08.10.2025

Kartellrechtliche Untersuchungen bei SAP wegen Lizenzvergabe der ERP-Software – Was bedeutet das für SAP-Kunden?

Kartellrechtliche Untersuchungen bei SAP

Die Europäische Kommission hat am 25. September 2025 ein förmliches Verfahren zur Prüfung des Verdachts eines Missbrauchs von Marktmacht (Art. 102 AEUV) gegen den Softwarekonzern SAP eingeleitet. Die Untersuchung betrifft die zentrale SAP Software, die für die Verwaltung der Geschäftstätigkeit von Unternehmen verwendet wird und als Enterprise Resource Planning (ERP) bezeichnet wird. Der Ausgang des Verfahrens kann erhebliche positive Auswirkungen für alle Kunden der ERP-Software haben. Es besteht die Möglichkeit, dass SAP sich gegenüber der Kommission verpflichtet, ihre Praktiken zu ändern, so dass es Kunden leichter möglich sein wird, Wartungsleistungen von Wettbewerbern einzukaufen. Falls sich der Verdacht der Kommission bestätigt und SAP nicht bereit sein sollte, diese Praktiken zu ändern, kann die Kommission alternativ ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) verhängen. Unabhängig davon können Unternehmen Ansprüche auf Schadenersatz gegen SAP für überhöhte Wartungsgebühren haben. Unternehmen sollten daher bereits jetzt Dokumente und Rechnungen sammeln, die für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erforderlich sind, um im Falle eines Bußgelds durch die Kommission gut gerüstet zu sein. Zudem kann die kartellrechtliche Untersuchung den Verhandlungsspielraum in laufenden Vertragsverhandlungen über Pflegeleistungen mit SAP bzw. SAP-Partnern und insbesondere bei der Verhandlung über sogenannte Stilllegungsvereinbarungen erweitern.

Hintergrund

Das 1972 gegründete deutsche Unternehmen ist mit einem Umsatz von über 34 Milliarden Euro im Jahr 2024 eines der größten Softwareunternehmen weltweit. Insbesondere viele deutsche und europäische Unternehmen nutzen die Software von SAP zur Abwicklung ihrer Geschäftsprozesse, sei es im Bereich des Controlling, des Personalmanagements oder auch in der Supply-Chain-Planung. 

Die Europäische Kommission geht dem Verdacht nach, dass SAP eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Softwareentwicklung und Vermarktung dazu genutzt habe, ihre Kunden zu veranlassen, auch Wartungs- und Kundendienstleistungen für die Software dauerhaft und exklusiv bei SAP zu beziehen. Hierdurch könnten einerseits Wettbewerber von SAP im Bereich der Wartung und Kundendienstleistung behindert werden und andererseits Kunden veranlasst werden, die Wartungs- und Kundendienstleistungen zu höheren Preisen und ungünstigeren Bedingungen bei SAP zu beziehen, als das bei den Wettbewerbern von SAP möglich wäre. 

Welche Praktiken untersucht die EU-Kommission?

Zu den von der EU-Kommission beanstandeten Praktiken gehören nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen insbesondere die folgenden: 

  • Angebot von Softwarelizenzen nur im Paket mit den entsprechenden Services für deren Wartung und Support, so dass die auf die SAP-Software angewiesenen Kunden die Angebote anderer Dienstleister von vorneherein praktisch nicht in Anspruch nehmen (können).
  • Durch die Kopplung von Softwarekauf mit den Wartungsdienstleistungen können Kunden Kosten für Leistungen auferlegt werden, welche sie tatsächlich nicht in Anspruch nehmen oder nicht benötigen.
  • Erschwerte Nutzung der Kundendienstleistungen anderer Anbieter durch eine systematische Verlängerung der SAP-Lizenzen, sowie das Konzept einer Lizenzbündelung.
  • Belastung von Kunden mit hohen Nachzahlungen und einer Wiederaufnahmegebühr, wenn diese nach einer vorübergehenden Inanspruchnahme von Kundendienstleistungen der Wettbewerber wieder den Kundendienst von SAP in Anspruch nehmen wollen.  Das Risiko, ggf. mit solchen (erheblichen) Gebühren belastet zu werden, erschwere es den Kunden, laufende SAP-Verträge zu kündigen oder nicht zu verlängern.

Die Europäische Kommission geht mit ihrer Untersuchung daher insgesamt dem Verdacht nach, dass Kunden nicht mehr frei zwischen verschiedenen Leistungsanbietern wählen können, sondern de facto an die von SAP vorgegebenen Dienstleistungen und Preise gebunden sind. 

Mit der Einleitung des Verfahrens hat die Kommission SAP bereits ihre vorläufige Beurteilung und ihre rechtlichen Bedenken dargelegt. SAP hat nun die Möglichkeit, der EU-Kommission Verpflichtungszusagen zu unterbreiten, um die Bedenken der Kommission auszuräumen.

Was bedeutet das für die Lizenznehmer der ERP-Software?

Der Ausgang des Verfahrens gegen SAP kann für jeden Kunden von erheblicher Relevanz sein. 

Wenn es SAP nicht gelingt, die Kommission von der Rechtmäßigkeit ihrer Praktiken zu überzeugen, kann SAP diese entweder freiwillig ändern (z.B. durch eine verbindliche Verpflichtungszusage) und dadurch unter Umständen einem Bußgeld entgehen. 

Alternativ kann die EU-Kommission in diesem Falle anordnen, dass SAP diese Praktiken einstellen muss und ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) verhängen. Gegen eine solche Entscheidung könnte SAP allerdings noch Rechtsmittel zu den Europäischen Gerichten einlegen. 

In beiden Fällen würde die Praxis der Lizenzvergaben aber einer Überarbeitung bedürfen und die Kunden an Flexibilität und Verhandlungsspielraum gewinnen. Schon jetzt dürfte den Vertragspartnern ein gewisser erweiterter Verhandlungsspielraum mit Blick auf das laufende Missbrauchsverfahren der EU-Kommission zustehen. Kunden von SAP, die aufgrund solcher Praktiken umfangreichere Lizenzen erworben haben, als sie derzeit nutzen, sollten insbesondere die Vereinbarung von Stilllegungsvereinbarungen einfordern, um sich so von den Pflegekosten für nichtgenutzte SAP-Software zu befreien. Steht ein Wechsel in ein von SAP angebotenes Mietmodell an („SAP RISE“), sollte vorab jedoch sorgfältig geprüft werden, ob die nichtgenutzte SAP-Software zur Anrechnung benötigt wird. 

Bedeutsam können für Unternehmen zudem Ansprüche auf Schadensersatz für aufgrund der Bindung an SAP zu viel gezahlte Pflegekosten sein. Wenn die Kommission einen Verstoß feststellen sollte, würde eine solche Entscheidung es Kunden erheblich erleichtern, alleine oder in gebündelten Verfahren den Ersatz des Schadens von SAP zu fordern, der ihnen dadurch entstanden ist, dass sie ihre Pflegeleistungen aufgrund der genannten Praxis weiterhin zu überhöhten Preisen bei SAP bezogen haben, oder de facto für Pflegeleistungen nicht mehr genutzter SAP Software bezahlt haben. Denn im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung über den Missbrauch stünde dieser Umstand in einem nachfolgenden Schadensersatzverfahren verbindlich fest. 

Auch wenn noch unklar ist, wann und welche Entscheidung die Kommission treffen wird, sollten Vertragspartner von SAP daher vorsorglich bereits jetzt Vertragsunterlagen und Rechnungen (auch aus der Vergangenheit) sammeln, die für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erforderlich sind, um im Falle einer Feststellung missbräuchlichen Verhaltens durch die Kommission gerüstet zu sein. 

Autor/in
Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)

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Partnerin
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Dr. Kay Oelschlägel

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