05.09.2023

Maßgeblicher Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung – Änderung ab dem 1. September 2023

Ausgangssituation

Der Gesetzgeber hat Ende letzten Jahres infolge des Ukraine-Kriegs und der daraus resultierenden Planungsunsicherheit insbesondere aufgrund der gestiegenen Energiekosten den bei der Überschuldungsprüfung anzuwendenden Prognosezeitraum, in dem Unternehmen ihre ausreichende Zahlungsfähigkeit für die Zukunft dokumentieren müssen, von zwölf auf vier Monate reduziert (zu den Einzelheiten s. unseren Beitrag vom 1. Februar 2023). Das Gesetz, das die Insolvenzordnung (u. a.) insoweit vorübergehend angepasst hat (SanInsKG), gilt bis zum 31. Dezember 2023. Hinweise für eine Verlängerung gibt es derzeit nicht.

Planungszeiträume über das Jahr 2023 hinaus

Das SanInsKG kann jedoch schon vor Ablauf der Befristung seine praktische Wirksamkeit verlieren. Steht für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem 31. Dezember 2023, also ab dem 1. September 2023, fest, dass es für die ab dem 1. Januar 2024 wieder geltenden zwölf Monate für den Prognosezeitraum nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO nicht durchfinanziert ist, könnte dies bereits ab dem 1. September 2023 bei der Prüfung der Insolvenzantragspflicht zu berücksichtigen sein. Hierauf wurde bereits in der Gesetzesbegründung hingewiesen (BT Drucks. 20/2730 sowie BT Drucks. 20/4087). Auch nach einer vom Bundesjustizministerium (BMJ) veröffentlichten Pressemitteilung zum SanInsKG soll der befristete Prognosezeitraum bereits ab dem 1. September 2023 wieder zwölf Monate betragen. Diese Auffassung scheint auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in seinem neu verfassten IDW ES 11 (Rn. 106) zu teilen; jedenfalls hat sich das IDW nicht von den Aussagen in der Gesetzesbegründung bzw. der Pressemitteilung des BMJ distanziert. Wenig überraschend ist, dass die Interessenvertreter der Insolvenzverwalter die Meinung vertreten, dass ab dem 1. September 2023 wieder das „alte Insolvenzrecht“ Anwendung finde.

Unklare Rechtslage

Der Gesetzeszweck spricht zwar gegen diese Auslegung. Die Unternehmen sollten mit der Interimslösung zum verkürzten Prognosezeitraum entlastet werden. Durch eine faktische Verkürzung der Anwendbarkeit des verkürzten Prognosezeitraums würde der Gesetzeszweck konterkariert. Auch mit dem Gesetzeswortlaut („bis einschließlich 31. Dezember 2023“) ist die Auslegung kaum zu vereinbaren. Jedoch scheint der Gesetzgeber eine Befristung des verkürzten Prognosezeitraums lediglich bis zum 31. August 2023 verfolgt zu haben; anders lassen sich die jeweiligen – wenn auch kryptischen – Aussagen in den Gesetzesmaterialen und der Pressemitteilung des BMJ kaum erklären.

Für Vorstände bzw. Geschäftsführer eines Unternehmens ist es essenziell, dass sie einen präzisen Rechtsrahmen vorfinden, aus dem sich die genauen Pflichten und Fristen für die Stellung eines Insolvenzantrags zweifelsfrei ergeben. Derzeit lässt sich jedoch nicht mit der für die Insolvenzantragspflichten erforderlichen Gewissheit sagen, welcher Prognosezeitraum ab dem 1. September 2023 Anwendung findet. Den Ausgang einer gerichtlichen Klärung dieser Rechtsfrage abzuwarten, ist gerade angesichts der mit der rechtzeitigen Insolvenzantragstellung verbundenen erheblichen Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken nicht akzeptabel.

Konsequenzen für die Geschäftsleitung

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, spätestens ab Anfang September 2023 (wieder) auf eine rollierende integrierte Unternehmensplanung mit einem Planungshorizont von zwölf Monaten als Teil der gesetzlich geforderten Überwachungssysteme des Unternehmens aufzusetzen. Die Geschäftsleitung sollte schon aus Vorsichtsgründen davon ausgehen, dass ab dem 1. September 2023 wieder der Prognosezeitraum von zwölf Monaten für die Fortbestehensprognose gilt. Sobald die Fortführung des Unternehmens nicht mehr überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten Zahlungsunfähigkeit eintritt, muss unverzüglich Insolvenzantrag gestellt werden. Zur Haftungsvermeidung wegen einer möglichen zu frühen Antragstellung, sollten im Vorfeld insbesondere die Gesellschafter in die Entscheidung einbezogen werden.

Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen

Auch für die durch das SanInsKG verkürzten Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen, die den Zugang zu Eigenverwaltungsverfahren und zu Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen erleichtern sollten, dürften ab dem 1. September 2023 wieder die bisherigen Fristen von sechs statt bisher vier Monaten maßgeblich sein.

Autor/in
Dr. Boris Ober

Dr. Boris Ober
Partner
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