04.11.2025
        
Mit seinem Urteil vom 15. Oktober 2025 (T-306/23; abrufbar hier) bestätigte das Europäische Gericht (EuG) die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Europäischen Kommission (Kommission), eine unangekündigte Durchsuchung (auch bekannt als „dawn raid“) durchzuführen – diesmal im Fall von Red Bull. Der österreichische Getränkehersteller konnte sich im Ergebnis allerdings mit keinem seiner Klageanträge durchsetzen. In dem Urteil befasst sich das EuG unter anderem mit den Anforderungen an die Bestimmtheit und die erforderliche Indizienlage für den Erlass von Nachprüfungsbeschlüssen. Zugleich stellt das Gericht klar, dass es im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen den Nachprüfungsbeschluss nicht zugleich die konkrete Durchführung der Durchsuchung (mit-)prüfen kann. Damit unterstreicht das EuG die strikte Trennung zwischen der Rechtmäßigkeitskontrolle des Nachprüfungsbeschlusses einerseits und der Art und Weise der Durchführung der Durchsuchungen andererseits. Dies wirft in der Praxis Fragen nach dem statthaften Rechtsbehelf gegen die Art und Weise der Durchführung einer Durchsuchung auf, die wir am Ende dieses Beitrags beantworten.
Am Morgen des 20. März 2023 herrschte in den Red-Bull-Standorten in Fuschl am See, Paris und Amsterdam plötzlich Ausnahmezustand: Beamte der Europäischen Kommission erschienen unangekündigt mit einem sog. Nachprüfungsbeschluss. Was folgte, war eine mehrtägig andauernde Durchsuchung in den Räumlichkeiten von Red Bull, bei der nicht nur Aktenordner und Laptops durchsucht, sondern auch umfangreiche Dokumente und elektronische Daten beschlagnahmt wurden. Die eigentliche Auswertung dieser Dokumente wurde im Anschluss über Monate hinweg in den Räumen der Kommission fortgesetzt.
Der Nachprüfungsbeschluss stützte sich auf drei zentrale Verdachtsmomente: Erstens soll Red Bull gezielt finanzielle Anreize eingesetzt haben, um Einzel- und Großhändler zur Auslistung von Energydrinks mit mehr als 250 ml – vor allem Konkurrenzprodukte – zu bewegen. Zweitens stand der Vorwurf im Raum, das Unternehmen habe eine Verunglimpfungskampagne gegen größere Dosenformate von Wettbewerbern initiiert. Drittens richtete sich der Fokus auf mutmaßliche wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Branchenverband „Energy Drinks Europe“ (EDE), zur Eindämmung des Vertriebs größerer Gebinde.
Auslöser der europaweiten Ermittlungen war eine Beschwerde des US-Wettbewerbers Monster Energy. Die Kommission beließ es jedoch nicht bei den Vorwürfen des Wettbewerbers: Sie forderte von ihm ergänzende Informationen an und prüfte die Plausibilität der Hinweise eingehend, bevor sie die Nachprüfungsentscheidung traf. Ihr lagen zu diesem Zeitpunkt insgesamt mehr als 500-seitige Ausführungen und Angaben des Beschwerdeführers vor.
Mit der Klage begehrte Red Bull zum einen die Nichtigerklärung des Nachprüfungsbeschlusses selbst (erster Klageantrag) sowie die Nichtigerklärung aller Maßnahmen, die im Rahmen der Durchsuchung angeordnet wurden (zweiter Klageantrag).
Den zweiten Klageantrag betreffend der Maßnahmen im Rahmen der Durchsuchung wies das EuG als unzulässig zurück. Es begründet dies zum einen mit der mangelnden Bestimmtheit des Klageantrags. Die Klageschrift von Red Bull enthielt nämlich keine weitergehenden Angaben zu den Maßnahmen, die die Kommission im Rahmen der Durchsuchung angeordnet haben soll und die nun für nichtig erklärt werden sollten. Vielmehr war im Antrag lediglich die Rede von „jede[r] Maßnahme […] im Rahmen der Nachprüfung“. Das Gericht stellte klar, dass es nicht seine Aufgabe sei, die entsprechenden Maßnahmen selbst zu identifizieren. Zwar hatte Red Bull „insbesondere“ beantragt, die Fortsetzung der Durchsuchung in den Räumlichkeiten der Kommission für unzulässig zu erklären und die Rückgabe aller Dokumentenkopien anzuordnen. Diesbezüglich erklärte sich das EuG jedoch für unzuständig, weil die Unionsgerichte im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV keine Zuständigkeit für den Erlass von Feststellungsurteilen oder für die Erteilung von Anweisungen an Unionsorgane hätten.
Den dann noch verbliebenen ersten Klageantrag bzgl. des Nachprüfungsbeschlusses stützte Red Bull auf gleich fünf Klagegründe: Erstens machten sie die offensichtliche Unbegründetheit des Nachprüfungsbeschlusses geltend, zweitens das Fehlen ausreichender Indizien für dessen Erlass, drittens eine mangelhafte Begründung und die Unbestimmtheit des Beschlusses, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und fünftens eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften und Verteidigungsrechte. Das Unternehmen konnte letztlich mit keinem dieser Angriffspunkte durchdringen:
Mit Blick auf die gerügte mangelhafte Begründung und Unbestimmtheit des Nachprüfungsbeschlusses zieht das EuG den Maßstab des Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 heran. Die Vorschrift sieht unter anderem vor, dass der Durchsuchungsbeschluss Gegenstand und Zweck der Durchsuchung benennen muss. Das Gericht hebt hervor, dass es im frühen Verfahrensstadium genügt, wenn die Kommission die Verdachtsmomente möglichst genau beschreibt; eine exakte Marktabgrenzung oder rechtliche Qualifizierung des vorgeworfenen Verhaltens ist ebenso wenig erforderlich wie ein Nachweis der Zuwiderhandlungen. Auch trifft die Kommission keine Pflicht, die beherrschende Stellung von Red Bull nachzuweisen. Insgesamt sei Red Bull „ohne übermäßige Auslegungsbemühungen“ in der Lage gewesen, den ihr zur Last gelegte Vorwurf anhand des Beschlusses zu erfassen. Dies genügt den Begründungs- und Bestimmtheitserfordernissen. Die Verwendung von Adverbien wie „insbesondere“ oder „möglicherweise“ stehen der Bestimmtheit des Beschlusses dabei nicht entgegen.
Hinsichtlich des Klagegrunds der unzureichenden Indizienlage für den Erlass des Beschlusses konnte Red Bull einen prozessualen Etappenerfolg erzielen, scheiterte jedoch in der Sache: Das EuG gab dem Antrag des Unternehmens teilweise statt und verpflichtete zunächst die Kommission, alle Indizien vorzulegen, aus denen sich die ernsthaften Rechtfertigungsgründe für die Anordnung der Nachprüfung ergeben. Nach Hinweis der Kommission auf die Vertraulichkeit dieser Unterlagen erlaubte das Gericht der Kommission die Vorlage einer Liste und einer Zusammenfassung der Indizien, in die nur der Rechtsbeistand der Klägerin gegen Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsverpflichtung Einblick erhielt. Weitere Erfolge konnte Red Bull nicht verbuchen. Insbesondere konnte das Unternehmen das EuG nicht davon überzeugen, dass die Indizienlage den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses nicht hergab. Das Gericht stellte fest, dass sich die Kommission für den Erlass des Nachprüfungsbeschlusses im Wesentlichen auf die o.g. informelle Beschwerde von Monster Energy gestützt hatte. Diese war kohärent formuliert und mit hinreichenden Gründen versehen. Aus Sicht des EuG ist eine solche Beschwerde ausreichend, um die Anordnung einer Durchsuchung zu rechtfertigen. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH betont das EuG, dass die Kommission in einem derart frühen Untersuchungsstadium lediglich im Besitz von hinreichend ernsthaften Indizien sein muss. Konkrete und bestätigte Beweise sind noch nicht erforderlich – deren Auffinden ist schließlich gerade Zweck der Nachprüfung.
Dem Vorbringen Red Bulls in punctooffensichtliche Unbegründetheit des Beschlusses folgte Gericht ebenfalls nicht. Das EuG sieht es als erwiesen an, dass die im Beschluss genannten Verhaltensweisen im Falle ihrer Bestätigung einen Verstoß gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV begründen könnten.
Red Bull rügte zusätzlich die Verhältnismäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses.
Das Unternehmen machte zum einen geltend, die Durchsuchung sei nicht erforderlich gewesen, da die Kommission zunächst auf mildere Mittel wie etwa ein Auskunftsverlangen hätte zurückgreifen müssen. Das EuG wies diese Rüge zurück. Die Kommission verfüge bei der Mittelauswahl über einen weiten Einschätzungsspielraum. Auch wenn – wie hier durch die informelle Beschwerde – bereits zahlreiche Indizien oder gar Beweise vorliegen, kann die Kommission es „zu Recht für erforderlich halten, zusätzliche Nachprüfungen anzuordnen“. Außerdem seien mildere Mittel wie ein freiwilliges Auskunftsverlangen weniger erfolgversprechend als die Durchsuchung.
Zum anderen wertete Red Bull die Fortsetzung der Durchsuchung über mehrere Monate in den Räumlichkeiten der Kommission als unverhältnismäßig lang (sechs Monate) und intensiv (insbesondere wegen umfassender Beschlagnahme von Dokumenten und E-Mails ohne Vorfilterung der Relevanz). Insoweit verzichtet das Gericht auf eine tiefergehende Prüfung: Da sich diese Rüge auf Ereignisse nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses bezieht, können diese die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nicht beeinträchtigen. Denn nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses allein auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses an.
Mit dem letzten Klagegrund machte Red Bull einen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensbestimmungen und die Verletzung ihrer Verteidigungsrechte geltend, insbesondere des Rechts auf anwaltlichen Beistand und das Anwaltsgeheimnis. Konkret rügte Red Bull unter anderem ein (mutmaßlich) aggressives Verhalten der Kommissionbediensteten zu Beginn der Nachprüfung. Diese hätten sich geweigert, sich auszuweisen, verlangten dennoch Zugang zur Geschäftsleitung und unterbanden den Versuch einer Mitarbeiterin, den Wachdienst zu verständigen. Zudem sei es den Mitarbeitern von Red Bull zunächst untersagt worden, einen externen Rechtsanwalt zu kontaktieren; erst nach 45 Minuten sei dies unter Aufsicht gestattet worden. Das Unternehmen warf der Kommission weiter vor, den Ruf des Unternehmens willkürlich dadurch geschädigt zu haben, dass sie während der laufenden Durchsuchungen eine Pressemitteilung unter namentlicher Nennung von Red Bull veröffentlichte. Auch insoweit lehnte das EuG eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den erhobenen Vorwürfen ab: „Es ist festzustellen, dass die von den Klägerinnen behaupteten Verhaltensweisen, selbst wenn sie erwiesen wären, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage stellen können.“
Damit wies das Gericht sämtliche Klagegründe von Red Bull ab und bestätigte in vollem Umfang die Rechtmäßigkeit des Nachprüfungsbeschlusses der Kommission.
Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass die Eingriffsschwelle für den Erlass eines kartellbehördlichen Durchsuchungs- bzw. Nachprüfungsbeschlusses niedrig liegt. Es genügen bereits „hinreichend ernsthafte Indizien“, um eine Nachprüfung zu rechtfertigen. Das EuG betont ausdrücklich, dass auch das Vorliegen einer einzigen, kohärenten und mit Gründen versehenen Beschwerde – etwa eines Wettbewerbers – ausreichen kann, sofern diese durch eigene Ermittlungen der Kommission plausibilisiert wird.
Positiv hervorzuheben ist aus Unternehmenssicht, dass das Gericht die Kommission verpflichtet hat, die Indizien offenzulegen, auf denen der Nachprüfungsbeschluss beruht – unter Wahrung berechtigter Vertraulichkeitsinteressen, etwa durch Einsichtgewährung nur für den Rechtsbeistand.
Über die gerügte Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung, die die Kommission im Wesentlichen bestritt, hat das EuG aus prozessualen Gründen nicht geurteilt. Es bleibt somit unklar, ob die Sitten bei Durchsuchungen tatsächlich „rauer“ geworden sind als bisher.
Von besonderer Bedeutung für die Praxis dürfte jedoch die Frage sein, mit welchen Rechtsbehelfen Unternehmen den Ablauf von Durchsuchungen gerichtlich überprüfen lassen können. Spätestens nach dem hier dargestellten Urteil ist klar: Die Art und Weise der Durchsuchung kann nicht ohne Weiteres im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen den Nachprüfungsbeschluss selbst gerügt werden; hierfür bedarf es eines separaten Klageantrags. Das Unionsrecht hält hierfür – wie das EuG in seiner Entscheidung Casino, Guichard-Perrachon und AMC / Kommission darlegt – aber verschiedene Rechtsbehelfe bereit:
So sind Nichtigkeitsklagen auch gegen Handlungen im Anschluss an den Nachprüfungsbeschluss, insbesondere während des Ablaufs der Durchsuchung, möglich – allerdings nur, wenn es sich beim Klagegegenstand um Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen handelt, die geeignet sind, die Interessen des Klägers dadurch zu beeinträchtigen, dass sie seine Rechtsstellung in eindeutiger Weise verändern (z.B. durch die Kommission abgelehnter Antrag auf Schutz der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant).
Ein weiterer möglicher und besonders praxisrelevanter (vorläufiger) Rechtsbehelf ist der Antrag auf Aussetzung der Durchsuchungsmaßnahmen (vgl. Art. 278 AEUV) im Rahmen des Verfahrens nach Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts. Auch dieser muss sich aber auf Maßnahmen mit verbindlichen Rechtswirkungen beziehen.
Zudem können Unternehmen später mit einer Nichtigkeitsklage gegen die verfahrensabschließende (Bußgeld-)Endentscheidung der Kommission bestimmte Handlungen im Rahmen einer vorangegangenen Durchsuchung beanstanden (vgl. EuG-Urteil Nexans France und Nexans / Kommission aus 2012, Rn. 132), was zu rückwirkenden Beweisverwertungsverboten und damit auch zu möglichen Bußgeldminderungen führen kann.
Denkbar ist nicht zuletzt eine Nichtigkeitsklage gegen eine Sanktion der Kommission nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. c bis e der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Behinderung der Durchsuchung mit der Begründung, dass die Maßnahme, die das Unternehmen behindert haben soll, ihrerseits rechtswidrig war. Allerdings wird man sich davor hüten, derartige Sanktionsentscheidungen zu provozieren und sich im Zweifel in der konkreten Situation eher den Maßnahmen beugen.
Das Urteil des EuG macht jedenfalls unmissverständlich klar: Die Schwelle für kartellrechtliche Durchsuchungen ist vergleichsweise niedrig und die Anforderungen an Begründung und Indizienlage sind überschaubar. Für Unternehmen bleibt es daher entscheidend, ihre Rechte zu kennen und aktiv zu nutzen – denn das Urteil bestätigt zugleich, dass sie die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen sowohl im Vorfeld als auch im weiteren Verlauf des Verfahrens effektiv gerichtlich überprüfen lassen können, sofern einige prozessuale Besonderheiten beachtet werden.
Darüber hinaus bestätigt das Urteil des EuG, dass Verunglimpfungskampagnen durch Marktbeherrscher auch außerhalb der Pharmaindustrie (vgl. Kommissionsentscheidung Teva Copaxone aus 2024) missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV sein können.
                                                                    
                                                            
                                                        
                                                
                                                
                                                        
                                                                
                                                                    Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
                                                                    
                                                                            
                                                                                    
                                                                                            Partnerin
                                                                                        
                                                                                
                                                                        
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                                                                    anne.wegner@luther-lawfirm.com
                                                                    
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                                                                                    Senior Associate
                                                                                    
                                                                                
                                                                        
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                                                                    lara.jaeger@luther-lawfirm.com
                                                                    
                                                                    +49 30 52133 24770
                                                                
                                                                    
                                                            
                                                        
                                                
                                                
                                                        
                                                                
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                                                                    München
                                                                    
                                                                    
                                                                    alexandra.gebauer@luther-lawfirm.com
                                                                    
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