23.09.2016

Arbeitsrecht 3. Ausgabe 2016

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##### Eilmeldung: Allgemeinverbindlicherklärung des Sozialkasseverfahrens des Baugewerbes für unwirksam erklärt #####

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In zwei Entscheidungen vom 21. September 2016 hat das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren des Baugewerbes vom 15. Mai 2008, 25. Juni 2010 und 17. März 2014 für unwirksam erklärt.

Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge regeln Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes gewährt zusätzliche Altersversorgungsleistungen. Zur Finanzierung werden auf Basis der Tarifverträge Beiträge von Arbeitgebern erhoben. Durch die Allgemeinverbindlicherklärungen galten die Tarifverträge nicht nur für tarifgebundene Unternehmen der Bauwirtschaft, sondern für alle Arbeitgeber der Branche. Herangezogen wurden von der Sozialkasse auch zahlreiche Unternehmen anderer Branchen, die eine eigene Bauabteilung haben.

Die Feststellung der Unwirksamkeit durch die Urteile wirkt für und gegen jedermann. Dies hat zur Folge, dass für die maßgeblichen Zeiträume nur tarifgebundene Arbeitgeber des Baugewerbes beitragspflichtig waren. Andere Arbeitgeber der Baubranche waren zu Zahlungen nicht verpflichtet. Rechtskräftig abgeschlossene Klageverfahren über Beitragsansprüche werden jedoch nicht berührt.

Ob und in welchem Umfang Rückforderungsansprüche für fälschlich zu Beiträgen herangezogene Arbeitgeber bestehen, war nicht Gegenstand des Urteils des Bundesarbeitsgerichts. Solche Ansprüche kommen aber unter Berücksichtigung von Verjährungsfristen in Betracht.

Verjährungsfristen beachten:

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und ist eine Jahresendverjährung. Es empfiehlt sich deshalb, rechtzeitig Maßnahmen vor dem 31. Dezember zu ergreifen, um den Eintritt der Verjährung zu hemmen. Weiterungen können sich auch für tarifgebundene Unternehmen ergeben. Hier bleibt aber die Analyse des Urteils abzuwarten. Mit Vorlage der Entscheidungsgründe rechnen wir zu Beginn des neuen Jahres.

Änderung im BGB macht die Anpassung von Standard-Arbeitsverträgen erforderlich

Der Bundestag hat am 17. Februar 2016 ein Gesetz zur Änderung des BGB beschlossen. Konkret wird das Recht über allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), § 309 Nr. 13 BGB, neu gefasst.

Der Bundestag hat am 17. Februar 2016 ein Gesetz zur Änderung des BGB beschlossen. Konkret wird das Recht über allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), § 309 Nr. 13 BGB, neu gefasst. Nach dem 1. Oktober 2016 vereinbarte Klauseln sind dann unwirksam, wenn sie dem Verbraucher für die Abgabe von Erklärungen oder Anzeigen eine strengere Form vorschreiben als es nach dem Gesetz erforderlich ist.

I. Vorbemerkung

Die Änderung des § 309 Nr. 13 BGB ist bislang nur wenig beachtet worden. Tatsächlich hat diese Gesetzesänderung eine hohe praktische Relevanz (nicht nur für das Arbeitsrecht). Denn in der Gesetzesbegründung heißt es bereits:

„Aufgrund der Änderung im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen Unternehmer ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern, wenn sie darin Schriftformerfordernisse für Erklärungen und Anzeigen nach § 309 Nummer 13 BGB vorsehen. Dies wird schätzungsweise einen einmaligen Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 70 Millionen Euro verursachen.

Die Zahl der auch gegenüber Privatpersonen verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Schriftformklauseln enthalten, wurde nach Befragung von Wirtschaftsverbänden vom Statistischen Bundesamt grob auf rund 750.000 geschätzt.“

(BT-Drucksache 18/4631 vom 15. April 2015, S. 15)

In der Gesetzesbegründung fehlt allerdings ein Hinweis darauf, dass auch der Arbeitsvertrag eine AGB darstellt und der Arbeitnehmer Verbraucher im Sinne des AGB-Rechts ist. Bei diesem Gesetz kam es dem Gesetzgeber nämlich hauptsächlich auf den Schutz des Verbrauchers bei dem Abschluss von Verträgen im Internet an (vgl. BR-Drs. 18/4631, S. 17f.). Daher ist davon auszugehen, dass Arbeitsverträge – diese sehen regelmäßig Schriftformerfordernisse für Erklärungen und Anzeigen vor – bei den obenstehenden Schätzwerten nicht berücksichtigt wurden. Tatsächlich werden sowohl Erfüllungsaufwand als auch die Zahl der gegenüber Privatpersonen verwendeten AGB in ganz erheblichem Maße über den Angaben des Gesetzgebers liegen.

II. Die Gesetzesänderung im Überblick

Neben der Änderung des § 309 BGB hat der Gesetzgeber in einer Überleitungsvorschrift klargestellt, dass die neue Fassung des § 309 Nr. 13 BGB nur für nach dem 30. September 2016 geschlossene Verträge gelten soll.

1. Die Regelung des § 309 Nr. 13 BGB n. F.

Nach § 309 Nr. 13 BGB n. F. (Form von Anzeigen und Erklärungen) sind AGB – also jede für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung – unwirksam, wenn diese eine Bestimmung enthalten,

durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, gebunden werden

a) an eine strengere Form als die schriftliche Form in einem Vertrag, für den durch Gesetz notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist oder

b) an eine strengere Form als die Textform in anderen als den in Buchstabe a genannten Verträgen[Hervorhebung durch den Verfasser] oder

c) an besondere Zugangserfordernisse.“

Dies bedeutet, dass Verbraucher ab dem 1. Oktober 2016 nur noch dann zur schriftlichen Abgabe einer Erklärung oder Anzeige verpflichtet werden können, wenn der Vertrag, der diese Verpflichtung enthält, kraft Gesetzes notariell beurkundet werden muss. Typisches Beispiel für einen kraft Gesetzes notariell zu beurkundenden Vertrag ist der Grundstückskaufvertrag. Unberührt bleiben dabei selbstverständlich solche Fälle, in denen das Gesetz selbst für die Abgabe von Erklärungen die Schriftform vorschreibt (bspw. gemäß § 623 BGB bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag). Weiterhin findet diese Regelung keine Anwendung im Zusammenhang mit dem Schriftformerfordernis bei einer Vertragsänderung. Eine solche erfolgt nämlich – gemäß § 305b BGB ohnehin auch mündlich möglich – gemeinsam durch beide Vertragsparteien.

Im Gegensatz zur Schriftform (d.h. „ein Blatt Papier“ mit eigenhändiger Unterschrift oder notariell beglaubigtem Handzeichen) ist bei der Textform die Abgabe einer lesbaren Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger – dies umfasst die Erklärung auf „einem Blatt Papier“, in einer E-Mail, in einem auf einem USB-Stick übermittelten Word- oder Pdf-Dokument etc. – ausreichend; eine eigenhändige Unterschrift erfordert die Textform nicht.

2. Übergangsregelung ab dem 1. Oktober 2016

Daneben hat der Gesetzgeber in einer Überleitungsvorschrift festgelegt, dass § 309 Nr. 13 BGB n. F. ausschließlich auf solche Verträge anzuwenden ist, die nach dem 30. September 2016 entstehen. Demnach steht fest, dass bestehende Verträge nicht angepasst werden müssen und existierende Vertragsmuster bis zum 30. September 2016 verwendet werden können.

III. Bedeutung für Arbeits- und Dienstverträge

Mit der Änderung des § 309 Nr. 13 BGB beabsichtigt der Gesetzgeber – wie eingangs bereits erwähnt – eigentlich, Verbraucher bei im Internet geschlossenen Verträgen besser zu schützen. Denn diesbezügliche AGB sehen regelmäßig Schriftformerfordernisse für Erklärungen (insbesondere bei Kündigungen) vor. Tatsächlich unterliegen auch Arbeitsverträge einer AGB-Kontrolle (s. oben). Da Arbeitsverträge nicht notariell beurkundet werden müssen, dürfen Arbeitnehmer (also auch leitende Angestellte etc.) also ab dem 1. Oktober 2016 nicht mehr vertraglich verpflichtet werden, bestimmte Erklärungen oder Anzeigen ausschließlich schriftlich abzugeben. 

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass entsprechende Verpflichtungen jedenfalls auch in Dienstverträgen mit Fremdgeschäftsführern nach § 309 Nr. 13 BGB n. F. unwirksam sein werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Fremdgeschäftsführer bei Abschluss seines Anstellungsvertrages Verbraucher, wenn er „nicht zugleich als Gesellschafter über zumindest eine Sperrminorität verfügt und Leitungsmacht über die Gesellschaft ausüben kann“ (BAG, Urteil vom 19. Mai 2010 – Az. 5 AZR 253/09).

Der § 309 Nr. 13 BGB n.F. ist bei dem Abschluss zukünftiger Arbeitsverträge deshalb von Bedeutung, da Arbeitsverträge typischerweise Bestimmungen enthalten, die den Arbeitnehmer zur schriftlichen Abgabe von Anzeigen oder Erklärungen verpflichten. So werden Arbeitnehmer bspw. regelmäßig verpflichtet, der Personalabteilung eine Adressänderung oder die Verpfändung von Arbeitseinkommen schriftlich anzuzeigen.

Um Verstöße gegen § 309 Nr. 13 BGB n. F. zu vermeiden, sollte bei Klauseln, die Schriftformerfordernisse für Erklärungen oder Anzeigen vorsehen, ab dem 1. Oktober 2016 das Wort „schriftlich“ durch „in Textform“ ersetzt werden. 

IV. Sonderfall: Ausschluss- und Verfallfristen

Der wichtigste Anwendungsfall des § 309 Nr. 13 BGB n. F. liegt jedoch bei den üblichen Ausschluss- bzw. Verfallfristen. Danach verfallen Ansprüche regelmäßig dann, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich geltend gemacht werden.

1. Was ändert sich rein praktisch für Arbeitgeber?

Rein praktisch hat diese Gesetzesänderung keine Auswirkungen. Der § 309 Nr. 13 BGB n. F. entspricht der ohnehin bestehenden Rechtslage im Arbeitsrecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es zur Einhaltung von Ausschlussfristen – dies gilt sowohl für arbeits- als auch tarifvertragliche Ausschlussfristen – nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Ansprüche in Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB (also mit einem eigenhändig unterzeichneten Schriftstück) geltend macht. Vielmehr reicht es aus, wenn der Arbeitnehmer die Textform des § 126b BGB – bspw. durch eine E-Mail – wahrt (vgl. BAG, Urteil vom 7. Juli 2010 – Az. 4 AZR 549/08).

Dies bedeutet, auch wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeits- oder Tarifvertrages verpflichtet ist, Ansprüche schriftlich geltend zu machen, ist die Geltendmachung per E-Mail oder Telefax mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausreichend und entspricht im Übrigen der ohnehin oftmals gelebten Praxis. Insoweit hat die Regelung des § 309 Nr. 13 BGB n. F. lediglich klarstellende Funktion.

2. Warum müssen Arbeitgeber dennoch handeln?

Ungeachtet der praktischen Auswirkung, müssen Arbeitgeber ihre Arbeitsverträge zwingend anpassen. Soweit in Arbeitsverträgen ab dem 1. Oktober 2016 weiterhin dieses Formerfordernis (also „schriftlich“) für Erklärungen und Anzeigen enthalten sein sollte, stellt dies einen Verstoß gegen § 309 Nr. 13 BGB n.F. dar. Wenn Unternehmen ihre Standard-Arbeitsverträge also nicht ändern, führt dies zur Unwirksamkeit der jeweiligen Bestimmung.

Fraglich ist dann, ob dies zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel führt oder im Rahmen des sogenannten blue-pencil Tests lediglich der unwirksame Teil – das gedanklich abtrennbare Formerfordernis, also das Wort „schriftlich“ – herausgestrichen werden kann und der übrige Teil der Klausel bestehen bleibt. Sofern lediglich das konkrete Schriftformerfordernis unwirksam sein sollte, müsste der Arbeitnehmer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zwar innerhalb der vereinbarten Frist geltend machen, doch wäre dies dann formlos, also auch mündlich, möglich. Sollte hingegen die gesamte Klausel unwirksam sein, hätte dies bei Ausschlussfristen zur Folge, dass Arbeitnehmer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist geltend machen können. Um Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, sollten Standard-Arbeitsverträge daher dringen angepasst werden.

3. Ausnahme: Tarifverträge

Ausschlussfristen in Tarifverträgen müssen nicht geändert werden. Denn gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB findet § 309 BGB auf Tarifverträge keine Anwendung. Insoweit bleibt es bei der obenstehenden Rechtslage: Auch die in Tarifverträgen geforderte schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen hindert einen Arbeitnehmer nicht daran, zur Wahrung einer Ausschlussfrist Ansprüche per E-Mail oder Telefax geltend zu machen (s. oben).

Dennoch sollten Arbeitgeber im Umgang mit tariflichen Ausschlussfristen vorsichtig sein. Zwar besteht zunächst kein Handlungsbedarf, wenn ein Tarifvertrag unmittelbar auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung findet (durch beidseitige Tarifbindung oder durch Allgemeinverbindlicherklärung). Darüber hinaus wird es ebenfalls unkritisch sein, wenn ein Tarifvertrag vollumfänglich durch eine arbeitsverträgliche Inbezugnahmeklausel Anwendung findet (sogenannter Globalverweis). Dahingegen sollten Arbeitgeber dann aufpassen, wenn in einem Arbeitsvertrag nur auf einzelne Klauseln eines Tarifvertrags, bspw. auch auf die Ausschlussfristen, verwiesen wird (sogenannter Einzelverweis). Denn „erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrags begründet grundsätzlich die Vermutung, dass dieser die divergierenden Interessen angemessen ausgleicht“ (BAG, Urteil vom 6. Mai 2009 – Az. 10 AZR 390/08). Soweit Standard-Arbeitsverträge also bspw. auf tarifvertragliche Ausschlussklauseln verweisen, besteht hier ebenfalls die oben dargestellte Rechtsunsicherheit.

V. Fazit

Der Gesetzgeber hat hier ein Problem „gelöst“, welches in der Praxis wohl in dieser Form überhaupt nicht bestanden hat. Es bleibt abzuwarten, ob dem juristischen Laien mit der Begrifflichkeit „in Textform“ besser gedient ist als mit dem Gebot der Schriftlichkeit. Ungeachtet dessen sollten Arbeitgeber ihre Arbeitsverträge ab dem 1. Oktober 2016 zwingend umstellen. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird es geboten sein, bei Schriftformerfordernissen das Wort „schriftlich“ durch „in Textform“ zu ersetzen.

Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
Telefon +49 201 9220 24659
klaus.thoenissen@luther-lawfirm.com

 

 

Schluss mit AGG-Hopping? EuGH erschwert Entschädigungsklagen

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EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 - C-423/15

Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung bei Scheinbewerbungen?

Ob sich Personen, deren Bewerbung nur zum Schein erfolgt, auf den Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen und damit einen Entschädigungsanspruch geltend machen können, beschäftigt die Gerichte schon seit geraumer Zeit. In früheren Entscheidungen verneinte das BAG bereits den Bewerberstatus von Scheinbewerbern (BAG, Urteil vom 27. April 2000 – 8 AZR 295/99), wohingegen es in jüngeren Entscheidungen den Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG erst unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgelehnt hat, wenn die Bewerbung subjektiv nicht ernst gemeint war (BAG, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10; 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10; 22. August 2013 – 8 AZR 563/12). Die Änderung des dogmatischen Anknüpfungspunktes der Rechtsprechung mit Hinblick auf Scheinbewerber ist auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2011 zurückzuführen, in welcher es entschied, dass der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausgeschlossen sein kann, wenn es darum geht, eine Rechtsstellung unredlich zu erwerben (BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 – 5 C 16/10). An diese Begründung knüpfte das BAG in seinen Folgeentscheidungen, ebenso wie die Instanzgerichte, an. Teilweise wird in den Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte und auch in der Literatur nicht differenziert, auf welcher dogmatischen Grundlage der Entschädigungsanspruch bei einer subjektiv nicht ernsthaften Bewerbung zu versagen ist. Vor diesem Hintergrund legte das BAG dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die Frage vor, ob Diskriminierungsschutz nach den unionsrechtlichen Vorschriften auch dann zu gewähren ist, wenn der Bewerber in Wirklichkeit nicht Zugang zu einer Beschäftigung sucht, sondern es ihm primär um die Zahlung einer Entschädigung geht.

Entscheidung des EUG vom 28. Juli 2016 – Rs C-423/15

In dem vom BAG dem EuGH vorgelegten Fall hatte sich ein 36 Jahre alter Rechtsanwalt auf eine Trainee-Stelle bei einer Versicherung, die sich an Hochschulabsolventen, auch aus der Fachrichtung Jura richtete, beworben. Neben einem Hochschulabschluss, der nicht länger als ein Jahr zurückliegen sollte, verlangte die Versicherung berufsorientierte Erfahrung. Bei seiner Bewerbung wies er darauf hin, dass er als Rechtsanwalt berufsorientierte Erfahrung habe und im Versicherungsrecht aufgrund eines von ihm aktuell betreuten Mandats vertiefte Kenntnisse verfüge. Nachdem die Versicherung die Bewerbung abgelehnt hatte, machte der Rechtsanwalt einen Entschädigungsanspruch in Höhe von € 14.000,00 wegen Altersdiskriminierung geltend. Daraufhin lud die Versicherung ihn zu einem Vorstellungsgespräch ein unter Hinweis darauf, dass die Absage automatisch generiert worden sei und nicht den Intentionen entsprochen habe. Der Rechtsanwalt lehnte diese Einladung ab und schlug vor, nach Erfüllung des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Versicherung zu sprechen. Anschließend erhob der Rechtsanwalt Klage auf Zahlung der Entschädigung und erweiterte die Klage um weitere € 3.500,00 aufgrund einer Diskriminierung wegen des Geschlechts, nachdem sich im Rechtstreit herausgestellt hatte, dass sämtliche Trainee-Stellen ausschließlich mit Frauen besetzt worden waren.

Das BAG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Diskriminierungsschutz nach den unionsrechtlichen Vorschriften auch dann zu gewähren ist, wenn sich jemand nur zum Schein auf eine ausgeschriebene Stelle bewirbt. Die Vermutung einer Bewerbung nur zum Schein stütze das BAG zum einen auf den Inhalt des Bewerbungsschreibens, in dem – unpassend für eine Trainee-Stelle – eine vielfältige Führungserfahrung betont wurde. Zum anderen erschien maßgeblich, dass der Kläger eine Einladung zum Vorstellungsgespräch mit dem Personalleiter ausgeschlagen hatte. Der Umstand allein, dass der Kläger eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt hatte und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hatte und sich gerade auf solche Stellenausschreibungen beworben hatte, deren Formulierung einen Anschein einer Diskriminierung erweckte, ließ hingegen nach Auffassung des BAG noch nicht den Schluss zu, der Kläger habe sich nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben.

In seiner Vorlage an den EuGH problematisiert das BAG, dass die dem AGG zugrundeliegenden EU-Richtlinien den Begriff des „Bewerbers“ gar nicht nennen, sondern den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit“ schützen. Das BAG fragte deshalb, ob ein Bewerber, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend zu machen, dem Schutz der EU-Richtlinien unterliegt. Falls dies der Fall sei, fragte das BAG, ob in diesem Fall die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach EU-Recht als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.

Der EuGH entschied am 28. Juli 2016, dass Art. 3 Abs. 1 bzw. Art 1 der Richtlinie 2000/78 bzw. 2006/54 dahingehend auszulegen ist, dass eine Situation, in der ein Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, um eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne der europarechtlichen Bestimmungen fällt. Wenngleich die Frage des BAG damit abschließend beantwortet war, entschied der EuGH außerdem, dass die Geltendmachung einer Entschädigung als Rechtsmissbrauch bewertet werden könne. Hierbei unterscheidet der EuGH nicht, ob eine Entschädigung bereits ausscheidet, weil es sich tatbestandlich nicht um einen Bewerber handelt oder allein, weil ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt. Wenn die Bewerbung eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils kann nach der Auffassung des EuGH das Missbrauchsverbot nicht eingreifen. Der EuGH hat somit die Differenzierung in der Frage des BAG, ob der Anspruch bereits an der fehlenden Bewerbereigenschaft oder erst an der Rechtsmissbräuchlichkeit scheitert, unbeantwortet gelassen, indem beide Fragen bejaht wurden. Die mit der Vorlage bezweckte dogmatische Klarheit ist somit ausgeblieben.

Umgang mit Scheinbewerbern in der Praxis

Da der EuGH keine absoluten Kriterien aufgestellt hat, anhand derer man feststellen kann wann genau eine Scheinbewerbung vorliegt, kommt es für die Bewertung auf jeden Einzelfall an. Hierhin zeigt sich die Schwierigkeit, da der Arbeitgeber in einem Prozess beweis- und darlegungsbelastet ist, dass die Bewerbung nur zum Schein erfolgte. Es wird daher infolge der Entscheidung des EuGH in Streitigkeiten von den Arbeitsgerichten auszulegen sein, wann wesentlicher Zweck einer Bewerbung die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. In der Vergangenheit wurde es zum Beispiel nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten angesehen, wenn in einem Bewerbungsschreiben an ein Krankenhaus der Hinweis enthalten ist, dass der Vater des Bewerbers Opfer eines „Ärztepfusches“ sei (BAG, 24. Januar 2013, a.a.O.). Ein krasses Missverhältnis zwischen dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle und der Qualifikation des Bewerbers kann durchaus die Frage der Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Frage stellen und damit rechtsmissbräuchlich sein (BAG, 13. Oktober 2011, a.a.O.). Die Entscheidung des EuGH ist einerseits erfreulich, da klar zum Ausdruck kommt, dass ein Scheinbewerber sich nicht auf den Schutz der EU-Richtlinien berufen kann. Die frühere Rechtsprechung des BAG, die einen Scheinbewerber schon nicht als Bewerber im Sinne des AGG ansah, ist damit bestätigt. Entscheidend kommt es daher auf die Würdigung des Sachverhalts an, die nicht dem EuGH, sondern den nationalen Gerichten obliegt.

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger als „AGG-Hopper“ bereits Bekanntheit erlangt. Er hatte sich bei einer Vielzahl von Unternehmen und Anwaltskanzleien beworben. Wenn eine Scheinbewerbung vorliegt, wird diese regelmäßig auch rechtsmissbräuchlich sein. Es bleibt jedoch die für die Praxis relevante Frage, welche Umstände den Schluss zulassen, es handele sich um eine Scheinbewerbung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Ausführung des BAG in seinem Vorlagebeschluss, wonach das Führen mehrerer Entschädigungsprozesse ebenso wenig ausreicht wie die Bewerbung gerade auf solche Stellenausschreibungen, deren Formulierung einen Anschein von Diskriminierung erwecken. Als relevant sah das BAG jedoch an, dass die Formulierung der Bewerbung dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle vollkommen zuwiderlief, so dass die Ablehnung der Bewerbung provoziert wurde. Letztlich bedeutet dies, dass es der (vermeintliche) Bewerber selbst in der Hand hat, durch eine geschickte oder ungeschickte (provokante) Formulierung des Bewerbungsschreibens seiner Bewerbung den Anschein einer ernsthaften Bewerbung zu geben. Allerdings können auch weitere „Fehler“ im Bewerbungsverfahren zu der Annahme führen, dass lediglich eine Scheinbewerbung vorliegt, so wenn die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ausgeschlagen wird.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sowohl die frühere Rechtsprechung des BAG, die bei Scheinbewerbungen den Bewerberstatus verneint hat, wie auch der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit mit dem EU-Recht vereinbart sind. Entscheidend wird nun sein, welche Umstände im Bewerbungsschreiben und im Bewerbungsverfahren ausreichen, um von einer Scheinbewerbung auszugehen. Dies festzulegen, bleibt Sache der nationalen Gerichte.

Dr. Volker Schneider
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon +49 40 18067 12195
volker.schneider@luther-lawfirm.com

 

Dr. Anna Schnitzer
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon +49 40 18067 12195
anna.schnitzer@luther-lawfirm.com

 

Rechtsfolgen verdeckter Arbeitnehmerüberlassung

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BAG, Urteil vom 12. Juli 2016 – 9 AZR 352/15

Besitzt ein Arbeitgeber (Verleiher) die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, einem Dritten (Entleiher) Leiharbeitnehmer zu überlassen, kommt zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Entleiher auch dann kein Arbeitsverhältnis zu Stande, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers nicht als Arbeitnehmerüberlassung, sondern als Werkvertrag bezeichnet worden ist.

Der Fall

Die Klägerin ist technische Zeichnerin. Zwischen ihr und dem Vertragsarbeitgeber bestand auf Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 4. Februar 2004 seit dem 9. Februar 2004 ein Arbeitsverhältnis. Die Vertragsarbeitgeberin verfügt seit dem 9. Mai 1995 über eine unbeschränkte Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Von Beginn des Arbeitsverhältnisses an setzte die Vertragsarbeitgeberin die Klägerin bei der Beklagten, einer Automobilherstellerin, in deren Werk im Bereich Technischer Anwendungssupport als CAD-Konstrukteurin (technische Zeichnerin) ein. Grundlage dieses Einsatzes waren Verträge zwischen der Vertragsarbeitgeberin und der Beklagten, die als „Werkvertrag“ bezeichnet waren. Der Vertrag der Beklagten mit der Vertragsarbeitgeberin endete zum 31. Dezember 2013. Die Vertragsarbeitgeberin kündigte das mit der Klägerin abgeschlossene Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober 2013 unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe zum 31. Januar 2014. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin berief sich darauf, dass der Betrieb der Vertragsarbeitgeberin vollständig auf die Beklagte übergegangen sei. Die Betriebsstätte, in der die Klägerin gearbeitet habe und das sonstige Personal des Teams mit Ausnahme eines ebenfalls bei der Vertragsarbeitgeberin beschäftigten Kollegen der Klägerin seien noch vorhanden. Im Übrigen sei die wirtschaftliche Einheit gewahrt. Der Teilbetrieb, in dem die Klägerin tätig war, werde von der Beklagten aufgrund Rechtsgeschäfts ohne Unterbrechung fortgeführt und die von der Klägerin ausgeführten Aufgaben weiterhin erledigt. Darüber hinaus sei schon vorher ein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu Stande gekommen, da die Klägerin im Rahmen eines so genannten Werkvertrages überlassen worden sei. Dabei handele es sich um einen Scheinwerkvertrag, der tatsächlich eine nicht genehmigte und den Anforderungen des § 12 AÜG nicht entsprechende Arbeitnehmerüberlassung darstelle. Zwar besitze die Vertragsarbeitgeberin eine gültige Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Von dieser Erlaubnis habe sie im vorliegenden Fall jedoch keinen Gebrauch gemacht. Zudem sei der sich über fast zehn Jahre erstreckende Einsatz der Klägerin bei der Beklagten nicht mehr als nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 AÜG anzusehen. Die Klägerin sei vollständig in das Team der Beklagten integriert, erhalte von Arbeitnehmern der Beklagten Arbeitsanweisungen und stimme mit der Beklagten ihre Urlaubsplanung ab.

Die Beklagte hat sowohl den Betriebsübergang, als auch die Eingliederung der Klägerin in ihren Betrieb bestritten und vorgetragen, dass es keine vertraglichen Beziehungen zwischen ihr und der Klägerin gegeben habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Dabei waren beide Instanzen der Auffassung, dass die Klägerin nicht schlüssig zum Vorliegen eines Betriebsübergangs vorgetragen habe. Im Übrigen könne es dahinstehen, ob es sich bei den zwischen der Vertragsarbeitnehmerin und der Beklagten geschlossenen Werkverträge um Scheinwerkverträge gehandelt hat und tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung vorlag, da die Vertragsarbeitgeberin für die gesamte Dauer des Einsatzes bei der Beklagten über eine unbeschränkte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt hat. Eine analoge Anwendung der gesetzlich für den Fall der fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis geregelten Fiktion der Begründung eines Arbeitsverhältnisses scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Auch eine aufgrund der fehlenden Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung unterstellte treuwidrige Berufung auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis könne nicht die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten begründen. Diese Rechtsfolge sehe das Gesetz nicht vor.

Die Entscheidung

Die von der Klägerin eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Das BAG hat die Revision zurückgewiesen und damit die Urteile der Vorinstanzen bestätigt. Die Entscheidung liegt bisher nur als Pressemitteilung vor. Danach geht das BAG von einem Scheinwerkvertrag und einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung aus. Dennoch verneint das BAG das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und der Beklagten. Das BAG begründet seine Entscheidung mit der bei der Vertragsarbeitnehmerin vorliegenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Das Gesetz fingiere in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 9 Nr. 1 AÜG nur in Fällen fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung lehnt das BAG ab, weil es keine planwidrige Regelungslücke im Gesetz erkennt. Für eine nicht offene Arbeitnehmerüberlassung habe der Gesetzgeber bewusst nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher angeordnet.

Unser Kommentar

Erstmals hatte sich das BAG mit der Frage zu befassen, ob in Fällen der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung entsprechend der gesetzlichen Regelung zur Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird. Das BAG bleibt dabei seiner in ähnlichen Fällen entwickelten Rechtsprechung treu. Es hat bereits bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 9 Nr. 1 AÜG verneint (BAG, Urteil vom 3. Juni 2014 – 9 AZR 111/13). Diese Grundsätze wurden durch das BAG nunmehr bestätigt. Derzeit besteht bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung daher nicht das Risiko, dass Entleiher ungewollt zum Arbeitgeber werden. Doch diese vermeintliche Sicherheit währt nur kurz: Der Gesetzgeber beabsichtigt eine Änderung des AÜG durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs bei Leiharbeit und Werkverträgen, das am 1. Januar 2017 in Kraft treten soll. Nach dem Gesetzesentwurf ist die Überlassung von Arbeitnehmern zukünftig ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen. Ist dies nicht der Fall, wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer begründet (§§ 9 Nr. 1a, 10 Abs. 1 AÜG-E). Um die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zu vermeiden, sollten daher sowohl Arbeitnehmerüberlassungsverträge als auch Werkverträge geprüft und angepasst werden.

Sandra Sfinis
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
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sandra.sfinis@luther-lawfirm.com

 

 

Schadensersatzansprüche bei unrechtmäßigem Streik

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BAG, Urteil vom 26. Juli 2016 - 1 AZR 160/14

Ein Streik ist insgesamt auch dann rechtswidrig, wenn die Friedenspflicht lediglich hinsichtlich der mit dem Streik verfolgten Nebenziele verletzt wird. Ein solcher Streik kann bei schuldhaftem Verhalten zu Schadensersatzansprüchen des Streikgegners führen.

Der Fall:

Zwischen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens (Fraport AG, Arbeitgeber) bestand ein Tarifvertrag, dessen Bestimmungen für die Laufzeit des Tarifvertrags abschließend sein sollten. Diesen hatte die GdF (zulässigerweise) teilweise gekündigt. Im Folgenden wurde ein Schlichtungsverfahren durchgeführt, das mit Empfehlungen des Schlichters endete, die auch nicht gekündigte Teile des Tarifvertrags betrafen.

Zwecks Durchsetzung der gesamten Empfehlungen des Schlichters, also auch der Empfehlungen hinsichtlich ungekündigter Teile des Tarifvertrags, rief die GdF ihre Mitglieder zu einem knapp zweiwöchigen Streik auf.

Nach Angaben der Fraport AG sollen aufgrund dieses Streiks 1.668 Flüge ausgefallen sein. Die Fraport AG und zwei Fluggesellschaften machten im Folgenden Schadensersatzansprüche in Höhe von mehr als 9 Mio. EUR gegen die GdF geltend.

Die Vorinstanzen wiesen die Klagen ab.

Die Entscheidung:

Das BAG hat (nach der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung) in diesem Urteil entschieden, dass eine Tarifvertragspartei zum Ersatz der dem Kampfgegner entstandenen Schäden verpflichtet sein kann, wenn ein Streik unter anderem auch Nebenziele verfolgt, die als rechtswidrig anzusehen sind.

Das BAG gab der Revision der Fraport AG statt und sprach dieser einen Schadensersatzanspruch aus Delikt und wegen Vertragsverletzung zu.

Es führte aus, dass der Streik, zu dem die GdF aufgerufen hatte, (insgesamt) rechtswidrig sei, weil er der Durchsetzung der Schlichterempfehlung insgesamt diene. Diese habe auch ungekündigte Teilbereiche des Tarifvertrags betroffen. Hinsichtlich der ungekündigten Bestimmungen des Tarifvertrags habe jedoch weiterhin die Friedenspflicht gegolten.

Soweit sich die GdF darauf berief, dass der Streik auch dann geführt worden und der gleiche Schaden eingetreten wäre, wenn lediglich rechtmäßige Ziele verfolgt worden wären, sah das BAG diese Argumentation als irrelevant an. Hätte die GdF den Streik ohne die friedenspflichtverletzenden Forderungen geführt, hätte wegen des anderen Kampfziels ein anderer Streik vorgelegen. Eine Berufung auf das Argument des rechtmäßigen Alternativverhaltens lehnte das BAG damit ab.

Hinsichtlich der Höhe des zu ersetzenden Schadens verwies das BAG die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht.

Einen Schadensersatzanspruch der beiden Fluggesellschaften lehnte das BAG demgegenüber im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Als Drittbetroffene stünde ihnen kein Anspruch auf Ersatz eines etwaigen Schadens zu. Entsprechend hatte das BAG bereits 2015 (Urteile vom 25. August 2015 – 1 AZR 754/13, 1 AZR 875/13) entschieden. Es sei weder eine Verletzung des Eigentums der Fluggesellschaften an ihren Flugzeugen, noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (sonstiges Recht) im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verletzt. Hinsichtlich einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehle es insbesondere an einem betriebsbezogenen Eingriff. Ein vertraglicher Anspruch besteht nach dieser Rechtsprechung ebenfalls nicht: Soweit es sich bei einem Tarifvertrag um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter handelt, umfasse die Schutzwirkung nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien vor Arbeitskampfmaßnahmen hinsichtlich der tariflich geregelten Bereiche. Andere Dritte seien grundsätzlich nicht in diesen Schutzbereich einbezogen (BAG, Urteil vom 25. August 2015 – 1 AZR 875/13).

Unser Kommentar

Auch wenn bislang lediglich die Pressemitteilung des BAG vorliegt, zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es sich um eine wegweisende Entscheidung des BAG handelt.

Es war bereits anerkannt, dass ein Streik rechtswidrig ist, wenn eine seiner Hauptforderungen die Friedenspflicht verletzt (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Nicht höchstrichterlich geklärt war bislang aber die Frage, ob ein Streik auch dann insgesamt rechtswidrig ist, wenn er (lediglich) hinsichtlich untergeordneter Forderungen die Friedenspflicht verletzt.

Tarifvertragsparteien unterliegen während der Laufzeit eines Tarifvertrags der Friedenspflicht. Hinsichtlich der im Tarifvertrag geregelten Themenkomplexe sind Maßnahmen des Arbeitskampfes danach unzulässig. Ein Tarifvertrag schützt als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowohl die Tarifvertragsparteien selbst als auch deren Mitglieder vor Arbeitskampfmaßnahmen hinsichtlich tariflich geregelter Bereiche (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Bei Verletzung dieser vertraglichen Pflicht besteht ein Schadensersatzanspruch des Kampfgegners, also des Arbeitgebers. Ferner kommen in einem solchen Fall Ansprüche aus Delikt in Betracht.

Die Friedenspflicht wirkt grundsätzlich nur relativ. Dies bedeutet, dass die Friedenspflicht nur die Bereiche erfasst, die tarifvertraglich geregelt sind. Deren sachliche Reichweite ist durch Auslegung der tariflichen Regelungen zu ermitteln (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Ein Arbeitskampf im Hinblick auf nicht (mehr) tarifvertraglich geregelte Gegenstände ist demnach grundsätzlich möglich.

Das BAG stellte nunmehr fest, dass ein Streik insgesamt rechtswidrig ist, auch wenn dieser nur im Hinblick auf untergeordnete Forderungen die Friedenspflicht verletzt. Dem Argument des rechtmäßigen Alternativverhaltens wurde der Boden entzogen. Bei der Friedenspflicht handelt es sich um eine grundlegende Verfahrensgarantie. Würde man diesbezüglich das Argument des rechtmäßigen Alternativverhaltens zulassen, käme der Friedenspflicht lediglich noch eine untergeordnete Rolle zu. Sie ließe sich dadurch umgehen, dass mit einem Arbeitskampf jedenfalls auch rechtmäßige Ziele verfolgt würden.

Gewerkschaften werden nunmehr sehr gründlich prüfen müssen, welche Kampfziele ein Streik verfolgen soll, da andernfalls ein Schadensersatzanspruch drohen kann. Eine Berufung darauf, dass diese Schäden auch dann eingetreten wären, wenn der Streik allein rechtmäßige Ziele verfolgt hätte, führt nach dieser Entscheidung des BAG nicht zum Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs.

Jana Hunkemöller
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon +49 211 5660 18783
jana.hunkemoeller@luther-lawfirm.com

 

Unwirksamkeit von Ausschlussfristen für Mindestentgelt

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BAG, Urteil vom 24.08.2016 – 5 AZR 703/15

Eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist, die auch den Anspruch auf Mindestentgelt erfasst, ist unwirksam und kann wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Transparenzgebot nicht für andere Ansprüche aufrechterhalten werden.

Der Fall

Die Klägerin war von Juli bis Dezember 2013 bei einem ambulanten Pflegedienst als Pflegehilfskraft beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis fiel unter den Geltungsbereich der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV). Diese regelt die Zahlung eines Mindestentgelts. Der Arbeitsvertrag der Klägerin sah eine als AGB vorformulierte Verfallklausel vor, wonach sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht binnen drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner schriftlich erhoben werden. Bei Ablehnung oder Nichtäußerung des Vertragspartners binnen zwei Wochen nach der schriftlichen Geltendmachung sollte Verfall eintreten, wenn nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf Klage erhoben wird. Für den letzten Monat ihrer Beschäftigung war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte leistete keine Entgeltfortzahlung, da er trotz ärztlichen Attests Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin hatte. In dem von der Klägerin im Juni 2014 anhängig gemachten Verfahren wandte der Beklagte ein, dass der Anspruch der Klägerin jedenfalls wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen sei. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das LAG wies die Berufung des Beklagten zurück. Auch seine Revision vor dem BAG blieb nun im Wesentlichen erfolglos.

Die Entscheidung

Das Urteil des BAG liegt bislang in den Gründen noch nicht vor, so dass hier auf die Pressemitteilung Nr. 44/16 und die Entscheidung der Vorinstanz, LAG Niedersachsen (Urteil vom 17.09.2015, Az. 6 Sa 1328/14) zurückgegriffen wird.

Das BAG bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Klägerin für ihren krankheitsbedingten Arbeitsausfall Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG hat. Nach Ansicht des BAG musste die Klägerin diesen Anspruch auch nicht innerhalb der Frist der arbeitsvertraglichen Verfallklausel geltend machen. Das LAG hat hierzu in seinem Urteil ausgeführt, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte dreimonatige Ausschlussfrist sowohl eine nachteilige Abweichung zulasten der Klägerin von der 12-monatigen Ausschlussfrist in § 4 PflegeArbbV als auch einen Verstoß gegen die gesetzliche Vorgabe in § 9 AEntG darstelle. Die Verfallklausel sei daher wegen mehrfachen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften gemäß § 134 BGB unwirksam. Wie die Vorinstanz, stellt das BAG fest, dass die vom Beklagten gestellte arbeitsvertragliche Verfallklausel nach dem Inkrafttreten der PflegeArbbV gegen § 9 Satz 3 AEntG verstößt und deshalb unwirksam ist.

Das BAG unterzog die Verfallklausel zudem – wie zuvor das LAG - einer AGB-Prüfung, da es sich bei der Klausel um eine vom Beklagten einseitig vorformulierte Klausel handelte. Das BAG bestätigt auch in diesem Punkt die Vorinstanz, die bereits festgestellt hat, dass die streitgegenständliche Verfallklausel gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoße. Das LAG hat hierzu in seinem Urteil zur Begründung ausgeführt, dass die Klausel nicht klar und verständlich sei, da sie sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasse und Ansprüche auf Mindestentgelt nicht als ausgenommen hervorgehoben würden. Es bestehe die Gefahr, dass der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber als Klauselverwender wegen der umfassenden Formulierung der Verfallklausel Ansprüche auf Mindestentgelt nicht mehr geltend mache und somit sein Rechte nicht wahrnehme, wenn mehr als drei Monate seit deren Fälligkeit verstrichen seien. Auch das BAG sieht in der streitgegenständlichen Verfallklausel einen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Die Klausel könne daher nicht für andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechterhalten werden.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG hat weitreichende Folgen hinsichtlich der Wirksamkeit und Gestaltung von arbeitsvertraglichen Ausschluss- bzw. Verfallklauseln. Nach § 3 MiLoG sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam. Bislang war höchstrichterlich nicht geklärt, ob arbeitsvertragliche Verfallklauseln, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnehmen, insgesamt unwirksam sind oder zumindest hinsichtlich der Entgeltansprüche, die über den gesetzlichen Mindestlohn hinausgehen, aufgrund einer geltungserhaltenden Reduktion wirksam bleiben. Das BAG beantwortet mit seiner Entscheidung diese bislang höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage. Wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist, geht das BAG davon aus, dass eine Ausschluss- bzw. Verfallklausel, die das Mindestentgelt bzw. den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnimmt, insgesamt unwirksam ist und wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch nicht für andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechterhalten werden kann. Dies hat die weitreichende Folge, dass Arbeitnehmer ihre Ansprüche ggf. bis zur Grenze der Verjährung (die regelmäßige Verjährung beträgt 3 Jahre) gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen und einklagen können.

Bei der Formulierung von Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen ist zukünftig daher darauf zu achten, dass für das Arbeitsverhältnis geltende Mindestentgelte bzw. der gesetzliche Mindestlohn ausdrücklich ausgenommen werden und dass die Regelung nicht gegen das gesetzliche Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) verstößt. In diesem Zusammenhang ist bei der Formulierung von Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen auch die Gesetzessänderung zum Schriftformerfordernis zum 1. Oktober 2016 zu beachten (hierzu unser Leitartikel).

Achim Braner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.
Telefon +49 69 27229 23839
achim.braner@luther-lawfirm.com

 

Gesetzlicher Mindestlohn für Bereitschaftszeiten

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BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15

Bereitschaftszeiten zählen als Arbeitszeit nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) und sind daher mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten.

Der Fall

Die Kläger begehrt mit seiner Klage weitere Vergütung von Bereitschaftszeiten nach dem TVöD und dem MiLoG. Er ist bei der Beklagten als Rettungsassistent im Rahmen einer Vier-Tage-Woche in Zwölfstundenschichten durchschnittlich 48 Wochenstunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden nach dem Arbeitsvertrag der Parteien die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD Anwendung. Hiernach beträgt die tarifliche Wochenarbeitszeit regelmäßig 39 Stunden wöchentlich. Für Tätigkeiten im Rettungsdienst gibt es Sonderregelungen für Bereitschaftszeiten, wonach die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit 12 Stunden zuzüglich der gesetzlichen Pausen beträgt. § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrages regelt zudem:

„Bei Beschäftigten im Rettungsdienst fallen regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an. Aus diesem Grunde wird die wöchentliche Arbeitszeit unter Anwendung der Sonderregelung im Anhang zu § 9 TVöD auf durchschnittlich 48 Stunden festgesetzt.“

In den Monaten Januar und Februar 2015 erhielt der Kläger ein Grundgehalt der Entgeltgruppe 5 Stufe 6 in Höhe von € 2.680,31 zuzüglich Zulagen. Der Kläger erbringt regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten.

Der Kläger hat mit der Klage Zahlung von € 618,65 monatlich für Januar und Februar 2015 geltend gemacht. Er vertrat die Auffassung, die Beklagte vergüte Bereitschaftszeit nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Mit seinem Grundgehalt würden 39 Wochenstunden vergütet, die sich aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit errechnen. Da er bis zu 30 Stunden Vollarbeit schulde, entfielen 30/39 seines Regelentgelts auf Vollarbeitszeit (€ 2.061,78) und 9/39 auf Bereitschaftszeiten von 18 Stunden/Woche (€ 618,53). Entweder würden von insgesamt 18 Bereitschaftszeiten pro Woche nur 9 bezahlt oder diese würden mit dem Rest des Regelentgelts von € 618,53 entgolten, was einem Stundenlohn von € 7,90 entspreche.

Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass durch das Inkrafttreten des MiLoG die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung unwirksam geworden sei. Bereitschaftszeiten seien nach dem Urteil des BAG vom 19.  November 2014 (Az.: 5 AZR 1101/12) wie (Voll-) Arbeitszeit zu vergüten. Bei Unterschreitung des Mindestlohns sei die übliche Vergütung geschuldet, die auf Basis seines Tabellenentgelts € 15,81 brutto pro Stunde betrage.

Die Entscheidung

Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Klage blieb damit in allen Instanzen erfolglos. Dem Kläger steht für im Januar und Februar 2015 geleistete Bereitschaftsdienste keine weitere Vergütung zu. Das BAG hat in dem Urteil, das bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, zwar bestätigt, dass auch Bereitschaftszeiten mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten sind. Der Anspruch des Klägers hierauf ist jedoch erfüllt. Nach der Pressemitteilung hat das BAG dies damit begründet, dass bei maximal 228 Arbeitsstunden, die der Kläger mit Vollarbeit und Bereitschaftszeiten in einem Monat tatsächlich leisten kann, die gezahlte Monatsvergütung den gesetzlichen Mindestlohn nicht nur erreicht, sondern ihn sogar übersteigt. Der Mindestlohn würde € 1.938,00 brutto monatlich betragen (228 Stunden zu € 8,50). Ein Anspruch auf weitere Vergütung besteht nicht. Die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung ist nicht wegen des Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden.

Nach dem Urteil des LAG Köln vom 15. Oktober 2015 (8 Sa 540/15), das über die Berufung des Klägers zu entscheiden hatte, ist die Leistung der Bereitschaftszeiten Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegenden Bereitschaftszeiten werden nicht unentgeltlich erbracht, sondern stehen zusammen mit der Vollarbeit in einem synallagmatischen Verhältnis zur Vergütung. Sie sind Teil der vom Kläger nach § 611 Abs. 1 BGB vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Die Höhe der Vergütung kann als zwingende gesetzliche Untergrenze nach Maßgabe des MiLoG der Kontrolle unterliegen. Mit der monatlichen Vergütung sei der Kläger dementsprechend entlohnt. Der nach Monaten vereinbarte Zeitlohn des Klägers ist umzurechnen, indem die vereinbarte Bruttomonatsvergütung einschließlich aller berücksichtigungsfähiger Vergütungsbestandteile durch die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit geteilt wird. Diese Arbeitszeit bestand für den Kläger aus der Vollarbeit und der Bereitschaftszeit von insgesamt 48 Stunden pro Woche. Der gesetzliche Mindestlohnanspruch nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 MiLoG wird durch die Zahlung des Tabellenentgelts somit erfüllt.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG bestätigt die Entscheidung der Instanzgerichte, dass Bereitschaftszeit nach dem MiLoG zu vergüten ist und dass bei der Vergütung nicht zwischen der Vollarbeitszeit und der Bereitschaftszeit zu unterscheiden ist. Da die Parteien nicht eine Vergütung nach Stunden, sondern eine monatliche Vergütung vereinbart hatten, konnte jedoch im Rahmen der durchzuführenden monatlichen Durchschnittsbetrachtung die Vergütung den Anforderungen des MiLoG entsprechen.

Der Pressemitteilung ist nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen eine Durchschnittsbetrachtung zulässig ist oder ob diese auch ausgeschlossen sein kann, mit der Folge, dass die Vergütung für jede einzelne Stunde an den Vorgaben des MiLoG zu messen ist. Falls das BAG bestimmte Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Durchschnittsbetrachtung aufstellt, könnte sich Anpassungsbedarf für Vergütungsregelungen in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen und gegebenenfalls auch Tarifregelungen ergeben. Das BAG konnte ferner die Frage offen lassen, ob ein Verstoß gegen den Mindestlohn zu einem Anspruch auf die übliche Vergütung führt, wie vom Kläger geltend gemacht, oder nur einen Anspruch auf den Mindestlohn eröffnet. Die Antwort auf die Frage, welche Vergütung an die Stelle der unwirksamen Vergütung tritt, wenn der Mindestlohn nicht erreicht wird, bleibt daher abzuwarten. Es spricht viel dafür, dass im Fall der Unwirksamkeit der Vergütungsabrede nach dem MiLoG auch nur der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen ist und nicht die übliche Vergütung. Durch die beabsichtigte Anhebung des Mindestlohns von € 8,50 brutto je Zeitstunde auf € 8,84 brutto je Zeitstunde zum 1. Januar 2017 könnte diese Frage zudem für zahlreiche weitere Arbeitsverhältnisse relevant werden.

Martina Ziffels
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon +49 40 18067 12195
martina.ziffels@luther-lawfirm.com

 

Mitbestimmung des Betriebsrats bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen

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BAG, Beschluss vom 26. April 2016 – 1 ABR 21/14

Dem Betriebsrat steht kein Mitbestimmungsrecht aus § 98 BetrVG zu, wenn sich eine Fortbildung bzw. Schulung in einem Betrieb ausschließlich auf externe Arbeitnehmer zu deren Qualifikation für eine Tätigkeit bei einem Tochterunternehmen bezieht, da es sich hierbei nicht um eine „betriebliche“ Berufsbildungsmaßnahme handelt.

Der Fall

Verfahrensbeteiligte sind die Arbeitgeberin sowie der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darüber, ob der Betriebsrat bei einem Einsatz von Arbeitnehmern eines ausländischen Tochterunternehmens im Betrieb der Arbeitgeberin, dem herrschenden Unternehmen, zu Schulungs- und Fortbildungszwecken unter dem Gesichtspunkt der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen gemäß § 98 BetrVG mitzubestimmen hat.

Anlass für den Streit war der mittlerweile beendete Einsatz einer bei einem slowakischen Tochterunternehmen beschäftigten Arbeitnehmerin im Betrieb der Arbeitgeberin, um unter anderem ein Trainings- und Ausbildungsprogramm im Bereich Logistik zu absolvieren. Diesem Einsatz verweigerte der Betriebsrat die von der Arbeitgeberin zunächst erbetene Zustimmung. Im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens machte der Betriebsrat mit Wideranträgen Mitbestimmungsrechte aus dem Bereich betrieblicher Bildungsmaßnahmen geltend.

Das ArbG hat die (Wider-)Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Das LAG hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen

Die Entscheidung

Mit seinem Beschluss wies das BAG auch die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurück.

Zur Begründung führte es an,die Angelegenheit unterliege nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 98 BetrVG, weil sie keine Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift sei. Das Mitbestimmungsrecht bestehe nur bei Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung. Der Begriff sei zwar grundsätzlich weit auszulegen, aber auch funktional zu verstehen. Eine Berufsbildungsmaßnahme sei nur dann eine betriebliche Maßnahme, wenn der Arbeitgeber Träger bzw. Veranstalter der Bildungsmaßnahme ist und die Berufsbildungsmaßnahme für bei ihm angestellte Arbeitnehmer durchgeführt wird. Dabei müsse die Maßnahme regelmäßig für die „eigenen“ Arbeitnehmer, also die Vertragsarbeitnehmer des Arbeitgebers, durchgeführt werden. Zumindest müssten diese bei der Beteiligung Vorrang haben.

Die Mitbestimmungstatbestände der §§ 96 ff. BetrVG stellen, so das BAG, auf die „bedeutsame Rolle der Berufsbildung“ ab. Entsprechend wolle § 98 Abs. 1 BetrVG – wenn sich der Arbeitgeber für die Einführung einer Berufsbildungsmaßnahme entschieden hat – durch die Beteiligung des Betriebsrats an der Durchführung der Maßnahme sicherstellen, dass das berechtigte Interesse der Betroffenen an einer ihren Belangen entsprechenden Aus- oder Fortbildung gewahrt wird. Dem Betriebsrat seien Beteiligungsrechte bei der Auswahl der teilnehmenden Arbeitnehmer eingeräumt, weil dadurch gewichtige Arbeitnehmerinteressen berührt sein können. Die Teilnahme an der betrieblichen Berufsbildung könne sich unter anderem auf den beruflichen Aufstieg oder gar den Arbeitsplatzerhalt auswirken. Hierbei solle gewährleistet werden, dass einzelnen Arbeitnehmern eine Qualifizierung nicht aus sachwidrigen Gründen vorenthalten wird.Diese Intentionen des Mitbestimmungsrechts seien erkennbar verknüpft mit der Stellung des qualifizierenden Arbeitgebers als Vertragspartei des Arbeitnehmers und seinem Interesse an dessen Qualifikation oder zumindest eines solchen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsleistung er selbst beanspruchen kann. Sie würden hingegen nicht greifen, wenn es ausschließlich um Schulung, Fort- oder Ausbildung von entsandten Arbeitnehmern für deren Beschäftigung bei dem entsendenden Vertragsarbeitgeber geht.

Schulungen und Fortbildungen, die wie vorliegend ausschließlich externe Arbeitnehmer – nämlich solche des ausländischen Tochterunternehmens – beträfen, fänden gerade nicht für den Betrieb der Arbeitgeberin statt. Es fehle damit, wie das BAG in der vorliegenden Entscheidung bestätigt, an der für die Mitbestimmung nach § 98 BetrVG erforderlichen funktionellen Betriebsbezogenheit der Maßnahme.

Unser Kommentar

In seiner Entscheidung stellt das BAG klar, dass der Begriff der betrieblichen Bildungsmaßnahmen gemäß § 98 BetrVG und somit auch das diesbezügliche Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats grundsätzlich weit auszulegen sind. Der Begriff umfasse alle Maßnahmen der Berufsbildung im Sinne des § 1 BBiG und damit unter anderem solche der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung.Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung seien auch Lehrgänge, die dem Arbeitnehmer die für die Ausfüllung seines Arbeitsplatzes und seiner beruflichen Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verschaffen sollen.

Ihre Grenze finden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats jedoch dann, wenn eine Maßnahme lediglich die Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgaben und Verantwortung, die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs sowie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren und die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren im Sinne des § 81 BetrVG betrifft. Darüber hinaus fehlt es, wie die vorliegende Entscheidung verdeutlicht, an einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, soweit lediglich externe Arbeitnehmer, die nicht in einem Vertragsverhältnis mit dem die Maßnahme durchführenden Arbeitgeber stehen, an Schulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen sollen.

Bettina Partzsch, LL.M. (Melbourne)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
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bettina.partzsch@luther-lawfirm.com

 

Massenentlassungen - Kündigung von Arbeitnehmern in der Elternzeit

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BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 1 BvR 3634/13

Für die Kündigung von Elternzeitlern während einer Massenentlassung führt bereits der innerhalb des 30-Tage-Zeitraums gestellte Antrag auf Zulässigerklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG zum Schutz vor Massenentlassungen. Auf den Tag des Ausspruchs der Kündigung kommt es nicht an.

Der Fall

Eine Fluggesellschaft stellte den gesamten Flugbetrieb nach, von und in Deutschland ein und kündigte daher sämtlichen Arbeitnehmern mit Arbeitsplatz in Deutschland. Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige wurden die Kündigungen zum Jahreswechsel 2009/2010 ausgesprochen. Die Kündigung der Beschwerdeführerin wurde erst im März 2010 ausgesprochen, nachdem zunächst das Zulässigkeitsverfahren nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG durchgeführt wurde und die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde die Kündigung im März 2010 für zulässig erklärt hatte. Sämtliche anderen Kündigungen wurden nach rechtskräftigen Urteilen des BAG wegen eines mangelhaft durchgeführten Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG aufgehoben. Die Beschwerdeführerin blieb bis zum BAG erfolglos. Nach Ansicht des BAG finden die Massenentlassungsschutzvorschriften keine Anwendung, da die Kündigung der Beschwerdeführerin außerhalb des 30-Tage-Zeitraums, in dem sich die anderen Kündigungen befanden, nach § 17 Abs. 1 KSchG ausgesprochen wurde.

Die Entscheidung

Vor dem BVerfG hatte die Beschwerdeführerin Erfolg. Nach Ansicht der Verfassungsrichter verstößt es gegen Artikel 3 Abs. 1 GG, dass die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Elternzeit, die unmittelbar an die verfassungsrechtlich in Artikel 6 Abs. 1 GG geschützte Elternschaft anknüpft, vom Anwendungsbereich des Massenentlassungsschutzes auszuschließen. Die Auffassung des BAG, eine Kündigung unterfalle nur dann den für Massenentlassungen geltenden Regelungen, wenn sie innerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG zugehe, würde zu einem geringen Schutzniveau für Personen führen, die nach dem Willen des Gesetzgebers als besonders schutzwürdig zu behandeln sind und deshalb besonderen Kündigungsschutz genießen.

Zwar kann eine Benachteiligung grundsätzlich durch anderweitige begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Die Schutzvorschriften gegen Kündigungen bei Massenentlassung und Elternzeit unterscheiden sich erheblich. So mag zwar in beiden der lediglich formale Verstoß zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, allerdings sind im Rahmen des § 17 KSchG weit höhere formale Anforderungen zu beachten. Die im Rahmen des Konsultationsverfahrens möglichen Gestaltungsoptionen des Betriebsrates und die frühzeitige Einschaltung der Agentur für Arbeit schon vor dem Kündigungsausspruch würden denjenigen genommen werden, die lediglich aufgrund besonderer Schutzvorschriften aus dem 30-Tage-Zeitraum herausfallen.

Dieser Nachteil kann nicht durch das behördliche Verwaltungsverfahren auf Zulässigerklärung nach § 18 BEEG kompensiert werden.

Außerdem führe die Auffassung des BAG zu einer faktischen Benachteiligung wegen des Geschlechts, da Frauen in erheblich höheren Maße als Männer Elternzeit in Anspruch nehmen. (2013: 27,7 % aller Mütter mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren; aber nur 2,4 % der entsprechenden Väter; 2014: nur 41,5 % der betreffenden Mütter, aber nur 2,0 % der entsprechenden Väter, Angabe nach BVerfG bzw. Destatis).

Laut BVerfG kann die Benachteiligung der Elternzeitler vermieden werden, indem die Regeln des Massenentlassungsschutzes auch für die Fälle gelten, in denen wegen des durchzuführenden Zulässigkeitsverfahrens der Kündigungsausspruch nicht innerhalb des 30-Tage-Zeitraums erfolgt. Die einschlägigen gesetzlichen Normen seien einer Auslegung zugänglich und können gerade hinsichtlich Kündigungen besonders geschützter Personen nicht isoliert betrachtet werden.

Das BVerfG hat daher das Revisionsurteil aufgehoben und die Sache an des BAG zurückverwiesen.

Unser Kommentar

Hat man sich bislang darauf verlassen können, dass sich die Wirksamkeit von Kündigungen (wie andere Willenserklärungen auch) nach dem Zeitpunkt ihres Zuganges beurteilt werden, so wird man von dieser formalen Sichtweise in einigen Fällen Abstand nehmen müssen. Das BVerfG hat dem BAG insofern wieder einmal gezeigt, dass bei allzu strenger Handhabung von formalen Erfordernissen Grundrechte von Arbeitnehmern nicht aus dem Blick geraten dürfen.

Freilich, bei Massenentlassungen kann die Kündigung der Elternzeitler häufig nicht gleichzeitig mit denen anderer Arbeitnehmer, die nicht besonders geschützt sind, erfolgen. Dies trifft aber auch auf andere geschützte Personen, etwa schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Arbeitnehmer zu, bei denen die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt werden muss. Zwar mögen die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts nachvollziehbar sein, wonach ein bestehender Sonderkündigungsschutz nicht einen anderen nicht gleichwertigen Sonderkündigungsschutz aushebeln darf. Und es ist auch nachvollziehbar, dass der Schutz nach § 17 KSchG den Betroffenen im Einzelfall tatsächlich durch die frühzeitige Information der Agentur für Arbeit und Einschalten des Betriebsrates Rechte sichert und weitere Handlungsoptionen bietet. Allerdings ist nur der Gesetzgeber berufen, die entsprechenden Regularien zu erlassen. Die Ausdehnung des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 KSchG und die Aufweichung von allgemeinen Zugangsregelungen des Zivilrechts weicht bestehende gesetzliche Regelungen – entgegen ihres Wortlautes – zu sehr auf.

Dies wird ggf. auch auf andere Fälle übertragbar sein. Insbesondere wird erwartet werden können, dass das für Arbeitgeber ohnehin schon komplexe und formalisierte Verfahren der Massenentlassungsanzeige im arbeitsgerichtlichen Verfahren noch häufiger angegriffen wird bzw. ins Feld geführt wird, dass ein solches hätte durchgeführt werden müssen.

Ein irgendwie gearteter „Zusammenhang“ (siehe 1. Leitsatz) einer Kündigung mit einem abgelaufenen 30-Tage-Zeitraum, in dem gekündigt worden ist, wird sich auf Arbeitnehmerseite sicherlich finden lassen. Bei zunächst nicht erreichtem Schwellenwert macht eine spätere „Zusammenhangskündigung“ auch die bereits ohne Anzeige ausgesprochenen Kündigungen unwirksam, wenn mit letzterer der Schwellenwert erreicht wird. Hier sind Arbeitgeber gut beraten, wenn sie anstehende Massenentlassungen besonders sorgfältig planen, insbesondere da die Rechtsprechung auch schon der Salamitaktik den Riegel vorgeschoben hat.

Daniel Zintl
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Leipzig
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daniel.zintl@luther-lawfirm.com

 

Nachrichten in Kürze

Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung

BAG, Urteil vom 11. August 2016 - 8 AZR 375/15

Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. Die Beklagte schrieb eine Stelle eines „technischen Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ des von ihr unterhaltenen Komplexes “Palmengarten“ aus. In der Stellenausschreibung heißt es unter anderem: „Wir erwarten: Dipl.-Inch. (FH) oder staatlich geprägter Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikationen“. Der Kläger ist ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „alternative Energie“. Er hat einen Grad der Behinderung von 50. Seinem Bewerbungsschreiben auf die ausgeschriebene Stelle fügte er einen ausführlichen Lebenslauf bei. Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt der Kläger nicht. Die Beklagte entschied sich für einen anderen Bewerber. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung aufgrund Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung. Er begründet dies damit, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 80 SGB IX) nicht nachgekommen sei. Hieraus könne bereits die Vermutung abgeleitet werden, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Die Beklagte beruft sich darauf, den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen zu müssen, da dieser für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten hin teilweise abgeändert und die Entschädigungssumme auf ein Bruttomonatsgehalt reduziert.

Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Durch die Nicht-Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch hat die Beklagte die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung vorzeitig aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden ist und dadurch benachteiligt wurde. Auf den Befreiungstatbestand des § 82 Satz 3 SGB IX, der vorsieht, dass eine Einladung entbehrlich ist, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, kann sich die Beklagte nach Auffassung des BAG nicht berufen. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner Bewerbung durfte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Gang zur Küche im Home Office ist nicht vom Unfallversicherungsschutz erfasst

BAG, Urteil vom 5. Juli 2016 - B 2 U 2/15 R

Die Parteien streiten sich darum, ob bei einem Unfall im Home Office beim Gang in die Küche ein Arbeitsunfall vorliegt, der dem Unfallversicherungsschutz unterfällt. Die Klägerin arbeitet aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber in einem gesonderten Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung an einem Telearbeitsplatz. Diesen hat die Klägerin verlassen, um sich aus ihrer Küche, die ein Stockwerk tiefer liegt, ein Glas Wasser zu holen. Hierbei rutschte sie auf der in das Erdgeschoss führenden Treppe aus und verletzte sich. Die Klägerin machte einen Arbeitsunfall bei der beklagten Unfallkasse geltend. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht verurteilte die Beklagte auf Berufung der Klägerin hin, einen Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die von der Beklagten eingelegte Revision beim Bundessozialgericht hatte Erfolg. Das Bundessozialgericht entschied, dass die Klägerin auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte zur Küche und damit in ihrem persönlichen Lebensbereich ausgerutscht ist. Zum Unfallzeitpunkt hat sich die Klägerin daher nicht auf einem Betriebsweg befunden, da sie den Weg zur Küche nicht zurückgelegt hat, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um sich ein Glas Wasser zum Trinken zu holen. Die Klägerin ist daher einer typischen eigenwirtschaftlichen und nicht einer versicherten Tätigkeit nachgegangen. Der Charakter der privaten, nicht versicherten Lebenssphäre der Wohnung ändert sich nicht durch die Arbeit im Home Office. Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat der Versicherte selbst, und nicht der Arbeitgeber zu verantworten. Das vom häuslichen und somit auch persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko der Versicherten sei diesem und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen, da es dem Arbeitgeber kaum möglich sei, außerhalb der Betriebsstätte präventive gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen.

Einsicht in die Personalakten unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts

BAG, Urteil vom 12. Juli 2016 - 9 AZR 791/14

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Einsicht in seine Personalakte unter Hinzuziehung seiner anwaltlichen Vertreterin gewährt werden muss. Die Beklagte beschäftigt den Kläger nach Betriebsübergang als Lagerist. Die bisherige Arbeitgeberin des Klägers hatte diesem eine Ermahnung erteilt. Bezugnehmend auf die Ermahnung beantragte der Kläger, Einsicht in seine Personalakte in Anwesenheit seiner Rechtsanwältin zu nehmen. Unter Hinweis auf ihr Hausrecht lehnte die Beklagte die Hinzuziehung Dritter, auch einer bevollmächtigten Rechtsanwältin, ab. Das Arbeitsgericht und das LAG haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG wird das Einsichtsrecht in die Personalakte in § 83 BetrVG ausschließlich und abschließend geregelt. Danach haben Arbeitnehmer das Recht, zur Einsicht in ihre Personalakte ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen. Es besteht weder unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers noch aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein Anspruch auf Einsichtnahme im Beisein eines Rechtsanwalts. Der Kläger kann mittels der gefertigten Kopien, deren Anfertigung die bisherige Arbeitgeberin gestattet hat, den Inhalt seiner Personalakte mit seiner Rechtsanwältin erörtern. An diese Erlaubnis ist die Beklagte nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden.

Keine Kostentragungspflicht des Arbeitnehmers für die Reinigung vorgeschriebener Hygienekleidung

BAG, Urteil vom 14. Juni 2016 - 9 AZR 181/15

Die Parteien streiten über den monatlichen Einbehalt von Reinigungskosten. Der Kläger ist als Fleischer bei der Beklagten tätig. Hierfür stellt die Beklagte weiße Hygienekleidung zur Verfügung. Für die Reinigung dieser Kleidung zieht die Beklagte dem Kläger monatlich 10,23 € vom Nettolohn ab. Eine Vereinbarung zur Kostenübernahme durch den Kläger wurde nicht vereinbart. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Abzüge unberechtigt sind und fordert Lohnnachzahlung in Höhe der bereits vorgenommenen Abzüge. Die Vorinstanzen haben den Anspruch bestätigt.

Die von der Beklagten eingelegte Revision hat das BAG zurückgewiesen. Der Kläger ist nicht verpflichtet, die Reinigungskosten der Hygienekleidung zu tragen. Die Kosten hat derjenigen zu tragen, in dessen Interesse das Geschäft oder die Handlung vorgenommen wird. Nach der nationalen Lebensmittelhygiene-Verordnung müssen Personen, die mit Lebensmitteln umgehen, geeignete und saubere Arbeitskleidung tragen. Die Beklagte hat die Reinigungskosten daher im Eigeninteresse aufgewendet.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Einheit des Verhinderungsfalls

BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 318/15

Die Parteien streiten über den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger war vom 9. September 2013 bis einschließlich 20. Oktober 2013 wegen eines lumbalen Facettensyndroms krankgeschrieben und erhielt von seinem beklagten Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Am 17. Oktober 2013 berichtete der Kläger seinem Hausarzt bei einem Untersuchungstermin von zunehmenden Schulterschmerzen. Am 21. Oktober 2013 stellte der Hausarzt dem Kläger eine Erstbescheinigung wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Schulterschmerzen für die Zeit ab dem 21. Oktober 2013 bis zunächst zum 5. November 2013 aus. Nachdem sich die Beklagte weigerte, dem Kläger für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung zu leisten, erhob der Kläger Zahlungsklage. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hin, hat das LAG die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Zwar entstehe grundsätzlich ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn ein Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut arbeitsunfähig wird. Dies gelte nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls jedoch nicht, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehe nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsunfähigkeit führt. Dies sei anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls – sei es auch nur für wenige Stunden – arbeitsfähig gewesen ist. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit sei die Entscheidung des Arztes, der die Arbeitsunfähigkeit im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertages bescheinigen wird. Der Arbeitnehmer habe nach Auffassung des BAG die Beweislast dafür zu tragen, ob die Arbeitsunfähigkeit in Folge einer bestimmten Krankheit erst ab dem vom behandelnden Arzt attestierten Zeitpunkt (vorliegend 21. Oktober 2013) oder schon während einer unmittelbar vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit eingetreten ist. Zwar könne sich der Arbeitnehmer zunächst auf ein von ihm vorgelegtes ärztliches Attest stützen. Erbringt der Arbeitgeber jedoch zumindest gewichtige Indizien dafür, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, so müsse der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der neuen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beweisen. Einen entsprechenden Beweis konnte der Kläger vorliegend nicht erbringen.

Sachgrundlose Befristung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein Heimarbeitsverhältnis

BAG, Urteil vom 24. August 2016 - 7 AZR 342/14

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung. Die Klägerin war für die Beklagte vom 15. Juni 2009 bis zum 31. August 2010 als Heimarbeiterin tätig. Ab dem 1. September 2010 wurde sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Durch Ergänzungsvertrag wurde die Dauer des Arbeitsvertrages bis zum 31. August 2012 verlängert. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung und das unbefristete Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

Vor dem BAG hatte die Klägerin keinen Erfolg. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG kann der Arbeitsvertrag für die Dauer von zwei Jahren ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds befristet werden. Dem steht nicht entgegen, dass eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig ist, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Ein Heimarbeitsverhältnis stellt nach Auffassung des BAG kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes dar.

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