13.05.2020

Betriebsratssitzungen in der Corona-Krise / Digitale Beschlussfassung

Schon seit Langem ist der Einsatz digitaler Arbeitsmittel wie insbesondere Telefon und Videokonferenzen in der Arbeitswelt sämtlicher Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Dienen sie bislang im Wesentlichen der effektiven Gestaltung der operativen Arbeit, erlangen sie in diesen Zeiten der Corona-Pandemie herausragende Bedeutung, um den Arbeitsalltag überhaupt aufrechterhalten zu können. Ein Bereich des Arbeitsrechts hinkte der digitalen Kommunikation bislang – zumindest in gesetzlicher Hinsicht – weit hinterher; die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung. Um die Arbeitsfähigkeit von Betriebsräten auch in der aktuellen Corona-Krise zu gewährleisten, hat der Bundestag nun (befristete) Neuregelungen beschlossen.

Hintergrund

Die Frage, ob Betriebsräte Sitzungen in Form von Telefon- oder Videokonferenzen abhalten und dabei wirksam Beschlüsse fassen können, wird seit einigen Jahren in der Literatur intensiv diskutiert. Grundsätzlich können Beschlüsse des Betriebsrats nur auf einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung gefasst werden. Sie sind gemäß § 33 Abs. 1 BetrVG mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder zu fassen. Wegen des Erfordernisses der Anwesenheit ist eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren nicht möglich. Eine erhebliche Anzahl von Literaturmeinungen hält Betriebsratssitzungen im Wege von Videokonferenzen für unzulässig. Überwiegend werden Verstöße gegen das Anwesenheitserfordernis bei der Abstimmung nach § 33 Abs. 1 BetrVG sowie der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz aus § 30 Satz 4 BetrVG zur Begründung herangezogen. Teils wird aber auch die Zulässigkeit von virtuellen Betriebsratssitzungen und -abstimmungen angenommen, wenn die Abstimmung offen erfolgt und alle Betriebsratsmitglieder zugeschaltet sind.

Im Betriebsverfassungsgesetz sind Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenzen schlicht nicht vorgesehen. Das Gesetz geht von der analogen Betriebsratssitzung aus. Die aktuelle Corona-Krise verdeutlicht noch einmal, dass dies nicht mehr zeitgemäß ist. Der Umstand, dass Betriebsratsmitglieder aufgrund der Schließung ihrer Betriebe nicht vor Ort sind oder zur Vermeidung persönlicher Kontakte im Homeoffice arbeiten, stellt zwar eine besondere Ausnahmesituation dar, die aber das Erfordernis des Einsatzes digitaler Kommunikationsmittel auch bei der Betriebsratsarbeit ganz besonders aufzeigt.

Beschlüsse sind nur dann wirksam, wenn die Sitzung formal ordnungsgemäß abläuft.
Oftmals behelfen sich Betriebe/Unternehmen – auch schon vor Zeiten der Corona-Pandemie – mit Regelungsabreden, wonach sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat sich schuldrechtlich verpflichten, die Formunwirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen nicht zu rügen. Auch wenn dies eine sehr weit verbreitete Praxis ist, ist sie nicht ganz risikofrei. Selbst wenn man an der Regelungsabrede sowie ihrer Zulässigkeit und Wirkung festhält, besteht die Unsicherheit, ob sich nicht aber ein Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit formfehlerhaft gefasster Betriebsratsbeschlüsse berufen kann. Als Beispiel dient etwa der im Rahmen einer Betriebsratsanhörung zu einer beabsichtigten Kündigung gefasste Betriebsratsbeschluss per Videokonferenz. Durch die Regelungsabrede werden nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nämlich lediglich Arbeitgeber und Betriebsrat auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene berechtigt und verpflichtet, normative Wirkung in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter kommt der Regelungsabrede dagegen nicht zu. Es besteht also ein erhöhtes Risiko von Klagen durch Arbeitnehmer oder sonstiger dritter Partien wie bspw. der Agentur für Arbeit.

In diesem Kontext und um die Arbeitsfähigkeit von Betriebsräten auch in der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie zu gewährleisten, hat der Bundestag am 23. April 2020 eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes mit dem „Arbeit-von-Morgen” - Gesetz beschlossen. Das Gesetz enthält weitere Anpassungen, mit denen die Bundesregierung auf die Corona-Krise reagiert.

Im Rahmen einer Ministererklärung hatte der Bundesarbeitsminister bereits im März verlauten lassen, sein Ressort vertrete die Auffassung, dass die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen wie WebEx-Meetings oder Skype in der aktuellen Lage zulässig sein soll. Dies gelte sowohl für die Zuschaltung einzelner Betriebsratsmitglieder als auch für eine virtuelle Betriebsratssitzung. Beschlüsse, die in einer solchen Sitzung gefasst werden, sollen wirksam sein (https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2020/arbeit-der-betriebsraete-unterstuetzen.html). 

Nun liegt der Entwurf der gesetzlichen Grundlage vor, der eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes vorsieht. Der Betriebsrat wird in der Sitzung vom 15. Mai 2020 über das entsprechende Einspruchsgesetz abstimmen.

Mit der Einführung eines neuen § 129 BetrVG sollen Betriebsräte die Möglichkeit erhalten, Beschlüsse auch mittels Video- und Telefonkonferenz zu fassen, solange sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung soll unzulässig sein. Die Regelung soll für Betriebsräte vorläufig bis zum 31. Dezember 2020 gelten und rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft treten, sodass bereits virtuell erfolgte Beschlüsse rechtswirksam sein können. Dies gilt mithin auch für Einigungsstellen. Auf diese Weise sollen die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Betriebsräte sichergestellt werden und gleichzeitig gesundheitliche Risiken durch Präsenzsitzungen verhindert werden. Befristet bis Ende des Jahres sollen auch Betriebsversammlungen audio-visuell durchgeführt werden können.

Entsprechende Änderungen sind im Übrigen auch im BPersVG sowie im LPersVG vorgesehen.

Auch wenn diese Gesetzesänderung sicherlich zu begrüßen ist, stellt sich durchaus die Frage, aus welchen Gründen man die digitale Beschlussfassung nun lediglich befristet bis Ende des Jahres erlaubt. Sowohl für die Betriebsräte als auch für die Arbeitgeber wäre es wünschenswerter, eine solche Öffnung auch für Zeiten nach der Corona-Pandemie nutzen zu können. Die entsprechende Änderung auch für die Zeit über dem 31. Dezember 2020 hinaus ist umso mehr geboten, dürfte die nunmehr beschlossene befristete Änderung wiederum ein Anzeichen dafür sein, dass das bisherige BetrVG – zumindest nach dem Verständnis des Gesetzgebers – die digitale Beschlussfassung tatsächlich nicht zulässt.