23.10.2015

Arbeitsrecht 4. Ausgabe 2015

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Tarifeinheitsgesetz: Keine Karlsruher Soforthilfe – was nun?

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Keine Eilentscheidung des BVerfG über das Tarifeinheitsgesetz. Nun ist die Umsetzung bei konkurrierenden Tarifverträgen gefragt.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. Oktober 2015 die Eilanträge dreier Berufsgruppengewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz abgelehnt. Das am 10. Juli in Kraft getretenen Gesetz ist also erst einmal anzuwenden. Was bedeutet das für die Praxis?

Was ist Tarifeinheit?

Die gesetzliche verordnete Tarifeinheit findet sich im Wesentlichen in einem neuen § 4a Tarifvertragsgesetz (TVG). In groben Zügen ist Folgendes geregelt:

  • Anknüpfungspunkt ist der Betrieb. Dieser wird nicht definiert, sondern im Wesentlichen am betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff orientiert: auch anderweitige Betriebszuschnitte nach § 3 BetrVG sind grundsätzlich zu berücksichtigen. Ferner gilt die Tarifeinheit auch in Gemeinschaftsbetrieben, die von mehreren Unternehmen getragen werden. Gelten für die verschiedenen Träger eines Gemeinschaftsbetriebs je unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Arbeitnehmergruppe, so stellt sich die Frage, ob das Gesetz das Unternehmen als Geltungsbereich verstehen will. Dann gäbe es keine Überschneidung, folglich keine verordnete Tarifeinheit.
  • Die Regeln zur Tarifeinheit greifen nur, wenn sich die Geltungsbereiche zweier Tarifverträge überschneiden. Sie gelten also nicht, wenn die Tarifverträge je für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten, ohne dass es eine Schnittmenge gibt, für die beide konkurrierenden Tarifverträge Geltung beanspruchen. Sie gelten auch nicht, wenn zwei Tarifverträge ohne Überschneidung je für andere Betriebsteile gelten. Schließlich gilt Tarifeinheit nicht, wenn die scheinbar konkurrierenden Tarifverträge zeitlich nacheinander gelten. Doch welches Ende einer Tarifnorm ist relevant? Ein Verbandsaustritt wird wegen der Nachgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG unbeachtlich sein. Gilt dann aber die Beendigung eines Tarifvertrages oder erst das Ende einer Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG, die möglicherweise erst Jahre später eintritt? Im Regelfall ist der konkurrierende Tarifvertrag keine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG, weil er gerade in den tarifunterworfenen Arbeitsverhältnissen wegen anderer Gewerkschaftszugehörigkeit nicht gelten kann; er kann den Mehrheitstarifvertrag also nicht nach den herkömmlichen Regeln des § 4 Abs. 5 TVG ersetzen. Wenn aber § 4a Abs. 1 TVG als Schutzzwecke der Tarifeinheit die Schutz-, Verteilungs-, Befriedungs- und Ordnungsfunktion von Tarifnormen aufruft, so kann eine lediglich nachwirkende Regelung diese Funktionen nicht mehr entfalten, kann also auch nicht mehr Schutzgegenstand der Tarifeinheit sein. Auf der anderen Seite würde der Zweck einer Tarifeinheit konterkariert, wenn der Minderheitstarifvertrag für wenige Wochen aufleben würde, die sich Tarifverhandlungen mit der Mehrheitsgewerkschaft über das Ende des bisherigen Tarifvertrages hinaus erstrecken können. Möglicherweise löst also auch ein nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkender Tarifvertrag eine für die Tarifeinheit relevante Tarifkonkurrenz aus, solange die Tarifparteien des nachwirkenden Tarifvertrages einen Anschlusstarifvertrag anstreben; ein ähnlicher Gedanke wurde für die Tarifüblichkeit des § 77 Abs. 3 BetrVG entwickelt.
  • Tarifeinheit greift nur, wenn die Tarifverträge nicht (!) inhaltsgleich sind. Damit meint der Gesetzgeber augenscheinlich nicht nur den Regelungsgegenstand (z. B. Entgelt, Altersteilzeit, Arbeitsbedingungen, Rationalisierung u.s.w.), sondern auch die konkrete inhaltliche Ausgestaltung des Regelungsgegenstandes. Es konkurrieren also nicht nur die Entgelt- mit den Rationalisierungstarifverträgen, was jedenfalls auf den ersten Blick erstaunt. Es konkurrieren vielmehr auch – und so wird die Regelung verständlicher – beispielsweise zwei Entgelttarifverträge, wenn in ihnen nicht haargenau dieselben Regelungen getroffen werden. Nur bei zwei vollständig inhaltlich deckungsgleichen Tarifverträgen entfällt aus Sicht des Gesetzgebers das Bedürfnis, eine Tarifkonkurrenz durch Verdrängung eines Tarifvertrages aufzulösen; in diesem Fall werden weiterhin beide Tarifverträge anwendbar bleiben.

    Eine Ausnahme sieht § 4a Absatz 2 TVG für die Rechtsnormen von Tarifverträgen vor, mit denen der Betriebsbegriff nach § 3 BetrVG vom Gesetz abweichend gestaltet wird (oder mit denen für die im Flugbetrieb einer Fluggesellschaft tätigen Arbeitnehmer nach § 117 Abs. 2 BetrVG eine eigene Arbeitnehmervertretung geschaffen wird). In diesem Sonderfall soll die Tarifeinheit erst greifen, wenn dieser identische Regelungsgegenstand in zwei konkurrierenden Tarifverträgen geregelt ist. Ein Entgelttarifvertrag kann beispielsweise eine tarifliche Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs in einem anderen Tarifvertrag nicht verdrängen. In welchen Einheiten aber die Mehrheiten zu ermitteln sind, wenn tatsächlich Betriebe in zwei konkurrierenden Tarifverträgen auf verschiedene Weise zusammengefasst werden, wird hoffentlich dauerhaft eine lediglich theoretische Frage bleiben (ist dafür in den gesetzlichen Strukturen zu zählen, in der zuerst oder zuletzt tariflich geregelten Struktur oder in jeder tariflich geregelten Struktur für sich?). „


Die Tarifeinheit greift schließlich nur, wenn die konkurrierenden Tarifverträge von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossen wurden. Eine einzelne Gewerkschaft darf jede beliebige Verwirrung mit ihrem (Tarif-)Vertragspartner schaffen. Diese wird notfalls mit den herkömmlichen Instrumenten gelöst.

Konsequenzen der Tarifeinheit

§ 4a TVG duldet in den oben beschriebenen Grenzen keine konkurrierenden Tarifverträge. Nur eine mehrerer Regelungen soll anwendbar sein. Die Auflösung der Konkurrenz zur Tarifeinheit lautet wörtlich: Es sind „… nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat“ (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Das ist hohe Kunst komprimierten Bürokratendeutsches. Und leider in hohem Maße unklar. 

Klar ist nur die Rechtsfolge an sich: Der Minderheitstarifvertrag wird nicht etwa unwirksam. Er ist nur nicht anwendbar. Damit kann er wieder aufleben, wenn der konkurrierende Tarifvertrag endet (dazu schon oben) und kein neuer Tarifvertrag mit der Mehrheitsgewerkschaft zur Geltung kommt. Vor allem ist der Minderheitstarifvertrag nicht insgesamt unanwendbar, sondern nur, soweit sich die Geltungsbereiche der konkurrierenden Tarifverträge überschneiden. Soweit nur der Minderheitstarifvertrag gilt, bleibt er anwendbar. Das ist Tarifeinheit light, von der Wiederherstellung des vor 2010 geltenden Grundsatzes „ein Betrieb – ein Tarif“ kann nicht die Rede sein.

Außerdem beschränkt sich die Wirkung der Tarifeinheit auf die Tarifnormen eines Tarifvertrages. Die schuldrechtlichen Teile des Tarifvertrages einer Minderheitsgewerkschaft bleiben uneingeschränkt verbindlich. Wahrscheinlich kann sich der Arbeitgeber gegenüber der Minderheitsgewerkschaft in dem Tarifvertrag sogar verpflichten, dessen unanwendbare Rechtsnormen allen Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber kraft einzelvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung zu bringen. Das wäre wenig Anderes als ein vom BAG anerkannter schuldrechtlicher Vertrag zu Gunsten Dritter nach § 328 BGB zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber, der den Arbeitnehmern unmittelbar schuldrechtliche Ansprüche vermittelt (sog. „Schuldrechtlicher Normenvertrag“).

Wie werden die Mehrheitsverhältnisse ermittelt? 

Klar ist an dem oben zitierten Wortlaut des § 4a Abs. 1 Satz 2 TVG wohl nur der Zeitpunkt der Bewertung: Es gilt der Zeitpunkt, zu dem der letzte konkurrierende Tarifvertrag abgeschlossen wurde. Das ist Sicherheit auf Zeit. Die erst einmal unterrepräsentierte Gewerkschaft wird alle Hebel der Mitgliederwerbung in Bewegung setzen. Wenn ihr die Zeit günstig scheint, wird sie ihren Tarifvertrag zu kündigen suchen, um die Neuzählung nach dem Abschluss eines neuen Tarifvertrages herbeizuführen. Ob das zu der vom Gesetz beschworenen Befriedungsfunktion im Betrieb führt, wird abzuwarten sein. Ausnahmsweise gilt ein späterer Zeitpunkt, nämlich wenn die Tarifkonkurrenz erst nach Abschluss der beiden konkurrierenden Tarifverträge eintritt. Das kann z. B. durch späteren Verbandsbeitritt des Arbeitgebers oder infolge von Umstrukturierungen vorkommen.  

Es entscheidet die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Das ist eine ungewöhnliche Definition. Da die Gewerkschaftsmitglieder in einem Arbeitsverhältnis stehen müssen, zählen Auszubildende nicht mit, obwohl die Tarifverträge womöglich gerade für sie gelten. Auf Auszubildende werden zwar arbeitsrechtliche Regeln angewendet. Nach dem einigermaßen klaren Wortlaut des Berufsbildungsgesetzes, aber auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes sind sie aber gerade keine Arbeitnehmer. Ist dieses Ergebnis wirklich gewollt? Umgekehrt dürften leitende Angestellte mit Gewerkschaftsbuch mitzählen, selbst wenn der Tarifvertrag für sie nicht gelten sollte. Für den Beginn des Arbeitsverhältnisses kommt es wohl nicht auf den Abschluss des Arbeitsvertrages an, sondern auf den Zeitpunkt, ab dem das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird (regelmäßig der Arbeitsbeginn). Gekündigte Arbeitnehmer zählen wohl bis zum Beendigungszeitpunkt mit, jedenfalls, sofern sie nicht freigestellt sind. 

Eine weitere Frage: Die Mitglieder im Betrieb müssen in einem Arbeitsverhältnis stehen. Wer ist „im Betrieb“? Wie verhält es sich mit freigestellten Arbeitnehmern, Arbeitnehmern in der Blockfreizeit einer Altersteilzeit, bei ruhendem Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern in Mutterschutz, Elternzeit u.s.w.? Vielleicht liegt eine Parallele zum Betriebsverfassungsgesetz nahe, wenngleich dort eher von Arbeitnehmern „des Betriebs“ oder von „Betrieben/Unternehmen mit x Arbeitnehmern“ und nicht von Arbeitnehmern „im Betrieb“ die Rede ist – genaugenommen ein feiner Unterschied. Meint das Gesetz auch Drittkräfte im Betrieb, die Arbeitnehmer von Werk- oder Dienstvertragspartnern des Arbeitgebers sind? – Das Gesetz besagt nicht, dass die Arbeitsverhältnisse zum Betriebsinhaber bestehen müssen. Doch sinnvoll ist nur das, weil die Anwendung des Tarifvertrags durch den Betriebsinhaber geregelt werden soll. Zählen auch überlassene Zeitarbeitnehmer? Das wäre genauso wenig sinnvoll. 

Ausschlag gibt, wer die meisten Mitglieder hat. Das Gesetz fordert eine relative Mehrheit: Es ist der Tarifvertrag anwendbar, dessen Gewerkschaft mindestens ein Mitglied mehr im Betrieb aufzuweisen hat als alle anderen Gewerkschaften mit konkurrierenden Tarifverträgen. Zu einem Patt kommt es in der Praxis hoffentlich nie. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes wäre in diesem Fall keiner der konkurrierenden Tarifverträge anwendbar. Dann würde nur helfen, einer Gewerkschaft zu einem neuen Mitglied zu verhelfen und den Tarifvertrag mit dieser Gewerkschaft danach neu abzuschließen. Gezählt werden wohl Köpfe, nicht auf Vollzeitkräfte umgerechnete Arbeitnehmer. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird jede Gewerkschaft für sich gezählt. Sollten in einem Betrieb drei Gewerkschaften vertreten sein, von denen zwei in einer Tarifgemeinschaft einheitliche Tarifverträge abschließen, so wären diese auch dann unanwendbar, wenn die beiden Gewerkschaften gemeinsam mehr Mitglieder im Betrieb haben als die Mehrheitsgewerkschaft. Ein Ergebnis, das nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen dürfte.

Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann die Tarifeinheit auf verschiedene Weise gestalten, wenn er den damit verbundenen Aufwand für gerechtfertigt hält. 

Der Betrieb als Basis der Tarifeinheit ist – wie im Hinblick auf andere Maßnahmen wie Betriebsübertragungen, Betriebsratswahlen u.s.w. – gestaltbar. Der Arbeitgeber kann dies einseitig durch eine entsprechende Umformung der Organisation oder der personellen Leitung unternehmen, er kann auch mit Betriebsrat oder einer Gewerkschaft Vereinbarungen über die Abgrenzung des Betriebes treffen. 

Der Arbeitgeber ist ferner nicht zur Neutralität verpflichtet, wenn Gewerkschaften um Mitglieder und um die Mehrheit im Betrieb ringen.

Er kann auch Einfluss auf die Tarifgeltung zu nehmen versuchen. Dies betrifft im Wesentlichen die Anwendung der durch Tarifeinheit verdrängten Tarifverträge. Die im Wege der Tarifeinheit anwendbaren Tarifverträge der Mehrheitsgewerkschaft kann der Arbeitgeber kaum vermeiden. Er müsste die Tarifverträge – soweit Haustarifverträge – entweder kündigen oder – nur mit mittelfristiger Wirkung – aus dem Verband austreten, der den ihn bindenden Verbandstarifvertrag geschlossen hat. 

§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG erklärt die Rechtsnormen des zu verdrängenden Tarifvertrags lediglich für nicht anwendbar. Das hindert den Arbeitgeber natürlich nicht, die Normen trotzdem anzuwenden. Allerdings begibt er sich dann in die Gefahr, eine den angewendeten Tarifnormen entsprechende betriebliche Übung zu begründen. Er kann die Anwendung der Tarifnormen auch durch eine entsprechende Gestaltung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln erreichen oder gleich mit der Gewerkschaft anstelle von Tarifnormen sog. schuldrechtliche Normenverträge vereinbaren, s. oben.

Dem Gesetzgeber schweben augenscheinlich andere Lösungen vor, wie Tarifgemeinschaften zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften, der Abschluss inhaltsgleicher Tarifverträge durch alle konkurrierenden Gewerkschaften oder die in § 4a Abs. 4 TVG neu geschaffene sog. Nachzeichnung des Mehrheitstarifvertrages durch die Minderheitsgewerkschaft.

Verfahrensfragen

Verfahrensfragen seien an dieser Stelle aus Platzgründen nur gestreift. Dies betrifft vor allem die Pflicht des Arbeitgebers, die eine Gewerkschaft über die Aufnahme von Verhandlungen mit der konkurrierenden Gewerkschaft zu informieren, das Recht der nicht verhandelnden Gewerkschaft auf mündliche Anhörung durch den Arbeitgeber (oder einen Vertreter) sowie den sogenannten Nachzeichnungsanspruch, nach dem die Minderheitsgewerkschaft den tarifschließenden Arbeitgeber oder seinen Verband um einen nachfolgenden Abschluss des Tarifvertrages der Mehrheitsgewerkschaft im Überschneidungsbereich bitten darf (§ 4a Abs. 4 und 5 TVG). Ob diese Möglichkeiten von der Minderheitsgewerkschaft als ernstzunehmende Hilfe des Gesetzgebers wahrgenommen werden, darf bezweifelt werden. Dazu sei auf den Newsletter 1/2015 verwiesen.

Ist zweifelhaft, ob ein Tarifvertrag anwendbar oder durch § 4a TVG von einem anderen Tarifvertrag verdrängt wurde, so ist ein eigenes arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren zur Klärung der Lage vorgesehen. Antragsberechtigt ist jede Tarifpartei eines konkurrierenden Tarifvertrages. Die Tatsachenermittlung wurde schon vielmals diskutiert. Die Gewerkschaften werden selten Mitgliederlisten offenbaren wollen. Das Gesetz sieht als neuen Weg den Nachweis durch öffentliche Urkunde, also insbesondere durch den Notar, vor. Wie die Notare diese Aufgabe bewältigen wollen, wird spannend werden. Allein durch eine Mitgliederliste ist an sich noch gar nichts nachgewiesen. Der Notar wird also streng genommen für jeden einzelnen Arbeitnehmer, dessen Mitgliedschaft die Gewerkschaft behauptet, sowohl die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zum entscheidenden Stichtag als auch den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt prüfen müssen. Eine große Aufgabe. Andere Rechtsstreite – etwa Entgeltklagen –, bei denen diese Frage erheblich ist, sollten bis zu dem Ende des Beschlussverfahrens ausgesetzt werden. 

Es bleibt die Frage nach der Erstreikbarkeit eines Minderheitentarifvertrages. Die Mehrheitsverhältnisse können sich für jeden potentiell betroffenen Betrieb anders darstellen. Welches Arbeitsgericht wird es vor diesem Hintergrund für unwahrscheinlich halten, dass die vermeintliche Minderheitsgewerkschaft irgendwo doch Mehrheitsgewerkschaft ist, zumal in einem gerichtlichen Eilverfahren mit lediglich summarischer Prüfung?

Fazit 

Das Gesetz bietet allen Anreiz jeden Versuch zu unternehmen, es nicht anwenden zu müssen, sondern eigene Lösungen zu finden. Ob allerdings schon aufwendige strukturelle Änderungen angezeigt sind, ist im Einzelfall abzuwägen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nicht ad acta gelegt, sondern eine endgültige Entscheidung bis Ende 2016 angekündigt. Vielleicht nimmt das Ende also nur einen längeren Anlauf.

 

Dietmar Heise
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon    +49 711 9338 25719
dietmar.heise@luther-lawfirm.com

 

 

Der schwierige Weg zu einer wirksamen personenbedingten Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten

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Einführung

Es werden drei verschiedene Arten der krankheitsbedingten Kündigung unterschieden: Häufige Kurzerkrankungen, langandauernde Erkrankungen und dauerhafte Arbeitsunfähigkeit.

Ob eine krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist, wird anhand einer vom BAG in ständiger Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 30. September 2010 – 2 AZR 88/09) entwickelten dreistufigen Prüfung kontrolliert: Auf der ersten Stufe ist eine negative Gesundheitsprognose zu stellen, auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob aufgrund der Krankheit eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vorliegt und auf der dritten Stufe ist eine Interessenabwägung durchzuführen.

1. Stufe: Negative Prognose

Bezüglich der Negativprognose ist auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung abzustellen. Es ist jedoch die spätere Entwicklung mit zu bewerten, soweit sie die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätigt (BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13).

Die Schwierigkeit für den Arbeitgeber liegt darin, dass dieser oft keine Informationen über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers hat und der medizinische Dienst der Krankenkassen und der Betriebsarzt keine Auskunft geben dürfen. Lediglich über das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) oder über freiwillige Auskünfte des Arbeitnehmers und dessen Arztes kann der Arbeitgeber Informationen über den Gesundheitszustand erlangen. Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis über die Erkrankung seines Arbeitnehmers, kann er seiner Darlegungslast nur dadurch genügen, dass er auf die bisherigen Fehlzeiten verweist und hieraus folgert, der Arbeitnehmer werde in Zukunft in gleicher Häufigkeit fehlen. Daraufhin hat der Arbeitnehmer darzulegen, weshalb mit seiner alsbaldigen Genesung bzw. warum in Zukunft mit weniger häufigen Erkrankungen zu rechnen ist. Kann der Arbeitnehmer aus eigener Kenntnis keine konkreten Umstände vortragen, die die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten erschüttern, dann kann er die Behauptung des Arbeitgebers bestreiten und die Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Weigert sich der Arbeitnehmer, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, und trägt er auch sonst nichts vor, was für eine baldige Genesung spricht, gilt der Sachvortrag des Arbeitgebers als zugestanden.

Häufige Kurzerkrankungen

Wenn die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen erfolgen soll, müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen oder zumindest in erheblichen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit sprechen indiziell für eine entsprechende Entwicklung in der Zukunft (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. April 2015 – 10 Sa 1702/14). Die bisherigen Krankheiten müssen jedoch prognosefähig sein. Fehlzeiten, die nach Art der Erkrankung keine Aussagekraft für eine Wiederholungsgefahr haben, wie z. B. ausgeheilte Knochenbrüche oder Zerrungen nach Sportunfällen, können für die Zukunftsprognose grundsätzlich nicht herangezogen werden. Allerdings können sich aus der Gesamtheit des Krankheitsbildes eine konstitutionelle Schwächung und damit eine besondere Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers ergeben. In der Praxis der Instanzgerichte wird der „kritische Wert“ an Fehlzeiten bei einer Fehlquote von rund 25 % Arbeitstagen pro Kalenderjahr erreicht. Dies ist allerdings nur ein Anhaltspunkt, keine starre Grenze. Die in der Vergangenheit aufgetretenen Fehlzeiten entfalten nur dann eine Indizwirkung im Hinblick auf künftige Erkrankungen, wenn sie über einen längeren Betrachtungszeitraum auftreten. Auch hier gibt es keine starren Zeiträume. Ein Zeitraum von mindestens drei Jahren dürfte aussagefähig sein. Dabei muss grundsätzlich in jedem Jahr des Betrachtungszeitraums ein kritischer Wert an Fehlzeiten erreicht sein. Eine steigende Tendenz der Fehlzeiten verstärkt die Negativprognose.

Langandauernde Erkrankungen 

Soll die Kündigung wegen einer langandauernden Krankheit erfolgen, ist zumindest bei einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit von rund eineinhalb Jahren grundsätzlich von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen (LAG Hamm, Urteil vom 10. Juli 2014 – 8 Sa 399/14). Eine krankheitsbedingte Kündigung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn die Beschäftigung auf einem weniger belastenden Arbeitsplatz möglich ist und somit die prognostizierten Fehlzeiten erheblich reduziert werden können (LAG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Die Negativprognose kann jedoch nicht gestellt werden, wenn bei Ausspruch der Kündigung eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit absehbar oder zumindest möglich ist. Daher sollte der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung aufgefordert werden, eine ärztliche Bestätigung beizubringen, aus der sich ergibt, ob und wann mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gerechnet werden kann. 

Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit 

Die krankheitsbedingte dauernde Arbeitsunfähigkeit berechtigt den Arbeitgeber zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 1020/08). Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf Dauer erheblich gestört. Von einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit wird ausgegangen, wenn innerhalb der kommenden 24 Monate nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gerechnet werden kann (BAG, Urteil vom 30. September 2010 – 2 AZR 88/09). 

2. Stufe: Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 

Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 –2 AZR 755/13). Bei einer langandauernden Erkrankung ist mangels Entgeltfortzahlung allein auf erhebliche Betriebsablaufstörungen abzustellen.

3. Stufe: Interessenabwägung 

zu fragen, ob die betrieblichen oder wirtschaftlichen Störungen anderweitig verhindert oder in gemindertem Umfang hingenommen werden können. Auf Seiten des Arbeitnehmers sind das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit, die familiären Verhältnisse sowie eine etwaige Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen. Falls die Erkrankung auf einen Arbeitsunfall oder gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz zurückzuführen ist, ist dies ebenfalls zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

Betriebliches Eingliederungsmanagement 

Hohe Praxisrelevanz hat sowohl im Rahmen der Negativprognose wie auch der Interessenabwägung das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX. Der Arbeitgeber muss im  Kündigungsschutzprozess darlegen, dass er kein milderes Mittel als die Kündigung zur Verfügung hatte, um der Besorgnis weiterer Fehlzeiten entgegenzuwirken.  Dieser Nachweis kann problematisch sein, wenn der Arbeitgeber vor Anspruch der Kündigung kein BEM durchgeführt hat. Die Durchführung des BEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung, allerdings können durch das BEM möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 565/12). Wenn der Arbeitgeber ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt hat und es nach Umsetzung der Ergebnisse des BEM weiterhin zu erheblichen Fehlzeiten kommt, reicht dem kündigenden Arbeitgeber die pauschale Behauptung, dass ein milderes Mittel als die Kündigung nicht zur Verfügung steht. Hat der Arbeitgeber hingegen kein BEM durchgeführt, hat er zu beweisen, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht in Betracht kommt, auch nicht zu geänderten Bedingungen auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz.

Einschaltung des Integrationsamts bei schwerbehinderten Arbeitnehmern 

Gemäß § 84 Abs. 1 SGB IX soll der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat und das Integrationsamt einschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten bedarf zudem gemäß § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Es ist daher ratsam, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung eines Schwerbehinderten das Integrationsamt – nicht nur im Rahmen des BEM – einzuschalten. 

Fazit 

Sicherheit gibt die klare dreistufige Prüfstruktur der krankheitsbedingten Kündigung. Die Unsicherheit über die Erfolgsaussicht einer krankheitsbedingten Kündigung ergibt sich aus der Ungewissheit über die Gründe der Arbeitsunfähigkeit und über den Zeitpunkt deren Wiederherstellung.

 

Dr. Volker Schneider
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon    +49 40 18067 12195
volker.schneider@luther-lawfirm.com

 

 

Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige

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EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – C-229/14

Fremdgeschäftsführer gelten als Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie und sind daher bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Anzeigepflicht einer Massenentlassung nach § 17 KSchG zu berücksichtigen.

Der Fall

Gegenstand des Verfahrens ist eine Kündigungsschutzklage. Der beklagte Arbeitgeber hatte dem Kläger, Herrn Balkaya, anlässlich einer Betriebsstillegung betriebsbedingt gekündigt, ohne zuvor eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erstattet zu haben. Im Zeitpunkt der Massenentlassung, bei der sämtliche Arbeitsverhältnisse gekündigt wurden, beschäftigte der Arbeitgeber unstreitig 18 Arbeitnehmer. Die Einordnung von drei weiteren Personen als Arbeitnehmer ist streitig, was für die Feststellung, ob der in § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG vorgesehene Schwellenwert für die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit von 20 Arbeitnehmern erreicht wird, eine Rolle spielt. Für die Einordnung von zwei der drei Personen hielt das vorlegende Gericht Fragen des Unionsrechts für relevant. Zum einen geht es um die Einordnung einer Praktikantin, deren Tätigkeit vom zuständigen Jobcenter gefördert wurde und die keine Ausbildungsvergütung vom Arbeitgeber erhielt. Zum anderen betrifft die Frage den damaligen Geschäftsführer des Arbeitgebers, der keine Gesellschaftsanteile am Arbeitgeber hielt.

Das Arbeitsgericht Verden hat dem EuGH die Frage gestellt, ob auch ein Geschäftsführer und eine Praktikantin/Umschülerin der Kategorie der Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. Nr. 1 KSchG, mit dem Artikel 1 I a) der Richtlinie 98/59 EG in deutsches Recht umgesetzt worden ist, zuzurechnen seien, so dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt der fraglichen Kündigung in dem Betrieb in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt hätte.

Die Entscheidung

Nach dem Urteil des EuGH steht Art. 1 I a) der Massenentlassungs-Richtlinie 98/59/EG der in § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG getroffenen Regelung entgegen, bei der Berechnung der Zahl der Arbeitnehmer ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft unberücksichtigt zu lassen, das seine Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt, als Gegenleistung für seine Tätigkeit eine Vergütung erhält und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzt. 

Der EuGH stellt zunächst fest, dass der Arbeitnehmerbegriff der Massenentlassungsrichtlinie unionsrechtlich auszulegen sei, weil das Ziel der Richtlinie, die unionsweite Angleichung des Arbeitnehmerschutzes und der damit verbundenen Belastungen für Unternehmen, einen einheitlichen Anwendungsbereich erfordere. In der Sache kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass sowohl die Praktikantin als auch der betreffende Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksichtigen seien. Dabei verweist das Gericht auf die bereits in der Entscheidung Danosa (Urteil vom 11. November 2010 – C-232/09 Danosa) entwickelten Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisungen Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das gegen Entgelt Leistungen gegenüber der Gesellschaft erbringe, die es bestellt habe und in die es eingegliedert sei, das seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübe und das jederzeit ohne Einschränkung von seinem Amt abberufen werden könne, erfülle die Voraussetzungen, um als „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts zu gelten. Nach diesen Vorgaben war der Geschäftsführer in dem betreffenden Fall als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 1 I a) der RL 98/59 EG einzustufen und demzufolge bei der Berechnung der dort genannten Schwellenwerte zu berücksichtigen.

Unser Kommentar 

Aus dem Urteil des EuGH folgt, dass die Regelung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG im Hinblick auf Fremdgeschäftsführer europarechtswidrig ist. Es obliegt somit einmal mehr den Arbeitsgerichten, Fremdgeschäftsführer zukünftig in richtlinienkonformer Nichtanwendung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG entgegen dem Wortlaut der Norm für die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Berechnung der Arbeitnehmerzahl bei der Ermittlung der Betriebsgröße als auch bei der Bestimmung der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, wenn ein Fremdgeschäftsführer selbst von der Entlassung betroffen ist. Bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige gegenüber der Bundesagentur für Arbeit sind auch Angaben über den Geschäftsführer zu machen. Ferner ist der Geschäftsführer auch im Rahmen des Konsultationsverfahrens gegenüber dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG zu berücksichtigen. Fehler bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige führen zur Nichtigkeit der Kündigungen.

Der Geschäftsführer genießt selbst ebenfalls den Schutz der Massenentlassungsrichtlinie. Werden im Hinblick auf eine Kündigung des Geschäftsführers die Konsultations- und Anzeigepflichten nicht erfüllt, ist die Kündigung unwirksam. 

Die Entscheidung des EuGH wirft zahlreiche Folgefragen und Rechtsunsicherheiten auf. Das in § 17 Abs. 2 KSchG geregelte Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat passt für den Geschäftsführer nicht, da der Geschäftsführer gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gerade nicht vom Betriebsrat vertreten wird. Weiter wird zu klären sein, wie sich eine kapitalmäßige Beteiligung des Geschäftsführers an der Gesellschaft auf die Einordnung als Arbeitnehmer auswirkt. Es stellt sich die Folgefrage, ob nach dieser Entscheidung des EuGH auch weitere arbeitsrechtliche Vorschriften auf den Fremdgeschäftsführer anzuwenden sind. 

Aus Sicht der Gesellschaft besteht vor dem Hintergrund der neueren Entscheidung des EuGH erhebliche Rechtsunsicherheit über die Rechtsposition des Geschäftsführers. Vorsicht ist insbesondere dann geboten, wenn es auf die Zahl der „Arbeitnehmer“ ankommt, da sich die Frage nach der Einordnung des Geschäftsführers dann auch auf die Wirksamkeit von Maßnahmen im Arbeitsverhältnis auswirken kann. Dem Fremdgeschäftsführer hingegen ist ein weiter Argumentationsspielraum eröffnet.

 

Martina Ziffels
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon    +49 40 18067 12195
martina.ziffels@luther-lawfirm.com

 

 

Neues zur Mitbestimmung bei Mitarbeitergesprächen

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BAG, Urteil vom 17. März 2015 – 1 ABR 48/13

Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates.

Der Fall

Die Beteiligten streiten sich über die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über Mitarbeiterbeurteilungsgespräche. Die Arbeitgeberin hat mehrere Niederlassungen in Deutschland und eine zentrale Personalabteilung. In den Niederlassungen sind Betriebsräte gebildet. Im Jahr 2011 schloss die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen auf der Grundlage von Mitarbeiterjahresgesprächen“ ab. Der Antragsteller ist das Betriebsratsgremium der Niederlassung in H. Er begehrt festzustellen, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung auf den Betrieb der Arbeitgeberin in H keine Anwendung findet. Nach Auffassung des Betriebsrates in H ist die Gesamtbetriebsvereinbarung unwirksam. Seines Erachtens steht ihm und nicht dem Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung der Beurteilungsgrundsätze zu.

Die Entscheidung

Das BAG bejahte, entgegen der Entscheidungen der Vorinstanzen, die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates in seiner Entscheidung nicht, sondern verwies die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück. 

In seinem Urteil stellte das BAG fest, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze nach § 94 Abs. 2 BetrVG besteht. Allgemeine Beurteilungsgrundsätze im Sinne des § 94 bs. 2 BetrVG sind Regelungen, die eine Bewertung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer verobjektivieren oder vereinheitlichen und an Kriterien ausrichten sollen, die für die Beurteilung jeweils erheblich sind. Gegenstand der Mitbestimmung ist die Festlegung der Beurteilungsmerkmale und der Grundlagen der Beurteilung. Nach der Rechtsprechung des BAG erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht auch auf die Ausgestaltung des Beurteilungsverfahrens. Vollzieht sich das Beurteilungsverfahren auf der Grundlage von Mitarbeitergesprächen, werden diese nach Auffassung des BAG auch vom Mitbestimmungsrecht nach § 94 Abs. 2 BetrVG erfasst. Die Gesamtbetriebsvereinbarung fällt daher unter diesen Tatbestand, da sie die Verfahrensweise sowie die generellen Beurteilungsmerkmale und -kriterien aufstellt. Die Mitarbeitergespräche als Basis der Mitarbeiterbeurteilung und als Teil des Personalentwicklungskonzeptes unterfallen ebenfalls diesem Mitbestimmungstatbestand.

Die Ausübung des Mitbestimmungsrechts obliegt in erster Linie dem Betriebsrat in H. Der Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur zuständig, wenn die zu regelnde Angelegenheit mehrere Betriebe betrifft und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Erforderlich ist, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die mehrere Betriebe betrifft und objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Das BAG stellt dabei auf die konkreten Umstände des Unternehmens ab. Nach Ansicht des BAG muss ein für das gesamte Unternehmen geltende Personalentwicklungskonzept überhaupt bestehen. Das bloße Verlangen des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung genügt nicht für die Begründung der originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates. Im vorliegenden Fall konnte das BAG das zwingende Erfordernis für eine einheitliche Regelung nicht erkennen und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung wieder an das Landesarbeitsgericht zurück.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass hinsichtlich der Mitarbeitergespräche dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Diese klaren Worte wären auch im Hinblick auf die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates wünschenswert gewesen. Das BAG versäumte in seinem Urteil die Gelegenheit, dem Landesarbeitsgericht prägnante Kriterien an die Hand zu geben, mittels derer es im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Entscheidung hätte feststellen können. Vielmehr unterstreicht das BAG die besondere Bedeutung der Umstände des Einzelfalls für die Annahme des zwingenden Erfordernisses einer unternehmenseinheitlichen Regelung und versucht aus dem Text der Vereinbarung selbst Anhaltspunkte für das Bedürfnis einer unternehmenseinheitlichen Regelung abzuleiten. Zugleich betont das BAG aber, dass gerade nicht der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung für die Begründung der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates ausreicht.

Die jetzt schon bestehende Rechtsunsicherheit der Praxis bei Handhabung des Rechtsbegriffs des „zwingenden Erfordernisses einer unternehmenseinheitlichen Regelung“ bleibt auch nach dieser Entscheidung bestehen. Die in den Unternehmen dadurch entstehende Herausforderung ist offensichtlich: unternehmenseinheitliche Regelungen mit den einzelnen Betriebsräten vor Ort zu finden wird für Arbeitgeber zur Herkulesaufgabe.

Lediglich im Bereich der freiwilligen Leistungen entscheidet der Arbeitgeber selbst darüber, ob er eine unternehmenseinheitliche und daher in den Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates fallende Leistung gewähren möchte oder ob nur bestimmte Betriebe in den Genuss der Leistung kommen sollen. Im übrigen Bereich der Mitbestimmung lohnt es sich für die Arbeitgeber in Anbetracht der Rechtsunsicherheit weiterhin, sich die Beauftragung des Gesamtbetriebsrates durch die einzelnen Betriebsratsgremien nach § 50 Abs. 2 BetrVG bestätigen zu lassen. Denn Arbeitgebern sollte stets bewusst sein, dass eine mit dem unzuständigen Gesamtbetriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung unwirksam ist und es ihnen im Rahmen der Beweislast obliegt, die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nachzuweisen.

 

Kerstin Belovitzer
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon    +49 711 9338 16709
kerstin.belovitzer@luther-lawfirm.com

 

 

Umfang der Hinweispflichten beim Betriebsübergang

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BAG, Urteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 783/13

Um den Anforderungen an die Hinweispflichten beim Betriebsübergang zu genügen, sind die betroffenen Arbeitnehmer auch über die mögliche Nichtanwendbarkeit eines Tarifvertrages beim Erwerber zu informieren.

Der Fall

Der Kläger war bei der British Force Germany (BFG) in Deutschland als Lagerverwalter beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag nahm Bezug auf die Bestimmungen eines durch die Bundesrepublik Deutschland (BRD) für die Beschäftigten der BFG abgeschlossenen Tarifvertrages. Dieser Tarifvertrag regelte insbesondere auch die Leistung von Überbrückungshilfen an Arbeitnehmer bei Arbeitsplatzverlust einer aus militärischen Gründen angeordneten Auflösung bzw. Verlegung von Dienststellen.

Im August 2011 übertrug die BFG ihr Facilities Management durch Betriebsteilübergang auf ein Privatunternehmen (BSSG). Hierüber, sowie über den Übergang seines Arbeitsverhältnisse auf die BSSG wurde der Kläger in einem gemeinsamen Informationsschreiben der BFG und der BSSG unterrichtet und über sein Widerspruchsrecht belehrt. Gleichzeitig wurde er darüber informiert, dass die BSSG selbst nicht tarifgebunden sei, die zwischen der BRD und der BFG vereinbarten tarifvertraglichen Regelungen jedoch mit dem maßgeblichen Inhalt unverändert gültig bleiben und nicht durch den Betriebsteilübergang berührt würden, soweit die Anwendbarkeit arbeitsvertraglich vereinbart wurde.

Der Kläger wurde zunächst für die BSSG tätig, widersprach aber im Juni 2012 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Hinweis auf die Mangelhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens und bot der BFG seine Arbeitsleistung an. Hierauf kündigte die BFG das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich mit sozialer Auslauffrist.

Der Kläger klagte fristgerecht auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses mit der BFG, sowie darauf, diese zu verurteilen, den Kläger arbeitsvertragsgemäß als Lagerverwalter weiter zu beschäftigen. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG Hamm hat ihr stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Revision der BFG.

Entscheidung

Das BAG wies die Revision als unbegründet zurück. Dabei stellt das Gericht klar, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der BFG auch über den Zeitpunkt des Betriebsübergangs hinaus fortbestand und nicht durch die angegriffene Kündigung beendet wurde. Der Kläger habe mit Erfolg dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die BSSG widersprochen. Das gemeinsame Informationsschreiben der BFG und BSSG entsprach nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB, da es nicht ausreichend über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsüberganges informierte, so dass die Widerspruchsfrist des Klägers nicht in Gang gesetzt wurde.

Zunächst weist das BAG darauf hin, dass die Vorschriften über den Betriebsübergang auch auf die öffentlich-rechtlich organisierte BFG Anwendung finden würden, da es für die Anwendbarkeit des § 613a BGB nicht darauf ankäme, ob an dem Betriebsübergang allein private Unternehmen beteiligt seien. Die Vorschriften zum Betriebsübergang würden grundsätzlich immer dann zur Anwendung kommen, soweit wirtschaftliche Tätigkeiten und nicht lediglich die Ausübung hoheitlicher Befugnisse übertragen würden. Aus diesem Grund müsse auch das für diesen Betriebsübergang erforderliche Informationsschreiben den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.

Das BAG vertritt, wie auch schon das LAG, die Auffassung, dass das Informationsschreiben der BFG und BSSG nicht ausreichend über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsüberganges informiere. Die Widerspruchsfrist für den Übergang des Arbeitsverhältnisses sei daher nicht in Gang gesetzt worden, sodass der Kläger auch noch im Juni 2012 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprechen konnte. Für eine ausreichende Information über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsüberganges hätte es nicht nur der Stellungnahme zur möglichen Fortgeltung von tarifvertraglichen Regelungen, sondern auch zur Anwendbarkeit der Regelungen beim Erwerber bedurft. Zu den wirtschaftlichen Folgen würden nicht nur mögliche unmittelbare, sondern auch mittelbare Folgen zählen, sodass die betroffenen Arbeitnehmer insbesondere auch darüber zu informieren seien, wenn rechtliche Rahmenbedingungen beim Erwerber zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers führen könnten. Bestehen beim Veräußerer tarifvertragliche Regelungen, aus denen sich Ansprüche für einen Arbeitnehmer ergeben, die beim Erwerber nach dem Betriebsübergang möglicherweise nicht mehr entstehen können, sind die Arbeitnehmer hierüber zu informieren. Das Informationsschreiben hätte daher auch Informationen darüber enthalten müssen, ob die sich möglicherweise aus den Tarifverträgen ergebenden Ansprüche gegen einen öffentlich-rechtlichen Veräußerer – vorliegend mögliche Überbrückungsbeihilfen bei Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund militärischer Ursachen – auch weiterhin bei einem privatrechtlich organisierten Erwerber in Betracht kommen können.

Schließlich konnte das Arbeitsverhältnis nicht wirksam außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt werden, da eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei der BFG bestand.

Unser Kommentar

Diese Entscheidung unterstreicht wieder einmal die hohen Anforderungen, die das BAG an die Unterrichtung der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang stellt und setzt damit seine bisherige Linie zu den Rechtsfolgen einer – aus Sicht des BAG – mangelhaften Unterrichtung konsequent fort.

Für die Arbeitgeber ist dieses Urteil lediglich ein weiteres Signal, bei der Unterrichtung über einen Betriebsübergang zuvor sorgfältig alle wirtschaftlichen Risiken zu prüfen und die Arbeitnehmer umfassend zu informieren.

Leider gibt auch diese Entscheidung dem Arbeitgeber keine Hinweise zur Hand, die Arbeitnehmer rechtssicher und den Anforderungen des BAG entsprechend, zu informieren. Neu ist lediglich, dass das BAG mit seiner Entscheidung nunmehr auch die üblichen in Informationsschreiben enthaltenen Bezugnahmeklauseln auf tarifvertragliche Regelungen angreift und Informationen über die mögliche Nichtanwendbarkeit von Tarifverträgen – bzw. sogar bzgl. einzelner Regelungen in einem Tarifvertrag – verlangt.

Es ist daher angeraten, weiterhin besonderen Wert auf die Erstellung von Informationsschreiben zu legen, um der Gefahr bis zur Grenze der Verwirkung bestehender Widerspruchsrechte und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Lasten zu entgehen.

 

Nina Stephan
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
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nina.stephan@luther-lawfirm.com

 

 

Betriebsratstätigkeit ist grundsätzlich keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG

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LAG Hamm, Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14; LAG Hannover, Beschluss vom 20. April 2015 – 12 TaBV 76/14

Betriebsratstätigkeit ist grundsätzlich nicht als Arbeitszeit i.S.d. ArbZG anzusehen, da Betriebsratsmitglieder im Rahmen ihrer Amtstätigkeit nicht den Weisungen des Arbeitgebers unterliegen.

Die Fälle

LAG Hamm: Der Kläger arbeitet im Dreischichtbetrieb im Unternehmen der Beklagten, in welchem er auch Betriebsratsmitglied ist. Am 17. Juli 2015 sollte von 13:00 bis 15:30 Uhr eine Betriebsratssitzung stattfinden. In der Nacht zuvor war der Kläger für die Schicht von 22:00 bis 6:00 Uhr eingeteilt. Aufgrund der bevorstehenden Betriebsratssitzung arbeitete der Kläger jedoch nur bis 2:30 Uhr. Die Beklagte schrieb dem Arbeitszeitkonto daraufhin die Nachschicht nur mit 5,5 Stunden, anstatt mit 7,5 Stunden gut.

Der Kläger verlangt, die fehlenden Zeiten seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Seiner Ansicht nach sei eine frühere Beendigung der Schicht erforderlich gewesen, um am nächsten Tag ausgeruht seiner Betriebsratstätigkeit nachgehen zu können.

LAG Hannover: Die Beklagte ist ein Unternehmen, bei dem ebenfalls im Dreischicht-System gearbeitet wird. Schichtbeginn ist entweder 7:00, 8:00 oder 11:05 Uhr. Betriebsratssitzungen sind donnerstags von 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr. Die Beklagte plant die Betriebsratsmitglieder auch an Sitzungstagen für die Spätschicht (11:05 – 20:15 Uhr), wenn sie in der Woche für die Spätschicht geplant sind, um die Schichtzulage dafür zu erfassen. Hierbei ersetzte sie bislang das jeweilige Betriebsratsmitglied durch einen anderen Mitarbeiter. Die Beklagte beabsichtigt jedoch nunmehr, entsprechende Betriebsratsmitglieder ggf. nach Beendigung der Betriebsratssitzung bis zum Ende der Spätschicht einzusetzen.

Der Betriebsrat beantragt, festzustellen, dass der Arbeitgeber bei Anordnung von Arbeit nach geleisteter Betriebsratsarbeit stets die Zeitgrenzen des § 3 ArbZG zu beachten habe.

Entscheidungen

Sowohl das LAG Hamm als auch das LAG Hannover sind der Ansicht, dass die Zeit, in der ein Betriebsratsmitglied Amtstätigkeiten wahrnimmt, keine Arbeitszeit i.S.d. ArbZG darstellt.

Das LAG Hamm begründet seine Entscheidung damit, dass Arbeit i.S.d. ArbZG nur dann vorliege, wenn eine für den Arbeitgeber bestimmte, seinem Weisungsrecht unterliegende Tätigkeit vorgenommen werde. Betriebsratsarbeit diene gerade dem Wohl der Arbeitnehmer. Auch seien Betriebsratsmitglieder im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht weisungsgebunden. Schließlich stelle Betriebsratstätigkeit ein Ehrenamt dar.

Gleichzeitig ist das LAG Hamm aber der Ansicht, auch wenn das ArbZG nicht unmittelbar anwendbar sei, sei dennoch der Schutzzweck des § 5 Abs. 1 ArbZG zu beachten, wonach die Ruhezeit der angemessenen Entspannung und Erholung sowie der Entfaltung der Persönlichkeit außerhalb des Berufslebens diene. Daher seien Betriebsratsmitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG ohne Kürzung des Arbeitsentgelts von ihrer Arbeitsleistung zu befreien, wenn und soweit dies zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Amtsaufgaben erforderlich sei. Weiter dürfe eine Minderung des Arbeitsentgelts auch dann nicht eintreten, wenn die Betriebsratstätigkeit zwar außerhalb der persönlichen Arbeitszeit liege, sie aber die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich bzw. unzumutbar mache. Einem Betriebsratsmitglied sei daher zuzugestehen, die Arbeit vor dem regulären Schichtende ohne entsprechende Entgeltkürzung zu beenden. Betriebsbedingte Gründe für die Vornahme der Amtstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit einzelner Betriebsratsmitglieder lägen insbesondere dann vor, wenn der Betriebsrat in einem Schichtbetrieb nach vorheriger Verständigung mit dem Arbeitgeber den Termin für eine Betriebsratssitzung (außerhalb der persönlichen Arbeitszeit einzelner Mitglieder) festsetze.

Das LAG Hannover stützt seine Entscheidung ebenfalls darauf, dass es sich bei Betriebsratstätigkeit um ein Ehrenamt handele. Es führt insoweit aus, dass das BetrVG und das ArbZG nicht aufeinander Bezug nehmen würden und daher die für ein Ehrenamt aufgewendete Zeit keine Arbeitszeit i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG sei. Der Arbeitgeber würde andernfalls für die Einhaltung des ArbZG haften, ohne – aufgrund der Autonomie des Betriebsrats bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben – etwaige Verstöße dagegen verhindern zu können. Gleichwohl seien die Maßstäbe des ArbZG bei der Ausübung des Direktionsrechts mittelbar zu berücksichtigen. Bei Teilnahme an einer Betriebsratssitzung, die außerhalb der persönlichen Arbeitszeit eines Betriebsratsmitglieds liege, kann diesem ein Anspruch auf bezahlte Freistellung zustehen, soweit es ihm unmöglich oder unzumutbar ist, die vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten. Eine Unzumutbarkeit sei insb. dann anzunehmen, wenn die Summe der Zeit der Betriebsratstätigkeit und der persönlichen Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschreite. Im Einzelfall könnten jedoch geringfügige Überschreitungen zumutbar sein.

Gegen beide Entscheidungen wurde Revision zum BAG eingelegt (LAG Hamm: BAG, 7 AZR 224/15; LAG Hannover: BAG, 7 AZR 17/15).

Unser Kommentar 

Der praktische Gewinn der Entscheidungen ist gering. Auch wenn Betriebsratsarbeit dogmatisch keine Arbeitszeit i.S.d. ArbZG darstellt, wird dennoch eine mittelbare Berücksichtigung des ArbZG bejaht. Es fehlt damit weiterhin eine eindeutige Regelung, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang Betriebsratsmitglieder, bei außerhalb der persönlichen Arbeitszeit geleisteten Amtstätigkeit, nach § 37 Abs. 2 BetrVG von der Arbeitsleistung freizustellen sind.

Die Rechtsprechung bejaht einen Anspruch auf Freistellung, soweit die Arbeitsleistung aufgrund von (aus betriebsbedingten Gründen) außerhalb der persönlichen Arbeitszeit vorgenommenen Amtstätigkeiten unmöglich oder unzumutbar sei. Wann dies im konkreten Fall anzunehmen sein soll, bleibt jedoch offen. Das LAG Hannover bejaht eine Unzumutbarkeit grundsätzlich jedenfalls dann, wenn die Summe der Zeit der Betriebsratstätigkeit und der persönlichen Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschreiten würde.

Da sich diese Problematik nicht nur bei Betriebsratsmitgliedern stellt, sondern auch bei Jugend- und Auszubildendenvertretern sowie bei der Schwerbehindertenvertretung und bei ehrenamtlichen Richtern, bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungen des BAG mehr Klarheit bringen werden.

Jana Hunkemöller
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon    +49 211 5660 18783
jana.hunkemoeller@luther-lawfirm.com

 

 

Arbeitszeitumfang bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung

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BAG, Urteil vom 25. März 2015 – 5 AZR 602/13

Fehlt es an einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit, darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde „in Vollzeit“ beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt.

Steht fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde aber nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden schätzen.

Der Fall

Die Parteien stritten über die Vergütung von Überstunden. Die Beklagte betrieb ein privates Omnibusgewerbe. Der Kläger war als Busfahrer beschäftigt. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag eine Tätigkeit „in Vollzeit“ vereinbart, ohne eine konkrete Stundenzahl zu benennen. Im Übrigen enthielt der Arbeitsvertrag den Hinweis, die Arbeitszeit sei „dem Arbeitnehmer bekannt“. Der Kläger wurde auf 14 verschiedenen Bustouren im Linienverkehr eingesetzt. Der Kläger hat mit seiner Klage – ausgehend von einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden – die Vergütung von 649,65 Überstunden verlangt. Er hat dazu für jeden Arbeitstag des streitgegenständlichen Zeitraums unter Angabe des benutzten Fahrzeugs und der gefahrenen Linie Anfang und Ende der Arbeit dargelegt und bei seiner Berechnung arbeitstäglich eine Stunde Pause berücksichtigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger unter Anwendung von § 287 ZPO Vergütung für 108 geleistete Überstunden zugesprochen. Mit der Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Bei dem Arbeitsvertrag handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB. Diese seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden würden. Die Vereinbarung einer Beschäftigung „in Vollzeit“ sei dahingehend auszulegen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit bei einer fünf-Tage-Woche und einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden (§ 3 Satz 1 ArbZG) 40 Wochenstunden nicht übersteige. Solle hingegen mit der Formulierung „in Vollzeit“ die nach geltendem Recht zulässige Höchstgrenze der Arbeitszeit ausgeschöpft werden, müsse dies durch eine konkrete Stundenangabe oder zumindest durch eine hinreichend bestimmte Bezugnahme auf den arbeitsschutzrechtlich eröffneten Arbeitszeitrahmen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Da sich die vereinbarte Arbeitszeit allein durch Auslegung des Arbeitsvertrages ermitteln lasse, komme es auf die betriebsübliche Arbeitszeit nicht an.

Das Bundesarbeitsgericht ging sodann davon aus, dass eine Vergütungserwartung im Hinblick auf geleistete Überstunden bestehe (§ 612 Satz 1 BGB). Dies ergebe sich jedenfalls daraus, dass im betreffenden Wirtschaftszweig die Vergütung von Überstunden – sogar mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 % – tariflich vorgesehen sei.

Die Vergütung von Überstunden setze weiter voraus, dass solche tatsächlich geleistet und vom Arbeitgeber veranlasst worden oder ihm zurechenbar seien. Die Darlegungs- und Beweislast liege beim Arbeitnehmer. Stehe allerdings nach § 286 ZPO fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitsgebers geleistet wurden, und könne der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, dürfe eine richterliche Schätzung nach § 287 ZPO erfolgen. Die für eine Schätzung unabdingbaren Anknüpfungstatsachen müsse der Arbeitnehmer darlegen und beweisen.

Die Voraussetzungen für eine solche richterliche Schätzung hätten im konkreten Fall vorgelegen. Die dem Kläger nach seinem substantiierten und unbestrittenen Vortrag von der Beklagten zugewiesene Arbeit sei nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen gewesen. Die Revision habe keine Umstände benannt, die die durch das Landesarbeitsgericht vorgenommene Schätzung des Mindestmaßes von geleisteten Überstunden auf eine halbe Stunde je Arbeitstag als willkürlich gegriffen habe erscheinen lassen.

Unser Kommentar

Das Bundearbeitsgericht hat sich im vorliegenden Fall wieder einmal mit der Ermittlung der geschuldeten Arbeitszeit auseinandergesetzt. Dabei hat es deutlich gemacht, dass es zur Ermittlung der geschuldeten Arbeitszeit in erster Linie auf die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung ankommt. Erst wenn sich diese nicht bereits durch Auslegung des geschlossenen Arbeitsvertrages ermitteln lässt, kann die betriebsübliche Arbeitszeit herangezogen werden. Hierin unterschied sich der entschiedene Fall von früheren Entscheidungen, beispielsweise dem Urteil vom 15. Mai 2013 (10 AZR 325/12). Denn im dortigen Sachverhalt konnte die geschuldete Arbeitszeit auch durch Auslegung des Arbeitsvertrages nicht ermittelt werden.

Bemerkenswert ist ein weiterer tragender Umstand der Entscheidung: Die Anforderungen an die dem Arbeitnehmer obliegende Darlegungs- und Beweislast werden durch die Zulassung einer richterlichen Schätzung im Überstundenprozess deutlich erleichtert. Hierdurch dürften einige Fälle zugunsten des Arbeitnehmers entschieden werden können, obwohl dieser gerade nicht in der Lage ist, die Erbringung jeder einzelnen Überstunde darzulegen und zu beweisen. Die vom Tatsachengericht vorgenommene Schätzung ist auch nur sehr eingeschränkt nachprüfbar, indem das Bundesarbeitsgericht eine Willkürkontrolle durchführt. Aus Arbeitgebersicht sind daher eine klare Regelung zur Arbeitszeit und zur Erbringung von Überstunden sowie eine Dokumentation der durch den Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsstunden dringend zu empfehlen, um im Überstundenprozess substantiierten Gegenvortrag erbringen zu können.

 

Dr. Jennifer Rasche
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon    +49 511 5458 16242
jennifer.rasche@luther-lawfirm.com

 

 

Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Renteneintritt

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BAG, Urteil vom 11. Februar 2015 – 7 AZR 17/13

Allein der Bezug der gesetzlichen Altersrente kann – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 41 Satz 3 SGB VI – eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei oder nach Erreichen des Regelalters für die gesetzliche Altersrente nicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG rechtfertigen.

Der Fall

Der im Jahr 1945 geborene Kläger bezieht seit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 21. Januar 2010 gesetzliche Altersrente und war bei der Beklagten langjährig beschäftigt. Der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag sah keine Regelung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters vor. Am 22. Januar 2010 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 enden soll. Im Anschluss an diese Abrede verlängerten die Parteien das Arbeitsverhältnis dreimal. Zuletzt schlossen die Parteien eine Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2011 endet und der Kläger bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses eine noch einzustellende Ersatzkraft einarbeiten soll. Nachdem die Beklagte eine über den 31. Dezember 2011 hinausgehende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ablehnte, erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Klage und begehrt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede zum 31. Dezember 2011 geendet hat.

Die Entscheidung

Die Vorinstanzen wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass der Bezug der gesetzlichen Altersrente ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund sei, welcher eine Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG rechtfertige. Das Bundesarbeitsgericht teilte diese Rechtsauffassung nicht und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf. Diese für den Kläger positive Entscheidung begründete das Bundesarbeitsgericht damit, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 41 Satz 3 SGB VI allein der Bezug der gesetzlichen Alterstrente ein nicht ausreichender Sachgrund für eine Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG darstelle. Eine Sachgrundbefristung könne allerdings gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen kann und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einer konkreten, im Zeitpunkt der Vereinbarung der Befristung bestehenden Personalplanung des Arbeitgebers diene. Alternativ hierzu könne die Befristung ebenfalls gerechtfertigt sein, wenn ein in der Person des Arbeitnehmers liegender sozialer Zweck den Arbeitgeber zur Befristung veranlasst hat oder wenn die Befristung auf dem Wunsch des Arbeitnehmers beruht. Da das Landesarbeitsgericht zu diesen drei möglichen Varianten noch keine Feststellungen getroffen hat, verwies das Bundesarbeitsgericht den Fall zurück an das Landesarbeitsgericht.

Unser Kommentar

Fehlt es an einer Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Eintritt des Regelalters für die gesetzliche Altersrente endet, so besteht das Arbeitsverhältnis auch nachdem der Arbeitnehmer das gesetzliche Renteneintrittsalters erreicht hat, unbefristet fort. Eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Rentenbefristungsabrede, welche dem Arbeitnehmer den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses nimmt, unterliegt daher den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. In der vorliegenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht erstmals klargestellt, dass allein der Bezug der gesetzlichen Altersrente eine Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 nicht rechtfertigen kann.

Entsprechend dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts kann eine solche Sachgrundbefristung jedoch zulässig sein, wenn der Arbeitnehmer rentenberechtigt ist und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einer konkreten Personalplanung des Arbeitgebers dient. Die Personalplanung muss jedoch bereits zum Zeitpunkt der Befristungsabrede bestehen. Der Arbeitgeber sollte dementsprechend die konkrete Personalplanung rechtzeitig und vollständig dokumentieren. Als geeignete Personalplanungsmaßnahmen kommen insbesondere die Einarbeitung einer Ersatzkraft oder eine Beschäftigung des Arbeitnehmers zur Überbrückung bis zur Nachbesetzung der Stelle in Betracht.

Alternativ lässt das Bundesarbeitsgericht auch eine Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG zu, wenn diese aus sozialen Gründen zu Gunsten des Arbeitnehmers erfolgt. Diesbezüglich gilt jedoch zu beachten, dass die sozialen Erwägungen das ausschließliche oder zumindest überwiegende Motiv des Arbeitgebers sein müssen. In der betrieblichen Praxis wird eine Weiterbeschäftigung aus sozialen Gründen daher eher selten vorkommen. Zudem ist eine solche Befristungsabrede für den Arbeitgeber auch riskant, da dieser im Streitfall den sozialen Zweck für den Abschluss des Vertrags anhand nachprüfbarer Tatsachen darlegen und beweisen muss.

Auch der Wunsch des Arbeitgebers zur befristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann einen Sachgrund im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG darstellen. Sollte sich der Arbeitgeber hierauf berufen, so trägt er im Streitfall die vollständige Darlegungs- und Beweislast, dass die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses allein auf Wunsch des Arbeitsnehmers erfolgte und der Arbeitnehmer an der Fortsetzung seines unbefristeten Arbeitsverhältnisses kein Interesse mehr hatte.

Um derartige Befristungsproblematiken und das Fortbestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Renteneintrittsalters bereits im Vorfeld zu vermeiden, empfiehlt sich für den Arbeitgeber zwingend die Aufnahme einer arbeitsvertraglichen Regelung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des Regelalters für die gesetzliche Altersrente endet. Sofern eine solche Regelung besteht, ist der Anwendungsbereich des § 41 Satz 3 SGB VI eröffnet. Die gesetzliche Regelung des § 41 Satz 3 SGB VI ist seit Juni 2014 in Kraft und ermöglicht den Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den vertraglich vorgesehen Beendigungszeitpunkt – gegebenenfalls auch mehrfach – hinauszuschieben. Mithin stellt § 41 Satz 3 SGB VI eine gesetzliche Sonderregelung zu § 14 TzBfG dar und ermöglicht eine flexiblere Gestaltung der vorgesehenen Altersgrenze.

 

Florian Marquardt
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.
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florian.marquardt@luther-lawfirm.com

 

 

Nachrichten in Kürze

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Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb

BAG, Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14

Die 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Arbeitgeberin seit 1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis der Arbeitgeberin waren vier weitere Arbeitnehmerinnen tätig, die jünger waren als die Klägerin. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis wurde im Mai 2013 zum 31. Dezember 2013 wegen Veränderungen im Laborbereich, die eine Umstrukturierung der Praxis erforderten, gekündigt. Bei der Kündigung wurde angeführt, dass die Klägerin inzwischen pensionsberechtigt sei. Außer der Klägerin wurde keinen weiteren Arbeitnehmern gekündigt. Die Klägerin klagte gegen die Kündigung und verlangte eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse nach Ansicht der Klägerin eine Benachteiligung wegen des Alters vermuten. Die Beklagte trug hingegen vor, dass die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden sollte. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 – 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Mit den übrigen Arzthelferinnen sei die Klägerin nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Daher habe die Beklagte der Klägerin kündigen müssen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hatte mit der Revision beim BAG Erfolg. Nach Ansicht des BAG verstößt die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam. Wenn bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach §§ 22 AGG zu vermuten ist und es dem beklagten Arbeitgeber nicht gelingt, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam. Die Beklagte hat nach Ansicht des BAG keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der Pensionsberechtigung zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Das BAG konnte indes nicht entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin ein Entschädigungsanspruch zusteht. Insoweit wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen. 

Diskriminierung durch Spätehenklausel in der Hinterbliebenenversorgung

BAG, Urteil vom 4. August 2015 – 3 AZR 337/13

Die Klägerin ist die Witwe eines im April 1947 geborenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten. Der Mitarbeiter der Beklagten ist im Dezember 2010 verstorben. Ihm waren von der Beklagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einschließlich einer Witwenversorgung zugesagt worden. Die maßgebliche Pensionsregelung bei der Beklagten enthält eine sogenannte „Spätehenklausel“, wonach Voraussetzung für die Zahlung der Versorgung für Witwen/Witwer ist, dass der versorgungsberechtigte Mitarbeiter die Ehe vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat. Diese Voraussetzung erfüllte der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht. Die Ehe war erst am 8. August 2008 geschlossen worden. Die Beklagte weigerte sich daher, Witwenrente an die Klägerin zu zahlen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die von der Klägerin eingelegte Revision hatte beim BAG Erfolg. Nach Ansicht des BAG ist die Spätehenklausel gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der verstorbene Ehemann der Klägerin wurde durch die Spätehenklausel unmittelbar wegen des Alters benachteiligt. Die Benachteiligung kann nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt werden. Eine Rechtfertigung lässt § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG bei der Unterscheidung nach dem Alter im Rahmen von betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit unter erleichterten Voraussetzungen zu. Sie erfasst, soweit es um Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geht, nur die Alters- und Invaliditätsversorgung und nicht die Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwenversorgung. Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung liegen demnach nicht vor. Die Spätehenklausel führt zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer.

Probezeitverlängerung durch längere Kündigungsfrist

LAG Stuttgart, Urteil vom 6. Mai 2015 – 4 Sa 94/14

Der Kläger war bei der Beklagten als Accountmanager angestellt. Während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers. Die Beklagte kündigte nicht mit der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist, sondern mit einer längeren Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende. In dem Kündigungsschreiben machte die Beklagte deutlich, dass sie dem Kläger während des Laufs der verlängerten Kündigungsfrist die Möglichkeit zur Bewährung geben wolle. Der Kläger klagte gegen die Kündigung mit der Begründung, die während der Wartezeit ausgesprochene Kündigung mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende stelle eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes dar. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts erfolgte die Verlängerung der Kündigungsfrist nicht aus überwiegenden Arbeitgeberinteressen, sondern, um dem Arbeitnehmer eine Bewährungschance einzuräumen. Es sei unerheblich, dass mit der Kündigung keine verbindliche Wiedereinstellungszusage verbunden wurde. Der Kläger legte Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil ein mit der Begründung, dass nach der Rechtsprechung des BAG für eine verlängerte Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit neben der Einräumung einer Bewährungschance erforderlich sein soll, dass für den Fall einer Bewährung die Wiedereinstellung verbindlich und fest zugesagt werde.

Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat die arbeitsgerichtliche Entscheidung bestätigt. Während des Zeitraums der Wartezeit sei der Arbeitnehmer nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts lediglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Eine sitten- oder treuwidrige Ausübung des Kündigungsrechts könne vorliegen, wenn die Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit mit der Intention erklärt werde, den Erwerb des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. Hierfür müssten entsprechende Umstände vorliegen, die Rückschlüsse auf einen solchen Willen des Arbeitgebers zulassen. Vorliegend habe der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben ausdrücklich mitgeteilt, dass er dem Arbeitnehmer eine Chance zur Bewährung ermöglichen wolle und für den Fall der Bewährung bereit ist, mit dem Kläger über einen neuen Arbeitsvertrag zu sprechen. Unerheblich sei, dass die Beklagte dem Kläger damit keine verbindliche Wiedereinstellungszusage gegeben hat. Auch bei einer verbindlichen Wiedereinstellungszusage liege die Beurteilung der Wiedereinstellung allein im Ermessen des Arbeitgebers.

Umfassender Anspruchsausschluss durch Ausgleichsklausel im gerichtlichen Vergleich

BAG, Urteil vom 27. Mai 2015 – 5 AZR 137/14

Der Kläger war bei der Beklagten, die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung betreibt, vom 10. Juni 2008 bis zum 30. November 2009 als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Im Rahmen der Beschäftigung wurde der Kläger von der Beklagten verschiedenen Entleihern als Elektrohelfer überlassen. In einem beim Arbeitsgericht Nürnberg geführten Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien am 9. Dezember 2009 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. November 2009 endete. Der Vergleich enthielt unter anderem eine Verpflichtung der Beklagten, für September 2009 brutto EUR 334,25 zu zahlen, für die Zeit vom 19. Oktober 2009 bis zum 30. November 2009 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten und den offenen Resturlaub und die offenen Gutstunden auszuzahlen. Der Vergleich enthielt zudem eine Ausgleichsklausel, wonach über die im Vergleich geregelten Rechte hinaus keine Partei mehr gegen die andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung hat, unabhängig davon, ob solche zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bekannt oder unbekannt waren und auf welchem Rechtsgrund sie beruhen. Im Mai 2013 klagte der Kläger gegen die Beklagte unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG für die Zeit vom 10 Juni 2008 bis zum 16. Oktober 2009 auf die Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und dem Entgelt, das Entleiher im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben sollen. Der Kläger begründete die Klage damit, dass der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt als gesetzlicher Anspruch von der Ausgleichsklausel des Vergleichs nicht erfasst werde. Mit der Ausgleichsregelung im Vergleich hätten nach Ansicht des Klägers nicht alle im Vergleich nicht angesprochenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zum Erlöschen gebracht werden sollen, Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt seien im Kündigungsrechtsstreit nicht thematisiert worden. Ein Anspruchsverzicht sei mit dem gebotenen Schutz des Leiharbeitnehmers und der Sicherstellung des Gebots der Gleichbehandlung unvereinbar. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage des Klägers zurückgewiesen.

Die vom Kläger beim BAG eingelegte Revision hat keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG sind Ansprüche des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt für die Dauer der jeweiligen Überlassungen im Streitzeitraum aufgrund der Ausgleichsklausel des Prozessvergleichs vom 9. Dezember 2009 erloschen. Zwar hatte der Kläger für die streitgegenständlichen Zeiten der Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Der Anspruch des Klägers ist aufgrund der Ausgleichsklausel jedoch erloschen. Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung, wonach die Ausgleichsklausel ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis im Sinne des § 397 Abs. 2 BGB darstellt, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung des BAG stand. Die Parteien haben mit der Ausgleichsklausel nicht lediglich die von ihnen angenommene Rechtslage festgestellt und dokumentiert, sondern sie im Sinne einer abschließenden Klärung der beiderseitigen Ansprüche gestaltet. Die Parteien wollen, wenn in einem gerichtlichen Vergleich eine umfassende, sich auf bekannte und unbekannte Ansprüche unabhängig von ihrem Rechtsgrund erstreckende Ausgleichsklausel aufgenommen und nicht nur der Rechtsstreit erledigt wird, in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend und umfassend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig ob sie an sie dachten oder nicht. Jede andere Auslegung würde den angestrebten Vergleichsfrieden in Frage stellen. Anhaltspunkte für einen abweichenden Vergleichswillen der Parteien sieht das BAG vorliegend nicht. Dabei sei es unerheblich, ob mögliche Ansprüche des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt Gegenstand der Vergleichsverhandlungen waren, denn die Klausel erstrecke sich ausdrücklich selbst auf unbekannte Ansprüche. Die Ausgleichsklausel ist auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Zwar kann eine vom Arbeitgeber gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung, die den Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt rückwirkend ausschließt und einen kompensationslosen Verzicht auf bereits entstandene Ansprüche auf equal pay bezweckt, eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen. Diese Voraussetzungen sind jedoch vorliegend nicht erfüllt. Es handelt sich bei der Ausgleichsklausel nicht um eine Allgemeine Geschäftsbedingung.

Begründung eines Anspruchs auf Sonderzahlung durch schlüssiges Verhalten

BAG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14

Der Kläger war vom 1. Mai 1992 bis zum 19. November 2010 bei der Beklagten als Bauleiter zu einem Monatsgehalt von zuletzt EUR 5.300,00 brutto beschäftigt. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab es nicht. Der Kläger erhielt von der Beklagten jährlich zusammen mit der Novembervergütung ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Monatsgehalts. Zudem erhielt der Kläger mit der am 10. Januar des Folgejahres ausgezahlten Vergütung für Dezember einen auf der Gehaltsabrechnung als „Sonderzahlung“ ausgewiesenen Betrag der sich im Jahr 2007 auf EUR 10.000,00 brutto und in den Jahren 2008 und 2009 auf jeweils EUR 12.500,00 brutto belief. Der Kläger war der Auffassung, ihm stünde auch für das Jahr 2010 eine Sonderzahlung in Höhe von EUR 12.500,00 brutto zu, da die Beklagte durch die vorbehaltlose Leistung einer Sonderzahlung in drei aufeinanderfolgenden Jahren ihm gegenüber konkludent eine entsprechende Zahlungsverpflichtung begründet habe. Die geringere Höhe der Sonderzahlung im Jahr 2007 und die unterjährige Beendigung des Arbeitsverhältnisses stünden dem Anspruch nicht entgegen. Nachdem die Beklagte die Zahlung verweigerte, machte der Kläger diese gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Das BAG sah die Revision des Klägers als begründet an. Das BAG teilte die Ansicht der Vorinstanzen nicht, wonach der Kläger allenfalls einen Rechtsanspruch gegen die Beklagte auf eine Sonderzahlung für den Fall erworben habe, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am Jahresende (Stichtag) noch bestanden habe und aufgrund der unterjährigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine anteilige Sonderzahlung für das Jahr 2007 ausscheide. Die gebotene Auslegung des Vortrags beider Parteien ergebe nach Ansicht des BAG vielmehr, dass der Kläger aufgrund einer konkludent geschlossenen arbeitsvertraglichen Abrede mit der Beklagten einen Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung für das Kalenderjahr 2010 gegen die Beklagte erworben hat, der mit der Dezember-Vergütung fällig geworden ist und dessen Höhe die Beklagte nach billigem Ermessen zu bestimmen hat. Für die Auslegung der Handlung der Beklagten sei zugrunde zu legen, dass der Kläger in den Jahren 2007 bis 2009 eine Sonderzahlung erhalten hat, deren Steigerung nicht proportional zur Entwicklung der Monatsvergütung des Klägers erfolgte. Aus der Bezeichnung der Leistung als Sonderzahlung in den jeweiligen Abrechnungen ihrer dreimaligen vorbehaltlosen Auszahlung und ihrer unterschiedlichen Höhe konnte der Kläger auf ein verbindliches Angebot der Beklagten im Sinne von § 145 BGB des Inhalts schließen, in jedem Jahr eine Sonderzahlung zu leisten. Umstände, die dafür sprechen, dass die Beklagte nur in dem jeweiligen Auszahlungsjahr eine Sonderzahlung leisten und keine weitere Bindung eingehen wollte, ergeben sich aus dem Vortrag der Parteien nicht. Der Senat hält an der im Zusammenhang mit einer betrieblichen Übung mit Urteil vom 28. Februar 1996 (10 AZR 516/95) vertretenen Auffassung, bei der Leistung einer Zuwendung in jährlich individuell unterschiedlicher Höhe fehle es bereits an einer regelmäßigen gleichförmigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen und es komme darin lediglich der Wille des Arbeitgebers zum Ausdruck, in jedem Jahr neu „nach Gutdünken“ über die Zuwendung zu entscheiden, ausdrücklich nicht fest. Aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Sonderzahlungen in den Jahren 2007 bis 2009 konnte der Kläger nach Auffassung des BAG jedoch nicht davon ausgehen, die Sonderzahlung betrage auch für das Jahr 2010 EUR 12.500,00 brutto. Der Kläger habe die Beklagte vielmehr so verstehen müssen, dass diese Jahr für Jahr über die Höhe Sonderzahlung neu entscheidet. Der Anspruch des Klägers auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2010 ist auch nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2010 abhängig. Da die Beklagte nach dem bisherigen Prozessverlauf keinen Anlass dazu hatte, dazu vorzutragen, welche Vereinbarungen sie mit dem Kläger über die Höhe der Sonderzahlung getroffen hat, war der Rechtsstreit für das BAG nicht entscheidungsreif und wurde an das LAG zurückverwiesen.

Vorlage von Gesprächsnotizen im Rahmen der Unterrichtung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen

BAG, Beschluss vom 14. April 2015 – 1 ABR 58/13

Im Wesentlichen streiten die beteiligte Arbeitgeberin und der beteiligte Betriebsrat über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung eines Arbeitnehmers. Bei der Arbeitgeberin besteht eine Betriebsvereinbarung über Auswahlrichtlinien für die Einstellung und Versetzung (BV Auswahlrichtlinien). In der BV Auswahlrichtlinien heißt es unter anderem, dass für die Auswahl der Bewerber ausschließlich die aus den Bewerbungen ersichtlichen Unterlagen, die bisherigen Leistungen sowie das Verhalten und die gewonnenen Informationen aus den geführten Bewerbungsgesprächen entscheidend sind. Zudem seien bei gleicher fachlicher und persönlicher Eignung im Zweifelsfall Bewerber mit der längeren Betriebszugehörigkeit vorzuziehen. Am 17. April 2012 schrieb die Arbeitgeberin die Stelle des „Teamleader Outbound (m/w)“ aus. Für die Stelle gingen mehrere interne Bewerbungen ein. Nach Durchführung von Bewerbungsgesprächen entschloss sich die Arbeitgeberin, die ausgeschriebene Stelle mit dem Arbeitnehmer M zu besetzen. Mit Schreiben vom 25. Juni 2012 beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten Versetzung des Arbeitnehmers M und informierte den Betriebsrat über die eingegangenen Bewerbungen, den Verlauf der mit den Bewerbern geführten Bewerbungsgespräche sowie über die Gründe für die Auswahlentscheidung. Dem Unterrichtungsschreiben waren zudem die von den jeweiligen Bewerbern eingereichten Bewerbungsunterlagen beigefügt. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur beantragten Maßnahme mit Schreiben vom 28. Juni 2012 und begründete dies damit, dass die Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin gegen die BV Auswahlrichtlinien verstoße. Die nicht berücksichtigten Bewerber verfügten über eine längere Betriebszugehörigkeit als der Arbeitnehmer M. Die Arbeitgeberin beantragte beim Arbeitsgericht unter anderem die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers M als Teamleader zu ersetzen. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin habe ihn nicht ausreichend über den Inhalt der Bewerbungsgespräche unterrichtet. Der Betriebsrat meint, die anlässlich der Bewerbungsgespräche von einer Personalsachbearbeiterin gefertigten Aufzeichnungen hätten ihm vorgelegt werden müssen. Die Zustimmungsverweigerung sei zu Recht erfolgt, weil die Arbeitgeberin bei der beabsichtigten Stellenbesetzung die in der BV Auswahlrichtlinien vereinbarten Grundsätze missachtet hätte. Die Arbeitgeberin hatte mit ihrem Antrag sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

Die von dem Betriebsrat eingelegte Rechtsbeschwerde wies das BAG als unbegründet zurück. Nach Ansicht des BAG hat die Arbeitgeberin das Zustimmungsverfahren in Bezug auf die beabsichtigte Versetzung des Arbeitnehmers M ordnungsgemäß eingeleitet. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG über die geplante personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Urkunden zu unterrichten. Erforderlich und ausreichend ist eine Unterrichtung, die es dem Betriebsrat ermöglicht, aufgrund der mitgeteilten Tatsachen zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe gegeben ist. In Bezug auf die Versetzung des Arbeitnehmers M wurde der Betriebsrat unter Vorlage der eingereichten Bewerbungsunterlagen und unter Begründung der getroffenen Auswahlentscheidung hinreichend unterrichtet. Weitere Angaben waren nicht erforderlich. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats musste die Arbeitgeberin ihm auch nicht die von der Personalsachbearbeiterin anlässlich der Bewerbungsgespräche erstellten Aufzeichnungen zur Verfügung stellen. Dem Betriebsrat sind nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zwar nicht nur die Unterlagen der nicht berücksichtigten Bewerber vorzulegen, sondern auch die Schriftstücke, die der Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens über die Bewerber erstellt hat. Hierzu gehören Unterlagen, die der Arbeitgeber allein oder zusammen mit den jeweiligen Bewerbern anlässlich einer Bewerbung erstellt hat aber nur, wenn der Arbeitgeber diese Schriftstücke bei seiner Auswahlentscheidung berücksichtigt. Aufzeichnungen, die hierfür ohne jegliche Bedeutung sind, muss der Arbeitgeber nicht vorlegen. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat die Personalsachbearbeiterin die während der Bewerbungsgespräche gefertigten Gesprächsnotizen nur als Erinnerungsstütze für die Besprechung mit ihrem Vorgesetzten und für die Abfassung des an den Betriebsrat gerichteten Unterrichtungsschreibens erstellt. Damit hatten die Gesprächsnotizen für die Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin keine Bedeutung. Ein Verstoß gegen die Auswahlrichtlinien, wie ihn der Betriebsrat annimmt, hat das BAG nicht gesehen.