. März 2025 – IX ZR 209/23 

Überblick

1. Mit Urteil vom 6. März 2025 – IX ZR 209/23 hat sich der BGH zur sekundären Darlegungslast im Anfechtungsprozess geäußert. Im Ergebnis war es besonders verdächtig, dass die Anfechtungsgegner – als der Schuldnerin nahestehende Personen – zu einer Kaufpreiszahlung nicht näher vorgetragen haben. Ihre Nichterklärung führte dazu, dass der diesbezügliche Vortrag der Kläger (Gläubiger) im Prozess als zugestanden zu werten war und der BGH deshalb das Urteil der Vorinstanz aufhob.

Sachverhalt

2. Die Kläger begehrten von den Beklagten die Duldung der Zwangsvollstreckung in ihre jeweiligen Miteigentumsanteile an zwei Grundstücken in Baden-Baden. Sie waren Inhaber von zwei vollstreckbaren Forderungen gegen die Schuldnerin, in Höhe von rund EUR 1,76 Mio. und in Höhe von rund TEUR 700. Die Forderungen basierten auf Bürgschaften der Schuldnerin zur Sicherung von Forderungen aus Leasinggeschäften. 

3. Bei der Schuldnerin handelte es sich um die Mutter der Beklagten zu 1) und Schwiegermutter des Beklagten zu 2). Im Oktober 2016 veräußerte die Schuldnerin ein vermietetes Grundstück an die Beklagten zu je hälftigem Miteigentum für TEUR 650. Im Jahr 2017 veräußerte sie zudem ein selbst genutztes Wohnhaus an die Beklagte zu 1) für TEUR 600. Diese übertrug einen hälftigen Eigentumsanteil an den Beklagten zu 2). 

4. Nach Auffassung der Kläger haben die Beklagten ihre jeweiligen Miteigentumsanteile an den Grundstücken in anfechtbarer Weise erlangt. Die Zahlung der notariell vereinbarten Kaufpreise wurde von den Klägern bestritten. 

5. Die Vorinstanzen hatten die Anfechtbarkeit der Eigentumsübertragungen nach dem Anfechtungsgesetz jedoch verneint. Die Klageabweisung wurde insbesondere damit begründet, dass die Kläger nicht den Nachweis geführt hätten, dass die Beklagten bei der Eigentumsübertragung den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin kannten. Zwar könne das persönliche Näheverhältnis der Beklagten zur Schuldnerin gerade bei einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein gewichtiges Beweisanzeichen für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sein. Die Beklagten seien einer etwaigen sekundären Darlegungslast zum Hintergrund der beiden Grundstückskäufe jedoch nachgekommen. Weitergehendes Vorbringen – etwa zu den Kaufpreiszahlungen – sei von ihnen im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht zu verlangen gewesen. Dies sah der BGH anders. 

Zur Stellung als „nahestehende Person“ (auch juristische Person) im Überblick 

6. § 138 InsO definiert den Begriff der „nahestehenden Person“. Gemeint sind damit Personen, die aus persönlichen, gesellschaftsrechtlichen oder ähnlichen Gründen eine besondere Informationsmöglichkeit über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners haben. Ist der Schuldner eine juristische Person (z.B. GmbH, KG, AG, SE) erfasst die Norm nicht nur die Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane sondern auch persönlich haftende Gesellschafter, Anteilseigner mit einer Beteiligung von mehr als 25 % sowie etwaige Mittelspersonen. Für nahestehende Personen im Sinne von § 138 InsO gelten besondere Beweislastregeln, die in prozessualer Hinsicht eine Verteidigung gegen Anfechtungsansprüche deutlich erschweren (aber nicht unmöglich machen).

 Das Urteil 

7. Die Beklagten hätten näher zur Zahlung der in den notariellen Kaufverträgen vereinbarten Kaufpreise vortragen müssen. Sie waren aber nicht gehalten, die Zahlungen auch zu belegen. 

8. Eine sekundäre Darlegungslast treffe den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung habe, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar sei, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliege es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Die sekundäre Darlegungslast führe jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Genüge der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gelte die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 ZPO als zugestanden. 

9. Die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast zu Vorgängen, die außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der anderen Partei liegen, komme in Betracht, wenn die darlegungs- und beweisbelastete Partei greifbare Anhaltspunkte für die Richtigkeit der von ihr aufgestellten Behauptung liefere. So lag die Sache hier. 

10. Die Kläger hatten behauptet, dass die Beklagten die in den Kaufverträgen vereinbarten Kaufpreise tatsächlich nicht gezahlt hätten und hierzu greifbare Anhaltspunkte vorgetragen. Dazu gehörte, dass die Schuldnerin 2021 in einem anderen Rechtsstreit erklärt hatte, über kein nennenswertes Vermögen mehr zu verfügen. Das ziehe eine entgeltliche Veräußerung der Grundstücke wenige Jahre zuvor in Zweifel. Die Kläger haben damit der Sache nach eine unentgeltliche Leistung behauptet, die insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines zum Schein vorgeschobenen Verkehrsgeschäfts für die subjektiven Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG sprechen würde. Gerade bei Verträgen zwischen nahestehenden Personen besteht die Gefahr, dass sie bloße Scheingeschäfte darstellen, um Gegenstände vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen. Vor diesem Hintergrund war es den Beklagten zumutbar, nähere Angaben zu den tatsächlichen Zahlungsflüssen zu machen und darzulegen, ob und in welcher Höhe die vereinbarten Kaufpreise gezahlt wurden. 

Fazit 

11. Vermögensübertragungen an nahestehende Personen sind stets „besonders verdächtig“. Die Anforderungen an die Verteidigung gegen Anfechtungsansprüche sind in materiellrechtlicher und prozessualer Hinsicht hoch. 

12. Auf Unternehmensebene wird nicht selten verkannt, dass (auch mittelbaren) Gesellschaftern und handelnden Organen als „nahestehende Personen“ ein Anfechtungsrisiko drohen kann. Dieses Risiko kann jedoch durch die konsequente Einhaltung der Anforderungen an ein Bargeschäft reduziert werden. Der Leistungsaustausch muss demnach wertmäßig einem Drittvergleich standhalten und in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgen. Dies ist im Streitfall darzulegen und zu beweisen.

Christiane Kühn

Neues aus der Exportkontrolle: Russland-/Belarus-Embargo – 18. Sanktionspaket der EU vom 18.07.2025

Gut ein Jahr lang erschien es vergleichsweise ruhig für die im- und exportierenden Unternehmen: Während das 14. Sanktionspaket zur Verschärfung des Russland- und Belarus-Embargos vom 24. bzw. 29.06.2024 noch so „exotische“ und weitreichende Neuerungen wie z.B. eine „Best-Efforts-Obligation“ und eine „Due-Diligence-Obligation“ mit sich brachte oder Erweiterungen bei der „No-Russia-Clause“ vorsah bzw. eine „No-Belarus-Clause“ erstmals einführte, enthielten die folgenden Sanktionspakete Nr. 15, 16 und 17 – jedenfalls für den Handel – keine großen Überraschungen oder wesentlichen Neuerungen: Die Namens- und Güterlisten wurden erwartungsgemäß erweitert, die Best-Efforts- und Due-Diligence-Obligation und die bereits bekannten Dienstleistungs- und Software-Verbote wurden nochmals ausgedehnt und das Belarus-Embargo noch mehr an das Russland-Embargo angeglichen. Im Fokus der Embargo-Verschärfungen standen aber eher die „Schattenflotte“, die weitergehende Beschränkung des Zugangs zu Flughäfen, Häfen und Schleusen oder Maßnahmen gegen die russische Erdöl- und Erdgasexploration und -produktion.

Welche Neuerungen bringt nun das 18. Sanktionspaket vom 18.07.2025 für die im- und exportierenden Unternehmen?

Ankündigung: „Stärke ist die einzige Sprache, die Russland verstehen wird.“

Das von der EU Anfang Juni 2025 angekündigte 18. Sanktionspaket wurde in den einschlägigen Medien als eine besonders einschneidende und harte, wenn nicht gar die schärfste Maßnahme seit Februar 2022 angekündigt. Im Wesentlichen wolle man vor allem auf zwei Bereiche abzielen: den russischen Energiesektor und den Bankensektor. Das neue EU-Sanktionspaket sehe Maßnahmen zur Verhinderung der Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 1 und 2 sowie ein Importverbot für russisches Gas vor; die Ölpreisobergrenze solle gesenkt werden; weitere Schiffe der Schattenflotte würden gelistet werden; es solle ein Einfuhrverbot für auf der Grundlage von russischem Rohöl raffinierte Produkte verhängt werden. Ferner würden Banken sanktioniert werden, die sich an der Umgehung von bestehenden Sanktionen beteiligen; das Verbot der Nutzung des SWIFT-Systems solle ausgeweitet und auf weitere russische Banken ausgedehnt sowie Sanktionen gegen den russischen Direktinvestitionsfonds verhängt werden. In der Befürchtung einer völligen Einstellung der Lieferungen von Gas, Öl und Kernbrennstoffen aus Russland drohte daraufhin die Slowakei mit einem Veto gegen das vorbereitete Sanktionspaket und auch Malta, Griechenland und Zypern meldeten Bedenken an, da im Falle einer zu hohen Senkung des Ölpreisdeckels Nachteile für heimische Schifffahrtsunternehmen befürchtet wurden.

Handels- und Vertriebsunternehmen konnten sich angesichts dieser Ankündigungen veranlasst sehen, von dem 18. Sanktionspaket nicht wesentlich betroffen zu sein. Über die Diskussion rund um den Energiesektor ist allerdings in den Hintergrund geraten, dass die EU auch weitere Exportverbote in Bezug auf Dual-Use-Güter, kritische Technologien und Industriegüter mit Fokus auf Maschinen, Metalle, Kunststoffe und Chemikalien im Wert von mehr als 2,5 Milliarden Euro sowie ergänzende Maßnahmen zur Verhinderung der Umgehung der Sanktionen angekündigt hatte, die mit dem (am 20.07.2025 in Kraft getretenen) 18. Sanktionspaket vom 18.07.2025 dann auch tatsächlich umgesetzt wurden.

Russland: Verordnung (EU) Nr. 833/2014

Änderungen der VO (EU) Nr. 833/2014, und dort insbesondere der güterbezogenen Maßnahmen, wurden mit der Verordnung (EU) 2025/1494 vom 18. Juli 2025 vorgenommen: 

Exportverbote: Änderung Güterlisten

Art. 2a Abs. 1 und Art. 3k Abs. 1 der VO (EU) Nr. 833/2014 verbieten den Verkauf, die Ausfuhr, Lieferung oder anderweitige Verbringung der in Anhang VII bzw. Anhang XXIII aufgeführten Güter und Technologien, jeweils unmittelbar oder mittelbar, an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland. Beide Anhänge wurden nun erneut erweitert. In dem Anhang VII wurde in Teil A Kategorie VIII ein neuer Abschnitt X.C.VIII.005 eingefügt, der verschiedene chemische Bestandteile für Treibstoffe enthält. In Teil B wurde die Tabelle 5 „Werkzeugmaschinen, Ausrüstung für die additive Fertigung und verwandte Waren“ neu gefasst und um Güter der KN-Codes 8456 30 und 8456 50 ergänzt. Ausnahmen in Bezug auf bereits abgeschlossene Verträge sind nicht vorgesehen. 

Der Anhang XXIII wurde komplett neu gefasst. Welche Güter neu hinzugekommen sind, ergibt sich aus den neu angefügten Anhängen XXIIIE und XXIIIF. Für diese Güter gelten gemäß Art. 3k Abs. 3ah und Abs. 3ai zeitlich befristete „Altvertragsausnahmen“ für vor dem 20.07.2025 geschlossene Verträge bis zum 21.10.2025 bzw. 21.01.2026. Für Güter des KN-Codes 3402 90 kann gemäß Art. 3k Abs. 5i zudem eine Genehmigung erteilt werden, wenn die Güter für die Erfüllung von vor dem 01.01.2025 geschlossenen Verträgen erforderlich sind. Ferner kann gemäß Art. 3k Abs. 5h in Bezug auf Güter des KN-Codes 8422 30 eine Genehmigung erteilt werden, wenn die Güter für die Verpackung von Lebensmitteln, Getränken und Pharmazeutika erforderlich sind.

Art. 3k Abs. 1a der VO (EU) Nr. 833/2014 verbietet die Durchfuhr von in Anhang XXXVII aufgeführten Gütern und Technologien, die aus der Union ausgeführt werden, durch das Hoheitsgebiet Russlands. Auch dieser Anhang wurde neu gefasst. Neu hinzugekommen sind Güter der KN-Codes 7308 90, 8419 50, 8419 89, 8419 90, 8479 82, 8701 21, 8716 39 und 8716 90.

Exportverbote: Sonstiges

In dem Erwägungsgrund (7) der Verordnung (EU) 2025/1494 vom 18. Juli 2025 wird klargestellt, dass das Verbot mittelbarer Ausfuhren gerade und insbesondere auch Lieferungen über Drittländer erfasst. Um Umgehungen der Embargomaßnahmen in derartigen Fällen entgegenzuwirken, wurde – zunächst einmal nur in Bezug auf die Güter gemäß Anhang VII – ein bereits aus der Dual-Use-VO bekannter „Catch-All-Mechanismus“ eingeführt (neuer Art. 2a Abs. 1aa der VO (EU) Nr. 833/2014): So bedarf die Ausfuhr von in Anhang VII aufgeführten Gütern und Technologien in andere Drittländer als Russland ab sofort einer Genehmigung, wenn der Ausführer von der zuständigen Behörde darüber unterrichtet wurde, dass die Güter und Technologien ganz oder teilweise für natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland bestimmt sind oder bestimmt sein könnten. Anders als in Art. 4 Abs. 2 der Dual-Use-VO wurde aber keine Verpflichtung des Ausführers aufgenommen, wonach umgekehrt er die Behörde zu unterrichten hat, falls er anderweitig von einer Endverwendung in Russland Kenntnis erlangt hat. Einer solchen Regelung bedarf es auch nicht, denn einerseits wurde klargestellt, dass das Verbot der mittelbaren Ausfuhr unberührt bleibt, das heißt der Ausführer bleibt (auch ohne Unterrichtung durch die Behörde) unverändert selbst dafür verantwortlich, einen Re-Export nach Russland auszuschließen. Andererseits besteht gemäß Art. 6b der VO (EU) Nr. 833/2014 sowieso eine „Jedermannspflicht“, der Behörde alle Informationen zukommen zu lassen, die die Umsetzung der Embargomaßnahmen erleichtern, und mit der Behörde bei der Überprüfung solcher Informationen zusammenzuarbeiten.

Importverbote

Mit dem 18. Sanktionspaket wurde ein neuer Art. 3ma in die VO (EU) Nr. 833/2014 aufgenommen. Danach ist es ab dem 21.01.2026 verboten, Erdölerzeugnisse des KN-Codes 2710 (diverse Öle und Ölzubereitungen, z.B. auch Schmieröle, Motorenöle, Kraftstoffe) unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie in einem Drittland aus Rohöl des KN-Codes 2709 00 mit Ursprung in Russland gewonnen wurden. Ergänzend gilt das übliche Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten, Finanzmitteln oder Finanzhilfen sowie Versicherungen und Rückversicherungen im Zusammenhang mit dem Einfuhrverbot. Die Einführer müssen zudem zum Zeitpunkt der Einfuhr einen Nachweis über das Ursprungsland des Rohöls, das für die Raffination des Erzeugnisses in einem Drittland verwendet wurde, vorlegen, es sei denn, das Erzeugnis wird aus einem in Anhang LI aufgeführten Partnerland (Kanada, Norwegen, UK, USA, Schweiz) eingeführt.

Rüstungsgüter

Eine Neuerung hat auch Art. 4 der VO (EU) Nr. 833/2014 erfahren, der bislang „nur“ ein Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten, Finanzmitteln oder Finanzhilfen im Zusammenhang mit den in der Gemeinsamen Militärgüterliste aufgeführten Gütern und Technologien vorsah, während das eigentliche Ausfuhrverbot in Bezug auf Rüstungsgüter auf nationaler Ebene in § 74 AWV geregelt ist, ebenso wie sich das entsprechende Einfuhrverbot in § 77 AWV findet. Art. 4 wurde neu gefasst und enthält in Abs. 1 lit. a) nun ebenfalls ein Ausfuhrverbot (Verkauf, Lieferung, Verbringung, Ausfuhr) sowie in lit. c) ein Einfuhrverbot (Kauf, Einfuhr, Beförderung) in Bezug auf Güter der Gemeinsamen Militärgüterliste.

Russland: Verordnung (EU) Nr. 269/2014

Im Bereich der personenbezogenen Sanktionen wurde mit der Durchführungsverordnung (EU) 2025/1476 vom 18.07.2025 der Anhang I zu der VO (EU) Nr. 269/2014 um 14 natürliche Personen und 41 juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen erweitert. Darunter befinden sich (nicht zum ersten Mal) auch mehrere Unternehmen aus China bzw. Hongkong sowie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber z.B. auch aus Indien und Singapur. Da all diesen sanktionierten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen gemäß Art. 2 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 269/2014 weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen (insbesondere Handelsgüter) zur Verfügung gestellt werden dürfen, beschränken sich die Sanktionen somit keineswegs nur auf Geschäftsbeziehungen mit einem wie auch immer gearteten Russlandbezug. Ein vorheriges „Screening“ des potentiellen Geschäftspartners ist in jedem Falle erforderlich.

Belarus: Verordnung (EG) Nr. 765/2006 (Teil I)

Änderungen in Bezug auf die güterbezogenen Maßnahmen gemäß der VO (EG) Nr. 765/2006 wurden mit der Verordnung (EU) 2025/1472 vom 18. Juli 2025 vorgenommen:

Analog zu den verschärften Maßnahmen gegen Russland wurde in Bezug auf Güter und Technologien der Gemeinsamen Militärgüterliste mit dem in die VO (EG) Nr. 765/2006 neu eingefügten Art. 1aa ein Importverbot und mit dem neuen Art. 1ab ein Exportverbot verhängt. Die nationalen Aus- und Einfuhrverbote in Bezug auf Rüstungsgüter gemäß §§ 74, 77 AWV bestehen weiterhin. 

Der Anhang XVIII wurde um diverse Güter erweitert, deren Verkauf, Lieferung, Verbringung oder Ausfuhr nach Belarus oder zur Verwendung in Belarus gemäß Art. 1bb der VO (EG) Nr. 765/2006 nunmehr verboten ist. Altvertragsausnahmen finden sich in Art. 1bb Abs. 3a und 3b, und ein überarbeiteter Genehmigungstatbestand (im Falle persönlicher Verwendung bestimmter Güter im Haushalt durch natürliche Personen in Belarus) in Art. 1bb Abs. 13 der VO.

Auch der Anhang Va wurde erweitert und wie bei den Russland-Maßnahmen mit dem neuen Art. 1f Abs. 1aa der VO (EG) Nr. 765/2006 eine Catch-All-Klausel in Gestalt einer Genehmigungspflicht eingeführt für den Fall, dass der Ausführer von der Behörde darüber unterrichtet wurde, dass die für die Ausfuhr in Drittländer vorgesehenen Güter gemäß Anhang Va ganz oder teilweise für natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Belarus oder zur Verwendung in Belarus bestimmt sein könnten.

Anhang XIVa enthält eine Auflistung der Güter, deren Durchfuhr durch Belarus gemäß Art. 1s Abs. 1a der VO (EG) Nr. 765/2006 verboten ist. In diesen Anhang wurden Güter des KN-Codes 8479 82 neu eingefügt. Zudem wurde der Anhang XIX, also die Liste der Güter, deren Durchfuhr durch Belarus nach Art. 1bb Abs. 2 der VO (EG) Nr. 765/2006 verboten ist, neu gefasst.

Belarus: Verordnung (EG) Nr. 765/2006 (Teil II)

Anders als im Falle des Russland-Embargos finden sich die personenbezogenen Sanktionen gegen Belarus nicht in einer eigenständigen Verordnung, sondern sind Bestandteil der Embargo-Verordnung (EG) Nr. 765/2006, die darüber hinaus auch die güter- und sektorbezogenen sowie sonstigen Embargomaßnahmen beinhaltet. Art. 2 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 765/2006 verbietet die unmittelbare oder mittelbare Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen an die in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen. Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2025/1469 vom 18.07.2025 wurden acht Unternehmen aus Belarus in diesen Anhang I der VO aufgenommen.

Ausblick: Nach dem Paket ist vor dem Paket…

Nachdem das „Gipfeltreffen“ in Alaska vom 15.08.2025 – erwartungsgemäß – erfolglos geblieben ist und Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine stattdessen nicht nur unvermindert, sondern härter als je zuvor fortsetzt, wurden seitens der EU unverzüglich weitere Maßnahmen angekündigt und die Mitgliedstaaten um Vorschläge hierzu gebeten. Dass das in Kürze erwartete 19. Sanktionspaket bereits den von Präsident Trump geforderten vollständigen Verzicht auf russische Energie beinhalten wird oder die Verhängung hoher Zölle gegen russlandfreundliche Staaten wie China, darf bezweifelt werden. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sprach zuletzt nur von einer Beschleunigung des Ausstiegs aus russischen fossilen Importen und legte den Schwerpunkt des 19. Sanktionspaketes neben dem Energiesektor (erneut) auch auf den Bankensektor sowie die Verhinderung der Nutzung von Kryptowährungen zur Sanktionsumgehung. Dies darf aber – wie das 18. Sanktionspaket gezeigt hat – nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die im- und exportierenden Handelsunternehmen wiederum von den neuen Maßnahmen betroffen sein können, auch wenn die Medien den Fokus eher auf die Energie- und Finanzbranche richten.


Ole Melchior

Tipps zur Vertragsverhandlung für Nichtjuristen (Teil 2)

Dies ist der zweite Teil einer Serie von insgesamt drei Beiträgen, die nichtjuristische Mitarbeiter beim Verhandeln und Abschließen von Geschäften unterstützen sollen. Die Darstellungen richten sich besonders an Mitarbeiter in Einkaufs- und Vertriebsabteilungen, die regelmäßig mit Lieferanten bzw. Kunden um die Konditionen der lang- oder kurzfristigen Zusammenarbeit ringen. Dieselben Grundsätze gelten aber gleichermaßen auch für Vertragsanbahnungen und -abschlüsse mit allen anderen Partnern Ihres Unternehmens.

     1. Handlungsoption: Bewusstes Verzichten auf einen schriftlichen Rahmenvertrag?

Der erste Teil der Serie hatte die strategische Bedeutung und die rechtlichen Spielräume zum Gegenstand, welche mit der Übermittlung eines ersten schriftlichen Vertragsangebots einhergehen und dazu einige einfache Tipps zur Handhabung gegeben. Im zweiten Teil behandeln wir, wann es ausnahmsweise sinnvoll sein kann, eine dauerhafte Lieferbeziehung bewusst nicht einem detaillierteren schriftlichen Rahmenvertrag zu unterstellen, welcher die Details der Zusammenarbeit regelt, sondern stattdessen auf Basis von Angebot, Bestellung/Abruf und Auftragsbestätigung zu arbeiten. 

Grundsätzlich sollte es beiden Parteien einer Geschäftsbeziehung jeweils ein Anliegen sein, eine dauerhafte Lieferbeziehung rechtssicher durch einen schriftlichen Rahmenvertrag zu regeln. Neben der damit für beide Seiten gewonnenen Rechtssicherheit (etwa zu Laufzeit, Kündigungsmöglichkeiten, Liefer-/Bestellpflicht, Preisen, Mengen), ermöglicht dies auch, etliche vom Gesetz standardmäßig vorgesehene Regelungen (etwa zur Gewährleistungsfrist) zu den eigenen Gunsten anzupassen sowie die Details der praktischen Durchführung der Lieferbeziehung zu regeln (etwa zu Bestellwesen und Logistik). In Abwesenheit einer vertraglichen Regelung werden zwischen den Parteien hinsichtlich verschiedener Aspekte fast immer Unsicherheiten verbleiben.

Unabhängig davon, dass in der Regel für beide Seiten die mit dem Abschluss eines Rahmenvertrags verbundenen Vorteile überwiegen werden, dürfen beide Seiten allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass damit in einzelnen Punkten mitunter auch Verschlechterungen der eigenen Rechtsposition gegenüber der vermeintlich „vertragslosen“ (tatsächlich aber im Detail nur vom Gesetz geregelten) Situation, einhergehen. Je nach Situation kann daher das Eingehen oder Fortsetzen einer Lieferbeziehung ohne rahmenvertragliche Regelung tatsächlich vorzugswürdig sein, wenn die mit dem Abschluss eines Rahmenvertrags verbundenen Nachteile ausnahmsweise zu schwerwiegend sind.

Da sich die Entscheidung für oder gegen (Verhandlungen über) einen Rahmenvertrag immer nach den Umständen des Einzelfalls richtet, ist eine pauschale Bewertung schwierig. Dennoch kann jeder Mitarbeiter in Einkauf und Vertrieb sein Problembewusstsein anhand der folgenden beispielhaften Auflistung schärfen, die einige gängige Aspekte beleuchtet. Dabei unterstellen wir den typischen Fall, dass Lieferant und Kunde jeweils bei Abschluss von Einzelverträgen/Einzelbestellungen auf ihre eigenen und für ihre eigene Position günstig ausgestalteten AGB verweisen und diese AGB die Geltung der AGB der anderen Seite durch eine typische Abwehrklausel ausschließen.

        2. Argumente aus Kundenperspektive

Der größte Vorteil des Kunden im Szenario ohne schriftlichen Rahmenvertrag wird fast immer darin liegen, dass die Haftung des Lieferanten in diesem Fall nicht beschränkt ist, also wie vom Gesetz vorgesehen unbegrenzt besteht und etwa auch entgangenen Gewinn des Kunden wegen Produktionsausfalls umfasst. Während der Lieferant in der Verhandlung eines Rahmenvertrags praktisch immer auf eine Haftungsbeschränkung (etwa auf eine Höchstsumme und/oder einen Haftungsausschluss abhängig von der Verschuldensform, etwa bei nur leichter Fahrlässigkeit) drängen wird, haftet er ohne solche vertragliche Vereinbarung regelmäßig unbeschränkt: Denn zwar werden die bei einem Bestellvorgang einbezogenen AGB des Lieferanten regelmäßig eine Haftungsbeschränkung vorsehen. Die ebenfalls einbezogenen AGB des Kunden werden zu diesem Punkt aber ihrerseits regelmäßig eine abweichende Klausel enthalten, sodass es an einer Übereinstimmung der AGB beider Parteien zu diesem Punkt in der Regel gerade fehlen wird. Rechtlich hat dies zur Folge, dass damit dann keine der beiden Regelungen vereinbart ist und die vom Gesetz vorgesehene, unbeschränkte Haftung des Lieferanten greift.

Der zweite wichtige Vorteil aus Kundensicht besteht darin, dass ohne rahmenvertragliche Vereinbarung in aller Regel auch keine Bestellpflicht des Kunden vereinbart sein wird. Während der Lieferant bei Verhandlung eines Rahmenvertrags regelmäßig auf die Vereinbarung bestimmter Mindestbestellmengen pro Monat/Jahr oder anderer Abnahmepflichten drängen wird, ist der Kunde ohne eine solche Vereinbarung regelmäßig vergleichsweise flexibel darin, die Lieferbeziehung (mit Ausnahme der bereits verbindlichen Einzelverträge/Einzelbestellungen) zu beenden und zeitnah zu einem anderen (günstigeren) Lieferanten zu wechseln. (Dies mag je nach konkreter Ausgestaltung anders sein, wenn der Kunde dem Lieferanten für einen gewissen Zeitraum eine rollierende Vorschau, ggf. mit „Frozen Zone“, und/oder Materialfreigabe erteilt. Je nach den genauen Umständen kann darin eine Abnahmepflicht des Kunden für diesen Zeitraum zu sehen sein. Zudem mag in Ausnahmefällen auch bei Beendigung einer lang andauernden, nicht durch schriftlichen Rahmenvertrag dokumentierten Lieferbeziehung eine Kündigungsfrist zu gewähren sein.)

      3. Argumente aus Lieferantenperspektive

Aus Sicht des Lieferanten wird ein entscheidendes Argument gegen den Abschluss eines Rahmenvertrags oftmals sein, dass Rahmenverträge einerseits meist eine Verpflichtung des Lieferanten enthalten, die Bestellungen/Abrufe des Kunden anzunehmen und diesen zu beliefern, gleichzeitig aber auch einen Mechanismus zur Preisbindung und -anpassung vorsehen, der den Lieferanten in der Preisgestaltung einschränkt. Denn oftmals ist dem Lieferanten im Falle eines Anstiegs der eigenen Produktions-/Materialkosten eine Anpassung der rahmenvertraglich vereinbarten Preise nicht, nur erschwert oder erst (zu) spät möglich. Besteht dagegen kein Rahmenvertrag, ist der Lieferant in seiner Preisgestaltung üblicherweise frei. Und auch wenn dies oft eine Frage des Einzelfalls sein wird, insbesondere wie die Parteien ihre Lieferbeziehung gelebt haben, wird der Lieferant doch außerhalb von Fällen der besonders engen Zusammenarbeit regelmäßig auch keiner Pflicht zur Annahme von Bestellungen unterliegen. Dies hat zur Folge, dass der Kunde im Regelfall rechtlich nicht erzwingen kann, auch in Zukunft zu den bisherigen Preisen beliefert zu werden, sondern Preisanpassungen des Lieferanten für die Zukunft entweder akzeptieren oder sich kurzfristig anderweitig eindecken muss.

Darüber hinaus bestehen nach dem Gesetz weitere, für den Lieferanten grundsätzlich günstige Regelungen, die in einem Rahmenvertrag regelmäßig eine Anpassung erfahren, während sie in der „vertragslosen“ Situation durch die AGB des Kunden allein (sofern der Lieferant beim Vertragsschluss auf seine AGB Bezug nimmt und diese eine Abwehrklausel enthalten, s.o.) nicht überwunden werden können. Dazu zählt unter anderem, dass der Kunde nach dem Gesetz dazu verpflichtet ist, die Produkte unverzüglich nach Erhalt zu untersuchen und etwaige Mängel zu rügen (Untersuchungs- und Rügepflicht des Käufers). Andernfalls verliert der Kunde seine Gewährleistungsrechte in Bezug auf solche Mängel, die er bei sorgsamer und unverzüglicher Untersuchung hätte erkennen können. Da die Rechtsprechung dem Kunden hierzu einerseits nicht viel Zeit einräumt (zwar kommt es auf den Einzelfall an, als Richtschnur gelten aber 1 – 3 Tage) und die Wareneingangskontrolle des Kunden möglicherweise auch ganz grundsätzlich nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Untersuchung genügt, hat der Lieferant trotz mangelhafter Lieferung oftmals gute Argumente, aufgrund formaler Versäumnisse des Kunden bei der Untersuchung der Ware nicht Gewähr leisten und auch nicht haften zu müssen. Schließen die Parteien hingegen einen Rahmenvertrag mit einer ergänzenden Qualitätssicherungsvereinbarung ab, wird hierin meist vertraglich eine für den Kunden komfortablere Regelung vereinbart.

        4. Fazit: Problembewusstsein schärfen und Verhandlungsposition verbessern

Auch wenn die Beweggründe zugunsten eines Rahmenvertrags die in diesem Beitrag skizzierten Motive, ausnahmsweise doch von einem Rahmenvertrag abzusehen, in aller Regel überwiegen werden, sollte sich jeder Verhandlungsführer beim Aushandeln eines Rahmenvertrags darüber im Klaren sein, worauf er mit bestimmten Regelungen im Vergleich zur „vertragslosen“ Situation verzichten würde und wie gut die eigene rechtliche Position (ohne Rahmenvertrag) an bestimmten Punkten wäre. In vielen Fällen erleichtert eine genaue Kenntnis der eigenen Ausgangsposition die Verhandlungen über den Rahmenvertrag erheblich. Dies gilt selbstverständlich für die oben im Einzelnen näher skizzierten, besonders wichtigen Aspekte. Aber eben auch noch für viele weitere, hier noch gar nicht erörterte Punkte. Aufgabe der kaufmännischen Verhandlungsführer ist es nicht zwingend, die eigene Rechtsposition mit und ohne Rahmenvertrag schon im ersten Schritt selbst exakt zu analysieren. Sondern zu erkennen, dass eine solche Analyse die eigene Verhandlungsposition verbessern und die eigene Entscheidungsfindung erleichtern wird. Hierfür sollte dann aber eine fundierte rechtliche Beratung durch anwaltliche Berater oder die Rechtsabteilung hinzugezogen werden.

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