10.03.2020

Luther.Automotive - Auswirkungen des Coronavirus auf die Automobilbranche

Hintergrund

Mit der Auto China in Peking und dem Genfer Autosalon wurden jüngst zwei der großen Leitmessen der Branche abgesagt. Das Coronavirus (offiziell inzwischen von der WHO "SARS-CoV-2" getauft) trifft viele Unternehmen auch außerhalb Chinas und des Epizentrums Wuhan empfindlich. Die Notstandsmaßnahmen der chinesischen Regierung haben große Teile der chinesischen Wirtschaft lahmgelegt, die Produktion läuft auch Wochen nach dem chinesischen Neujahrsfest teilweise erst langsam wieder an. Als Folge ist die Nachfrage in und aus China ebenso wie der Verkehr dort massiv eingebrochen.

Viele deutsche Unternehmen sind stark betroffen und die Automobilbranche leidet besonders unter den Folgen der Epidemie. Die Automobilhersteller und –zulieferer kämpfen ohnehin schon mit der nachlassenden Autokonjunktur, dem Wandel zur Elektromobilität und weiteren Herausforderungen, da kommt das Coronavirus zur Unzeit. China ist wichtigster Absatzmarkt und Produktionsstandort für die Automobilindustrie, die Branche hat die Auswirkungen der Epidemie daher sofort gespürt. Neben den teilweise dramatischen Umsatzeinbrüchen sind Autohersteller und Zulieferer mit einer Fülle neuartiger Fragen konfrontiert, vor allem in den Bereichen HR, „Gesundheits-Compliance" und Lieferbeziehungen.

Einbruch des Autoabsatzes in China

China ist der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Autobauer, die 2019 fast 5 Mio. Autos in China produzierten. VW liefert ca. 40 % der weltweit produzierten Autos in China aus, andere Hersteller haben einen ähnlich hohen Anteil.

Während SARS 2003 noch zu einem Boom bei den Neuzulassungen in China geführt hatte – viele chinesische Bürger wollten aus Angst vor einer Ansteckung lieber mit dem eigenen PKW als mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren – ist der Autoabsatz in China in den ersten Monaten des Jahres so stark eingebrochen wie noch nie seit Erhebung der Daten.

Der PKW-Markt ist fast völlig kollabiert, die meisten Händler waren in den Wochen nach dem Frühlingsfest geschlossen und es gab kaum Nachfrage nach Neuwagen. Auch verstärkte Bemühungen im Online-Vertrieb zeigen bislang wenig Wirkung und der chinesische Branchenverband PCA geht von einer weiter sehr schwachen Nachfrage noch bis mindestens zum Ende des ersten Quartals aus, bevor es zu einem „bounce-back“ bei den Autokäufen kommen dürfte.

Weltweite Lieferketten gestört

Der Virus hat bereits jetzt schwerwiegende Auswirkungen auf die weltweiten Lieferketten. Viele Vorprodukte und Komponenten stammen aus chinesischer Produktion und bei vielen Zulieferern kam und kommt es wegen der Betriebsschließungen und Logistikunterbrechungen zu Lieferengpässen. Das Krisengebiet der Provinz Hubei mit dem Hauptstadt Wuhan ist eines der Zentren der chinesischen Autoproduktion, dort werden fast zwei Millionen Autos pro Jahr gefertigt, das sind etwa 8% der gesamten Fahrzeugproduktion in China. Auch ausländische Autohersteller wie GM, Renault oder Honda und Zulieferer wie Bosch haben dort Werke (siehe die nachstehende Karte) und in der Provinz Hubei sind über 700 Autozulieferer angesiedelt (alleine VW hat mit seinem SAIC Joint Venture 39 Zulieferer aus der Krisenregion).

Praktisch alle großen Automobilhersteller (einschließlich VW, BMW und Daimler bzw. deren Joint-Venture mit chinesischen Staatskonzernen) haben die Werksferien nach dem chinesischen Frühlingsfest verlängert, teilweise für mehrere Wochen. VW hatte die Betriebsaufnahme zuletzt noch einmal verschoben, da es zu Verzögerungen bei der Wiederaufnahme der landesweiten Lieferketten kam und viele Beschäftigte aufgrund der Reisebeschränkungen nicht an ihre Arbeitsstätten zurückkehren konnten. Noch immer produzieren viele Werke nur mit stark eingeschränkter Kapazität. Die Logistik innerhalb Chinas ist weiterhin stark eingeschränkt, teilweise werden immer noch sogenannte „Travel Passes“ für den Warentransport in andere Provinzen verlangt und Fahrer steuern aus Angst vor Ansteckung oder drohender Quarantäne bestimmte Regionen gar nicht an.

 

In den ersten Wochen waren vor allem die Werke in China betroffen, infolge der fehlenden Produktion dort und anderen Störungen in der Lieferkette zeigen sich zunehmend aber auch die Auswirkungen außerhalb Chinas. Aus Korea kamen bereits kurz nach dem chinesischen Neujahrsfest Meldungen über Produktionsausfälle, in Europa stand Anfang Februar ein Werk von Fiat Chrysler in Serbien mangels Lieferungen aus China still. Die Autohersteller Land Rover und Jaguar und auch Zulieferer wie Continental oder ZF haben angekündigt, dringend notwendige Teile für die Produktion notfalls per Flugzeug, nicht wie sonst per Schiff, aus China nach Europa zu bringen. Die meisten Betriebe in Deutschland scheinen noch ohne größere Störungen zu laufen, aber die am Wochenende verhängten Quarantäneanordnungen für Norditalien geben einen unschönen Vorgeschmack darauf, was auch der deutschen Autoindustrie noch bevorstehen kann.

Force Majeure und andere rechtliche Fragen

Ein wichtiger Aspekt für Unternehmen ist momentan die Frage, wie es mit der Haftung und ggf. mit Schadensersatzansprüchen bei Lieferverzug aussieht, weil z.B. Zulieferer aus China oder nun auch Italien nicht vertragsgemäß liefern oder sie selbst ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können. Maßgeblich sind hier zunächst die vertraglichen Vereinbarungen. Hier ist immer zunächst zu prüfen, welches Recht zwischen den Geschäftspartnern eigentlich gilt, also deutsches, italienisches oder chinesisches Recht. Wichtig ist in jedem Fall, ob der Vertrag eine Force Majeure-Klausel enthält und welchen genauen Inhalt diese hat. Andernfalls kommen ggf. die gesetzlichen Regelungen zum Tragen. Im deutschen und im chinesischen Recht wird höhere Gewalt als ein von außen kommendes Ereignis verstanden, das bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war sowie unvermeidbar und unüberwindbar ist. Epidemien zählen neben Krieg, Naturkatastrophen und dergleichen allgemein als Fälle höherer Gewalt. In China wurde durch den Beschluss des Staatsrats vom 24.01.2020 zudem klargestellt, dass es sich bei der Epidemie des neuartigen Coronavirus um höhere Gewalt handelt.

Liegt damit ein Fall höherer Gewalt vor, hat das betroffene Unternehmen eine verspätete Lieferung und die damit verbundenen Schäden nicht zu vertreten. Der Vertragspartner kann in diesem Fall keinen Schadensersatz verlangen, wenn er seinerseits Schäden wegen nicht rechtzeitiger Lieferung erleidet. Dabei setzt die Berufung auf höhere Gewalt voraus, dass die Verhinderung der rechtzeitigen Vertragserfüllung unmittelbar durch die höhere Gewalt verursacht wurde. Keine Haftungsbefreiung besteht, wenn der Vertrag erst nach Ausbruch der Epidemie abgeschlossen wurde oder wenn die von höherer Gewalt betroffene Partei bei Eintritt des Ereignisses bereits mit ihrer Leistung im Verzug war. Auch wenn die Virus-Epidemie als Fall höherer Gewalt eingestuft wird, bedeutet dies nicht, dass sie die Ursache für jedwede Leistungsverweigerung wäre und sich jeder Schuldner darauf berufen könnte. Pauschale Antworten gibt es hier nicht. In jedem Fall ist der Vertragspartner rechtzeitig über die Situation zu informieren, um diesen vor Folgeschäden zu schützen. Das chinesische Recht verlangt zudem innerhalb einer angemessenen Frist die Vorlage eines Nachweises, wie z.B. eine Bescheinigung des chinesischen Außenhandelsverbands CCPIT.

Ausblick

Einer Konjunkturumfrage des DIHK zufolge plant jeder zweite deutsche Autozulieferer vor allem wegen des Umstieges auf elektrische Antriebe Investitionen zurückzufahren und Stellen abzubauen, da schlagen Umsatzeinbußen oder Regressforderungen wegen des Coronavirus doppelt schwer ins Kontor. Vor dem Ausbruch der Epidemie haben viele Analysten für 2020 eine Erholung beim Autoabsatz in China prognostiziert, mittlerweile dürfte dies Makulatur sein und die Strukturkrise der Automobilindustrie wird sich bis zur Eindämmung des Virus in den kommenden Monaten eher noch verschärfen. Ferdinand Dudenhöffer (bislang Direktor am Center for Automotive Research der Universität Duisburg-Essen und demnächst an der Universität St. Gallen) rechnet damit, dass ein Monat Betriebsunterbrechung in China für die deutsche Autoindustrie etwa 2,5 Mrd. Euro Umsatzausfall und rund 300 Mio. Euro Verlust bedeutet. Der Herstellerverband China Association of Automobile Manufacturers schätzt, dass infolge des Virus die Autoproduktion in China 2020 um eine Million Fahrzeuge unter dem Vorjahr liegen könnte. Eine Studie der Universität St. Gallen geht für dieses Jahr von einem Rückgang beim PKW-Absatz von 3 % weltweit und in China sogar von 8 % aus.

Rund zwei Monate nach Ausbruch des Coronavirus normalisiert sich die Lage in China allmählich, viele Provinzen haben die strikten Quarantänemaßnahmen von Stufe eins auf zwei oder drei gesenkt. Hier sind auch Nachholeffekte beim Autokauf zu erwarten, sobald das Virus weiter unter Kontrolle gebracht und das Vertrauen der Verbraucher zurück ist. In den USA und Europa scheint man dagegen erst am Beginn der Epidemie zu stehen. Spätestens mit dem Ein- und Ausreiseverbot vom Wochenende für Norditalien sind auch deutsche Personal- und Rechtsabteilungen im Krisenmodus.

Weiterführende Hinweise / Links

Weitere Informationen zu den rechtlichen Auswirkungen finden Sie auch auf der Themenseite zum Coronavirus auf unserer Luther Website: https://www.luther-lawfirm.com/newsroom/newsletter/detail/coronavirus-rechtliche-auswirkungen-auf-unternehmen

Luther organisiert am 11. März zusammen mit dem OAV uns WMP-AG ein Webinar „Update Coronavirus – Antworten auf rechtliche und strategische Fragen aus der Praxis". Deutsche und chinesische Rechtsexperten der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft berichten direkt aus Shanghai über die aktuelle Lage und geben praxisorientierte Empfehlungen für die aktuell dringlichsten Rechtsfragen. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos, erfordert aber eine Anmeldung: hier

Autor/in
Thomas Weidlich, LL.M. (Hull)

Thomas Weidlich, LL.M. (Hull)
Partner
Köln
thomas.weidlich@luther-lawfirm.com
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