01.06.2018

Der 5. Strafsenat des BGH macht Gesellschaftsrecht – oder warum Manager mit einem Bein im Gefängnis stehen

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Hintergrund

01.06.2018

Der 5. Strafsenat des BGH macht Gesellschaftsrecht – oder warum Manager mit einem Bein im Gefängnis stehen

Die Befassung mit Haftungsfällen bei Vorständen und Aufsichtsräten bringt Interessantes zu Tage. Der rechtliche Kern von Haftungsfällen besteht in der Frage, ob der Vorstand oder der Aufsichtsrat sich pflichtgemäß im Sinne von § 93 Abs. 1 Aktiengesetz verhalten haben. Vorstand und Aufsichtsrat müssen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) anwenden. Doch was ist das? Vermeintlich gibt es bei unternehmerischen Entscheidungen einen größeren Freiraum – die Business Judgment Rule (BJR) nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Wer eine unternehmerische Entscheidung trifft, ist auf der sicheren Seite, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. 

Interessanterweise hatte in jüngerer Zeit nicht der für das Gesellschaftsrecht zuständige 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes Gelegenheit sich zum Pflichtenkreis nach § 93 Abs. 1 Aktiengesetz zu äußern. Vielmehr wird man beim 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes fündig. Dieser musste sich im Oktober 2016 mit dem Handeln des ehemaligen Vorstands der HSH-Nordbank im Zusammenhang mit dem Abschluss von Finanzgeschäften zur Auslagerung von Kreditrisiken aus der Bank befassen. Der 5. Strafsenat hält in seinem Urteil vom 12.10.2016 (5 StR 134/15) drei wichtige Erkenntnisse für uns bereit:

  • Eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten stellt automatisch eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des strafrechtlichen Untreuetatbestandes dar (Feststellung 1).
  • Richtig als Vorstand oder Aufsichtsrat informiert im Sinne der BJR ist nur, wer grundsätzlich alle in der konkreten Situation verfügbaren Informationsquellen ausschöpft (Feststellung 2).
  • Wer sich nicht im sicheren Hafen der BJR bewegt, handelt „über alles betrachtet“ aber möglicherweise trotzdem pflichtgemäß (im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz); Feststellung 3.


Mit diesen Erkenntnissen macht der 5. Strafsenat mir Angst (Feststellung 1) und ich nehme zur Kenntnis, dass der 5. Strafsenat nunmehr bei der Auslegung von § 93 Abs. 1 Aktiengesetz die Federführung übernommen hat (Feststellung 3). Bei Feststellung 2 immerhin konnte der 5. Strafsenat im Grundsatz auf vorhandene Rechtsprechung des 2. Zivilsenates zurück greifen. Insgesamt erscheint es aber so, als sei die Auslegungshoheit über die zentrale gesellschaftsrechtliche Haftungsvorschrift in die Hände der obersten Strafrichter gewandert.

Feststellung 1 bedeutet tatsächlich das, was in der Überschrift zu diesem Beitrag geschrieben steht. Und damit bewahrheitet sich einmal mehr das, was vor Jahren schon ein bekannter Wirtschaftsanwalt festgestellt hat: die Aufarbeitung wirtschaftlicher Fehlschläge und Desaster findet zunehmend mit den Mitteln des Strafrechts statt. Ein Strafrechtskollege erklärte mir – auf die Rechtsprechung des 5. Strafsenates angesprochen, dass sich die Strafbarkeit künftig auf der Seite des subjektiven Tatbestandes entscheide. Handelte der Manager mit Vorsatz (die Gesellschaft im Sinne einer Untreue zu benachteiligen) oder ohne?

Da mag es beruhigen, dass die HSH-Nordbank-Entscheidung scheinbar einen Ausweg weist. Erfüllt die unternehmerische Entscheidung nicht die Anforderungen der BJR, kann sie ja nach allgemeinen Grundsätzen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) vertretbar sein. Daran möchte man gerne glauben, aber man fragt sich schon, ob eine Vorstandsentscheidung, die nicht auf der Grundlage angemessener Information getroffen wurde oder bei der der Vorstand nicht annehmen durfte, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, nach allgemeinen Grundsätzen pflichtgemäß sein kann.

Die „Haftungslampe“ leuchtet also zu Recht im Cockpit aller Unternehmenskapitäne. Die Bedeutung absichernder Rechtsgutachten nimmt laufend zu. Und auch in diesem Zusammenhang ergeben sich weitergehende Fragen. Welche Kriterien muss eine Stellungnahme erfüllen, um eine für den Vorstand oder Aufsichtsrat absichernde Wirkung zu entfalten? Die Ision-Entscheidung des (2. Zivilsenates des) BGH (Urteil vom 29.9.2011 – II ZR 234/09) gibt allgemeine Antworten hierauf:
Expertenrat entlastet, wenn

  • dieser von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger eingeholt wurde;
  • dem Berater die maßgeblichen Verhältnisse der Gesellschaft umfassend dargestellt wurden und ihm alle erforderlichen Unterlagen überlassen wurden und
  • der erteilte Rat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzogen wird.


Und auch hier lauern wieder Fallstricke für Vorstände und Aufsichtsräte. Wie genau muss das Gutachten gelesen und hinterfragt werden? Und macht der Vorstand dies in der Praxis selbst oder wird nicht ein Mitarbeiter oder der Leiter der Rechtsabteilung oder der Leiter der Revision gebeten, die Expertise für den Vorstand zu lesen? An dem selbst Lesen scheint mir kein Weg vorbei zu führen. Aber selbst dann ist man nicht zwingend auf der sicheren Seite.

Quintessenz: Die Zeit des Frühstücksdirektoren-Daseins ist lange vorbei. Und gute, besonnene und risikobewusste Begleitung durch rechtliche und andere Experten wird immer wichtiger. Es bleibt zu hoffen, dass die Manager bei alledem das Managen nicht vernachlässigen.

 

Prof. Dr. Jörg Rodewald 

Prof. Dr. Jörg Rodewald
Rechtsanwalt
Dipl.-Kaufmann
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Friedrichstraße 140
10117 Berlin
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