12.09.2025
Reformbestrebungen im Krankenhauswesen sind seit Jahren eng verbunden mit andauernden Diskussionen über die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern. Vor diesem Hintergrund und mit dem Ziel einer Überprüfung von Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) auf ihre Verfassungsmäßigkeit haben nun die Länder Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erhoben. Konkret geht es dabei um die Mindestmengen für die Versorgung extrem geringgewichtiger Frühgeborener und zur allogenen Stammzellentransplantation sowie Personalvorgaben für die psychiatrische/psychosomatische Versorgung. Die nachstehenden Ausführungen widmen sich schwerpunktmäßig den Mindestmengenvorgaben.
Gemäß § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wird der G-BA als oberstes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen dazu ermächtigt, für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle Patientinnen und Patienten Beschlüsse über „einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses“ zu fassen. Weitere Vorgaben zu den Mindestmengenfestlegungen und deren Umsetzung und Auswirkungen enthalten die Absätze 3 bis 5 des § 136b SGB V. Die festgelegten Mindestmengen bestimmen, dass Krankenhäuser bestimmte planbare – meist risikoreiche – Behandlungen nur dann anbieten dürfen, wenn sie voraussichtlich eine definierte Mindestanzahl dieser Eingriffe durchführen. Voraussetzung für die Einführung dieser Vorgaben ist ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen der Behandlungsmenge und der Qualität der Versorgung. Auf Basis wissenschaftlicher Studien muss es als wahrscheinlich gelten, dass die Qualität der Behandlung von der Anzahl der erbrachten Leistungen abhängig ist. Vor diesem Hintergrund legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Mindestmengen auf Grundlage wissenschaftlicher Gutachten des zuständigen Instituts fest. Wird die geforderte Mindestmenge nicht erreicht, ist die Erbringung der jeweiligen Leistung untersagt, und die Behandlung wird nicht vergütet.
Im August 2025 haben die Länder Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt eine Klage beim BVerfG eingereicht, mit der insbesondere die höchstrichterliche Überprüfung der Mindestmengenvorgabe des G-BA, die sich auf die stationäre Versorgung von Frühchen mit einem Aufnahmegewicht von weniger als 1.250 Gramm bezieht sowie die Mindestmengenvorgabe des G-BA im Bereich der allogenen Stammzellentransplantation auf ihre Verfassungsmäßigkeit begehrt wird[1]. Konkret stören sich die Länder daran, dass der G-BA die für Kliniken geltenden Mindestmengen
erhöht hat. Es bestehe die Befürchtung, dass die starren Mindestvorgaben des G-BA zu Versorgungsverschiebungen und Versorgungsengpässen führen könnten. Der G-BA untergrabe damit die gesetzlich verankerte Verantwortung der Länder für die Sicherstellung der stationären Versorgung. Weitere Einzelheiten zum Gegenstand der anhängigen Länderklage sind – soweit aus den öffentlich zugänglichen Quellen ersichtlich – bislang nicht veröffentlicht worden.
[1] Landesportal Baden-Württemberg, Drei Länder ziehen wegen Krankenhausplanung vor Gericht, verfügbar unter https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/service/pressemitteilung/pid/drei-laender-ziehen-wegen-krankenhausplanung-vor-gericht-1 – zuletzt abgerufen am 11. September 2025.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht dreht sich der Streit vor allem um die Frage der Gesetzgebungskompetenz für das Krankenhauswesen. Dem Bund steht insoweit keine uneingeschränkte Kompetenz zu; vielmehr beschränkt sich seine Zuständigkeit für die Gesetzgebung auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG, Krankenhausfinanzierung). Krankenhausplanung und Krankenhausorganisation werden daneben wesentlich durch das SGB V auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Sozialversicherung) geregelt und sind dem Kompetenzbereich der Länder, die entsprechende Krankenhausplanungs- und Krankenhausfinanzierungsgesetze erlassen haben, zuzuordnen.
Das in Bezug auf die Mindestmengen bestehende verfassungsrechtliche Problem ergibt sich damit aus dem Spannungsverhältnis zwischen Qualitätsvorgaben und der Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausplanung. Vereinfacht dargestellt: Qualitätsvorgaben wie die Mindestmengenregelungen führen dazu, dass sich die Zahl der Krankenhäuser, die bestimmte Leistungen erbringen dürfen, zum Teil deutlich reduziert, ohne dass dabei jedoch krankenhausplanerische Erwägungen (bspw. Versorgung in der Fläche, Erreichbarkeit) eine Rolle spielen. Diese zwingende Folge für die stationären Versorgungsstrukturen in den einzelnen Bundesländern beeinflusst unmittelbar die Entscheidung darüber, welche Einrichtungen entsprechende Leistungen anbieten sollen und dürfen, womit der Kompetenzbereich der Länder zur Krankenhausplanung betroffen ist. Wie das BVerfG die Frage, ob die verfassungsrechtlich abgesicherte Planungshoheit im Bereich der mindestmengenrelevanten Leistungen – insbesondere unter Berücksichtigung der in § 136b Abs. 5a SGB V vorgesehenen Ausnahmeregelung – verfassungswidrig eingeschränkt wird, beantworten wird, bleibt nunmehr abzuwarten. Zu hoffen ist jedoch, dass mit einer höchstrichterlichen Entscheidung Klarheit darüber geschaffen wird, in welchem Umfang die Krankenhausplanung weiterhin als Ländersache und Ausdruck der Länderhoheit bestehen bleibt.
Aus Perspektive der Krankenhäuser ist es sinnvoll und erforderlich, „höchstrichterlich Grenzen festzulegen oder klar zu benennen, um die Hoheit der Länder bei der Krankenhausplanung zu sichern“[2]. Eine eindeutige Abgrenzung durch Karlsruhe wäre daher nicht nur von wissenschaftlicher Relevanz, sondern hätte auch direkte Auswirkungen auf die zukünftige Gestaltung der Krankenhausversorgung. Die Länderklage bietet damit eine wichtige Gelegenheit, verfassungsrechtlich prüfen zu lassen, in welchem Umfang Richtlinien des G-BA und bundesrechtliche Vorgaben die Krankenhausplanung der Länder beeinflussen oder beschränken dürfen. Die Entscheidung des BVerfG hätte damit auch eine Signalwirkung für die aktuell in Form des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) und des Krankenhausreformanpassungsgesetzes (KHAG) in der Umsetzung befindliche Krankenhausreform, die für sich genommen bereits Gegenstand verfassungsrechtlicher Kompetenzstreitigkeiten in der Rechtsliteratur war und ist.
Gleichzeitig bleibt bezogen auf bundesweite Mindestmengenvorgaben dem Grunde nach festzuhalten, dass diese ein geeignetes Instrument darstellen, um die Versorgungsqualität durch Spezialisierung und Konzentration hochkomplexer Leistungen zu gewährleisten und Gelegenheitsversorgung zu verhindern. Die Vorgaben müssen jedoch derart ausgestaltet sein, dass die Länder weiterhin flexibel agieren können, um die Versorgung unter Berücksichtigung regionaler Rahmenbedingungen sicherstellen zu können.
Krankenhäusern, deren Prognose über das Erreichen der erforderlichen Mindestmenge im Referenzzeitraum künftig widerlegt wird, eröffnet die nun mit der Klage der Länder in Frage stehende Vereinbarkeit der geltenden Mindestmengenvorgaben des G-BA mit dem Verfassungsrecht neue Argumentationsspielräume in einstweiligen Rechtsschutzverfahren und Rechtsstreitigkeiten gegen Widerlegungsbescheide, um Einschränkungen ihres Versorgungsangebotes für die Regelversorgung oder gar die vollständige oder teilweise Schließung von Häusern und Fachabteilungen zu vermeiden.
[2] ebd.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
Counsel
Hannover
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Charlotte Riese
Senior Associate
Berlin
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