18.01.2018

Post-Brexit: Streitigkeiten nach Wiedereinführung von Zöllen und Steuern

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Hintergrund

22.01.2018

 

Post-Brexit: Streitigkeiten nach Wiedereinführung von Zöllen und Steuern

Gegenwärtig spricht vieles dafür, dass sich die EU und das Vereinigte Königreich durch einen harten Brexit trennen werden. Offizielles Austrittsdatum ist der 30. März 2019. Sollten keine Zoll- oder Freihandelsabkommen zwischen den Ländern geschlossen werden, würde das Vereinigte Königreich die Position eines Drittstaates gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten einnehmen. Dies hätte die Wiedereinführung von Steuern und Zöllen zur Folge. Im Rahmen von bestehenden und zukünftigen Liefer- und Warenverträgen zwischen deutschen Unternehmen und ihren Vertragspartnern im Vereinigten Königreich stellt sich daher die Frage, wer die Steuern und Zölle zu tragen hätte – der Käufer oder der Verkäufer? Diese Frage könnte eine Welle von Vertragsstreitigkeiten auslösen. Auf prozessualer Ebene stellt sich insbesondere die Frage nach der Vollstreckung von Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich.

Nach deutschem Recht

Deutschland als Mitgliedstaat der EU ist Teil der Zollunion und des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Im Rahmen der EU wurde gegenüber Drittländern ein gemeinsamer Zolltarif eingerichtet, der sog. Unionszollkodex (UZK). In Deutschland muss neben dem Zollbetrag auch die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet werden. Des Weiteren können ggf. zusätzliche Kosten für Versand und Lagerung der Ware anfallen. Zollschuldner ist sowohl bei der Einfuhrzollschuld (Art. 77 UZK) als auch bei der Ausfuhrzollschuld (Art. 81 UZK) der Anmelder der verzollungspflichtigen Ware. Ob diese Kosten schlussendlich vom Käufer oder Verkäufer getragen werden müssen, löst das UZK nicht. Ohne explizite vertragliche Kostenregelung kommt es daher darauf an, ob es sich bei der Lieferung der Ware um eine Hol- oder Schickschuld handelt bzw. welche Lieferbedingungen die Parteien vereinbart haben. Da nachträglich anfallende Steuern und Zölle die vertragliche Preiskalkulation empfindlich stören können, wird die belastete Partei nach Auswegen suchen oder eine Vertragsanpassung fordern.

Denkbar ist, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB geltend gemacht werden könnte. Der § 313 BGB stellt jedoch hohe Anforderungen in Form einer „schwerwiegenden Veränderung der Vertragsgrundlage“, bei der der Vertrag in seiner jetzigen Form nicht abgeschlossen worden wäre. Primäre Rechtsfolge des § 313 BGB ist die Anpassung des Vertrages; nur wenn dies nicht möglich oder einem Vertragsteil nicht zuzumuten ist, kommt eine Kündigung in Betracht. Auch die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB ist ein mögliches Szenario, um zusätzlichen Zollkosten (allerdings auch dem Vertrag in seiner Gänze) zu entgehen. Fraglich ist, ob der Verweis auf unvorhergesehene Zölle und Steuern einen „wichtigen Grund“ darstellt. Es wird auch von der Höhe der zusätzlichen Kosten und der zugrundliegenden Vertragskalkulation abhängen, ob eine „schwerwiegende Veränderung“ oder ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Selbst wenn dies der Fall ist, ist eine Anpassung oder Kündigung des Vertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage aber immer dann ausgeschlossen, wenn eine der Parteien nach der vertraglichen Konstellation derartige Risiken übernimmt – wie dies die Rechtsprechung in verschiedenen Fallgruppen entschieden hat.

Nach englischem Recht

Die Erhebung von Ein- und Ausfuhrzöllen im Vereinigten Königreich hängt vom Ergebnis der Brexit Verhandlungen ab. Bisher gelten für die Erhebung von Zöllen die gleichen Grundsätze wie für Deutschland. Nach dem Austritt ohne anschließendes (Übergangs)abkommen ist zu erwarten, dass zunächst die WTO - und GATT Richtlinien wieder in Kraft treten.

Gemäß den WTO Richtlinien könnte auf die Wareneinfuhr je nach Warenart ein Einfuhrzoll (z.B. 10 % für PKW, 4,5 % auf Fahrzeugteile) verlangt werden. Es ist denkbar, dass sog. „material-adverse-change-clauses“ oder „höhere Gewalt“, wie auch die „doctrine of frustration“ je nach den Gegebenheiten des Einzelfalls herangezogen werden könnten, um einen Vertrag zu kündigen. Nach englischem Recht reicht es mithin nicht aus, wenn eine Vertragspartei lediglich „extra Kosten“ als Grundlage einer „Frustration of Contract“ geltend macht. Vielmehr muss sich - ähnlich wie im deutschen Recht - die Vertragsgrundlage nachteilig verändert haben („the nature of the outstanding contractual rights“).

Nach internationalem Kaufrecht (CISG)

Auch wenn das Vereinigte Königreich die United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, kurz „CISG“, nicht ratifiziert hat, könnte dieses Regelwerk unter bestimmten Umständen Anwendung finden. Dies ist denkbar, wenn der Vertrag keine eindeutige Rechtswahl trifft und der Kaufvertrag aufgrund des Kollisionsrechts deutschem Recht unterliegt. In diesem Fall ist UN-Kaufrecht maßgeblich sofern die Parteien es nicht explizit ausgeschlossen haben (vertragliche Regelung durch Opt-Out).

Gemäß Art. 30 CISG ist der Verkäufer verpflichtet, die Ware zu liefern, die sie betreffenden Dokumente zu übergeben und das Eigentum an der Ware zu übertragen. Die Lieferpflicht des Verkäufers wird in der Praxis häufig durch die Vereinbarung von International Commercial Terms („Incoterms“) bestimmt. Incoterms sind eine weitere Möglichkeit den internationalen Warenhandel durch vereinheitlichte Handelsklauseln zu konkretisieren. Sie wurden 1936 erstmals von der International Chamber of Commerce entworfen und seither mehrfach überarbeitet. Hat man sich auf die Anwendung von Incoterms geeinigt, lässt sich hierdurch eine Zuordnung des Zollrisikos vornehmen, da Incoterms unter anderem zwischen „EXW“ ( „EX Works“-versandfertige Bereitstellung der Ware beim Hersteller) und „DAP“ („Delivered at Place“-Zustellung durch Hersteller) unterscheiden. Da durch diese Regelung klar ersichtlich ist, welche Vertragsseite für die Lieferung der Ware zuständig ist, können so auch mögliche Zollkosten zugordnet werden.

Ob die Verhängung zusätzlicher Zölle und Steuern ein Sonderkündigungsrecht begründen oder eine Vertragsanpassung rechtfertigen, hängt maßgeblich von den vertraglichen Regelungen, der Rechtswahl und von der Höhe der zu entrichtenden Abgaben ab. Gerade bei langfristigen Lieferbeziehungen und großvolumigen Verträgen ist diese Frage von erheblicher Bedeutung und wird regelmäßig zu Gerichts- oder Schiedsverfahren führen.

Vollstreckbarkeit von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich

Bei zukünftigen Verträgen sollten die Parteien explizit regeln, wer die Kosten für Steuern und Zölle zu tragen hat. Zumindest aber sollten sich die Vertragsschließenden der gesetzlichen Ausgangslage bewusst sein und etwaige Mehrkosten einpreisen. Eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung bestehender Verträge erscheint ratsam. Ferner ist zu beachten, dass bei Verträgen trotz eindeutiger Gerichtswahlklauseln die Durchsetzbarkeit und Vollstreckung von Gerichtsurteilen erschwert sein kann. Bisher ist die Durchsetzbarkeit von Urteilen EU-weit durch die Brüssel Ia Verordnung aus dem Jahr 2012 (in Kraft getreten in 2015) sichergestellt. Wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt, findet diese Konvention keine Anwendung mehr. Die Vollstreckung von im Vereinigten Königreich erlassenen Urteilen in anderen EU Mitgliedsstaaten (und vice versa) würde hiernach von der individuellen Zustimmung des entsprechenden Staates abhängen. Sollte diese nicht gegeben werden, ist eine Vollstreckbarkeit von Urteilen nur auf Grundlage der älteren Brüsseler Konvention von 1968, d.h. durch Erhalt eines gerichtlichen Durchsetzungsbescheids, denkbar. Der Konvention von 1968 ist das Vereinigte Königreich 1978 beigetreten. Es bleiben jedoch Zweifel, ob diese Konvention nach einem Brexit tatsächlich wieder auflebt.

Vorteil durch die Vereinbarung von Schiedsklauseln

Im Vergleich dazu bleibt die Durchsetzbarkeit und Vollstreckung von Schiedsurteilen durch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche auch nach einem harten Brexit unberührt, da das Vereinigte Königreich Vertragsstaat des NYÜs ist und bleibt. Es ist daher ratsam, bei zukünftigen Vertragsbeziehungen mit Geschäftspartnern im Vereinigten Königreich Schiedsklauseln zu vereinbaren oder für bestehende Verträge nachträglich eine Schiedsvereinbarung zu schließen.
 

 

Georg Scherpf
Senior Associate
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Luca Thönes, LL.M.
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