16.11.2020

Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts zu Messenger-Diensten – Der nächste Schritt zur „Super-Verbraucherschutzbehörde“ in der digitalen Welt?

Die Nutzung von Messenger-Diensten gehört zum Alltag vieler Verbraucher*innen. Fast jeder versendet täglich Nachrichten, Fotos und Videos oder führt Telefonate via Mobilfunk und Internet. Gerade auch in Zeiten der Pandemie und damit verbundener Einschränkungen physischer Kontakte nimmt die Nutzung von Messenger-Diensten weiter zu. Unklar ist jedoch, in welchem Umfang die übermittelten Daten überhaupt geschützt sind. Mit dieser Frage befasst sich das Bundeskartellamt in seiner am 12. November 2020 eingeleiteten Sektoruntersuchung. Zudem wird untersucht, ob eine höhere Interoperabilität verschiedener Messenger-Dienste die Auswahl datenschutzfreundlicher Dienste beeinflusst. Das Bundeskartellamt wird damit einmal mehr nicht nur als Wettbewerbsbehörde, sondern auch als Verbraucherschutzbehörde tätig.

Hintergrund

Das Bundeskartellamt ist befugt, sog. „Sektoruntersuchungen“ durchzuführen. Lassen z.B. starre Preise oder andere Umstände vermuten, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist, kann das Bundeskartellamt einen bestimmten Wirtschaftszweig untersuchen (§ 32e Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“)). Im Rahmen dieser Ermittlungen kann die Behörde von weitreichenden Auskunftsrechten Gebrauch machen (§ 32e Abs. 2 GWB). In der Regel werden Experten und Unternehmen der Branche befragt, um Marktbedingungen zu untersuchen, Wettbewerbsbeschränkungen zu identifizieren und Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

Mit der 2017 in Kraft getretenen 9. GWB-Novelle wurden diese Befugnisse auf den Verbraucherschutz ausgeweitet. Das Bundeskartellamt darf Sektoruntersuchungen nunmehr auch zum Schutze verbraucherrechtlicher Vorschriften durchführen. Voraussetzung ist ein begründeter Verdacht erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucher*innen beeinträchtigen (§ 32e Abs. 5 GWB). Einen solchen Verdacht, insbesondere in Bezug auf mögliche Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen, sieht das Bundeskartellamt bei Messenger-Diensten. Daneben ermittelt es zur Interoperabilität zwischen verschiedenen Messenger-Diensten, die typischerweise nicht miteinander interoperabel sind, sodass nur mit Nutzern desselben Dienstes kommuniziert werden kann. Bevorzugt werden daher häufig diejenigen Messenger-Dienste mit den meisten Kontakten. Kunden wechseln deshalb auch eher selten zu Angeboten mit besseren Datenschutzstandards trotz des in Art. 20 EU-Datenschutzgrundverordnung verankerten Grundsatzes der Datenportabilität.

Von der Wettbewerbs- zur Verbraucherschutzbehörde

In gerade einmal zweieinhalb Jahren hat das Bundeskartellamt von seinen neuen Befugnissen bereits vier Mal Gebrauch gemacht und Sektoruntersuchungen im Bereich von Online-Vergleichsportalen, zur Datennutzung von Smart-TV-Herstellern und zur Funktionsweise von Nutzerbewertungssystemen vor dem Hintergrund sog. „Fake-Bewertungen“ durchgeführt (für weitere Informationen siehe hier).

Auch die Rechtsprechung scheint das Bundeskartellamt in seinen „Verbraucherschutzbemühungen“ zu unterstützen. So hatte z.B. der Bundesgerichtshof („BGH“) im Juni dieses Jahres im Eilverfahren bestätigt, dass Facebook durch weitreichendes Datensammeln über verschiedene Dienste auch außerhalb der eigenen Plattform nicht nur gegen Datenschutzrecht verstoßen, sondern zugleich eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen könnte. Damit bestätigte der BGH die Auffassung des Bundeskartellamtes, das deswegen gegen Facebook ein Verfahren eingeleitet hatte (wobei das Amt aber nach eigenem Bekunden seinerzeit eng mit Datenschutzbehörden kooperiert habe).Zur Facebook-Entscheidung des BGH siehe bereits hier.

Wie ein Blick über den Tellerrand verdeutlicht, steht das Bundeskartellamt im internationalen Vergleich nicht allein. Die De Autoriteit Consument & Markt („ACM“) in den Niederlanden ist neben der Wettbewerbsaufsicht und der sektorspezifischen Regulierung mit der Durchsetzung von Verbraucherschutzgesetzen beauftragt, die Autorité de la Concurrence in Frankreich soll der Wettbewerbsfähigkeit und den Verbrauchern dienen, die Competition & Markets Authority („CMA“) in Großbritannien dient neben dem Wettbewerbsrecht ebenfalls dem Verbraucherschutz, ebenso wie die Australian Competition & Consumer Commission („ACCC“) in Australien oder die Competition and Consumer Commission of Singapore („CCCS“), deren Namen bereits den Verbraucherschutz- und den Wettbewerbsaspekt erkennen lassen.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, zu welchen Ergebnissen die aktuelle Sektoruntersuchung führen wird. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen aber bereits jetzt, dass sich das Bundeskartellamt zunehmend zu einer umfassenden Verbraucherschutzbehörde entwickelt, auch wenn die gesetzlichen Befugnisse noch viel zu eingeschränkt sind, um von einer „Super- Verbraucherschutzbehörde“ zu sprechen. Da der wirtschaftliche Wert von Daten im digitalen Zeitalter von Facebook, Google, Amazon & Co. immer mehr an Bedeutung gewinnt, werden wirtschaftliche bzw. wettbewerbliche Themen zwangsläufig immer mehr Berührungspunkte zu verbraucherrechtlichen Themen entwickeln und je nach Einzelfall der Kontrolle des Bundeskartellamtes unterliegen. Unternehmen mit digitalen Tätigkeitsbereichen sind daher gut beraten, spätestens jetzt mit Blick auf die zunehmend ausgeübten Ermittlungsbefugnisse intern zu prüfen, ob sie auch tatsächlich rechtskonform aufgestellt sind, insbesondere im Business-to-Consumer („B2C“)-Bereich.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes findet sich hier.

Autor/in
Dr. Stefanie Hellmich, LL.M.

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Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)

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Samira Altdorf, LL.M. (Brussels School of Competition)

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