31.10.2025
![Und es geht weiter: des Dramas nächster Akt – der EuGH zur Massenentlassungsanzeige -  C-134/24 [Tomann]](/fileadmin/user_upload/AdobeStock_441314148.jpeg) 
        Mit Urteil vom 30. Oktober 2025 hat der EuGH für etwas mehr Klarheit im Minenfeld der Massenentlassungsanzeige gesorgt. Ausgangspunkt war ein Vorabentscheidungsersuchen des 2. Senates. In den letzten Jahren haben der 2. und der 6. Senat zentrale Fragen rund um die Wirksamkeit von Massenentlassungen und deren Rechtsfolge aufgeworfen. Die beiden Senate vertreten hierbei teils unterschiedliche Rechtsansichten.
Der 2. Senat stellte mit seinem Vorlagersuchen folgende Vorlagefragen:
1. Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen, dass eine Kündigung im Rahmen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung das Arbeitsverhältnis eines betroffenen Arbeitnehmers erst beenden kann, wenn die Entlassungssperre abgelaufen ist?
Sofern die erste Frage bejaht wird:
2. Setzt das Ablaufen der Entlassungssperre nicht nur eine Massenentlassungsanzeige voraus, sondern muss diese den Vorgaben in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 98/59 genügen?
3. Kann der Arbeitgeber, der anzeigepflichtige Kündigungen ohne (ordnungsgemäße) Massenentlassungsanzeige ausgesprochen hat, eine solche mit der Folge nachholen, dass nach Ablaufen der Entlassungssperre die Arbeitsverhältnisse der betreffenden Arbeitnehmer durch die bereits zuvor erklärten Kündigungen beendet werden können?
Sofern die ersten beiden Fragen bejaht werden:
4. Ist es mit Art. 6 der Richtlinie 98/59 vereinbar, wenn das nationale Recht es der zuständigen Behörde überlässt, für den Arbeitnehmer unanfechtbar und für die Gerichte für Arbeitssachen bindend festzustellen, wann die Entlassungssperre im konkreten Fall abläuft, oder muss dem Arbeitnehmer zwingend ein gerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Richtigkeit der behördlichen Feststellung eröffnet sein?
Der EuGH folgt in seiner aktuellen Entscheidung im Wesentlichen den Schlussanträgen des Generalanwalts Rimvydas Norkus vom 27. Februar 2025 und gelangt zu dem Ergebnis, dass die zweite und vierte Vorlagefrage des 2. Senats bereits unzulässig seien. Die Vorlagefragen haben nach Ansicht des EuGH einen lediglich hypothetischen Charakter und sind daher für den vorliegenden Rechtsstreit und die Entscheidungsfindung unerheblich.
Die erste Vorlagefrage beantwortet der EuGH im Ergebnis wie folgt:
„Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass die Kündigung eines Arbeitsvertrags im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung, die nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie der zuständigen Behörde anzuzeigen ist, erst nach Ablauf der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Frist von 30 Tagen wirksam werden kann.” (Rz. 63)
Die dritte Vorlagefrage beantwortet der EuGH im Ergebnis wie folgt:
„Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen sind, dass ein Arbeitgeber, der die Kündigung eines Arbeitsvertrags unter Verstoß gegen die erstgenannte Bestimmung vorgenommen hat, ohne der zuständigen Behörde die beabsichtigte Massenentlassung, in deren Rahmen diese Kündigung erfolgt, anzuzeigen, die fehlende Anzeige nicht in der Weise nachholen kann, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde.“ (Rz. 84)
In seinem Urteil führt der EuGH unter Rz. 82 wie folgt aus:
„Im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung ist es daher nicht zulässig, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag vor der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Anzeige dieser Massenentlassung kündigen kann und das Wirksamwerden der Kündigung solange ausgesetzt ist, bis die Mängel der Anzeige behoben sind.“ (Rz. 82)
Danach steht fest, dass nach Ansicht des EuGH eine Kündigung ohne vorherige Massenentlassungsanzeige keine Wirkung entfalten kann und somit unwirksam ist. Dieser Mangel kann nach Ansicht des EuGH auch nicht durch eine Nachholung der Anzeige geheilt werden. Gleiches gilt für das dem Anzeigeverfahren vorgeschaltete Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat.
In einem parallelen Vorabentscheidungsersuchens des 6. Senates hat der EuGH ebenfalls mit Urteil vom 30. Oktober 2025 (Sewel C-402/24) entschieden, dass auch bei Nichtbeanstanden einer fehlerhaften oder unvollständigen Massenentlassungsanzeige durch die zuständige Behörde die Massenentlassungsanzeige unwirksam ist.
Es bleibt somit dabei: Der Arbeitgeber hat bei Massenentlassungsanzeigen weiterhin mit höchster Sorgfalt zu agieren.
 
                                                                    
                                                            
                                                        
                                                
                                                
                                                        
                                                                
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                                                                                                Partner
                                                                                            
                                                                                        
                                                                                
                                                                        
                                                                    Frankfurt a.M.
                                                                    
                                                                    
                                                                    achim.braner@luther-lawfirm.com
                                                                    
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                                                                    Nadine Ceruti
                                                                    
                                                                            
                                                                                    Counsel
                                                                                    
                                                                                
                                                                        
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