16.10.2025
Wenn der Prozessgegner in China sitzt, scheuen viele Unternehmen von Anfang an den Gang vor deutsche Gerichte – und das aus gutem Grund: Selbst wenn sie nach jahrelangem Prozessieren ein rechtskräftiges Urteil erstritten haben, ist dessen Durchsetzung in China ungewiss. Die Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile in China birgt ein hohes Risiko für die Klägerseite und wurde vielfach abgelehnt. Laut Angaben des Auswärtigen Amtes gilt die Vollstreckbarkeit bis heute nicht gewährleistet.[1] Ohne Vollstreckung keine Wirkung – so die nüchterne Realität.
Doch neue Entwicklungen im chinesischen Rechtssystem und positive Gerichtsentscheidungen aus den letzten Jahren deuten auf einen Kurswechsel hin: Chinesische Gerichte öffnen sich zunehmend der Anerkennung ausländischer Urteile – auch solcher aus Deutschland. Die Chancen für deutsche Unternehmen, zivilrechtliche Ansprüche gegenüber chinesischen Schuldnern tatsächlich durchzusetzen, stehen damit möglicherweise besser als bislang angenommen.
[1] Rechtsverfolgung und Rechtsdurchsetzung in Zivil- und Handelssachen - Auswärtiges Amt
Hintergrund der Vollstreckungsproblematik ist, dass zwischen China und Deutschland bisher kein multi- oder bilaterales Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen besteht. Will man eine zivilrechtliche Entscheidung deutscher Gerichte in China anerkennen und vollstrecken lassen, so gelten die Regeln des chinesischen Zivilprozessgesetzes (chin. ZPG 2024, 5. Änderung) (§§ 298 ff.).
Erfordernisse der Wirkungsvollstreckung sind danach ähnlich zu den Anforderungen der deutschen ZPO (vgl. dort § 328 ZPO):
Gerade diese Verbürgung der Gegenseitigkeit stellte bislang den Dreh- und Angelpunkt der Problematik zur Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen zwischen Deutschland und China dar. Eine deutsche Entscheidung wird in China danach nur dann anerkannt, wenn umgekehrt auch eine entsprechende chinesische Entscheidung unter vergleichbaren Voraussetzungen in Deutschland anerkannt werden würde.
In der Vergangenheit waren chinesische Gerichte aufgrund einer strengen Auslegung des Prinzips der „Gegenseitigkeit“ zurückhaltend bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. Der Antragssteller musste nicht nur nachweisen, dass entsprechende Entscheidungen unter vergleichbaren Voraussetzungen im Ursprungsstaat anerkannt werden würden (sog. „de-jure-Reziprozität“), sondern dass die Gerichte des Ursprungsstaats in der Vergangenheit ein chinesisches Urteil tatsächlich anerkannt haben (sog. „tatsächliche Reziprozität“). So hatte das Beijing Second Intermediate People’s Court die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils mangels nachgewiesener tatsächlicher Reziprozität im Jahr 2003 noch abgelehnt.
Hiernach erkannte zwar im Jahr 2006 das Kammergericht Berlin ein chinesisches Gerichtsurteil an. Das Kammergericht betonte dabei, dass es für den internationalen Handel kontraproduktiv wäre, auf unbestimmte Zeit darauf zu warten, dass die andere Seite den „ersten Schritt macht“. Das Kammergericht schuf damit praktisch genau den Präzedenzfall, der nach damaliger, chinesischer Interpretation der strikten Gegenseitigkeit erforderlich war. Hiernach war also zunächst mit einer Vollstreckbarkeit auch deutscher Urteile in China zu rechnen. Dies wurde auch in der Literatur damals vielfach angenommen.
Gleichwohl kam es hiernach noch dazu, dann das LG Saarbrücken im Jahr 2021 die Anerkennung und Vollstreckung eines chinesischen Urteils mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit ablehnte. Die umgekehrte Vollstreckbarkeit deutscher Urteile in China stand damit erneut auf der Kippe.
Allerdings war bereits die Entscheidung des LG Saarbrücken aufgrund einer zu strengen Auslegung der erforderlichen Gegenseitigkeit zweifelhaft. Denn tatsächlich war in der Zwischenzeit bereits im Jahr 2013 eine positive Entscheidung aus China zur Gegenseitigkeit ergangen. So hatte das Wuhan Intermediate People’s Court bereits am 26. November 2013 ein deutsches, insolvenzrechtliches Urteil unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Kammergerichts anerkannt. Diese Entscheidung des Wuhan Intermediate People’s Court stellte allerdings laut dem LG Saarbrücken angeblich nur einen Einzelfall dar, sodass es die Verbürgung der Gegenseitigkeit weiterhin ablehnte. Dabei hätte es nach deutschem Rechtsverständnis richtigerweise sogar bereits dann von einer Gegenseitigkeit ausgehen müssen, wenn noch keine einzige Entscheidung aus China existiert hätte. Dann hätte nämlich die abstrakte Rechtslage im Sinne der de-jure-Reziprozität bewertet werden müssen, um eine „Patt-Situation“ zu vermeiden. Erst recht hätte die Verbürgung der Gegenseitigkeit bei einer bereits vorhandenen, positiven Entscheidung angenommen werden müssen. Darüber hinaus hatte daneben auch ein weiteres chinesisches Gericht in Dalian im Jahr 2015 zugunsten der Anerkennung – dort der Wirkung einer Vergleichsvereinbarung – entschieden, die während eines Rechtsstreits vor einem deutschen Gericht geschlossen wurde. Zudem hat sich das oberste Volksgericht in China in den Jahren 2015 und 2019 positiv zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen geäußert. Die Anerkennung deutscher Gerichtsurteile in China wurde nur aus anderen Gründen als der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit abgelehnt.
Jedenfalls aber nach dem Urteil des LG Saarbrücken hat sich in den letzten Jahren seit 2022 ein Kurswechsel in China abgezeichnet, der eine Verbürgung der Gegenseitigkeit und Vollstreckbarkeit deutscher Urteile in China und umgekehrt durchaus nahelegt.
So soll eine Gegenseitigkeit nach einer wegweisenden Konferenz des Obersten Volksgerichtshofs in China im Jahr 2022 bereits dann angenommen werden, wenn die Gesetze der ausländischen Gerichtsbarkeit chinesische Urteile nicht ausdrücklich ausschließen oder wenn es einen diplomatischen oder zwischenstaatlichen Konsens gibt, der den gegenseitigen Respekt für die Urteile des jeweils anderen widerspiegelt.
Noch im selben Jahr hat das Shanghai Maritime Court erstmals auf dieser Grundlage einer „de-jure-Reziprozität“ einen ausländischer Zahlungstitel anerkannt, dort in Bezug auf ein englisches Urteil.
Im Januar 2023 entschied der Erste Mittlere Volksgerichtshof von Peking zuletzt auch, eine deutsche Insolvenzentscheidung des Amtsgerichts Aachen anzuerkennen, das einen Insolvenzverwalter bestellt hatte. In diesem Fall wandte das chinesische Gericht bei der Anerkennung des deutschen Urteils ebenfalls den Rechtsgrundsatz der „de-jure-Reziprozität“ an. Die Vollstreckbarkeit eines deutschen – auch anderen - Zivilurteils hat damit trotz der ablehnenden Entscheidung des LG Saarbrücken und bestehender Risiken durchaus neue Chancen erhalten, die es im Einzelfall abzuwägen gilt.
Hat man ein deutsches Urteil gegen einen chinesischen Prozessgegner erstritten, so ist für die Anerkennung und Vollstreckung ein gerichtliches Verfahren in China anzustrengen. Antragsberechtigt ist gemäß §§ 298 ff. chin. ZPG (2024, 5. Änderung) sowohl der Titelgläubiger als auch das Gericht, welches das Urteil erlassen hat.
Hierbei ist es insbesondere wichtig im Blick zu behalten, dass der Antrag einer Partei auf Anerkennung sowie Vollstreckung einer ausländischen Gerichtsentscheidung gemäß § 545 Abs. 1 AOV (2022) zum ZPG (2021, 4. Änderung) analog i.V.m. § 250 chin. ZPG (2024, 5. Änderung) innerhalb von zwei Jahren gestellt werden muss, nachdem die in dieser Entscheidung bestimmte Ausführungsfrist abgelaufen ist, oder die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Wenn die Partei zunächst nur die Anerkennung beantragt, wird nach § 545 Abs. 2 AOV (2022) zur ZPG (2021, 4. Änderung) analog die Antragsfrist für die Vollstreckung erst ab dem Tag berechnet, an dem die Entscheidung eines Volksgerichts für die Anerkennung rechtskräftig wird.
Auch weitere Besonderheiten im Rahmen des Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung sowie der sich anschließenden Vollstreckung in China sind zu beachten.
Ein Gerichtsverfahren in Deutschland gegen einen chinesischen Prozessgegner ist kein Selbstläufer – aber auch längst kein aussichtsloses Unterfangen mehr. Wer gut vorbereitet ist und die prozessualen Spielräume nutzt, kann seine rechtlichen Ansprüche durchaus erfolgreich durchsetzen. Wir verfügen über umfassende Erfahrung in deutsch-chinesischen Rechtsstreitigkeiten und begleiten Unternehmen bei der strategischen Bewertung, Klageerhebung und Prozessführung – einschließlich der Frage, ob und wie sich ein späteres Urteil vollstrecken lässt. Sprechen Sie uns an, wenn Sie Chancen und Risiken eines gerichtlichen Vorgehens fundiert einschätzen möchten.
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
Partnerin
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