07.08.2025

Gesellschafterstreit in der GmbH: Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer durch den Minderheitsgesellschafter

BGH, Urteil vom 5.11.2024 – II ZR 85/23

Die Rechtsstellung des Minderheitsgesellschafters in einer zweigliedrigen GmbH ist besonders konfliktanfällig – insbesondere, wenn der Mehrheitsgesellschafter seine dominierende Stellung ausnutzt. Ist der Minderheitsgesellschafter der Meinung, dass die – wie so oft – von dem Mehrheitsgesellschafter gestellte Geschäftsführung ihre Pflichten verletzt und sich gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtig gemacht hat, sind entsprechende Ansprüche gegen die Geschäftsführer von der Gesellschaft durchzusetzen. Für den Minderheitsgesellschafter ergeben sich besondere Hürden aus § 46 Nr. 8 GmbHG, der hierfür einen Gesellschafterbeschluss verlangt. Denn ein streitlustiger Mehrheitsgesellschafter wird versuchen, die Entscheidung zu blockieren. Die Materie ist komplex und kann für die Beteiligten ein Mienenfeld sein – wie eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) illustriert. 

Sachverhalt

Im unlängst vom BGH entschiedenen Fall warf der Minderheitsgesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH den Geschäftsführern der GmbH vor, ihre Pflichten verletzt und sich schadenersatzpflichtig gemacht zu haben. Die Geschäftsführer der GmbH waren zugleich Geschäftsführer des Mehrheitsgesellschafters.

Anders als es § 46 Nr. 8 GmbHG (normalerweise) vorsieht, war ein Gesellschafterbeschluss über die Geltendmachung der Ersatzansprüche nicht (zweifelsfrei) zustande gekommen, da der Mehrheitsgesellschafter opponierte. Das Stimmrecht des Mehrheitsgesellschafters wurde bei der Abstimmung über den Beschlussantrag allerdings durch die Geschäftsführer der geschädigten GmbH ausgeübt und somit durch diejenigen Personen, gegen die sich die Klage richten sollte.

Der Minderheitsgesellschafter erhob daher selbst Klage gegen die Geschäftsführer der GmbH und verlangte Zahlung von Schadensersatz aus Geschäftsführerhaftung an die GmbH – im Ergebnis ohne Erfolg. 

Der Fall bietet Anlass zur Frage, wie ein Minderheitsgesellschafter trotz seiner strukturell schwächeren Position auf eine effektive Anspruchsdurchsetzung hinwirken kann. 

Gesellschafterklage als Instrument zur Anspruchsdurchsetzung

Da die GmbH nichts unternahm, um die ihr gegen ihre Geschäftsführer zustehenden Ansprüche durchzusetzen, war der Minderheitsgesellschafter im Wege der sogenannten actio pro socio (Gesellschafterklage) vorgegangen. Die actio pro socio ermöglicht es einem (Minderheits-)Gesellschafter prozessual, dass er selbst Ansprüche geltend macht, die materiell der Gesellschaft zustehen. Die actio pro socio stellt ein Ausweichinstrument dar, wenn die Gesellschaft – etwa infolge einer Blockade durch den Mehrheitsgesellschafter – untätig bleibt. Jedoch ist die actio pro socio ein subsidiärer Behelf, da sie dem Grundprinzip widerspricht, wonach prozessual diejenige Person Kläger sein muss, der der geltend zu machende Anspruch materiell zusteht. Demensprechend ist die actio pro socio nur ausnahmsweise zulässig, wobei sich die Zulässigkeit im Einzelfall nicht immer klar umreißen lässt. Zudem ist die actio pro socio für den klagenden Gesellschafter nicht nur mit Vorteilen, sondern auch mit Nachteilen verbunden. Denn der Gesellschafter macht fremde Rechte – nämlich solche der Gesellschaft – im eigenen Namen geltend und wird dadurch selbst zur prozessführenden Partei (Prozessstandschaft), womit ihn die vollständige Last der Prozessführung trifft. Er muss den anfallenden Gerichtskostenvorschuss leisten, einen Rechtsanwalt auf eigene Kosten beauftragen und er trägt das volle Prozessrisiko. An einem Erfolg partizipiert der Minderheitsgesellschafter nur mittelbar über seine Beteiligung – der erstrittene Betrag fällt nicht ihm direkt, sondern der Gesellschaft zu. 

Der BGH hat zwar die Voraussetzungen der actio pro socio geschärft, andererseits dem Kläger im konkreten Fall Steine statt Brot gegeben: der Minderheitsgesellschafter war nicht erfolgreich, da er selbst geklagt hatte obwohl er – ohne Geschäftsführer zu sein – die Gesellschaft bei einer Klageerhebung durch diese hätte vertreten können (und müssen). 

Der BGH hat betont, dass die actio pro socio nur in Betracht kommt bzw. eine Klage durch die Gesellschaft selbst nur dann entbehrlich ist, wenn eine Klage durch die Gesellschaft (i) undurchführbar, (ii) durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder (iii) in Folge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es ein unzumutbarer Weg wäre, wenn der Gesellschafter die Gesellschaft zur Klage „zwingen“ müsste. 

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der BGH im vorliegenden Fall – bemerkenswerter Weise – verneint. Der Kläger/Minderheitsgesellschafter konnte sich insbesondere nicht darauf berufen, dass er aufgrund der Mehrheitsmacht des Mehrheitsgesellschafters keinen Geltendmachungsbeschluss gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG hat herbeiführen können. Denn aufgrund des Eingreifens eines Stimmverbots zu Lasten des Mehrheitsgesellschafters war ein Geltendmachungsbeschluss nach Ansicht des BGH gar nicht erforderlich.

Stimmverbot und Entbehrlichkeit des Geltendmachungsbeschlusses

Ein Stimmverbot kommt nach § 47 Abs. 4 GmbHG zur Anwendung, wenn ein Gesellschafter in einer Angelegenheit abstimmen würde, an der er ein eigenes wirtschaftliches Interesse hat. Im vorliegenden Fall war die Mehrheitsgesellschafterin eine GmbH. Die beabsichtigte Klage richtete sich jedoch nicht gegen diese, sondern gegen Personen, die zugleich Geschäftsführer sowohl der gemeinsamen Gesellschaft als auch der Mehrheitsgesellschafterin waren. Diese Geschäftsführer hatten als Organ der Mehrheitsgesellschafterin deren Stimmrecht ausgeübt, obwohl sie zugleich selbst als potentielle Anspruchsgegner von der geplanten Klage betroffen gewesen sind. Aufgrund dieser persönlichen Betroffenheit lag ein klassischer Interessenkonflikt vor. 

Der BGH hat klargestellt, dass das Stimmverbot auch in solchen „mittelbaren“ Fallgestaltungen gilt und auf die Geschäftsführer erstreckt wird, soweit diese das Stimmrecht eines Gesellschafters ausüben und gleichzeitig in eigener Sache betroffen sind. In einer derartigen Interessenlage dürfen die Geschäftsführer das Stimmrecht nicht für die Mehrheitsgesellschafterin ausüben, da niemand „Richter in eigener Sache“ sein darf.

Der BGH hat in dieser durch einen Interessenkonflikt geprägten Konstellation ferner entschieden, dass es in einer Zwei-Personen-GmbH – entgegen dem Grundsatz des § 46 Nr. 8 GmbHG – keines Geltendmachungsbeschlusses bedarf, wenn der andere Gesellschafter aufgrund eines Stimmverbots von der Beschlussfassung ausgeschlossen wäre. Die Durchführung eines förmlichen Beschlussverfahrens wäre unter diesen Umständen eine bloße Förmelei, die die effektive Rechtsdurchsetzung unangemessen erschwert. Der Schutz der Minderheit und der Erhalt der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft haben in diesem Zusammenhang Vorrang vor der Einhaltung der üblichen innergesellschaftlichen Zuständigkeitsordnung.

Da Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH grundsätzlich einem formalisierten Verfahren unterliegen und diverse Anforderungen an die ordnungsgemäße Einberufung, Durchführung sowie Protokollierung der Versammlung gelten, würde das Festhalten an einem Geltendmachungsbeschluss in der vorliegenden Konstellation erhebliche praktische Unsicherheiten und zeitliche Verzögerungsmöglichkeiten nach sich ziehen. Nach Ansicht des BGH kann (und muss) der Minderheitsgesellschafter diese Formalismen in dieser Ausnahmesituation unbeachtet lassen. Vielmehr ist der Minderheitsgesellschafter in einer „Zwei-Personen-GmbH“ bei Bestehen eines Stimmverbots zu Lasten des Mehrheitsgesellschafters allein berechtigt, ohne vorherige Beschlussfassung die Klage der Gesellschaft einzuleiten, die Gesellschaft im Prozess zu vertreten oder einen Prozessvertreter zu bestellen. 

So nachvollziehbar dies im Allgemeinen ist, erscheint die Entscheidung im konkreten Fall schwer nachvollziehbar: denn der Minderheitsgesellschafter hatte sich sogar die Mühe gemacht, eine Beschlussfassung der Gesellschafter zu bewirken. 

Der Fall verdeutlicht anschaulich, welchen prozessualen Fallstricken Minderheitsgesellschafter ausgesetzt sein können – insbesondere, wenn sie wegen einer Blockadehaltung der Mehrheit gezwungen sind, auf von der Rechtsprechung nicht abschließend geklärte oder fehleranfällige Vorgehensweisen zurückzugreifen.

Kritisches Fazit

Die Entscheidung des BGH erscheint auf den ersten Blick als Stärkung der Minderheitsgesellschafter – doch sie verlagert die Probleme lediglich, anstatt sie zu lösen. In der Praxis schafft die Entscheidung neue Unsicherheiten. Der Minderheitsgesellschafter betritt mit der Prozessvertretung „seiner“ GmbH weitgehend rechtliches Neuland. Seine Stellung bleibt unklar: Er ist nicht Geschäftsführer und agiert nicht als Organ, sondern als „außerordentlicher“ Vertreter – mit fraglicher Haftungsstruktur und bisher nicht abschließend geklärtem Kompetenzrahmen. Auch wird sich der Minderheitsgesellschafter sehr genau überlegen müssen, ob die Voraussetzungen der actio pro socio in seinem konkreten Fall nicht doch gegeben sind – schließlich könnte der BGH zukünftig durchaus entscheiden, dass sich der Minderheitsgesellschafter der actio pro socio bedienen muss, wenn deren (keinesfalls messerscharf definierten) Voraussetzungen vorliegen und er dann eben nicht als außerordentlicher Vertreter die GmbH selbst zur Prozessführung veranlassen kann. 

Der BGH äußert sich auch nicht dazu, wie sichergestellt werden kann, dass dem Minderheitsgesellschafter im Einzelfall tatsächlich die Vertretungsbefugnis zusteht. Hätte der Mehrheitsgesellschafter etwa durch die kurzfristige Bestellung eines unbefangenen Dritten zum Geschäftsführer die Interessenkollision doch noch abwenden können, droht dem Minderheitsgesellschafter im Nachhinein der Vorwurf, ohne dann doch gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG erforderlichen Gesellschafterbeschluss gehandelt zu haben. Auch müsste der beauftragte Rechtsanwalt sehr genau prüfen, ob seiner Beauftragung mit der Prozessführung durch einen Nichtgeschäftsführer eine wirksame Vertretung der GmbH zugrunde liegt. 

Die Entscheidung lässt diverse Detailfragen ungelöst: Was gilt, wenn nur einer von mehreren Geschäftsführern betroffen ist – dürfen die anderen Geschäftsführer noch mitabstimmen? Greift das Stimmverbot nur bei personaler Identität oder auch bei „nur“ wirtschaftlicher Verflechtung? 

Die Entscheidung des BGH entwirft ein interessantes, aber riskantes Modell der Minderheitsrechte. Die theoretischen Spielräume werden vergrößert, aber es wird von dem Minderheitsgesellschafter ein erhebliches Maß an rechtlicher Expertise und Risikobereitschaft gefordert. Die Gefahr, sich mit einem formalen Fehler selbst ins Aus zu stellen, bleibt erheblich.

Zudem sollte ein Minderheitsgesellschafter jedenfalls in eindeutigen Fällen überlegen, ob die Gegenstimmen des Mehrheitsgesellschafters bzw. dessen Verweigerung bei der Mitwirkung der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nicht dermaßen treuwidrig ist, dass die Neinstimmen des Mehrheitsgesellschafters unschädlich und die verweigerte Zustimmung als erteilt unterstellt werden kann. 

Denn Gesellschafter sind in der Ausübung ihrer Gesellschafterrechte nicht vollkommen frei. Die Möglichkeit, durch die Ausübung ihrer Rechte, Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft und auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu nehmen, verpflichtet die Gesellschafter mitunter dazu, Rücksicht auf die Interessen der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter zu nehmen. Gesellschafter dürfen ihr Stimmrecht daher nicht aus ausschließlich eigennützigen Interessen und entgegen dem erkennbaren Wohl der Gesellschaft ausüben. In der Rechtsprechung und der juristischen Literatur finden sich daher durchaus Ansätze dafür, dass treuwidrig abgegebene Stimmen als unwirksam anzusehen oder gar umzudeuten sind, sodass aus einem „Nein“ ein „Ja“ werden kann. Dies dürfte auch im Rahmen des § 46 Nr. 8 GmbHG gelten – dann würde sich ein Großteil der obigen Fragen erübrigen. 

Autor/in
Dr. Benjamin Hub

Dr. Benjamin Hub
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