08.12.2022

Vesting: Eine Annäherung

Jeder Gründer kennt sie, in keiner Gesellschaftervereinbarung darf sie fehlen: Die sog. Ves-ting-Regelung. Das Vesting ist integraler Bestandteil der VC-Finanzierung von Start-ups – stellt es doch sicher, dass das Gründerteam auch in den Jahren nach der Finanzierung noch an dem Unternehmen mitarbeitet. Dennoch sind Gründern die Stellschrauben und Feinheiten des Vestings oft nur zum Teil bekannt. Auch die Vorteile des Vestings für die Gründer werden oft übersehen.

Hintergrund
1. Was ist „Vesting“ und wofür braucht man es?

Wie viele andere Regelungen aus dem VC-Bereich auch, stammen Vesting-Regelungen aus dem anglo-amerikanischen Raum. Unter „Vesting“ versteht man eine Regelung, die sicherstellen soll, dass sich bestimmte Personen, z. B. die Gründer, langfristig (d.h. über die „Vesting-Periode“) im Unternehmen einbringen. Stellen sie ihre Tätigkeit aus irgendeinem Grund ein („Leaver Event“), müssen sie ihre Geschäftsanteile ganz oder teilweise an die Gesellschaft oder andere Gesellschafter abtreten. Nach Ablauf der Vesting Periode gelten die Geschäftsanteile als „gevested“, sie können dem Gründer dann also nicht mehr genommen werden.

In anderen Rechtsräumen funktioniert das Vesting oft so, dass Gründern sukzessive über die Vesting-Periode in bestimmten Zeiträumen (monatlich, quartalsweise, jährlich) Geschäftsanteile zugeschrieben werden, die ihnen dann sicher gehören. In Deutschland hieße das im Falle einer GmbH jedoch regelmäßige Notartermine, da die Übertragung von Geschäftsanteilen beurkundungspflichtig ist. Daher handelt es sich in Deutschland bei Vesting-Regelungen immer um ein sog. „Reverse Vesting“, d.h. die Gründer haben bereits ihre Geschäftsanteile (noch von der Gründung) und diese unterliegen zunächst sämtlich der Verpflichtung, im Leaver Event übertragen zu werden. Mit Ablauf der Vesting-Periode fallen nach und nach in bestimmten Zeiträumen (monatlich, quartalsweise, jährlich) Geschäftsanteile aus dieser Verpflichtung heraus.

Investoren bestehen auf einem Gründer-Vesting, da sie damit ihr Investment schützen. Denn nicht nur Idee, Produkt und Kundenstamm sind wichtige Wertfaktoren des Start-ups, sondern vor allem auch sein Gründerteam. Vesting-Perioden betragen daher in der Regel drei bis vier Jahre. Standardmäßig sollte in der Vesting Regelung auch ein sog. „Accelerated Vestingvorgesehen sein, also ein vorzeitiges Ende des Vestings, im Falle eines Exits.

2. Die Stellschrauben des Vestings

Es gibt unzählige Möglichkeiten der Ausgestaltung des Vestings. Die üblichsten und wichtigsten Stellschrauben sind dabei die folgenden:

Vesting Shares

In der Vesting-Regelung muss festgelegt werden, welche Geschäftsanteile dem Vesting unterliegen sollen. Investoren werden hier häufig verlangen, dass alle Gründeranteile dem Vesting unterliegen. Allerdings ist es marktüblich, Teile der Geschäftsanteile der Gründer von vornherein vom Vesting auszunehmen, wenn die Gründer schon länger in dem Start-up arbeiten und ggf. sogar schon ein Vesting durchlaufen haben. 

Vesting Periode

Die Laufzeit des Vestings ist natürlich von hoher Bedeutung. Eine längere Laufzeit bietet dem Investor eine höhere Sicherheit, birgt aber gleichzeitig höhere Risiken für den Gründer.

Vesting Intervalle und Cliff

Die Vesting Periode ist unterteilt in Intervalle, in denen Bruchteile der Geschäftsanteile wieder aus dem Vesting herausfallen. Üblich sind monatliche oder quartalsweise Intervalle. Bei monatlichem Vesting über eine dreijährige Vesting Periode fallen so jeden Monat 1/36 der betroffenen Geschäftsanteile wieder aus dem Vesting heraus. Üblicherweise wird jedoch zur Sicherheit des Investors auch ein anfängliches „Cliff“ von sechs Monaten bis zu einem Jahr vereinbart. D. h. erst nach Ablauf des Cliffs werden die zwischenzeitlich gevesteten Anteile auf einen Schlag frei. Kommt es vor dem Cliff zum Leaver Event, sind noch keine Anteile gevestet.

Leaver Event

Die Definition des Leaver Events ist vor allem in frühen Finanzierungsrunden oft Gegenstand von Verhandlungen. Zu den klassischen Leaver Events gehören jede Form der Beendigung des Dienst- oder Anstellungsverhältnisses des Gründers, sei es durch Eigenkündigung, Kündigung aus wichtigem Grund, Arbeitsunfähigkeit oder Tod. Neben der Frage, was alles ein Leaver Event sein soll, ist auch relevant, in welchen Fällen der Gründer zum sog. „Good-Leaver“ bzw. zum sog. „Bad-Leaver“ wird. Denn dies hat erhebliche Auswirkungen.

Folgen des Leaver Events

Üblicherweise unterteilt man in Good und Bad Leaver Events (teilweise auch „Grey Leaver-Events“). Dahinter steckt die Idee, dass der Gründer nicht in allen Leaver-Events gleichbehandelt werden soll – z. B., weil ihn an seinem Ausscheiden keine Schuld trifft. Eine Stellschraube ist also die genaue Definition dieser Leaver Kategorien. Daran knüpft sich aber die Frage an, was denn die Folge eines Leaver Events sein soll. Fallen z. B. im Bad Leaver-Event alle Geschäftsanteile (auch die gevesteten) an die anderen Gesellschafter? Oder nur die noch nicht gevesteten? In welcher Höhe wird der Gesellschafter für seine Geschäftsanteile entschädigt? Erhält er den Buchwert, den Wert der letzten Bewertung oder den Verkehrswert?

3. Der versteckte Vorteil des Vestings

In den Verhandlungen einer Finanzierungsrunde ist das Vesting oft ein Streitthema. Regelmäßig haben die Gründer Angst, der Investor nähme ihnen ihre Geschäftsanteile weg. Sicherlich muss man auf eine saubere Formulierung und eine ausgewogene Einstellung der vorgenannten Stellschrauben achten. Die Leaver-Fälle sollten jederzeit (abgesehen von Tod oder Krankheit) für die Gründer kontrollierbar sein und nicht willkürlich durch die anderen Gesellschafter begründet werden können. Wenn dies gegeben ist, sollten sich die Gründer jedoch eines vor Augen halten: Nicht nur der Investor wird durch das Vesting geschützt. Auch die Gründer und das Start-up selbst profitieren davon, dass das Gründerteam möglichst lange an das Start-up gebunden ist. Bei einer fairen und ausgewogenen Regelung profitieren also alle vom Vesting.

4. Nichts verschenken

Werden beim Vesting Fehler gemacht, kann dies große Auswirkungen auf die Gründer oder auch das Start-up haben. Investoren werden auch hier nichts von sich aus verschenken. Mit den richtigen Argumenten und Kenntnis der üblichen Marktstandards kann man vermeiden, hier wichtige Punkte zu vergeben. Wie allgemein beim Abschluss von Beteiligungs- und Gesellschaftervereinbarungen sollten Gründer sich auch in dieser Frage dringend anwaltlich beraten lassen.

Autor/in
Dr. Moritz Mentzel

Dr. Moritz Mentzel
Counsel
Berlin
moritz.mentzel@luther-lawfirm.com
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