19.08.2019

Die erste Musterfeststellungsklage in der deutschen Geschichte ist unzulässig – Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. März 2019, Az. 6 MK 1/18

Hintergrund

I.    Einleitung
Die 2018 als Verbraucherschutzinstrument vom Bundestag in die Zivilprozessordnung (vgl. §§ 606 ff. ZPO) eingeführte Musterfeststellungsklage wurde erstmalig vor dem Oberlandesgericht Stuttgart geführt. Dort trat die Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V. als Klägerin gegen die Mercedes Benz Bank AG auf und klagte auf Feststellung der Nichtigkeit einiger Vertragsklauseln in Darlehensverträgen.

Ursprünglich wurde die Musterfeststellungsklage – federführend durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz unter Katarina Barley – im Zuge der Klagewelle gegen VW entworfen, um Verbrauchern in ähnlich gelagerten Fällen schnell, effektiv und günstig Rechtsschutz zu gewähren. Die neue Musterfeststellungsklage ist nunmehr für alle Feststellungsklagen, unabhängig von deren Inhalt, von einer Vielzahl von Verbrauchern, die durch eine geeignete Stelle geltend gemacht werden, anwendbar. Es besteht also keine Beschränkung auf ein bestimmtes Rechtsgebiet.

Diese neue Form der Klage sieht dabei vor, dass Verbraucherschutzverbände vor den Oberlandesgerichten auf Feststellung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler anspruchsbegründender Tatbestandsmerkmale klagen können. Als Klagevoraussetzungen verlangt das Gesetz unter anderem, dass die Vereine eine Mitgliederzahl von mindestens 350 natürlichen Personen oder 10 Verbänden aufweisen und nicht-gewerbsmäßig beratend oder aufklärend tätig sind. Es müssen Ansprüche von mindestens zehn angemeldeten Verbrauchern klageweise geltend gemacht werden. Sofern im Wege der Musterfeststellungsklage ein Urteil ergeht, so entfaltet dieses für alle Beteiligten der Musterfeststellungklage Rechtskraft. Es ergeht jedoch stets ein Feststellungurteil, das über den Anspruch lediglich dem Grunde nach entscheidet. Ein Leistungsurteil kann nur im Wege der sich anschließenden Einzelklage erstritten werden.

Die Gerichte, die in den folgenden Einzelverfahren der angemeldeten Verbraucher (auf Schadensersatz oder andere Leistungen) entscheiden, sind dabei – aufgrund der eben beschriebenen Rechtskraftwirkung – an die Feststellungen des entscheidenden Oberlandesgerichts gebunden.

In anderen Rechtskreisen sind Kollektivklagen bereits seit langem etabliert. Die US-Amerikanische Class Action gibt es beispielsweise bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von der deutschen Musterfeststellungsklage: Sie ist eine Leistungsklage. In Deutschland handelt es sich um eine reine Feststellungsklage, die nur die Personen bindet, die sich auf der Liste des BMJV angemeldet haben, § 613 ZPO. Diese Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgenommen werden (§ 608 Abs. 3 ZPO).


II.    Der Sachverhalt
Die Klägerin, eine Schutzgemeinschaft für Bankkunden, ist ein Verein mit etwa 150 Vollmitgliedern und einer größeren Anzahl von „Internetmitgliedern“. Diese Internetmitglieder haben – im Gegensatz zu den Vollmitgliedern – keinerlei Stimmrecht. Die Mitgliedsbeiträge sämtlicher Mitglieder des Vereins machen zusammen mit Spenden nur etwa 2 % der Einnahmen des Vereins aus, während sich die anderen 98 % aus Vertragsstrafen und Abmahnungen speisen. Der Verein ist seit 2004 zur Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen nach dem UKlaG zugunsten von Verbrauchern zugelassen. In der Sache klagt der Verein gegen die Mercedes Benz Bank AG. Die Mercedes Benz Bank AG vergibt unter anderem Darlehen zur Finanzierung von Fahrzeugen der Daimler AG. Bei dem Abschluss von Darlehensverträgen mit Verbrauchern ist die Mercedes Benz Bank AG dazu verpflichtet, über bestimmte Rechte des Verbrauchers zu informieren (vgl. §§ 491 ff. BGB). Die Klägerin möchte vom Oberlandesgericht Stuttgart insbesondere feststellen lassen, dass die Beklagte über das Widerrufsrecht der Verbraucher nicht richtig informiert habe. Dies hätte, als richtig unterstellt, zur Folge, dass das Widerrufsrecht der Verbraucher zeitlich nicht auf 14 Tage beschränkt ist.


III.    Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die Klage als unzulässig ab, weil sie nicht von einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erhoben worden sei. Dies ergebe sich aus mehreren Gesichtspunkten. Zum einen habe der Verein nicht die notwendige Anzahl von 350 Mitgliedern, da die „Internetmitglieder“ mangels Stimmrecht keinen Einfluss auf Verhalten und Geschicke des Vereins nehmen können und folglich unberücksichtigt bleiben müssten. Darüber hinaus fehle es auch an der weitgehend durch nicht gewerbsmäßig aufklärende oder beratende Tätigkeiten geprägten Aufgabenwahrnehmung. Nach den Feststellungen des Gerichts besteht die Tätigkeit des Vereins im Wesentlichen darin, die AGB von Banken auf das Vorliegen von Rechtsverstößen zu überprüfen und bei deren Vorliegen die entsprechenden Banken abzumahnen bzw. die Rechtswidrigkeit gerichtlich feststellen zu lassen. Letztlich sei auch nicht nachgewiesen, dass der Verein Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erhebe. In allen drei Punkten argumentierte der Senat mit der Gesetzgebungsgeschichte (siehe dazu: Bundestagsdrucksache 19/2439). Im Zentrum steht dabei, dass die Musterfeststellungsklage eingeführt worden sei, um Verbraucherrechte effektiv zu schützen. Gleichzeitig solle einem Missbrauch dadurch vorgebeugt werden, dass die Anforderungen an die befugten Stellen sehr streng sind, etwa bei Zahl der Mitglieder sowie bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Stellen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass der Vorsitzende Richter des entscheidenden Senats klarstellte, dass eine „kommerzielle Klageindustrie“ verhindert werden solle (Beck-aktuell vom 20. März 2019, Becklink 2012584).


IV.    Bedeutung der Entscheidung
Der Senat legt in der genannten Entscheidung den ersten Grundstein dafür, dass einem kommerziellen Missbrauch dieser Klageart Grenzen gesetzt sind. Bisher bleibt die Anzahl anhängiger Musterfeststellungsklagen noch sehr überschaubar. Ob sich dies künftig ändern wird, hängt sicherlich entscheidend von den praktischen Erfahrungen mit den Musterfeststellungsklagen ab, etwa was ihre Dauer, ihre Ergebnisse und die sich gegebenenfalls nachfolgende Rechtsdurchsetzung (Leistungsklagen) angeht.

 

 

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Rechtsanwalt
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Svenja Trömpert
Rechtsanwältin
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