07.05.2020

Newsletter Arbeitsrecht 1. Ausgabe 2020

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Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Coronakrise stellt unsere Gesellschaft aktuell vor große Herausforderungen. Es zeigt sich bereits deutlich, dass sich unsere Arbeitswelt mit dieser Krise einschneidend ändern wird. Allein die Themen mobiles Arbeiten und Digitalisierung haben mit der Coronakrise eine neue Dimension erfahren. Wir haben über die arbeitsrechtlichen Fragen und Themen in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen und Monaten ausführlich in Sondernewslettern, Beiträgen und Webinaren berichtet. Auf unserer Homepage halten wir Sie hierzu aktuell auf dem Laufenden.

Mit diesem Newsletter wollen wir uns daher bewusst auch wieder den anderen arbeitsrechtlichen Themen widmen, die uns abseits von Covid-19 beschäftigen.

Volker Schneider und Anna Mayr widmen sich in ihrem Beitrag dem Thema Massenentlassungsanzeige. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Wirksamkeit einer vom Arbeitgeber zu erstatteten Massenentlassungsanzeige sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Wie so oft liegt der Teufel dabei im Detail. Für Arbeitnehmer hat sich hieraus faktisch ein weiterer Kündigungsschutz entwickelt, da Fehler bei der Massenentlassungsanzeige die Unwirksamkeit der Kündigung zu Folge haben können. Für Arbeitgeber können Fehler somit schnell erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen haben.

In einem weiteren Beitrag widmet sich Martina Ziffels dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft getreten ist. Mit diesem soll im Wesentlichen die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten erleichtert werden. Grund genug, um sich mit den gesetzlichen Neuerungen vertraut zu machen. Martina Ziffels gibt einen ersten Überblick.

Wir befassen uns in dieser Ausgabe unseres Newsletters selbstverständlich auch wieder mit aktuellen Entscheidungen, bei denen wir denken, dass sie für Sie von Interesse sind.

Sprechen Sie sehr gerne unsere Autoren bei Fragen zu den jeweiligen Kommentaren und Artikeln an. Wir freuen uns auf Ihr Feedback und hoffen, dass wir Sie bald auch wieder persönlich bei einer unserer Veranstaltungen begrüßen können.

Bis dahin bleiben Sie gesund und kommen Sie gut durch diese schwierige Zeit!

Ihr

Achim Braner

Die Massenentlassung – Anzeigeverfahren und Konsultationsverfahren

Die Kurzarbeit, die zahlreiche Unternehmen derzeit eingeführt haben, bezweckt, einen vorübergehenden Arbeitsausfall zu überbrücken, ohne die Stammbelegschaft entlassen zu müssen. Sollte sich allerdings zeigen, dass der Arbeitsausfall von Dauer ist, wird ein Personalabbau unvermeidlich. Schnell sind die Grenzen zur Massenentlassung erreicht. In kleineren Betrieben genügt hierfür bereits die Entlassung von sechs Arbeitnehmern und in größeren Betrieben die von 30 Arbeitnehmern. In diesen Fällen ist bei der Arbeitsagentur eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten (§ 17 Abs. 1 und 3 KSchG). Außerdem ist, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, zuvor das Konsultationsverfahren durchzuführen (§ 17 Abs. 2 KSchG). Wenngleich diese beiden Verfahren, die miteinander verwoben sind, nur eine formale Anforderung darstellen, bedürfen sie der genauen Beachtung, da Fehler im Verfahren zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen können (BAG, 21.03.2013 – 2 AZR 60/12; BAG 13.12.2012 – 6 AZR 5/12). Formale Fehler bei der Massenentlassung aufzuspüren ist daher für Arbeitnehmervertreter in Kündigungsschutzverfahren ein mitunter aussichtsreiches Unterfangen.

Beide Verfahren, sowohl das Anzeigeverfahren bei der Arbeitsagentur als auch das innerbetriebliche Konsultationsverfahren, das als Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats ausgestaltet ist, beruhen auf der Massenentlassungsrichtlinie der EU (RL 98/59 EG - MERL). Die Anwendung des § 17 KSchG hat daher schon mehrfach erhebliche Änderungen durch die Rechtsprechung des EuGH erfahren.

Das Konsultationsverfahren – Wer muss wann und wie unterrichtet werden?

Das Konsultationsverfahren beginnt mit der Unterrichtung des Betriebsrats. Zuständig ist das Gremium, mit dem auch über einen Interessenausgleich verhandelt wird, also grundsätzlich der örtliche Betriebsrat. Wird aufgrund von Delegationen der örtlichen Betriebsräte mit dem Gesamtbetriebsrat verhandelt, ist darauf zu achten, dass der Delegationsbeschluss ausdrücklich auch das Konsultationsverfahren umfasst.

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufgeführten Informationen schriftlich zukommen lassen, wobei die Textform (E-Mail) ausreicht (BAG, 22.09.2016 – 2 AZR 276/16). Der Zeitpunkt der Unterrichtung entspricht dem Zeitpunkt der Unterrichtung im Interessenausgleichsverfahren nach § 111 Satz 1 BetrVG („rechtzeitig“). Was „rechtzeitig“ ist, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der anschließenden Beratungen. Der Arbeitgeber soll mit dem Betriebsrat über die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Dies muss mit dem ernsthaften Willen, zu einer Einigung zu gelangen, erfolgen (BAG, 26.02.2015 – 2 AZR 955/13). Der Arbeitgeber kann daher seine Planungen bereits abgeschlossen haben, er darf aber noch nicht unumstößliche Fakten geschaffen haben. Es besteht die Möglichkeit, die Unterrichtung bis zur Abgabe der Stellungnahme des Betriebsrats zu vervollständigen (BAG, 09.06.2016 – 6 AZR 405/15).

Die Unterrichtung des Betriebsrats kann aus praktischen Gründen mit der Unterrichtung im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen kombiniert werden. Nicht ausreichend ist jedoch die in manchen Interessenausgleichsvereinbarungen zu findende Bestätigung des Betriebsrats, rechtzeitig und umfassend unterrichtet worden zu sein. Vielmehr muss der Arbeitgeber die Unterrichtung auch tatsächlich durchgeführt haben, wobei er klar gemacht haben muss, mit der Unterrichtung (auch) seiner Verpflichtung aus § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG nachkommen zu wollen (BAG, 18.01.2012 – 6 AZR 407/10). Es empfiehlt sich daher, in der schriftlichen Unterrichtung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass dadurch (auch) der Pflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG genügt werden soll. Auch jede spätere Unterrichtung im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen sollte mit diesem Zusatz versehen werden, wenn sie einen Bezug zu den in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten Informationen hat.

Der späteste mögliche Zeitpunkt der Unterrichtung liegt zwei Wochen vor Einreichung der Massenentlassungsanzeige, die wiederum vor den Entlassungen erfolgen muss. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG. Zu beachten ist, dass die Arbeitsagentur gleichzeitig eine Abschrift der Unterrichtung an den Betriebsrat erhält (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Eine Verzögerung um wenige Tage ist unschädlich (LAG Hamm, 13.01.2015 – 7 Sa 900/14). Ob das gänzliche Versäumen der Zusendung der Abschrift zur Unwirksamkeit der Kündigungen führt, ist ungeklärt. Da sich diese Verpflichtung aber aus der MERL ergibt, sollte sie vorsorglich beachtet werden.

§ 17 KSchG verlangt die Unterrichtung des Betriebsrats. Da die MERL den weiten Begriff der „Arbeitnehmervertreter“ verwendet, sollten vorsorglich aber auch der Sprechausschuss (falls vorhanden) und die Schwerbehindertenvertretung (falls vorhanden) unterrichtet werden, da beides Arbeitnehmervertretungen im europarechtlichen Sinn sind. Mit Blick auf die Schwerbehindertenvertretung hat dies das LAG Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr entschieden (11.07.2019 – 21 Sa 2100/18). Das Verfahren ist derzeit beim BAG (6 AZR 562/19) anhängig und es wird mit einer Entscheidung in Kürze gerechnet.

Das Konsultationsverfahren – Worauf ist in der Beratungsphase zu achten?

An die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG schließen sich die Beratungen mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG an. Eine bestimmte Verfahrensdauer ist nicht vorgesehen (BAG, 22.09.2016 – 2 AZR 276/16).  Beendet  ist die  Beratungsphase  auf  jeden  Fall, wenn ein Interessenausgleich zustande gekommen ist (BAG, 18.09.2003 – 2 AZR 79/02), aber auch wenn der Betriebsrat auf die letzte Unterrichtung nicht reagiert hat oder wenn seine Reaktion keinen Ansatz für weitere Verhandlungen bietet (BAG, 26.02.2015 – 2 AZR 955/13). Umstritten ist, ob dies auch erfordert, dass das Scheitern der Beratungen in einer Einigungsstelle festgestellt wird, was das BAG verneint hat (BAG, 21.05.2008 – 8 AZR 84/07).

In der Praxis verläuft die Beratungsphase parallel zu den Beratungen im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen. Es darf aber nicht vergessen werden, ausdrücklich darauf hinzuweisen und dies zu dokumentieren, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich zugleich die Beratungen im Rahmen des Konsultationsverfahrens darstellen, da dies nicht von selbst der Fall ist (BAG, 26.02.2015 – 2 AZR 955/13).

Ändert sich die beabsichtigte Massenentlassung nach Durchführung des Konsultationsverfahrens, so bedarf es einer erneuten Unterrichtung und Beratung zumindest dann, wenn sich dadurch die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer erhöht.

Das Konsultationsverfahren – Welche Anforderungen muss die Stellungnahme des Betriebsrats erfüllen und wann ist sie entbehrlich?

Den formalen Abschluss der Beratungsphase bildet die Stellungnahme des Betriebsrats, die zugleich notwendige Anlage zur Massenentlassungsanzeige ist (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Die Stellungnahme des Betriebsrats kann im Interessenausgleich enthalten sein (BAG, 21.03.2012 – 6 AZR 596/10). In diesem Fall muss der Interessenausgleich der Massenentlassungsanzeige beigefügt und in der Anzeige hierauf hingewiesen werden. Die Stellungnahme kann aber auch in einem separaten Dokument abgegeben werden.

Fehlt es an einer Stellungnahme des Betriebsrats, so muss der Arbeitgeber in der Anzeige glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen zuvor schriftlich unterrichtet hat. Zur Glaubhaftmachung genügt eine Kopie der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats mit der Empfangsbestätigung des Betriebsratsvorsitzenden. Fehlt es an einer solchen Unterrichtung, kann alternativ dargelegt werden, dass in anderer Weise, zum Beispiel im Rahmen eines vorgelegten Interessenausgleichsentwurfs,  die  nach  §  17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erforderlichen Informationen gegeben wurden (BAG, 09.06.2016 – 6 AZR 405/15). Außerdem muss der Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat mitgeteilt werden. Dabei ist zwingend auf eine wahrheitsgemäße Darlegung zu achten, denn eine unzutreffende Schilderung führt zur  Unwirksamkeit  der  Massenentlassungsanzeige  (BAG, 22.09.2016 – 2 AZR 276/16). Eine Stellungnahme ist entbehr- lich, wenn ein Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen wurde (§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG; § 125 Abs. 2 InsO). Die Unterrichtung und Beratung bleiben aber in diesen Fällen erforderlich (BAG, 20.09.2012 – 6 AZR 155/11).

Inhaltlich muss sich aus der Stellungnahme ergeben, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und dass es sich um seine abschließende Erklärung zu den beabsichtigten Kündigungen handelt (BAG, 26.02.2015 – 2 AZR 955/13). Unter diesen Voraussetzungen kann er auch äußern, dass er keine Stellungnahme abgeben wird (BAG, 26.02.2015– 2 AZR 955/13). Besteht Unsicherheit, ob die Stellungnahme des Betriebsrats vollständig und abschließend ist, sollte entweder der Betriebsrat zur Klarstellung aufgefordert oder mit der Anzeige zwei Wochen nach der schriftlichen Unterrichtung abgewartet werden, da dann die Stellungnahme entbehrlich ist.

Das Anzeigeverfahren – Was ist zu beachten?

Die Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur ist Voraussetzung, um wirksam Kündigungen aussprechen und Aufhebungsverträge abschließen zu können. Zuständig ist die Arbeitsagentur, in deren Bezirk der Betrieb gelegen ist. Eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit der Arbeitsagentur ist ratsam.

Für die Erreichung der Zahlengrenzen einer Massenentlassung werden neben betriebsbedingten Beendigungs- und Änderungskündigungen auch vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen berücksichtigt, nicht jedoch auslaufende Befristungen. Fremdgeschäftsführer und Praktikanten sind mitzuzählen (EuGH, 09.07.2015– C-229/14). Leiharbeitnehmer sind möglicherweise bei der Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen (BAG, 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A)).

Maßgeblich sind alle innerhalb von 30 Kalendertagen erfolgenden Entlassungen, wobei der 30-Tage-Zeitraum in der Vergangenheit und in die Zukunft liegen kann. Bei Arbeitnehmern in Elternzeit gilt bereits der Zeitpunkt der Antragstellung auf behördliche Zu- stimmung zur Kündigung als Entlassung (BAG, 26.01.2017 – 6 AZR 442/16). Es liegt nahe, dass gleiches bezüglich des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung von Schwerbehinderten gilt. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH ist als „Entlassung“ der Tag des Zugangs der Kündigung bzw. der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages zu verstehen und nicht mehr wie früher der Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (EuGH, 27.01.2005– C-188/03; BAG, 26.01.2017 – 6 AZR 442/16).

Es empfiehlt sich, für die Anzeige das auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit abrufbare Formular zu verwenden. Die dort abgefragten Berufsgruppen der regelmäßig beschäftigten und der zu entlassenden Arbeitnehmer ergeben sich aus der ebenfalls auf der Homepage veröffentlichten Klassifikation der Berufe (KldB), wobei es ausreicht, die Berufsgruppen (drei Ziffern) und nicht die Berufsklassen (fünf Ziffern) anzugeben. Die gemäß § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG erforderlichen Angaben müssen in der Anzeige enthalten sein; anderenfalls ist diese unwirksam und damit mittelbar auch die ausgesprochenen Kündigungen (BAG, 28.06.2012 – 6 AZR 780/10).

Nachdem die Arbeitsagentur den Eingang der Massenentlassungsanzeige bestätigt hat, können die Kündigungen ausgesprochen werden. Hierfür hat der Arbeitgeber 90 Tage Zeit (§ 18 Abs. 4 KSchG), wobei umstritten ist, ob diese sogenannte Freifrist mit Einreichung der Massenentlassungsanzeige oder erst mit Ablauf der Sperrfrist beginnt. Die Sperrfrist bezeichnet die Frist, zu der frühestens die Kündigungen ausgesprochen werden dürfen. Diese Frist beträgt in der Regel einen Monat und kann von der Arbeits- agentur auf bis zu zwei Monate verlängert oder auch auf Antrag des Unternehmens verkürzt werden (§ 18 Abs. 1 und 2 KSchG). Die Dauer der Sperrfrist ist daher im Blick zu behalten. Bei einem engen Zeitplan ist ein Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist ratsam.

Autoren
Dr. Volker Schneider

Dr. Anna Mayr

Neuregelungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Erleichterungen für die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, welches zum 1. März 2020 in Kraft getreten ist, regelt die Einführung eines beschleunigten Fachkräfteverfahrens und lockert die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an qualifizierte Fachkräfte.

Überblick

Im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung (§ 18 AufenthG) im Grundsatz nur für solche Berufe vorgesehen, deren Ausübung ausdrücklich durch Rechtsverordnung erlaubt ist (§§ 18 Abs. 4, 42 AufenthG). Die Umsetzung erfolgte durch die Regelungen der Beschäftigungsverordnung (BeschVO). Mit der „Blauen Karte EU“ und der „ICT-Karte“, welche auf der Grundlage von EU-Richtlinien eingeführt wurden, existierten bereits vor Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Spezialtatbestände für qualifizierte Tätigkeiten, die neben den Neuregelungen weiter Bestand haben. Die Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel für Hochqualifizierte, der einen deutschen oder anerkannten ausländischen Hochschulabschluss oder mindestens fünf Jahre Berufserfahrung sowie ein Gehalt in bestimmter Höhe (mindestens 2/3 der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung) voraussetzt, wobei in festgelegten Mangelberufen die Ge- haltsschwelle niedriger ist (§§ 19, 19a AufenthG, § 2 BeschV). Im Fall einer unternehmensinternen Entsendung in eine deutsche Niederlassung kann Führungskräften, Spezialisten und Trainees nach einer Tätigkeit von mindestens sechs Monaten für eine Tätigkeit im gleichen Unternehmen oder Konzern, eine ICT-Karte (ICT = Intra Company Transfer) erteilt werden, wenn deren konkrete Tätigkeit ihrer beruflichen Qualifikation entspricht.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Fachkräfte durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Abhängigkeit von der jeweiligen Qualifikation neu geregelt worden. Das Erfordernis einer Vorrangprüfung ist weitgehend entfallen, so dass bei den neu geregelten Tatbeständen nicht mehr zu prüfen ist, ob vorrangig ein Deutscher oder EU-Ausländer für die zu besetzende Stelle in Frage kommt.

Hinsichtlich der Anforderungen an die Qualifikation sind verschiedene Qualifikationsstufen zu unterscheiden:

Fachkräfte mit Berufsausbildung

Eine Fachkraft mit Berufsausbildung soll zukünftig bei Vorlie- gen eines konkreten Arbeitsplatzangebotes grundsätzlich be- schäftigt werden können. Zwar bedarf auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit Berufsausbildung grundsätzlich der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG, die das Vorliegen der Voraussetzungen prüft. Eine Vorrangprüfung oder Engpassbetrachtung (Be- schränkung auf Mangelberufe) ist jedoch nicht durchzuführen. Voraussetzung ist, dass die erworbene Qualifikation die Fach- kraft zur Ausübung der Beschäftigung befähigt. Fachkraft mit Berufsausbildung ist, wer über eine inländische qualifizierte Berufsausbildung oder eine mit einer inländischen qualifizier- ten Berufsausbildung gleichwertige ausländische Berufsqua- lifikation (§§ 18a, 18 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) verfügt.

Fachkräfte mit akademischer Ausbildung

Ebenso kann einer Fachkraft mit akademischer Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung in den Berufen erteilt werden, zu denen ihre Qualifikation befähigt, und wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt. Auch in diesen Fällen findet keine Vorrangprüfung oder Engpassbetrachtung statt. Eine Fachkraft mit akademischer Ausbildung verfügt über einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss  vergleichbaren ausländischen  Hochschulabschluss (§§ 18 b Abs. 1, 18 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG).

In dieser Fallgruppe kann es Überschneidungen mit der Blauen Karte EU geben, wobei die Blaue Karte EU strengere Anforderungen stellt, als die Beschäftigung im Verhältnis zur Ausbildung angemessen sein muss, und diese daher nur dann in Betracht kommt, wenn das Gehalt den vorgegebenen Schwellenwert erreicht.

Fachkräfte mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen

Fachkräften mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen kann unabhängig von der formalen Qualifikation eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Zulassung zur Ausübung der Beschäftigung in der Beschäftigungsverordnung geregelt ist. Dies ist nach § 6 BeschV in Berufen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie unabhängig von der Qualifikation als Fachkraft vorgesehen, wenn der Ausländer eine durch in den letzten sieben Jahren erworbene, mindestens dreijährige Berufs- erfahrung nachgewiesene vergleichbare Qualifikation besitzt, eine bestimmte Gehaltsschwelle (60 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung) erreicht wird und ausreichende Sprachkenntnisse vorliegen. Neben den nach der Qualifikation zu unterscheidenden Fachkräften sind Erleichterungen für weitere Fälle vorgesehen, so z. B. zur Arbeitsplatzsuche für Fachkräfte oder zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.

Das beschleunigte Fachkräfteverfahren

Mit Blick auf das Verwaltungsverfahren gibt es zwei wesentliche Neuregelungen. Hinsichtlich der Zuständigkeit sind die Länder gehalten, (mindestens) eine zentrale Ausländerbehörde zu errichten, die für die Erteilung des Visums bei der ersten Einreise zuständig ist. Damit wird eine stärkere Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis angestrebt. Verfahrenstechnisch besteht die Möglichkeit eines beschleunigten Fachkräfteverfahrens für Fachkräfte und sonstige qualifizierte Beschäftigte. Die Besonderheit dieses Verfahrens liegt darin, dass es vom Arbeitgeber betrieben wird, der hierzu von dem ausländischen Arbeitnehmer bevollmächtigt wird. Durch eine zwischen der Ausländerbehörde und Arbeitgeber zu treffenden Vereinbarung werden z. B. Verfahren, vorzulegende Nachweise und Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers und des ausländischen Arbeitnehmers geregelt. Eine Beschleunigung wird in diesem Verfahren insbesondere durch strenge Fristenregelungen hinsichtlich der Vergabe eines Termins zur Beantragung eines Visums bei der Auslandsvertretung und eine Straffung des Verfahrens bei der Bundesagentur für Arbeit erreicht.

Fazit

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden zahlreiche Erleichterungen für die Beschäftigung qualifizierter ausländischer Arbeitnehmer eingeführt, indem sowohl beruflich qualifizierten Arbeitnehmer als auch Akademikern bei Vorliegen eines konkreten Arbeitsplatzangebotes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn die Qualifikation sie zur Ausübung der Beschäftigung befähigt. Mit dem Wegfall der Vorrangprüfung entfällt ein zeitlich aufwändiger und in der Praxis gemiedener Schritt des Aufenthaltserlaubnisverfahrens. Angesichts der Tatsache, dass die Einstellung ausländischer Arbeitnehmer oft zeitkritisch ist, ist das beschleunigte Fachkräfteverfahren zu begrüßen. Die Praxis wird zeigen, wie sich die aus dem Verfahren und der Rolle des Arbeitgebers in diesem Verwaltungsverfahren ergebenden Unsicherheiten rechtssicher klären lassen.

Autorin
Martina Ziffels

Keine Geltung der Entsenderichtlinie in internationalen Zügen

Keine Anwendbarkeit der nationalen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auf das Servicepersonal in internationalen Zügen

EuGH, Urteil vom 19.12.2019, C 16/18 (Dobersberger)

Der Fall

Die Österreichische Bundesbahn hat die Bewirtschaftung des Bordrestaurants und des Bordservice in den von ihr betriebenen Zügen an ein anderes österreichisches Unternehmen ausgelagert. Dieses Unternehmen beauftragte wiederum ein weiteres Unternehmen damit, diese Aufgaben für sie wahrzunehmen. Das dritte Unternehmen hatte seinen Sitz in Ungarn. Es nahm die Aufgaben mittels in Ungarn wohnhafter und dort sozialversicherter Arbeitskräfte wahr. Die Arbeitskräfte waren teilweise Mitarbeiter des ungarischen Unternehmens, teilweise jedoch auch Leiharbeitnehmer. Sie nahmen ihren Dienst jeweils in Ungarn auf und beendeten ihn auch dort. Dabei erbrachten sie einen Großteil ihrer Arbeitsleistung in Ungarn: beluden dort die Züge mit den (in Budapest) gelagerten Speisen und Getränken, kontrollierten die Warenbestände und führten die Abrechnungen der Umsätze durch. Lediglich die in den Zügen selbst durchzuführenden Leistungen (Bewirtschaftung des Zugrestaurants bzw. des Bordservices) erbrachten sie nicht nur in Ungarn, sondern während der Fahrt zwischen Budapest, Salzburg und München. Nach Ansicht Österreichs waren die ungarischen Arbeitnehmer zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung (Bordservice in Zügen) in Österreich als entsandt anzusehen. Es verhängte daher gegen den Geschäftsführer der ungarischen Gesellschaft Verwaltungsstrafen wegen

  1. fehlender Meldung der entsandten Mitarbeiter an die zuständige österreichische Behörde,
  2. fehlender Bereithaltung der Unterlagen über die Anmeldung der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung in Österreich und
  3. fehlender Bereithaltung der Lohnnachweise und Unterlagen über die Lohneinstufung in deutscher Sprache.

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat sodann dem EuGH insbesondere die Frage vorgelegt, ob eine Entsendung im Sinne der Richtlinie auch in einem solchen Fall vorliegt.

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass die Entsenderichtlinie nicht auf Arbeitnehmer eines Mitgliedstaates anwendbar ist, die in internationalen Zügen, die durch einen anderen Mitgliedstaat (hier Österreich) fahren, tätig sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Mitarbeiter ihren Lebensmittelpunkt in dem ersten Mitgliedstaat haben, dort wohnhaft und auch sozialversicherungspflichtig sind und einen wesentlichen Teil ihrer Aufgaben dort erbringen und dort auch ihren Dienst antreten und beenden. In einem solchen Fall ist keine hinreichende Verbindung zu dem Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaats gegeben, sodass keine Entsendung im Sinne der Entsenderichtlinie besteht.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen. Sie verdeutlicht, dass nicht jeder kurzzeitige Arbeitseinsatz im Ausland eine Entsendung darstellt und die entsprechenden – insb. formalen – Folgen herbeiführt.

Die Frage, ob eine Entsendung im Sinne der Entsenderichtlinie (ins EU-Ausland) vorliegt, stellt sich auch in anderen Bereichen immer wieder und damit insbesondere auch ob und welche Meldepflichten bei einem grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz relevant sein könnten: Grundsätzlich müssen Entsendungen im jeweiligen Ziel-Mitgliedstaat registriert werden. Darüber hinaus muss eine sog. A1-Bescheinigung beantragt und mitgeführt werden. Diese beinhaltet die Feststellung, dass weiterhin (bei Entsendung aus Deutschland heraus) deutsches Recht Anwendung finden soll und der Mitarbeiter weiterhin der deutschen Sozialversicherungspflicht unterliegt. Andernfalls besteht das Risiko, Beitragszahlungen auch in dem anderen Mitgliedstaat leisten zu müssen sowie – bei Nichtabführung der Beiträge – strafrechtlicher Konsequenzen.

Autorin
Jana Anna Voigt

Neues zur Mitwirkungsobliegenheit bei Urlaubsansprüchen

Mitwirkungsobliegenheit besteht auch, wenn der Arbeitnehmer Urlaub ohne vorherige Genehmigung des Arbeitgebers nehmen darf.
BAG, Urteil vom 22.10.2019 – 9 AZR 98/19

Der Fall

Der Kläger war Geschäftsstellenleiter bei dem Beklagten. Sein Arbeitsvertrag war bis zum 31. Dezember 2012 be- fristetet. Die Entfristungsklage des Klägers war erfolgreich. Im Verlauf des Entfristungsverfahrens bot der Beklagte ein Prozessrechtsarbeitsverhältnis an, das der Kläger unter Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts für ausgebliebene Vergütung annahm. Der Kläger beendete sein Arbeitsverhältnis zum Beklagten durch eine Eigenkündigung zum Ende Juni 2016.

Im streitgegenständlichen Verfahren begehrt der Kläger Urlaubsabgeltung für die Jahre 2011 bis 2013. Der Arbeitsvertrag des Klägers sah einen Urlaubsanspruch in Höhe von 34 Urlaubstagen pro Jahr vor.

Der Kläger war der Ansicht sein Urlaubsanspruch der Jahre 2011 bis 2013 habe bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden. Der Beklagte habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass der Urlaub verfalle. Auch sei er ab dem 31. Dezember 2012 daran gehindert gewesen, den Urlaub zu nehmen, da sich der Beklagte geweigert habe, ihn zu beschäftigen und er ab dem 1. Januar 2014 in einem neuen Arbeitsverhältnis  stand.  Der  Beklagte  lehnte  die  Abgeltung des Urlaubs ab. Der Urlaubsanspruch sei spätestens mit Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger den Urlaub nicht genommen habe. Der Kläger war arbeitsvertraglich berechtigt, ohne die vorherige Stellung eines Urlaubsantrags und die Genehmigung Urlaub zu nehmen.

Die Zahlungsklage des Klägers wurde vom Arbeitsgericht und vom Landesarbeitsgericht ab- bzw. zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Die vom Kläger eingelegte Revision war erfolgreich. Das BAG verwies das Verfahren an das Berufungsgericht zurück.

Das BAG stellte fest, dass der Urlaub des Klägers nicht nach Beendigung des Urlaubsjahres verfallen ist. Es verwies auf seine neuere Rechtsprechung, nach der der Urlaubsanspruch nur dann am Ende eines Urlaubsjahres (und ggf. des zulässigen Übertragungszeitraums) verfalle, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen und dieser aus freien Stücken darauf verzichtet habe, seinen Urlaub zu nehmen. Den Arbeitgeber trifft aus Sicht des BAG die Initiativlast. Das BAG hob erneut die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers hervor. Ohne die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber könnte der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht verfallen. Um seine Mitwirkungsobliegenheiten zu erfüllen, habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufzufordern und ihm klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht in Anspruch nimmt. Das BAG unterstrich, dass diese Grundsätze für den gesetzlichen und den vertraglich zusätzlich gewährten Urlaub gelten, sofern für Letzteren keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag getroffen wurde. Das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen kann der Arbeitgeber aus Sicht des BAG nur vermeiden, indem er seine Mitwirkungsobliegenheit für den Urlaub aus dem zurückliegenden Urlaubsjahr nachholt.

Das BAG stellte schließlich klar, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Beklagten auch nicht deshalb entfiel, dass der Kläger arbeitsvertraglich berechtigt war, Urlaub ohne die Stellung eines Urlaubsantrags oder anderweitiger vorheriger Genehmigung zu nehmen. Auch die anhängige Befristungskontrollklage und die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber lies die Mitwirkungsobliegenheit des Beklagten nicht entfallen. Der Beklagte hätte zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit mitteilen müssen, dass er trotz des Streits über die Wirksamkeit der Befristung bereit ist, dem Kläger den Urlaub zu gewähren.

Unser Kommentar

Durch seine Entscheidung stärkt und konkretisiert das BAG die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs weiter. Bereits zuvor hatte es entschieden, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen.

Ein ausdrücklicher, klarer und rechtzeitiger Hinweis des Arbeitgebers individuell an jeden Arbeitnehmer, wie viele Urlaubstage diesem noch zustehen, verbunden mit der Aufforderung, diese bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, da er andernfalls am Ende des Urlaubsjahres verfällt, ist in Zukunft unerlässlich. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer berechtigt ist, Urlaub ohne vorherige Genehmigung durch den Arbeitgeber zu nehmen oder wenn eine Befristungskontrollklage anhängig ist, besteht die Belehrungspflicht des Arbeitgebers, wie das BAG nun klarstellt.

Bei der Wahl der Mittel, wie er seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommt, ist der Arbeitgeber frei. Er sollte darauf achten, dass der Hinweis auf die bestehenden Urlaubstage und die Aufforderung den Resturlaub zu nehmen, in einer später nachweisbaren Form vorgenommen werden, beispielsweise durch eine Nachricht oder durch einen Hinweis auf der Entgeltabrechnung. Denn der Arbeitgeber trägt im Rahmen eines Gerichtsverfahrens die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist.

Arbeitsvertraglich kann der Ansammlung von Urlaubsansprüchen vorgebeugt werden, indem in den arbeitsvertraglichen Regelungen zum Urlaub strikt zwischen dem gesetzlichen und dem zusätzlich vertraglich gewährten Urlaub unterschieden wird. Hinsichtlich des zusätzlich vertraglich gewährten Urlaubs können Unternehmen ihre Mitwirkungsobliegenheit ausschließen. Außerdem ist es möglich, die Abgeltung des zusätzlich vertraglich gewährten Urlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vollständig zu versagen.

Die vorstehenden Optimierungsmöglichkeiten sollten in Erwägung gezogen werden. Denn das BAG ließ bedauerlicherweise offen, wie lange die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer angesammelt werden. Zu einem möglichen Vertrauensschutz für die Arbeitgeber äußerte sich das BAG nicht. Fraglich ist, ob die 15-monatige Übertragungsmöglichkeit, die bei infolge von Arbeitsunfähigkeit nicht genommenem Urlaub greift, auf Fälle, in denen der Arbeitnehmer arbeitsfähig war und nur der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach- kam, übertragen werden kann oder ob die Regeln der Verjährung bei Urlaubsansprüchen greifen.

Autorin
Kerstin Belovitzer

Merke: Ein Projekt ist keine Daueraufgabe (und andersrum)

Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsverhältnisses zulässig, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Soll dieser vorübergehende Arbeitskräftemehrbedarf unter Berufung auf ein zeitlich begrenztes Projekt gerechtfertigt werden, erfordert dies, dass es sich bei den im Rahmen des Projekts zu bewältigenden Aufgaben um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handelt.

BAG, Urteil vom 21.08.2019 – 7 AZR 572/17

Der Fall

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung des zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitnehmerin war insgesamt zwei Jahre bei einem Landesamt beschäftigt, das u. a. für die Bewilligung und Abwicklung von Fördermaßnahmen zuständig war. Hierbei wurde die Arbeitnehmerin ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit zeitlich begrenzten Fördermaßnahmen auf Grundlage einer europäischen Verordnung sowie einer Landesrichtlinie befasst. Mit Auslaufen der Befristung erhob die Arbeitnehmerin, die zuvor schon einmal bei dem Arbeitgeber beschäftigt gewesen war, Befristungskontrollklage. Sie war der Auffassung, dass die Befristung des Arbeitsverhältnisses mangels Vorliegens eines Sachgrunds unwirksam war.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht wiederum hat die zweitinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Zumindest mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung könne die Klage nicht abgewiesen werden. Die für eine abschließende Entscheidung relevanten Tatsachen seien noch festzustellen.

Nach  den  Bundesarbeitsrichtern liegt  ein  sachlicher  Grund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses u. a. vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG). Ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf könne sowohl durch einen vorübergehenden Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen als auch durch die Übernahme eines Projekts oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreiche, oder daraus, dass sich der Arbeitskräftebedarf künftig verringern werde. Der Sachgrund setze voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sei, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein dauerhafter Bedarf mehr bestehe. Hierüber habe der Arbeitgeber bei Vereinbarung des befristeten Arbeitsverhältnisses eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssten. Die Prognose sei Teil des Sachgrunds für die Befristung. Die allgemeine Unsicherheit über die zukünftig bestehende Beschäftigungsmöglichkeit rechtfertige eine Befristung nicht. Eine solche Unsicherheit gehöre zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags auf den Arbeitnehmer abwälzen dürfe. Zur sachlichen Rechtfertigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses könne sich der Arbeitgeber auf eine Tätigkeit in einem zeitlich begrenzten Projekt nur dann berufen, wenn es sich bei den im Rahmen des Projekts zu bewältigenden Aufgaben um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handele. Werde ein Arbeitnehmer für die Mitwirkung an einem Projekt befristet eingestellt, müsse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erwarten sein, dass die im Rahmen des Projekts durchgeführten Aufgaben nicht dauerhaft anfielen. Für eine solche Prognose des Arbeitgebers bedürfe es ausreichend konkreter Anhaltspunkte. Diese habe das Landesarbeitsgericht bislang jedoch nicht festgestellt.

Unser Kommentar

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht noch keine eigene abschließende  Entscheidung  in  dieser  Angelegenheit  treffen konnte, so hat es doch die „Leitlinien“ für das Landesarbeitsgericht und die gesamte Praxis vorgegeben. Hierbei hat es sich  an  seiner bisherigen  Rechtsprechung orientiert  und diese weiter konkretisiert.

Möchte ein Arbeitgeber die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers in einem zeitlich begrenzten Projekt rechtfertigen, so sind Dauer- und Zusatzaufgaben des Arbeitgebers streng voneinander abzugrenzen. Daueraufgaben sind Tätigkeiten des Arbeitgebers, die im Rahmen seiner unternehmerischen Ausrichtung ständig und im Wesentlichen unverändert anfallen. Zusatzaufgaben sind hingegen nur für eine begrenzte Zeit durchzuführen und bringen keinen auf längere Zeit planbaren Personalbedarf mit sich. Dies ist nicht der Fall bei Tätigkeiten, die der Arbeitgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrnimmt oder zu deren Durchführung er verpflichtet ist. Für das Vorliegen einer Zusatzaufgabe bzw. eines Projekts spricht es nach dem Bundesarbeitsgericht zudem regelmäßig, wenn dem Arbeitgeber für die Durchführung der in dem Projekt verfolgten Tätigkeiten von einem Dritten finanzielle Mittel oder Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden. Gleiches gilt wohl, wenn eine besondere Projektorganisation erfolgt. Allerdings kann auch die Durchführung zeitlich begrenzter Vorhaben zu den Daueraufgaben des Arbeitgebers gehören. Das kann der Fall sein, wenn die in diesen Vorhaben zu verrichtenden Tätigkeiten im Rahmen des von dem Arbeitgeber verfolgten Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfallen und einen planbaren Beschäftigungsbedarf verursachen. Werden die Tätigkeiten hingegen entweder nur unregelmäßig – z. B nur aus besonderem Anlass – ausgeführt oder sind sie mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden und verursachen sie deshalb keinen vorhersehbaren Personalbedarf sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals, handelt es sich um Zusatzaufgaben. Im Bereich der Daueraufgaben könne sich der Arbeitgeber laut Bundesarbeitsgericht im Übrigen nicht dadurch Befristungsmöglich- keiten schaffen, dass er diese Aufgaben künstlich in „Projekte“ zergliedere. Könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Betriebszwecks einen im Wesentlichen unveränderten Personalbedarf prognostizieren und einschätzen, sei es ihm regelmäßig verwehrt, den entsprechenden Arbeitsanfall unter Berufung auf die Grundsätze der Projektbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG mit befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu bewältigen.

Die vorliegende Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass die Abgrenzung zwischen Dauer- und Zusatzaufgaben bzw. Projekten im Einzelfall extrem schwierig sein kann. Da hieran jedoch die für die Befristungsentscheidung notwendige Prognoseentscheidung zu knüpfen ist, ist hierauf großes Augenmerk zu legen und die für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Kriterien zudem langfristig zu dokumentieren. Andernfalls droht die Unwirksamkeit der Befristung und der (unbeabsichtigte) Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.

Autor
Thorsten Tilch

Der Betriebsbegriff des § 15 Abs. 5 KSchG bei Betriebsratsstrukturen gemäß § 3 BetrVG

Der Betriebsbegriff des § 15 Abs. 4 KSchG ist nicht identisch mit dem Betriebsbegriff des § 3 Abs. 1 BetrVG, sodass es beim besonderen Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern in einer nach § 3 BetrVG gebildeten Organisationseinheit bei einer Betriebsstillegung auf den tatsächlichen Beschäftigungsbetrieb ankommt.

BAG, Urteil vom 24.10.2019 – 2 AZR 85/19

Der Fall

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Bei der Beklagten und weiterer Konzerngesellschaften waren auf der Grundlage eines Strukturtarifvertrages nach § 3 BetrVG mehrere Betriebsstätten zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zusammengefasst. Für diese Organisationseinheit wurde ein Betriebsrat gewählt. Die Klägerin war Ersatzmitglied dieses Betriebsrates und nahm im April 2017 an einer Betriebsratssitzung teil.

Im Februar 2017 schlossen die Beklagte und die weiteren Konzerngesellschaften eine Gesamtbetriebsvereinbarung, die einen Teilinteressenausgleich und Sozialplan beinhaltete. Die Gesamtbetriebsvereinbarung enthielt für Betriebsratsmitglieder Regelungen zum Angebot von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einem vertragsschließenden Unternehmen sowie zur Weiterarbeit in Telearbeit, auf die für Ersatzmitglieder nur ein Anspruch bis zum Ablauf des Sonderkündigungsschutzes vorgesehen war.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats im November 2017 ordentlich. Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und macht geltend, dass die ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG ausgeschlossen gewesen sei. Die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 4 KSchG zulässig und darüber hinaus sozial gerechtfertigt sei, da sie ihren einzigen Betrieb, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen sei, stillgelegt habe und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Klägerin in einem anderen Betrieb des Unternehmens nicht bestanden habe.

Die Entscheidung

Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Das BAG hat das Urteil des LAG aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder können gemäß § 15 Abs. 4 KSchG gekündigt werden, wenn der ganze Betrieb stillgelegt wird. Nach Auffassung des BAG liegt eine Betriebsstilllegung im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG vor. Ausreichend hierfür sei, dass die Beklagte den Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, in dem die Klägerin beschäftigt war, geschlossen habe. Es sei auf den allgemeinen Betriebsbegriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG abzustellen, da das Kündigungsschutzgesetz keine eigene Definition des Betriebsbegriffs enthalte. Eine gewillkürte Betriebsstruktur nach § 3 BetrVG lasse keine andere Bewertung zu, da diese für sich genommen ohne entsprechende Organisationsstruktur keinen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darstelle. Bei der gewillkürten Organisationsstruktur handele es sich lediglich um die nach § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG begrenzte Fiktion eines Betriebes, die für das Kündigungsschutzgesetz ohne Bedeutung sei. Dies gelte auch für den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass sich die Vorschrift unter dem Zweiten Abschnitt zum „Kündigungsschutz im Rahmen der Betriebsverfassung“ befinde, da sie letztlich im Kündigungsschutzgesetz verortet sei.

Auch stünden der Annahme, dass eine gewillkürte Organisationseinheit nach § 3 BetrVG ein Betrieb im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG sei, die Rechtspositionen der in den anderen, nicht von der Betriebsstilllegung betroffenen Arbeitnehmern der anderen Betriebe der gewillkürten Organisationseinheit entgegen. Eine betriebsübergreifende Verdrängung von Arbeitnehmern zum Schutz der Arbeitsplätze betroffener Betriebsratsmitglieder innerhalb einer gewillkürten Organisationseinheit finde nicht statt. Wäre eine gewillkürte Organisationseinheit ein Betrieb im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG würde dies einen Bruch mit dem allgemeinen Prinzip darstellen, dass keine Verdrängung von Arbeitnehmern über die Grenzen ihres Beschäftigungsbetriebes hinweg stattfinde.

Der von der Klägerin vorgebrachte Einwand, dass anderenfalls der mit § 15 KSchG verfolgte Zweck der Kontinuität der Betriebsratsarbeit gefährdet sei, greife nicht. Auch insoweit finde keine über die Grenzen des Beschäftigungsbetriebs hinausgehende Verdrängung zu Lasten Dritter statt.

Die Kündigung sei auch nicht aufgrund der geschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung unwirksam, da diese keine Erweiterung des nach § 15 Abs. 4 KSchG bestehenden besonderen Kündigungsschutzes gewähren würde. Die Regelungen würden lediglich die gesetzlichen Vorschriften abbilden. Soweit den Betriebsratsmitgliedern nach der Gesamtbetriebsvereinbarung ihren bisherigen Positionen gleichwertige Positionen in vertragsschließenden Unternehmen angeboten werden solle, seien hiervon nicht Arbeitsplätze aus der in den nicht von der Betriebsstilllegung betroffenen Betrieben erfasst.

Das Landesarbeitsgericht habe nun zu entscheiden, ob die weiteren Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung vorlagen.

Unser Kommentar

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Sie bestätigt die bisherige Rechtsprechung, wonach das Kündigungsschutzgesetz durch eine im Wesentlichen auf den Beschäftigungsbetrieb begrenzte Betrachtungsweise geprägt ist. Maßgeblich für das Kündigungsschutzgesetz ist die tatsächliche Organisationseinheit, innerhalb derer der Arbeitgeber Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten selbständig trifft. Hingegen wird für die Organisationsstruktur gemäß § 3 BetrVG lediglich fingiert, dass es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Einheit handelt. Diese Fiktion greift allein innerhalb der Grenzen des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie hat nicht zur Folge, dass die Betriebe tatsächlich so organisiert sind, wie tariflich für die Betriebsratsstrukturen fingiert wird. Die vom BAG vorgenommene Bewertung dürfte auch auf die weiteren kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen, die den Betriebsbegriff in Bezug nehmen, gelten (z. B. §§ 1 Abs. 3, 17, 23 KSchG). Folge ist ein Auseinanderfallen der kündigungsschutzrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsstrukturen, es sei denn es ist zugleich ein Gemeinschaftsbetrieb gebildet. Im Rahmen der Gestaltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sowie bei Kündigungssachverhalten ist Arbeitgebern daher zu empfehlen, neben der fingierten auch die tatsächliche Betriebsstruktur im Blick zu behalten.

Autorin
Dr. Anna Mayr

Ablehnung eines Begehrens auf Teilzeit in Elternzeit

Um Nachteile in einem etwaigen Rechtsstreit zu vermeiden, hat der Arbeitgeber in der schriftlichen Ablehnung eines Antrags auf Teilzeit in Elternzeit alle Gründe zu benennen, auf welche die Ablehnung gestützt werden soll.
BAG, Urteil vom 24.09.2019 – 9 AZR 435/18

Der Fall

Die Klägerin war bei der Beklagten als Anlagenfahrerin beschäftigt. Die Produktion im Betrieb der Beklagten erfolgt im Rahmen eines 3-Schichtsystems an sieben Wochentagen. Die Frühschicht dauert von 6:00 bis 14:15 Uhr. Die Beklagte teilte der Klägerin im April 2016 mit, dass ihr Arbeitsplatz aufgrund einer Umorganisation zukünftig wegfallen werde. Die  Klägerin beantragte Elternzeit für  den  Zeitraum vom 22. November 2016 bis 24. September 2019. Mit Schreiben vom 29. September 2016 beantragte sie, während der Elternzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden in Teilzeit beschäftigt zu werden. Die Arbeitszeit sollte sich auf die Wochentage Montag bis Donnerstag von 6:30 Uhr bis 11:30 Uhr verteilen. Die Beklagte lehnte dies mit Verweis auf das Schichtsystem ab. Die Schicht sei sonst entweder überbesetzt oder für mehrere Stunden unterbesetzt. Hieraus folge eine wirtschaftliche Belastung bzw. eine Gefährdung der Produktion. Mit innerbetrieblichem Aushang suchte die Beklagte nach vier Mitarbeitern, die bereit seien, bei geringfügiger Reduzierung der Vergütung ergänzend zu einer Mitarbeiterin mit einer Arbeitszeit von 6:00 bis 11:00 Uhr montags bis donnerstags zu arbeiten. Zwei Beschäftigte meldeten ihr Interesse an. Die Klägerin begehrte zuletzt die Verringerung ihrer Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche bei einer Verteilung auf Montag bis Donnerstag von 6:00 bis 11:00 Uhr, hilfsweise auf Montag bis Donnerstag von 6:30 bis 11:30 Uhr. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, das LAG hatte das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung

Die Revision der Klägerin führte zur Zurückverweisung an das LAG zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Das BAG erachtete den Hauptantrag der Klägerin als unbegründet. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, der begehrten Reduzierung und Verteilung der Arbeitszeit von 6:00 bis 11:00 Uhr zuzustimmen. Zwar könne sich die Beklagte bei ihrer Ablehnung nicht auf den Wegfall des Arbeitsplatzes stützen, da sie diesen Grund in ihrem Ablehnungsschreiben nicht genannt habe. Der Arbeitgeber könne sich im gericht- lichen Verfahren ausschließlich auf solche Gründe berufen, die er in einem nach § 15 Abs. 7 BEEG a.F. form- und fristgerechten Schreiben genannt habe. Der Hauptantrag der Klägerin sei jedoch unbegründet, weil sie gerichtlich eine andere Arbeitszeitverteilung begehre, als im Rahmen ihres ursprünglichen Antrags auf Elternteilzeit. Das dem Arbeitgeber unterbreitete Angebot auf Änderung der Arbeitszeit im Rahmen der Elternzeit sei für das gerichtliche Verfahren jedoch bindend. Habe der Arbeitgeber das Angebot auf Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit abgelehnt, sei das vorgerichtliche Verfahren abgeschlossen. Der Arbeitnehmer könne seinen Verteilungswunsch ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ändern. Dies folge aus § 15 Abs. 6 BEEG a.F., wonach der Arbeit- nehmer während der Gesamtdauer der Elternzeit nur zweimal eine Verringerung der Arbeitszeit verlangen könne, um dem Arbeitgeber eine kontinuierliche Personalplanung zu ermöglichen. Da die Klägerin ihren Wunsch auf Verringerung der Wochenarbeitszeit mit einem Wunsch auf eine bestimmte Verteilung der reduzierten Arbeitszeit verbunden habe, sei es der Beklagten nur möglich gewesen, dieses Änderungsangebot entweder einheitlich anzunehmen oder abzulehnen.

Hinsichtlich des Hilfsantrags war die Revision begründet. Das LAG sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Begehren der Klägerin dringende betriebliche Gründe entgegenstehen, da der Arbeitsplatz in Wegfall geraten sei. Das LAG müsse daher prüfen, ob sich aus anderen Tatsachen ergebe, dass dringende betriebliche Gründe dem Begehren der Klägerin entgegenstehen und hierzu den Sachverhalt weiter aufklären.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht eindrücklich, wie viele Fallstricke für den Arbeitgeber im Zusammenhang mit einem Antrag des Arbeitnehmers auf Teilzeit in Elternzeit bestehen. Zwar hatte sich das BAG in seinem Urteil noch mit der alten Gesetzesfassung auseinanderzusetzen, die Entscheidung ist jedoch auf die aktuelle Gesetzeslage übertragbar. Folgendes hat der Arbeitgeber im Auge zu behalten:

Zunächst muss der Arbeitgeber bei der Ablehnung eines Antrags auf Teilzeit in Elternzeit die Fristen des § 15 Abs. 7 BEEG beachten.

Je nachdem, ob die Verringerung der Arbeitszeit für eine Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr oder für den Zeitraum zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr beantragt wird, beträgt diese Frist vier bzw. acht Wochen nach Zugang des Antrags. Zudem hat die Ablehnung zwingend schriftlich zu erfolgen. Werden die Fristen oder das Schriftform erfordernis nicht beachtet, gilt die Zustimmung des Arbeitgebers als erteilt und die Arbeitszeit verringert sich im Umfang bzw. ver- teilt sich wie vom Arbeitnehmer gewünscht. Auch in inhaltlicher Hinsicht heißt es für den Arbeitgeber, Sorgfalt walten zu lassen. Alles, was aus Sicht des Arbeitgebers als dringende betriebliche Gründe dem Teilzeitbegehren des Arbeitnehmers entgegenstehen soll, ist in dem Ablehnungsschreiben ausdrücklich zu benennen, um nicht in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren damit ausgeschlossen zu sein.

Die Hürden, die das BAG an das Vorliegen eines „dringenden betrieblichen Grundes“ i.S.d. § 15 BEEG stellt, sind hoch. In einem ersten Schritt hat der Arbeitgeber darzulegen, dass seiner als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung ein betriebliches Organisationskonzept zu Grunde liegt. Sodann ist zu prüfen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Begehren des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht. Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen. Die entgegenstehenden betrieblichen Interessen müssen aus Sicht des BAG geradezu zwingende Hindernisse für die beantragte Kürzung der Arbeitszeit sein. In diesem Zusammenhang weist das BAG in seiner Entscheidung nochmals ausdrücklich darauf hin, dass der Arbeitgeber zu prüfen hat, ob andere Mitarbeiter den Arbeitszeitausfall kompensieren können. Dabei genügt es nicht – wie in dem durch das BAG entschiedenen Fall geschehen – nur Mitarbeiter innerhalb der eigenen Belegschaft entsprechend zu befragen, sondern der Arbeitgeber muss auch die zuständige Agentur für Arbeit einschalten, um diese prüfen zu lassen, ob ein passender Bewerber zur Verfügung steht. Unerheblich war es im Übrigen – zumindest in prozessualer Hinsicht – dass aufgrund der Dauer des Rechtsstreits, die Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidung nur noch die rückwirkende Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit verlangen konnte. Nicht alle Dinge erledigen sich von selbst…

Autorin
Nadine Ceruti

Kündigung transformierter Inhaltsnormen durch den Betriebserwerber

Die bei einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformierten Inhaltsnormen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung sind gegenüber dem Betriebsrat des Betriebserwerbers kündbar, wenn der Betriebserwerber deren finanzielle Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen will.

Der Fall

Die Parteien stritten über die Gewährung eines Kleinkredits auf Basis einer Betriebsvereinbarung. Bei der Arbeitgeberin galt seit August 2007 eine mit dem Betriebsrat am 26. Juni 2007 abgeschlossene „freiwillige Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Kleindarlehen“ (BV Kleindarlehen). Diese sieht vor, dass ein zweckungebundenes, zinsloses Kleindarlehen in Höhe von EUR 1.000 bis EUR 2.450 bei der „Personalbetreuung“ beantragt und begründet werden kann. Gemäß einer entsprechenden Regelung kann die BV Kleindarlehen mit einer Frist von drei Monaten zum Ablauf eines Kalenderjahres, frühestens zum Ablauf des 31. Dezember 2012 gekündigt werden.

Die Betriebsorganisation der E AG wurde im Jahr 2009 aufgelöst. Die Abteilung, in der der Kläger tätig war, wurde mit Wirkung zum 1. September 2009 auf die V AG übertragen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging infolge Betriebsübergangs auf die V AG über. Diese gewährte dem Kläger im Februar 2012 sowie im Januar 2014 auf Grundlage der BV Kleindarlehen antragsgemäß Darlehen.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2015 kündigte die V AG sowohl gegenüber dem Betriebsrat als auch gegenüber dem bei ihr errichteten Gesamtbetriebsrat die BV Kleindarlehen zum 31. Dezember 2015 und wies darauf hin, dass sie nach diesem Zeitpunkt eingehende Anträge auf Gewährung von Darlehen ablehne.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging sodann im April 2016 aufgrund eines erneuten Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese lehnte Anfang Juni 2016 einen Antrag des Klägers auf Gewährung eines weiteren Darlehens in Höhe von EUR 2.450 ab.

Der Kläger machte geltend, er habe auf der Grundlage der BV Kleindarlehen gegen die Beklagte einen unmittelbaren Anspruch auf Auszahlung des beantragten Darlehens, zu- mindest aber habe sie sein Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Darlehensvertrags anzunehmen. Die infolge des nicht identitätswahrenden Betriebsübergangs auf die V AG nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in sein Arbeitsverhältnis transformierten Normen der BV Kleindarlehen seien infolge der Kündigung nicht entfallen. Das  zum  schuldrechtlichen Teil der BV Kleindarlehen gehörende Kündigungsrecht werde nicht transformiert. Jedenfalls könne eine Beendigung rechts- wirksam nur einheitlich gegenüber den Arbeitnehmern erklärt werden.

Sowohl das ArbG Dortmund als auch das LAG Hamm wiesen die Klage ab.

Die Entscheidung

Das BAG folgte im Ergebnis der Auffassung der Vorinstanzen. Die Geltung der transformierten Inhaltsnormen der BV Kleindarlehen im Arbeitsverhältnis des Klägers mit der V AG seien infolge der von dieser erklärten Kündigung vom 12. Mai 2015 zum 31. Dezember 2015 ersatzlos entfallen. Die V AG sei berechtigt gewesen, die transformierten Inhaltsnormen der BV Kleindarlehen durch einseitige Erklärung gegenüber dem im Betrieb gebildeten Betriebsrat zu kündigen.

Die Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB der übergehenden Arbeitsbedingungen, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestalten, führe nicht dazu, dass diese nunmehr Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen dem vom Betriebsübergang erfassten Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber werden. Vielmehr bleibe der kollektivrechtliche Charakter der transformierten Normen erhalten. Die als „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ fortwirkenden Inhaltsnormen der Betriebsvereinbarung würden, da sie kollektiven Ursprungs seinen, mit dem – jeder kollektivrechtlichen Norm innewohnenden – Vorbehalt ihrer nachfolgenden

Abänderbarkeit mit kollektivrechtlichen Mitteln transformiert. Dies zeige bereits § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, wonach die transformierten Bestimmungen vor einer Ablösung im Erwerberbetrieb nicht in weiterem Umfang geschützt seien als bei einer kollektivrechtlichen Weitergeltung. Solche Inhaltsnormen seien daher einer Neuregelung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung zugänglich, die nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werde.

Bei einer Betriebsvereinbarung über finanzielle Leistungen könne der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben, bedürfe aber zu deren näheren Ausgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Wolle der Erwerber die Gewährung der freiwilligen Leistungen vollständig beenden, könne eine Ablösung nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 1 Nr. 3 BGB eigentlich nur herbei- geführt werden, wenn der bei ihm gebildete Betriebsrat mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung einverstanden wäre, die die transformierenden Bestimmungen aufheben würde.

In einem solchen Fall berechtige nun aber der den aufgrund eines Betriebsübergangs transformierten Arbeitsbedingungen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung ursprünglich innewohnende Änderungsvorbehalt den Betriebserwerber, diese gegenüber dem Betriebsrat zu kündigen. Andernfalls wären die transformierten Inhaltsnormen einer nur teilmitbe- stimmten Betriebsvereinbarung weitergehend geschützt als die einer erzwingbaren.

Nach Auffassung des BAG solle die Vorschrift des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bei einem Betriebsübergang lediglich den Bestand der kollektivrechtlichen Regelungen schützen und verhindern, dass sich die vor dem Betriebsübergang bestehende kollektivrechtliche Rechtsposition der Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang verschlechtert. Deren Besserstellung gegenüber der zuvor geltenden normativen Rechtslage sei mit der Zielrichtung der Norm aber unvereinbar.

Ferner legt sich das BAG dahingehend fest, dass aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters der transformierten Inhaltsnormen die Kündigung des Betriebserwerbers gegenüber dem in seinem Betrieb gebildeten Betriebsrat zu erklären sei. Dieser Betriebsrat wäre schließlich auch zuständig für den Abschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung. Damit sei er auch der zuständige Empfänger einer vom Erwerber erklärten Kündigung transformierter Normen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung. Dass der für den Erwerberbetrieb zuständige Betriebsrat diese Betriebsvereinba- rung nicht selbst abgeschlossen habe, sei unerheblich. Auch das Unionsrecht gebiete kein anderes Ergebnis.

Die zum Zwecke der vollständigen Leistungseinstellung erklärte Kündigung transformierter Inhaltsnormen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung habe damit zur Folge, dass mit Ablauf der Kündigungsfrist deren Fortwirkung im Arbeitsverhältnis ende.

Unser Kommentar

Das BAG führt seine Rechtsprechung fort, nach der transformierte Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung nicht stärker geschützt sind als die Betriebsvereinbarung selbst. Ob bei einer Transformation der kollektivrechtliche Charakter gewahrt bleibt, war lange ungeklärt. Allerdings hatte das BAG zuletzt bereits in einem Urteil (BAG, 12.06.2019 – 1 AZR 154/17) diese Frage bejaht. Mit der Differenzierung zwischen mitbestimmten, freiwilligen und teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen und der Vorgabe, die Kündigung gegenüber dem neuen Betriebsrat und nicht etwa allen betroffenen Arbeitnehmern gegenüber erklären zu müssen, präzisiert der Erste Senat seine Rechtsprechung im Interesse der Arbeitgeber bzw. Betriebserwerber.

Aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters der transformierten Inhaltsnormen ist die Kündigung des Betriebserwerbers gegenüber dem in seinem Betrieb gebildeten Betriebsrat zu erklären, auch wenn dieser diese Betriebsvereinbarung also gar nicht abgeschlossen hat. Der Betriebsrat des Betriebserwerbers ist nach dem Sinn und Zweck des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB der zuständige kollektivrechtliche Adressat der dem neuen Arbeitgeber zustehenden Ablösemöglichkeit. Damit ist er auch der zuständige Empfänger einer vom Erwerber erklärten Kündigung transformierter Normen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung.

Arbeitgebern bleibt es damit erspart, zur Einstellung einer freiwilligen finanziellen Leistung gegenüber jedem betroffenen Arbeitnehmer eine Änderungskündigung auszusprechen. In der Kündigungserklärung muss aber eindeutig zum Ausdruck kommen, dass der Arbeitgeber die Leistung ersatzlos streichen will. Kann die Erklärung so verstanden werden, dass die Leistung künftig anders ausgestaltet werden soll, steht dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht zu und es tritt eine Nachwirkung ein.

Autor
Maurice Straub

Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und anderen Formen des Fremdpersonaleinsatzes

Die Änderung des AÜG vom 21. Februar 2017 ändert nichts an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Abgrenzung zwischen einer Arbeitneh- merüberlassung und anderen Formen des Fremdpersonaleinsatzes.

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.12.2019 – 21 TaBV 489/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über das Bestehen eines Beteiligungs- rechts nach § 99 BetrVG im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal. Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit mehrere Warenhäuser. Im Mai 2017 informierte die Arbeit- geberin den Betriebsrat darüber, dass aufgrund der Ände- rung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) geplant sei, die Kassentätigkeiten im Rahmen eines Werkvertrages fremdzuvergeben. Im Februar 2018 schloss die Arbeitgebe- rin einen „Werkvertrag Kassenservice“ mit einem externen Unternehmen. Mit dem vorliegenden Ver-fahren begehrte der Betriebsrat unter anderem die Aufhebung der Einstellung von 83 Arbeitnehmer/innen nach § 101 BetrVG.

Das LAG bestätigte im Wesentlichen die erstinstanzliche Ent- scheidung, die den Aufhebungsanträgen des Betriebsrats stattgab. Eine Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG sei bei einem Einsatz von Fremdpersonal jedenfalls dann gegeben, wenn es sich um eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 AÜG handelt. Dies sei durch § 14 Absatz 3 Satz 1 AÜG ausdrücklich klargestellt. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einer Arbeitnehmerüberlassung und einer anderen Form des Fremdpersonaleinsatzes sei nach wie vor, ob die Arbeitnehmer eines Fremdunternehmens in die Arbeitsorganisation des Einsatzunternehmen eingeglie- dert sind und dessen Weisungen unterliegen.

Keine offensichtliche Unzuständigkeit des örtlichen Betriebsrats

Allein die unter Heranziehung von Kosten- oder Koordinierungsinteressen bestimmte Zweckmäßigkeit einer betriebsübergreifenden Regelung genügt nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen

LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.12.2019 – 1 TaBV 27/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob die erstinstanzlich eingesetzte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und unterhält mehrere Betriebshöfe. Es sind verschiedene örtliche Betriebsräte und ein Gesamtbetriebsrat gebildet.

Das LAG wies die Beschwerde der Arbeitnehmerin mit der Begründung ab, dass ein Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle gem. § 100 Absatz 1 Satz 2 ArbGG nur dann zurückgewiesen werden könne, wenn die Einigungsstelle für den beantragten Regelungsgegenstand offensichtlich unzuständig ist. Eine offensichtliche Unzuständigkeit liege vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt oder wenn das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht offensichtlich nicht dem antragstellenden Betriebsrat, sondern einem Gesamtbetriebsrat zusteht. Für den Regelungsgegenstand „Auf- gaben und Einsatzzeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes nach DGUV-V2“ sei der örtliche Betriebsrat nicht offensichtlich unzuständig. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung sei nicht ausreichend, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen.

Außerordentliche Kündigung beim Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung

Der dringende Verdacht des Erschleichens eines Anwohnerparkausweises durch eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts stellt einen wichtigen Grund iSd § 626 Absatz 1 BGB dar.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.12.2019 – 7 Sa 557/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Arbeitnehmerin war als Parkraumüberwacherin im Bereich des bezirklichen Ordnungsamtes beschäftigt. Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos aufgrund des dringenden Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung. Der Arbeitnehmerin wird vorgeworfen, sich einen Anwohnerparkausweis erschlichen zu haben.

Das LAG wies den, in der ersten Instanz stattgegebenen, Kündigungsschutzantrag der Arbeitnehmerin ab. Es habe ein wichtiger Grund vorgelegen, der es dem beklagten Land unzumutbar gemacht habe, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Mit der Rechtsprechung des BAG sei davon auszugehen, dass nicht nur der verhaltensbezogene Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, sondern auch der dringende Verdacht einer solchen Pflichtverletzung einen wichtigen Grund an sich darstellen kann. In der vorliegenden Situation habe eine so hohe Wahrscheinlichkeit für ein pflichtwidriges Verhalten der Arbeitnehmerin vorgelegen, dass sich der Verdacht als „erdrückend“ erwiesen habe.

Angemessene Höhe des Nachtarbeitszuschlags bei Dauernachtarbeit

Für in Dauernachtarbeit tätige Arbeitnehmer ist ein Zuschlag in Höhe von 30 Prozent angemessen. Der mit der Verpflichtung zur Zahlung von Nachzuschlägen einhergehende Eingriff in die Grundrechte der Arbeitgeberin ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

LAG Hamm, Urteil vom 27.11.2019 – 6 Sa 911/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die Höhe eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags. Der Arbeitnehmer ist als Zeitungszusteller im Betrieb der Arbeitgeberin tätig, wobei er ausschließlich zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr tätig wird. Der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag wurde mit verschiedenen Nachträgen abgeändert, wodurch zuletzt auch die Höhe des Nachtzuschlages auf zehn Prozent des geschuldeten Bruttolohns reduziert wurde.

Das LAG entschied, dass für in Dauernachtarbeit tätigte Arbeitnehmer ein Zuschlag in Höhe von 30 % angemessen sei. Eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des von § 6 Absatz 5 ArbZG geforderten Ausgleichs für Nachtarbeit käme nur in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die den regelmäßig angemessenen Wert als zu gering oder zu hoch erscheinen lassen. Dabei seien rein wirtschaftliche Erwägung nicht geeignet, eine Abweichung vom Regelwert nach unten zu begründen. Es käme zwar eine Abweichung nach unten in Betracht, wenn überragende Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erforderlich machen, wie es beim nächtlichen Rettungsdienst beispielsweise der Fall ist. Das unternehmerische Konzept, Tageszeitungen vor 6:00 Uhr zuzustellen, diene jedoch nicht einem solchen überragenden Belang des Gemeinwohls. Der mit der Verpflichtung zur Zahlung von Nachzuschlägen einhergehende Grundrechtseingriff sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Das Konzernunternehmen ist grundsätzlich nicht Träger der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung

Die betriebliche Altersversorgung wird grundsätzlich vom Arbeitgeber als Unternehmen getragen und nicht von dem Konzernunternehmen.

L
AG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2019 – 2 Sa 1123/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten über die anrechenbaren Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmerin und die damit zusammenhängende Höhe der betrieblichen Altersversorgung. Die Arbeitnehmerin war zunächst zehn Jahre lang in einem hundertprozentigen Tochterunternehmen der Arbeitgeberin beschäftigt gewesen. Der bei ihrem Wechsel zur Arbeitgeberin abgeschlossene Arbeitsvertrag enthielt keine Vereinbarungen darüber, ob die Zeiten, die die Arbeitnehmerin bei der Tochtergesellschaft tätig gewesen war, anzurechnen seien. Nachdem die Arbeitnehmerin in den Ruhestand ging, verlangte sie die Anrechnung der zehn Dienstjahre bei dem Tochterunternehmen der Arbeitgeberin.

Das LAG bestätigte das erstinstanzliche Urteil, das die Klage der Arbeitnehmerin abwies. Zur Begründung führt das LAG aus, der Arbeitsvertrag habe hinsichtlich der anrechenbaren Dienstjahre keine andere, insbesondere keine günstigere Vereinbarung für die Arbeitnehmerin getroffen. Das Konzernunternehmen sei grundsätzlich nicht Träger der betrieblichen Altersversorgung. Zwar kämen abstrakt Konstellationen in Betracht, in denen die Konzernzugehörigkeit als Betriebszugehörigkeit anerkannt werden könnte. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Wechsel von einem Unternehmen des Konzerns zum anderen in Form einer „Versetzung im weiteren Sinn“ aufgrund eines übergeordneten Weisungsrecht einer für die einheitlichen Leitungsfunktion im Gesamtkonzern zustän- digen Stelle erfolgt. Eine derartige vergleichbare Situation liege hier aber gerade nicht vor.

Kein Arbeitszeitbetrug aufgrund unterbliebenen Abzugs von abgegoltenen Überstunden

Stellt die Arbeitnehmerin dem Arbeitnehmer keine Möglichkeit zur Verfügung aufgrund einer arbeitsvertraglichen Klausel monatlich bereits abgegoltene Überstunden bei der Arbeitszeiterfassung gesondert zu kennzeichnen, begeht der Arbeitnehmer keinen Arbeitszeitbetrug, wenn er die abgegoltenen Überstunden nicht selbst in Abzug bringt.

LAG Hamm, Urteil vom 11.12.2019 – 6 Sa 912/19 (rechtskräftig)

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmerin einen Arbeitszeitbetrug begangen hat. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsvertrag, der eine Regelung enthielt, wonach monatlich 15 Überstunden mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten sein sollten. Die Arbeitgeberin stellte dem Arbeitnehmer zur Erfassung der Arbeitszeit Formblätter zur Verfügung. Zur Erfassung der Überstunden stand nur eine mit „Abzufeiern Überst.“ betitelte Zeile zur Verfügung. Der Arbeitnehmer notierte Abzüge aufgrund der monatlich bereits abgegoltenen 15 Überstunden nur in der ersten und dritten Woche seiner Anstellung unter Verwendung von Klammerzusätzen.

Das LAG bestätigte die Entscheidung des ArbG, wonach das vorliegende Verhalten des Arbeitnehmers keinen Arbeitszeitbetrug durch vorsätzliche Falschaufzeichnungen darstelle. Zwar sei der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet einen Arbeitszeitbetrug zu begründen. Im vorliegenden Fall habe der Arbeitnehmer jedoch keine Möglichkeit gehabt, in dem Formblatt eine Verbindung zwischen wöchentlich geleisteten und monatlich abzufeiernden Überstunden herzustellen. Die abrechnungstechnische Behandlung der geleisteten Überstunden habe allein der Arbeitnehmerin oblegen.

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