04.12.2025

EuGH: EU-Mindestlohnrichtlinie ist nur in zwei Bestimmungen nichtig

EU Mindestlohn

Mit Urteil vom 11.11.2025 – C-19/23 (Dänemark/Parlament und Rat) hat der EuGH zwei Regelungen der EU-Mindestlohnrichtlinie für nichtig erklärt. Die Entscheidung versucht ersichtlich, den verschiedenen (Mindest-)Entgeltsystemen in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Direkte Folgen für die deutsche Rechtslage ergeben sich aber nicht.

Der Fall

Im Oktober 2022 erließen Europäisches Parlament und Rat die Richtlinie (EU) 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union. Die Kernregelungen der Richtlinie haben zwei Ziele: Zum einen bestimmt sie Parameter für die Findung eines angemessenen Mindestlohns, gleich ob durch Gesetz oder Tarifverträge, zum anderen bezweckt sie eine Förderung von Tarifverhandlungen durch bestimmte Prüf- und Schutzvorgaben. Kurz nach dem Erlass beantragte das Königreich Dänemark beim EuGH, die Richtlinie für nichtig zu erklären, da sie gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV verstoße; danach ist die EU u. a. nicht zuständig für Arbeitsentgelte und das Koalitionsrecht. Anfang 2025 plädierte EuGH-Generalanwalt Nicholas Emiliou dann auch dafür, die gesamte Richtlinie für nichtig zu erklären. 

Die Entscheidung

Der Gerichtshof ging in seinem nun ergangenen Urteil gleichwohl kaum auf die Ausführungen des Generalanwalts ein und bewertet die Richtlinie als größtenteils unionsrechtskonform. Der in Art. 153 Abs. 5 AEUV geregelte Ausschluss der Zuständigkeit der EU für Arbeitsentgelte gelte nur bei unmittelbaren Eingriffen, die sich in den meisten Vorschriften der Richtlinie nicht fänden. Nichtig seien lediglich zwei Vorschriften: Art. 5 Abs. 2, der zwingende Kriterien festlegt, die bei der Mindestlohnfestlegung berücksichtigt werden sollen, etwa das allgemeine Lohnniveau und dessen Wachstumsrate, und Art. 5 Abs. 3, der eine Senkung von Mindestlöhnen unterbindet, wenn sie einer automatischen Indexierung unterliegen. Mangels sonstiger Pflichtvorgaben bleibe die Richtlinie im Übrigen gültig, auch Art. 5 Abs. 4 Satz 2, wonach bei der Mindestlohnfindung Referenzwerte wie 60 % des Bruttomedianlohns verwendet werden können. Ebenso wenig bedinge die Richtlinie einen Eingriff in das Koalitionsrecht, da sie Gründung und Arbeitsweise von Koalitionen nicht tangiere und Tarifverhandlungen nur fördern wolle.

 

Unser Kommentar

Urteil wie Richtlinie lassen die nationale Mindestlohnbestimmung an sich unangetastet. Das vom EuGH nicht beanstandete Mediankriterium ist zwar nicht zwingend in nationales Recht umzusetzen, allerdings stammt die Idee dazu primär von der deutschen Ampel-Regierung in der 20. Legislaturperiode – und bekanntlich befindet sich das BMAS weiterhin unter SPD-Ägide. Die für Vorschläge zur Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns zuständige Mindestlohnkommission kam dem allen bereits zuvor und verankerte das Merkmal im Januar in ihrer Geschäftsordnung, obwohl das MiLoG dieses eben bisher nicht beinhaltet. Anfang November wurden die nächsten Mindestlohnerhöhungen beschlossen, wobei die Kommission offen zugab, dass sie sich auch an den Kriterien ihrer Geschäftsordnung orientiert hat. Das Vorgehen wird letztlich mit dem Ermessen gerechtfertigt werden, das die Mindestlohnkommission bei ihren Erwägungen hat, wobei sie dieses nicht einmal ausgereizt hat – bei alleiniger Verwendung des Mediankriteriums hätte der Mindestlohn eigentlich noch mehr ansteigen müssen. Aus deutscher Sicht mag die gleichzeitige Zielsetzung angemessener Mindestlöhne und vermehrter Tarifverhandlungen paradox wirken, gerade, wenn der gesetzliche Mindestlohn durch Merkmale wie das Mediankriterium in manchen Branchen an den untersten Tarifgruppen „kratzt“. Die Richtlinie und deren Interpretation durch den EuGH haben jedoch den Kompromiss zwischen den verschiedenen Lohnfindungssystemen in allen EU-Staaten im Blick, wo das Verhältnis zwischen staatlichen Mindestlöhnen und Tarifentgelten ein anderes sein kann.

Autor/in
Paul Schreiner

Paul Schreiner
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