02.06.2025
Der für den Autokauf zuständige VIII. Senat des Bundesgerichtshofs („BGH“) hat sich mit Beschluss vom 25. Februar 2025 - VIII ZR 143/24 zu dem Erfordernis einer Telefonnummer in einer selbst verfassten Widerrufsbelehrung geäußert.
Der in dem großvolumigen Klagekomplex federführend von Luther-Partnerin Dr. Anika Wendelstein beratene Automobilhersteller („Beklagte“) verkauft über seine deutsche Vertriebsgesellschaft Kraftfahrzeuge im Direktvertrieb an Kunden in Deutschland. In der gegenüber den Käufern von der Beklagten verwendeten, selbst formulierten Widerrufsbelehrung war keine Telefonnummer angegeben.
In der sogenannten EIS-Rechtsprechung des für Wettbewerbsrecht zuständigen I. Senats hatte der BGH entschieden, dass ein Unternehmer wettbewerbsrechtlich verpflichtet ist, Verbraucher vorvertraglich über eine Telefonnummer zu informieren, wenn er die gesetzlich vorgesehene Musterwiderrufsbelehrung verwendet (Urteil vom 24. September 2020 – I ZR 169/17). Dieses Urteil griffen eine Vielzahl von Einzelverbrauchern auf und argumentierten, dass sie auf Grund einer fehlenden Telefonnummer auch nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist von 14 Tagen zum Widerruf berechtigt seien.
Vor dem Hintergrund sah sich die Beklagte einer Vielzahl von Widerrufen und entsprechender Klagen im gesamten Bundesgebiet ausgesetzt.
Der Kläger, ein Verbraucher, kaufte von der Beklagten ein Fahrzeug über den Online-Vertrieb. Die Beklagte stellte bei Vertragsschluss dem Kläger eine selbst formulierte Widerrufsbelehrung ohne die Angabe einer Telefonnummer zur Verfügung. Das Fahrzeug wurde dem Kläger im August 2022 übergeben.
Rund 10 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs erklärte der Kläger per E-Mail den Widerruf seiner auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung. Der Kläger argumentierte, dass ihm durch die fehlende Telefonnummer ein verlängertes Widerrufsrecht auch nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist von 14 Tagen zustehe.
Mit der Klage machte der Kläger unter anderem die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs geltend. In den Vorinstanzen unterlag der Kläger, zuletzt vor dem Kammergericht Berlin, welches die Revision nicht zugelassen hatte. Mit dem Beschluss hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verworfen.
Der BGH hat sich – wie auch schon die Vorinstanz – umfassend der Ansicht der Beklagten angeschlossen und beschlossen, dass die Beklagte nicht zur Angabe einer Telefonnummer in der selbst formulierten Widerrufsbelehrung verpflichtet ist, wenn die Postanschrift sowie ihre E-Mail Adresse angegeben wird. Der Widerruf des Klägers war daher verfristet.
Der BGH legt die durch Artikel 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB umgesetzte Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU („Verbraucher-RL“) aus und betont, dass diese keine Verpflichtung zur Angabe einer Telefonnummer enthält. Zudem liege keine Irreführung des Verbrauchers vor, wenn eine im Internet leicht auffindbare und verfügbare Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht ausdrücklich genannt wird.
Der BGH stellt zunächst fest, dass der Wortlaut der Verbraucher-RL keine Beantwortung der Frage enthält, welche Kommunikationsmittel bei Fernabsatzverträgen in der selbst verfassten Widerrufsbelehrung anzugeben sind und ob neben der Postanschrift und der E-Mail Adresse auch eine Telefonnummer anzugeben ist. Der BGH beantwortet diese Frage mit Rekurs auf den Kontext und den Regelungszweck der Verbraucher-RL.
Bezüglich des Kontexts stellt der BGH fest, dass der Unionsgesetzgeber in der Regelung Art. 6 Abs. 1 Buchst. h) Verbraucher-RL keine Angabe der Telefonnummer vorgesehen hat. Dort heißt es nur, dass der Unternehmer über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren zu informieren hat. An anderer Stelle ist jedoch eine Regelung zur Telefonnummer vorhanden (z.B. in Art. 6 Abs. 1 lit. c und Art. 5 Abs. 1 lit. b Verbraucher-RL). Auch aus der Musterwiderrufsbelehrung, welche die Angabe einer Telefonnummer enthält, lässt sich eine verpflichtende Angabe nach dem BGH nicht herleiten. Diese ist systematisch nachgelagert (Art. 6 Abs. 4 Verbraucher-RL) und lässt sich daher nicht auf den vorliegenden Fall einer selbst formulierten Widerrufsbelehrung anwenden, so der BGH. Im Gegenteil stellt der BGH vielmehr fest, dass der Unionsgesetzgeber in den Erwägungsgründen der Verbraucher-RL im Hinblick auf die Verteilung der Beweislast für die Tatsache, dass der Widerruf innerhalb der in der Richtlinie festgelegten Fristen erfolgt ist, sogar von einem Telefonanruf abrät.
Auch die Regelungsziele der Verbraucher-RL sprechen nach dem BGH gegen die Verpflichtung zur Angabe einer Telefonnummer. Nach dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) soll sichergestellt werden, dass der Verbraucher neben der Information über seinen Vertragspartner auch die notwendigen Informationen bekommt, um sein Widerrufsrecht wirksam auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2019 - C-649/17, NJW 2019, 3365, Rn. 41 - Amazon EU). Hierzu gehören die Informationen zur schnellen und effizienten Kontaktaufnahme mittels geeigneter Kommunikationsmittel, wobei die Beurteilung der Kommunikationsmittel den nationalen Gerichten überlassen wird (EuGH, ebd.). Der BGH betont, dass es zu einer schnellen und effizienten Kontaktaufnahme der im Internet tätigen Beklagten – über die Post- und E-Mail-Anschrift hinaus – nicht erforderlich ist, eine Telefonnummer anzugeben. Die Telefonnummer war im Fall des BGH zudem auf der Internetseite angegeben, was nach dem BGH durch den EuGH ausdrücklich gebilligt wurde (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2019 - C-649/17, NJW 2019, 3365 Rn. 52 - Amazon EU).
Der BGH befasst sich darüber hinaus auch mit der Frage, ob eine – unterstellte – unvollständige Aufklärung überhaupt einem Anlaufen der Widerrufsfrist entgegenstehen würde.
Nach dem BGH ist neben der formal unvollständigen oder unzutreffenden Information erforderlich, dass der Verbraucher dadurch irregeführt wurde und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte. Erst dann ist die Belehrung fehlerhaft. Dies ergibt sich aus den anzuwendenden Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH zur Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-38/21, C-47/21, C-232/21, juris Rn. 253, 264 - BMW Bank).
Die fehlende Angabe der – bereits mitgeteilten und unschwer im Internet auffindbaren – Telefonnummer hat sich nach dem BGH nicht auf die Fähigkeit des Verbrauchers ausgewirkt, sein Widerrufsrecht auszuüben und den Verbraucher damit nicht irregeführt. Insbesondere hat sich dies nicht auf die rechtzeitige – fristgerechte – Ausübung des Widerrufsrechts ausgewirkt, da die Beklagte andere Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat, ohne die Möglichkeit eines Telefonats auszuschließen.
Der BGH wandte die EIS-Rechtsprechung, nach der eine Telefonnummer angegeben werden müsse, ausdrücklich nicht auf diesen Fall an. Die EIS-Rechtsprechung bezog sich auf die Verwendung einer Musterwiderrufsbelehrung – nicht auf eine selbst verfasste Widerrufsbelehrung – und auf einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht (UWG).
Der BGH hält die Wirksamkeit der Widerrufsbelehrung auch ohne Telefonnummer sowie eine fehlende Irreführung des Verbrauchers in diesem Fall für derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt und verzichtet daher auf eine Vorlage an den EuGH.
Der BGH hat in dem Musterfall bemerkenswert schnell und ausführlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung genommen. Durch dieses Vorgehen hat er den mit einer Vielzahl von Klagen konfrontierten Instanzgerichten, der Beklagten sowie den klagenden Verbrauchern Rechtssicherheit verschafft.
Der Beschluss des BGH ist zu begrüßen. Verbraucherschutz ist wichtig, aber die Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. In den gegen die Beklagte gerichteten Fällen kamen die Kläger weit nach Ablauf des 14-Tages-Zeitraumes auf die Idee, sich von dem Kaufvertrag über ein hochpreisiges Neufahrzeug lösen zu wollen, und suchten dafür nach „Formfehlern“. Nach dem BGH kann der Fehler für den Fernabsatzverkäufer nur dann negative Konsequenzen haben, wenn die unterlassene Angabe verpflichtend war und das Ausbleiben der Angabe den Verbraucher tatsächlich irreführt, sodass er die Widerrufserklärung nicht ordnungsgemäß (fristgemäß) ausüben kann. Nichtsdestotrotz ist für Fernabsatzverkäufer Vorsicht geboten. Schon der kleinste Fehler bei der Belehrung kann eine Klagewelle auslösen. Selbst wenn sie am Ende als Sieger herausgehen, dürfen der Reputationsschaden und die mit den Prozessen verbundenen internen und externen Aufwände nicht unterschätzt werden.
Dr. Johannes Teichmann
Partner
Frankfurt a.M.
johannes.teichmann@luther-lawfirm.com
+49 69 27229 26475
Julian Wantzen, LL.M. (Wellington)
Associate
Frankfurt a.M.
julian.wantzen@luther-lawfirm.com
+49 69 27229 25903