16.02.2021

"I'm not a cat!" – was Katzenvideos im Netz und digitale Gerichtsverhandlungen gemeinsam haben oder was bei Verhandlungen nach §128a ZPO alles schief gehen kann…

Hintergrund

Im Zuge der Covid-19-Pandemie haben Gerichtsverhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung gemäß § 128a ZPO (Videoverhandlungen) im letzten Jahr einen enormen Popularitätsaufschwung erfahren. Dies zeigte sich gerade kürzlich wieder im Rahmen des Zivilrichtertages vom 2. Februar 2021, bei dem eine Arbeitsgruppe ihre Reformvorschläge für eine Digitalisierung des Zivilprozesses vorstellte und die Erweiterung der Möglichkeiten zur Videoverhandlung den Zuspruch von 70% der Teilnehmenden fand. Auch ein technischer Ausbau der Gerichte findet nunmehr endlich statt, zuletzt wurden etwa alle Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern und alle Zivilsäle des Landgerichts Köln mit Videokonferenztechnik ausgestattet.

Diese lange überfälligen Fortschritte verdienen Zuspruch, fördert die Möglichkeit von Videoverhandlungen nach § 128a ZPO doch nicht nur einen flexibleren und teilweise schlicht effizienteren Ablauf von Gerichtsverhandlungen, sondern sichert auch gerade in einer Ausnahmesituation wie der derzeitigen die Arbeitsfähigkeit der Justiz, die sonst wohl nicht mehr zu gewährleisten wäre (siehe auch bereits unseren Beitrag zu § 128a ZPO im Dispute Resolution Magazin vom 25. Juni 2020).

1. Alles online, alles gut?

Soweit, so gut. Allerdings sahen sich im letzten Jahr auch viele Anwender angesichts der ihnen noch fremden, technischen Anforderungen einer Videokonferenz schnell überfordert.

Im jüngsten Beispiel ließ sich der zuvor eingestellte Katzenfilter im Video eines texanischen Rechtsanwaltes partout nicht entfernen. Der Anwalt hatte den Computer seiner Assistentin verwendet, auf welchem wohl zuvor noch ihre Tochter den Filter eingestellt hatte. In seiner Verzweiflung sah sich der Anwalt zu der Klarstellung „I’m not a cat!“ gehalten und erklärte trotz allem seine Bereitschaft, die Verhandlung in Gestalt einer Katze weiter fortzuführen. Der kurze Ausschnitt aus der Videoaufzeichnung der Verhandlung wurde schnell ein viraler Hit.

Dies war seit dem Pandemiebeginn nicht der erste medienwirksame Filter-Fehltritt in der Welt der Videokonferenzen. Manch eine Vorgesetzte fand sich zwar nicht als Katze, dafür aber als Kartoffel in der Teambesprechung wieder. Daneben liefen zuhauf Haustiere und Familienmitglieder über die Bildschirme. Auch mundspülende Richter oben ohne, Anwälte wahlweise beim Sex, im Badeanzug am Pool oder unter der Decke im Bett wurden schon in Online-Verhandlungen gesehen. Ein anderer Anwalt verschwand versehentlich hinter seinem virtuellen Hintergrund.

2. Potentielle Konsequenzen von Video-Komplikationen

Doch welche (rechtlichen) Konsequenzen können im Falle einer solchen Situation neben der ohnehin bestehenden Peinlichkeit drohen?

Die Weiterverbreitung im Netz dürfte man als Anwalt in Deutschland jedenfalls nicht zu befürchten haben, sollte es zu entsprechenden Situationen kommen. Gemäß § 128a Abs. 3 S. 1 ZPO darf die Übertragung einer Videoverhandlung nach § 128a ZPO explizit nicht aufgezeichnet werden (wie in dem Katzenvideo ironischerweise zu sehen, übrigens auch in den USA grundsätzlich der Fall). Der Wortlaut soll die Aufzeichnungen aber sogar dann ausschließen, wenn die Beteiligten mit dieser einverstanden sind oder diese – wie hier – allein aus Lehrzwecken erfolgt und mit dem Einverständnis der Beteiligten verbreitet wird. Eine – gar unfreiwillige – Aufnahme und Weiterverbreitung der Schmach im Netz sollte damit hierzulande keinesfalls drohen.

Problematisch könnten Videofilter jedoch im Hinblick auf zwei Aspekte werden:

Zum einen dürfte ein Filter mit dem Verhüllungsverbot in Konflikt stehen, welches im Jahre 2019 im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens in § 176 Abs. 2 GVG verankert und auch bereits im Zusammenhang mit der Maskenpflicht diskutiert wurde. An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen nach dieser Vorschrift ihr Gesicht während des Verlaufs der Verhandlung grundsätzlich weder ganz noch teilweise verhüllen. Im Falle eines Verstoßes können Ordnungsmittel durch den Vorsitzenden drohen – wobei sich diese bei den Prozessbevollmächtigten auf solche nach § 176 GVG beschränkt und jedenfalls keine Zwangsmittel wie Ordnungsgeld oder Ordnungshaft nach §§ 177, 178 GVG drohen können. Jedoch kann nach § 176 GVG etwa auch ein nicht ordnungsgemäß gekleideter Rechtsanwalt – ebenso sicherlich ein „nicht ordnungsgemäß gefilterter“ oder „vom Filter verhüllter“ Rechtsanwalt – von der Verhandlung zurückgewiesen werden. Zwar dürften nach § 176 Abs. 2 GVG Ausnahmen vom Verhüllungsverbot zugelassen werden. Dies gilt jedoch nur, soweit dessen Schutzzweck nicht berührt wird, d.h. unter anderem die Gewährleistung der Identitätsfeststellung. Regelmäßig wird es wohl dennoch bei Maßnahmen wie Ermahnungen oder Unterbrechungen bzw. Vertagung bei Nicht-Lösbarkeit des technischen Probleme bleiben, zumal das rechtliche Gehör und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei den ergriffenen Maßnahmen gewahrt bleiben muss – und wohl die meisten Richter, gerade wenn ersichtlich ist, dass es sich um Anfängerfehler von „Non-Digital-Natives“ und keine böse Absicht handelt, Nachsicht walten lassen werden.

Zum anderen kann bei technischen Problemen jedoch auch ein Versäumnisurteil nach §§ 330, 331 ZPO drohen. Eine Nichtzuschaltung in Bild und Ton bei Verhandlungen im Wege des § 128a ZPO steht einem Nichtverhandeln gleich, sodass die allgemeinen Säumnisfolgen eintreten. Dabei verlangt der rechtmäßige Erlass eines Versäumnisurteils zwar auch das Verschulden der nicht erschienenen Partei. Bei unvorhersehbaren technischen Schwierigkeiten wie etwa plötzlich unterbrochener Internetverbindungen wird dies beispielsweise nicht angenommen werden können. Aber auch bei sonstigen technischen Hürden werden Richter gerade noch in der aktuellen Phase, in der Verhandlungen nach § 128a ZPO noch nicht lange etabliert sind, keine allzu strengen Maßstäbe ansetzen und eine verschuldete Säumnis bei Anwendungsproblemen ablehnen, auch um den Zweck der Förderung von Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung nicht im Wege zu stehen.

Dennoch ist es unerlässlich, dass alle Beteiligten die erforderlichen Vorbereitungen treffen, um eine reibungslose und ungestörte Videokonferenz mit Ton und Bild zu ermöglichen und zuvor die – von den meisten Gerichten angebotenen – Probeläufe wahrnehmen. Denn lange wird die Entschuldigung der „neuen“ technischen Mittel und der technischen Unversiertheit nicht mehr greifen und der ein oder andere Richter wird sicherlich ein Verschulden annehmen dürfen, wenn der Anwalt ohne die nötige Sorgfalt die technischen Voraussetzungen nicht rechtzeitig sicherstellt. Die Bewerkstelligung einer Teilnahme an Videoverhandlungen nach §128a ZPO wird künftig sicherlich zu dem zu beherrschenden Berufsbild eines Anwalts gehören, sodass an diesen in Zukunft strengere Maßstäbe angesetzt werden können.

Gleichwohl besteht kein Grund zur Panik vor Videoverhandlungen nach § 128a ZPO: Zum einen versenden die Gerichte regelmäßig einen Link für eine Probeeinwahl, bei der die technischen Einstellungen (inklusive Filter) überprüft werden können. Auch gibt es häufig spezielle Ansprechpartner oder eine zuständige Verwaltungsabteilung bei den Gerichten (siehe auch diese Länderliste), welche man vor Beginn einer Verhandlung kontaktieren kann und auf welche in der Ladung regelmäßig hingewiesen wird. Soweit man diese Möglichkeiten nutzt, sollten die Gefahren einer versehentlichen Säumnis hinreichend gebannt sein und der Verhandlung via Videokonferenz keine technischen Hürden mehr im Wege stehen.

3. Takeaways

Positiv ist festzustellen, dass die Digitalisierung des Zivilprozesses vorangeht und immer mehr Zusprechende aus den Reihen der Anwaltschaft wie Richterschaft findet. Sowohl Richter als auch Anwälte dürfen derweil die Faux Pas ihrer Kollegen zum Anlass nicht nur persönlicher Erheiterung, sondern auch einer gründlichen Auseinandersetzung mit der in Zukunft immer wichtiger werdenden Technik nehmen.

Insoweit empfiehlt es sich, wie das oben genannte Beispiel zeigt, insbesondere bei den ersten digitalen Gehversuchen, vor der Verhandlung einen Probelauf zu vereinbaren. Wichtig ist es, hierbei denselben Computer mit derselben Einwahl und denselben Einstellungen zu verwenden, wie dies auch in der anstehenden Verhandlung geschehen wird.

Daneben gelten als grundsätzliche Regeln für Verhandlungen aus dem Homeoffice, sich einer Gerichtsverhandlung angemessen anzuziehen, bevor die Kamera versehentlich die heute ausgelassenen Kleidungsstücke entblößt. Ebenso sollte ein angemessener Ort in der eigenen Wohnung, d.h. idealerweise Wohn- oder Arbeitszimmer, aufgesucht werden; das Bett oder der Pool im Garten werden im Zweifelsfall als solche erkannt. Dies birgt auch den Vorteil, dass man Hintergrundfilter bedenkenlos weglassen kann, bevor diese drohen, das eigene Bild zu „verschlucken“. Ferner gilt, soweit dies möglich ist, Türen zu schließen, Haustiere vor der Tür zu lassen und Familienmitglieder zu bitten, draußen zu bleiben.

Und schließlich gilt insbesondere aufgrund der gezogenen Lehren des Katzen-Anwalts: Sollte Ihr Kind Ihren Computer vor der Verhandlung benutzt haben, checken Sie noch einmal die Filter-Einstellungen und lassen Sie sich zeigen, wo diese im Notfall wieder entfernbar sind.

Übrigens, dem texanischen Katzen-Anwalt gelang es mit Hilfe des Richters, den Filter wieder zu entfernen – die Verhandlung konnte fortgesetzt und der Fall am Ende verglichen werden.

Autor/in
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
Counsel
Berlin, Köln
katharina.klenk@luther-lawfirm.com
+49 30 52133 25741