10.07.2017

Obligatorische Beschwerdeverfahren

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Hintergrund

10.07.2017

Obligatorische Beschwerdeverfahren

Am 1. Juni 2016 wurde in Russland ein „obligatorisches Beschwerdeverfahren“ eingeführt. Das Beschwerdeverfahren ist zwingend als „Vorinstanz“ eines Rechtsstreits eines ordentlichen Gerichts vorgeschrieben. Ohne dieses Verfahren kann eine Klage nicht erhoben werden.

In der Deutschen ZPO gibt es insofern eine Parallele, als in zivilgerichtlichen Streitigkeiten zwingend eine „Güteverhandlung“ durchzuführen ist. Im deutschen Recht ist diese jedoch deutlich weniger formal geregelt.

Das Beschwerdeverfahren gibt den Parteien die Möglichkeit, Streitigkeiten ohne Anrufung eines Gerichts bereits im Vorfeld eines Rechtsstreits beizulegen. Darüber hinaus erhält der Beschwerdegegner Kenntnis darüber, welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden, sodass er darüber informiert wird, was auf ihn im ggf. kommenden gerichtlichen Rechtsstreit zukommt. Nicht Erforderlich ist ein vorgeschaltetes Beschwerdeverfahren bei folgenden Streitigkeiten:

  • Streitigkeiten über die Feststellung von rechtserheblichen Tatsachen wie Gründung, Liquidation, Eheschließung etc, die durch Dokumente belegt werden können,
  • Streitigkeiten mit Insolvenzbezug,
  • Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten,
  • Sammelklagen,
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Beendigung des Markenschutzes wegen deren Nichtbenutzung,
  • Streitigkeiten bei Anfechtung von Schiedsurteilen.

Ab 12. Juli 2017 wird diese Liste mit weiteren Arten von Streitigkeiten ergänzt, u.a. Streitigkeiten über Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Gerichtsurteilen.

Die Arbitragegerichtsverfahrensordnung der Russischen Föderation sieht vor, dass ein obligatorisches Beschwerdeverfahren eine Dauer von 30 Tagen nach der Einreichung der Beschwerde hat. Allerdings ist dies nicht zwingend der Fall, d.h., dass Parteien stets die Möglichkeit haben, eine andere Beschwerdeverfahrensdauer durch eine vertragliche Abrede zu bestimmen. Beispielsweise können sich die Parteien auf eine kürzere Dauer des Beschwerdeverfahrens einigen, etwa auf eine Dauer von 10 bis 30 Tagen. Zu beachten ist indes, dass eine solche kürzere Dauer dennoch als angemessen gelten muss. So trifft dies etwa auf eine Dauer von 1 bis3 Tagen nicht mehr zu.

Zwecks Vereinfachung des Beschwerdeverfahrens besteht auch die Möglichkeit, die maßgebliche Beschwerde an die E-Mail-Adresse der Gegenseite  zu übersenden. Es bedarf jedoch einer entsprechenden Bestimmung in der vertraglichen Abrede. So müssen zu diesem Zweck die  aktuellen E-Mail-Adressen – die zur Korrespondenzführung angegeben und bestimmt werden – beider Parteien im Vertrag explizit angegeben werden. Dieses Vorgehen vereinfacht das Beschwerdeverfahren wesentlich, denn der Versand einer Beschwerde als Schriftstück per Russischer Post ist  nicht immer effektiv und schnell genug.

Jedoch bemühen sich die Parteien in der Praxis nicht immer, zur Vereinfachung des Beschwerdeverfahrens beizutragen, weil sie glauben, dass dies im weiteren Verlauf des Verfahrens nachteilig werden kann.

Besteht für die Parteien eine Möglichkeit, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens zu vereinbaren und zu vereinfachen, ist dieses Vorgehen empfehlenswert. So ist den Parteien anzuraten, , u.a. die Beschwerdeerwiderungsfrist zu verkürzen und die elektronische Kommunikation zwischen den Parteien der postalischen vorzuziehen. Dafür müssen die entsprechenden Vertragsbedingungen eindeutig formuliert werden. Das heißt, dass solche Formulierungen, wie

„Alle Streitigkeiten werden durch friedliche Verhandlungen gelöst. Wenn Streitigkeiten nicht außergerichtlich gelöst werden können, steht den Parteien ein Gerichtsweg zur Beilegung von Streitigkeiten offen.“

nicht ausreichen, um das Beschwerdeverfahren zu beschleunigen. In einem solchen Fall gilt ausschließlich die gesetzlich vorgeschriebene Verfahrensform.

 

Reinhard Willemsen
Rechtsanwalt
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
München
Telefon +49 89 23714 25792
reinhard.willemsen@luther-lawfirm.com