20.11.2025

EuGH: Fahrzeit zwischen festem Treffpunkt und Einsatzort ist Arbeitszeit

EuGH: Fahrzeit zwischen festem Treffpunkt und Einsatzort ist Arbeitszeit

Als Arbeitszeit sind auch Hin- und Rückfahrten einzustufen, die Arbeitnehmer von einem vom Arbeitgeber festgelegten Treffpunkt zu einer festgelegten Uhrzeit gemeinsam mit einem vom Arbeitgeber bereitgestellten Fahrzeug zu und von den einzelnen Einsatzorten (hier: Naturräume/Mikroschutzgebiete) zurücklegen.

Fall

Ausgangspunkt der Entscheidung war ein Vorabentscheidungsersuchen zu Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG (im Folgenden: „Arbeitszeitrichtlinie“), eingebettet in einen Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaft STAS-IV und dem Arbeitgeber VAERSA (Valenciana d’Estratègies i Recursos per a la Sostenibilitat Ambiental SA), welcher sich um die Durchführung öffentlicher Investitionen zur Verbesserung der Naturräume kümmert. Die Mitarbeiter begeben sich zu einer vom Arbeitgeber vorgegeben Uhrzeit eigenständig von ihrem Wohnort zum Treffpunkt. Am Treffpunkt wird ihnen von der Arbeitgeberin ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt, in dem sich das für die Durchführung der Arbeiten erforderliche Material befindet. Mit diesem Fahrzeug, das von einem Mitarbeiter gelenkt wird, begeben sie sich zu den jeweiligen Einsatzorten. Zu einer bestimmten Uhrzeit werden die Arbeiten an diesem Einsatzort beendet und die Mitarbeiter mit demselben Fahrzeug zum Treffpunkt zurückgebracht. Das vorlegende Gericht stellte sich die Frage, ob die Zeit für die Rückfahrt von dem Einsatzort zum Treffpunkt als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie zu erfassen sei. Die Arbeitgeberin habe zwar die Hinfahrt als Arbeitszeit erfasst, aber nicht die Rückfahrt. Der Arbeitsvertrag zählte beide Fahrtzeiten nicht als Arbeitszeit. Das vorlegende Gericht hatte zuvor ähnliche Sachverhalte unterschiedlich entschieden. Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters zwischen seinem Wohnort und seiner Einsatzstelle wurden als Arbeitszeit gewertet, wohingegen die Fahrten der Feuerwehrmitarbeiter zwischen der Dienststelle, wo sie zwischen den Einsätzen arbeiteten, und der Einsatzstelle nicht als Arbeitszeit gewertet wurden. Zu dieser Zeit würden sie vorbereitende Tätigkeiten ausführen und dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen.

Entscheidung

Die Arbeitszeitrichtlinie bestimmt als Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Zum ersten wesentlichen Merkmal, der Ausübung seiner Tätigkeit oder Wahrnehmung von Aufgaben, hat der EuGH entschieden, dass durch die vom Arbeitgeber vorgegebenen Modalitäten der Hin- und Rückfahrt (insb. Transportmittel, Abfahrtsort/-zeit und Ziel) und der Erforderlichkeit der Fahrten zur Ausübung ihrer Arbeitsleistung, die Fahrten untrennbar mit ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer im Bereich Biodiversität verbunden und damit als Teil der Ausübung ihrer Tätigkeit anzusehen seien. Entscheidend für das zweite wesentliche Merkmal, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, sei die Obliegenheit des Arbeitnehmers, den Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten. Im vorliegenden Fall würde der Arbeitgeber nicht nur die Modalitäten der Fahrten vorgeben, sondern die Arbeitnehmer hätten auch während der erforderlichen Fahrzeiten nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen, sodass sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stünden. Zum dritten wesentlichen Merkmal der Arbeitszeit, wonach der Arbeitnehmer arbeiten muss, führte der EuGH aus, dass der Arbeitsort nicht nur auf die Orte beschränkt werden kann, an denen sie physisch tätig werden. Bei Arbeitnehmern, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben, seien die Fahrten (z.B. zu Kunden) untrennbar mit der Arbeitsleistung verbunden. 

Auswirkungen

Arbeitgeber sollten prüfen, ob auch in ihrem Betrieb entsprechende Fahrtzeiten als Arbeitszeit zu erfassen sind. Dies betrifft insbesondere Betriebe, in denen die Arbeitnehmer über einen festen Treffpunkt mit Betriebsfahrzeugen zu Einsatzorten gelangen. Die Einordnung als Arbeitszeit führt dazu, dass solche Zeiten in die Arbeitszeiterfassung sowie in nationale Dokumentationspflichten (wie in § 16 Abs. 2 ArbZG) einzubeziehen sind. Weiterhin kann die Einrechnung dieser Fahrtzeiten dazu führen, dass Höchstarbeitszeiten (Art. 6 Arbeitszeitrichtlinie; § 3 ArbZG), Mindestruhezeiten (Art. 3, 5 Arbeitszeitrichtlinie; § 5 ArbZG) oder Pausenregelungen (Art. 4 Arbeitszeitrichtlinie; § 4 ArbZG) schneller erreicht werden. Arbeitgeber müssen daher ihre Einsatzplanung sowie Dokumentation entsprechender Zeiten anpassen, um diese Vorgaben einzuhalten. Schließlich hat die Entscheidung auch Bedeutung für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Werden diese Fahrten als Arbeitszeit eingestuft, spricht dies für die Einstufung als versicherte Tätigkeit gem. § 8 SGB VII. 

Paul von Haebler, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Autor/in
Elaine Tolksdorf

Elaine Tolksdorf
Associate
Hamburg
elaine.tolksdorf@luther-lawfirm.com
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