17.10.2025

Kündigung im Insolvenzfall: Warum insolvenzabhängige Standard-Lösungsklauseln oft scheitern und wie sie wirksam gestaltet werden können

Ein Mann mit einem blauen Hemd steht an einem Tisch und hält seine Hände in einer abwehrenden Position. Vor ihm befinden sich zwei Stapel Münzen, die durch ein Holzzeichen „W“ getrennt sind. Das Bild vermittelt eine Botschaft über finanzielle Entscheidungen oder Strategien.

Hintergrund

In sehr vielen (Vertriebs-)Verträgen – seien es Liefer-, Handelsvertreter-, Vertragshändlerverträge etc. – finden sich Klauseln wie diese (oder ähnlich):

„A hat das Recht, diesen Vertrag außerordentlich fristlos zu kündigen, sobald von B ein Insolvenzantrag gestellt oder ein vorläufiges Insolvenzverfahren über das Vermögen von B eröffnet wird.“

Mittels solcher Regelungen versuchen Unternehmen, sich gegen die Folgen von Insolvenzen ihrer Geschäftspartner zu schützen bzw. die damit verbundenen Auswirkungen zu minimieren – leider meistens ohne Erfolg. Denn solche Klauseln sind oftmals unwirksam. Zunächst scheitert die Wirksamkeit in der Regel bereits an § 119 InsO. Dieser erklärt Vereinbarungen, die im Voraus insbesondere das im Insolvenzfall bestehende Wahlrecht des Insolvenzverwalters über die Fortführung oder Beendigung eines Vertrages nach § 103 InsO einschränken, für unwirksam. Selbst wenn entsprechende Klauseln so formuliert sind, dass sie dieses Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht unzulässig beschränken, halten sie oft einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht stand.

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab zuletzt mit Urteil vom 27. Oktober 2022 (Az. IX ZR 213/21) neue Hinweise dazu, wann eine insolvenzabhängige Lösungsklausel Bestand haben kann und wann sie unwirksam ist. Diese Entscheidung, sowie die steigende Relevanz entsprechender Klauseln in der aktuellen Wirtschaftslage, wird vorliegend zum Anlass genommen, um die Grenzen bei der Gestaltung solcher Lösungsklauseln in (Vertriebs-)Verträgen unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den vergangenen Jahren zu diesem Thema näher zu beleuchten.

I. Grundsätzliche Unwirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln nach § 119 InsO?

Das Gesetz enthält keine abschließenden Regelungen zur Frage der Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln. Im Kern stehen sich insofern zwei Auffassungen gegenüber:

  • Eine Ansicht hält insolvenzabhängige Lösungsklauseln grundsätzlich nach § 119 InsO für unwirksam. Vorrangiges Ziel der Insolvenzordnung sei die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Die §§ 103, 105 InsO eröffnen dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die Erfüllung laufender, gegenseitiger Verträge zu wählen und damit das Unternehmen wirtschaftlich fortzuführen. Dieser Zweck könne vereitelt werden, wenn sich der Vertragspartner des Schuldners wegen der Insolvenz von einem für die Masse günstigen Vertrag lösen und dadurch das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterlaufen kann.
  • Die Gegenansicht hält insolvenzabhängige Lösungsklauseln grundsätzlich für wirksam. Lösungsklauseln würden von § 119 InsO nicht erfasst, weil diese Klauseln den Bestand des Vertrags betreffen, nicht aber dessen Abwicklung im Sinne der Bestimmungen der §§ 103–118 InsO. Außerdem spreche die Entstehungsgeschichte der Norm gegen eine Unwirksamkeit entsprechender Klauseln. 
II. Linie der Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln nach § 119 InsO

Bislang urteilte der BGH in drei Entscheidungen zu insolvenzabhängigen Lösungsklauseln, zusammengefasst wie folgt:

1. Mit Urteil vom 15. November 2012 (Az. IX ZR 169/11) hatte der BGH Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie zu Gunsten eines Geldleistungsgläubigers, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpften, zu bewerten. Im Ergebnis hielt der BGH diese für unwirksam i. S. von § 119 InsO mit der Begründung, dass durch die getroffenen Regelungen im Voraus das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausgeschlossen sei, wofür es in diesem Fall auch keine spezialgesetzlich vorgesehene Lösungsmöglichkeit gab.

2. Im Urteil vom 7. April 2016 (Az. VII ZR 56/15) bewertete der BGH eine in einen Bauvertrag einbezogene entsprechende insolvenzabhängige Kündigungsmöglichkeit hingegen für wirksam, da diese nicht weiter als die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 S. 1 BGB ging, wonach der Auftraggeber jederzeit berechtigt ist, den Werkvertrag zu kündigen; mithin da es in diesem Fall eine entsprechende spezialgesetzliche Lösungsmöglichkeit gab. Eine Beeinträchtigung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters sei mit einer vertraglichen Lösungsklausel dann nicht verbunden, wenn sich die Lösungsmöglichkeit nicht allein wegen der Insolvenz ergebe, sondern sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit anlehnt.

3. In seinem neuesten Urteil vom 27. Oktober 2022 (Az. IX ZR 213/21) zu diesem Themenkomplex erklärte der BGH eine insolvenzabhängige Lösungsklausel für unwirksam,

„wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen.“

Im Ergebnis dürfte damit eine insolvenzabhängige Lösungsklausel gemessen an § 119 InsO wirksam sein, wenn sie entweder (i) gleichzeitig einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entspricht oder (ii) zwar nicht einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entspricht, hierfür aber berechtigte Gründe bestehen.

III. Berechtigte Gründe für eine von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweichende Kündigungsklausel

In seinem Urteil vom 27. Oktober 2022 (Az. IX ZR 213/21) ließ der BGH zwar offen, ob in dem dort zu entscheidenden Fall ein berechtigter Grund vorlag. Allerdings führte der BGH generell aus, dass Lösungsklauseln regelmäßig wirksam seien, 

  • bei denen die Vertragsparteien nach der Interessenlage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses innerhalb der vertragsautonomen Gestaltung eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung verfolgen (bspw. wenn der Vertrag als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande kommt und die Klausel dazu dient, die Risiken eines Scheiterns der Sanierung abzumildern);
  • für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die vertragliche Ausgestaltung der wichtigen Gründe durch eine typisierte Interessenbewertung für die darin geregelten Fälle gerechtfertigt ist.
    • Für die typisierte Bewertung sei dabei entscheidend, ob die mit der Insolvenz einhergehenden Risiken die weitere Vertragserfüllung in einem Ausmaß gefährden, das nach der Art der geschuldeten vertraglichen Leistungen und der wechselseitigen Interessen der Parteien bei einer vom Einzelfall losgelösten Betrachtung einen wichtigen Grund darstellen kann. 

Hingegen seien Lösungsklauseln jedenfalls dann regelmäßig unwirksam, wenn sie

  • die Auflösung des Vertrags an geringere Voraussetzungen knüpfen als diejenigen, die vom Gesetzgeber für die Zeit ab Insolvenzantragstellung für unzureichend angesehen werden;
  • zugunsten eines Geldleistungsgläubigers vereinbart werden, u.a. da dieser grundsätzlich bereits über § 320 BGB bzw. – sofern er vorleistungspflichtig sein sollte - § 321 BGB ausreichend geschützt sei.

Außerdem können Lösungsklauseln einer Ausübungskontrolle unterliegen. Nimmt der Kündigungsberechtigte keine berechtigten Belange wahr – nutzt er beispielsweise die Insolvenz zur Durchsetzung höherer Preise oder er möchte sich von einem Vertrag lösen, dessen Durchführung durch die Insolvenz nicht erschwert würde – kann die Ausübung des Lösungsrechts nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein.

IV. Fazit / Handlungsvorschläge

Zusammenfassend sollten Vertragsparteien im Ernstfall nicht automatisch darauf vertrauen, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln wirksam sind, da deren rechtliche Anforderungen – wie gezeigt – sowohl bei der Formulierung als auch bei der Anwendung sehr hoch sind. 

Wer eine solche Klausel wirksam vereinbaren möchte, muss bei deren Gestaltung die Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsbeziehung sorgfältig berücksichtigen und genau prüfen, ob bei objektiver Betrachtung aus der Sicht ex ante bei Vertragsschluss eine solche Regelung angesichts der konkreten Interessenbewertung tatsächlich sinnvoll und durchsetzbar ist. Hierbei ist insbesondere Folgendes zu beachten:

  • Um eine wirksame Lösungsklausel im Insolvenzfall zu gestalten, sollte sich diese eng an den vom BGH aufgestellten Maßstäben und Fallgruppen orientieren.

    Hierbei ist zu beachten, dass der BGH zwar dem Grunde nach allgemeingültige Grundsätze für die Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln formuliert hat. Nichtsdestotrotz müssen diese Maßstäbe auf den jeweiligen Vertragstyp (Liefervertrag, Vertragshändlervertrag, Handelsvertretervertrag etc.) gesondert angewendet und hierbei die Besonderheiten dieses Vertragstyps (dessen gesetzliche Kündigungsmöglichkeiten, die unterschiedliche Interessenverteilung etc.) entsprechend berücksichtigt werden.
     
  • Auch wenn eine Klausel gemessen an den o.g. Maßstäben zulässig sein sollte, kann sie dennoch – für den Fall, dass die Klausel nicht individualvertraglich vereinbart, sondern als allgemeine Geschäftsbedingung verwendet wird – an den Vorschriften der §§ 305 ff. BGB scheitern. 

    Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn die Regelung den Vertragspartner unangemessen benachteiligt und/oder intransparent formuliert ist. 

Im Ergebnis ist also eine Prüfung der Kündigungsklausel auf die Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht einerseits sowie eine Anpassung auf die konkrete Vertrags- bzw. Interessenlage andererseits unerlässlich. Werden beide Aspekte jedoch hinreichend berücksichtigt, ist eine Lösung von den jeweiligen Verträgen möglich und der Vertragspartner des insolventen Partners erlangt die notwendige wirtschaftliche Sicherheit, da die insoweit bestehenden Pflichten aus dem jeweiligen Vertrag erlöschen und neu geplant werden kann. 

Autor/in
Dr. Steffen Gaber, LL.M. (Sydney)

Dr. Steffen Gaber, LL.M. (Sydney)
Partner
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steffen.gaber@luther-lawfirm.com
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Dr. Sandra Bausch

Dr. Sandra Bausch
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