27.08.2025
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall setzt voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmers eintritt. Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn eine Erkrankung auf bewusst eingegangene Gesundheitsrisiken zurückgeht, etwa auf eine Tätowierung. Dazu hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden: Wer sich tätowieren lässt, riskiert bei Komplikationen den Verlust des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.05.2025 – 5 Sa 284a/24
Die Klägerin war als Pflegehilfskraft bei der Beklagten beschäftigt. Nach dem Stechen eines Tattoos am Unterarm kam es zu einer Entzündung, die eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Der Arbeitgeber kürzte daraufhin das Gehalt und verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, die Erkrankung sei durch den freiwilligen Eingriff selbstverschuldet. Die Klägerin begehrte den Differenzbetrag zum vereinbarten Bruttomonatsgehalt und trug vor, das Infektionsrisiko sei sehr gering (1 - 5 %) und sei mit typischen Sportverletzungen vergleichbar.
Das LAG Schleswig-Holstein bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und gab der Beklagten Recht: Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 1 EFZG). Zwar sei sie arbeitsunfähig gewesen, diese Arbeitsunfähigkeit habe sie jedoch schuldhaft herbeigeführt. Maßgeblich sei, ob der Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstoße („Verschulden gegen sich selbst“). Nach Auffassung des Gerichts hatte die Klägerin bedingten Vorsatz hinsichtlich der möglichen Komplikationen: Da sie selbst ein Infektionsrisiko von bis zu 5 % eingeräumt hatte, könne nicht von einer „fernliegenden“ Folge gesprochen werden. Bereits das bewusste Inkaufnehmen solcher Risiken stelle einen groben Verstoß gegen das Eigeninteresse dar. Dazu ist die Komplikation in der Tätowierung selbst angelegt. Anders als bei Sportverletzungen, bei denen das Risiko bei regelgerechter Ausübung nicht intendiert ist, werden Komplikationen beim Tätowieren von vornherein billigend in Kauf genommen.
Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitsunfähigkeiten infolge bewusst eingegangener Gesundheitsrisiken als selbstverschuldet gelten können und damit den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausschließen können. Nicht die Seltenheit einer Komplikation ist entscheidend, sondern deren Vorhersehbarkeit. Arbeitnehmer sollten sich der möglichen arbeitsrechtlichen Folgen von Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen bewusst sein. Arbeitgeber sind gut beraten, Entgeltfortzahlungsansprüche in solchen Fällen kritisch zu prüfen. Das Urteil legt einen strengen Maßstab an und stärkt damit die Position der Arbeitgeber bei Erkrankungen nach freiwilligen Eingriffen.
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück
Partner
Berlin
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