24.11.2025

Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ohne Arztkontakt – LAG hält außerordentliche Kündigung für wirksam

Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ohne Arztkontakt – LAG hält außerordentliche Kündigung für wirksam

Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm, Urt. v. 05.09.2025 – Az.: 14 SLa 145/25) hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die ohne ärztlichen Kontakt und lediglich durch das Ausfüllen eines Online-Fragebogens gegen Entgelt erlangt wurde, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche fristlose Kündigung darstellen kann.

Hintergrund

Der Kläger legte im August 2024 eine solche online erworbene Bescheinigung vor, um seine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. 

Die betreffende Webseite bot zwei Varianten der Bescheinigung an: Ohne und mit ärztlichem Gespräch. Vonseiten des Anbieters wurde empfohlen, die Variante mit Gespräch zu wählen, wenn der Arbeitgeber misstrauisch sei. Außerdem war eine kostenlose Stornierung möglich, falls die Bescheinigung ohne Gespräch nicht akzeptiert würde.

Der Arbeitgeber sprach am 18. September 2024 eine außerordentliche fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Mit seiner Kündigungsschutzklage wandte sich der Kläger gegen die ausgesprochene Kündigung und begehrte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Arbeitgebers beendet worden sei. 

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hamm hielt – entgegen der Vorinstanz – die außerordentliche fristlose Kündigung für wirksam. Nach Auffassung des LAG kamen zwei Kündigungsgründe in Betracht:

Der Kläger habe mit der Vorlage der Bescheinigung bewusst den unzutreffenden Eindruck erweckt, seine Arbeitsunfähigkeit sei im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung festgestellt worden. Tatsächlich habe kein ärztlicher Kontakt, weder persönlich, telefonisch noch per Video stattgefunden. Dieses Verhalten stelle ein Täuschungsversuch dar und verletze die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB. Das erforderliche Vertrauen in den Kläger sei dadurch nachhaltig zerstört. Dabei sei irrelevant, ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war oder selbst von einer Arbeitsunfähigkeit ausging. 

Darüber hinaus habe sich der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen. Auch dies könne einen wichtigen Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Der grundsätzlich hohe Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei hier erschüttert, da die Bescheinigung nicht auf einer ärztlichen Untersuchung im Sinne der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie beruht. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 dieser Richtlinie müsse diese ärztliche Untersuchung im persönlichen Kontakt, per Videosprechstunde oder am Telefon erfolgen. Eine solche Untersuchung hatte im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Angesichts dessen hätte der Kläger konkret darlegen müssen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen sich wie auf seine Arbeitsfähigkeit ausgewirkt haben. 

Das Landesarbeitsgericht entschied entgegen dem Urteil des Arbeitsgerichts Dortmunds, dass eine Abmahnung nicht von Nöten gewesen sei. Man müsse die Umstände und Schwere der Pflichtverletzung prüfen und könne sonstige Umstände, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis außer Betracht ziehen (BAG, Urt. v. 20.05.2025 – 2 AZR 596/20, Rn. 27 mwN). Der bewusste Täuschungsversuch wiege so schwer und traf auf einen Bereich, in den die Beklagte keinen Einblick habe, dass die Beklagte nicht dazu angehalten sei, die Abmahnung als milderes Mittel auszusprechen. Eine Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens sei daher ausgeschlossen und somit die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam. 

Fazit

Das Urteil verdeutlicht, dass die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die (online) ohne ärztlichen Kontakt erworben wurde, nicht nur den Beweiswert des Attests entkräftet, sondern zugleich eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen kann, die eine fristlose außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

Das LAG Hamm folgt damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 14.12.2023 – 2 AZR 55/23). Arbeitgeber sollten vom Arbeitnehmer vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sorgfältig prüfen. Sie können bei Zweifeln nicht nur die Entgeltfortzahlung einstellen, sondern ggf. auch eine Kündigung aussprechen. 

 

Paul von Haebler, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH