14.08.2025

In 30-Minuten am Patienten: Droht Bereitschaftsdienst zur Regel zu werden?

Hintergrund

Nach Ansicht des ArbG Hannover (Urt. v. 24.04.2025, Az: 2 Ca 436/24 - unveröffentlicht) ist eine Anordnung gegenüber Ärzten, in der Rufbereitschaft innerhalb von 30 Minuten am Patientenbett verfügbar zu sein, unwirksam.

Im Mittelpunkt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens stand die Vorgabe, wonach Fachärzte innerhalb von 30 Minuten im Krankenhaus und am Bett des stationär versorgten Patienten verfügbar sein müssen, die sich in diversen Behandlungs- und Vergütungsbestimmungen für die Krankenhausversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung finden (bspw. in diversen OPS-Strukturmerkmalen sowie in der Regelung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V). Diese Vorgaben sind Gegenstand regelmäßiger Prüfungen des Medizinischen Dienstes (vgl. Prüfungen zur Erfüllung von Qualitätskriterien der Leistungsgruppen und von OPS-Strukturmerkmalen nach § 275a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 SGB V, sog. LOPS-Richtlinie), so dass Krankenhäuser in der Lage sein müssen, die Einhaltung dieser Vorgabe in dokumentierter Form nachzuweisen. Gelingt dieser Nachweis nicht, endet die Berechtigung des Krankenhauses, entsprechende Leistungen zu erbringen mit der Folge, dass Patienten keine Behandlung mehr erhalten und Kliniken erheblichen Erlöseinbußen begegnen.

Um diesen dringend erforderlichen Nachweis erbringen zu können, hatten bisher viele Kliniken von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Rufbereitschaftsdienste mit einer entsprechenden Erreichbarkeitsvorgabe anzuordnen. Rufbereitschaft zählt nicht zur Arbeitszeit, wird nicht auf die Ruhezeit angerechnet und kann mit einem niedrigeren Stundensatz abgegolten werden als die Vollarbeit. Während einer Rufbereitschaft können Arbeitnehmer grundsätzlich über ihre Freizeit und ihren Aufenthaltsort frei verfügen. Der Arbeitgeber gibt innerhalb eines gewissen Rahmens vor, in wie viel Minuten der Arbeitnehmer wieder am Arbeitsplatz sein muss. Erst die Zeit ab der tatsächlichen Arbeitsaufnahme zählt zur Arbeitszeit und ist wie Vollarbeit zu vergüten.

Diese Praxis konfrontiert nun die aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Hannover: Das beklagte Krankenhaus hatte eine Erreichbarkeit von 30 Minuten im Rufdienst angeordnet, der klagende Arzt war der Auffassung, dass er durch diese Zeitvorgabe faktisch gezwungen sei, sich in unmittelbarer Nähe zur Klinik aufzuhalten. Er könne daher seinen Aufenthaltsort nicht mehr frei wählen. Zu berücksichtigen seien die Zeiten innerhalb derer er sich umziehen und innerhalb der Klinik Wege zurück zu legen habe. Durch die Zeitvorgabe und faktische Bestimmung über den Aufenthaltsort nehme der Arbeitgeber soweit Einfluss auf die Freizeitgestaltung, wie es jedoch nur bei klassischem Bereitschaftsdienst zulässig sei.

Während des klassischen Bereitschaftsdienstes hat sich der Arbeitnehmer im Betrieb oder an einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Stelle aufzuhalten, damit er seine volle Arbeitstätigkeit sofort oder zeitnah aufnehmen kann. Bereitschaftsdienst zählt arbeitsschutzrechtlich zur Arbeitszeit iSv. §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 7 Ab s. 1 Nr. lit. a ArbZG und ist entsprechend besser zu vergüten. 

Das Gericht folgte der Auffassung des Klägers und entschied, dass eine Anrückzeit von 30 Minuten zum Patienten nicht mehr im Wege des Rufbereitschaftsdienstes angeordnet werden könne.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für den Klinikalltag hätte eine Bestätigung des Urteils jedoch weitreichende Folgen: 

Zur Einhaltung der 30-Minuten-Regel müsste auf kostenintensivere Bereitschaftsdienste zurückgegriffen werden. Während z.B. der TV-Ärzte für kommunale Krankenhäuser eine Vergütung der bloßen Rufbereitschaft, also ohne Inanspruchnahme der Arbeit, mit 12,5 % des Tabellenentgelts vorsieht, rangiert die Vergütung von Bereitschaftsdiensten zwischen 70 % – 100 % des Tabellenentgelts zzgl. Zuschläge. Die damit einhergehende Erhöhung der Personalkosten auf Seiten der Krankenhäuser belastet diese aufgrund einer ohnehin mangelhaften Refinanzierung erheblich. Insbesondere – wenngleich nicht nur – trifft dies auch größere Kliniken (Schwerpunkt- und Maximalversorger) hart, da diese aufgrund ihrer Spezialisierung in diversen Fachbereichen, die OPS-Strukturmerkmale mit 30-minütiger Erreichbarkeit aufweisen, Bereitschaftsdienste anordnen müssten. Insoweit bleibt abzuwarten, welche Sicht das angerufene Landesarbeitsgericht vertreten wird.

Autor/in
Dr. Hendrik Bernd Sehy

Dr. Hendrik Bernd Sehy
Counsel
Hannover
hendrik.sehy@luther-lawfirm.com
+49 511 5458 10772

Dr. Lisa Kraayvanger

Dr. Lisa Kraayvanger
Senior Associate
Hannover
lisa.kraayvanger@luther-lawfirm.com
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