17.11.2023

Insolvenzverwalter der Wirecard AG fordert Dividenden zurück

Nach massiven Verlusten aus dem Aktiengeschäft sollen Fondsgesellschaften jetzt auch die aus-geschütteten Dividenden zurückzahlen.

Hintergrund

Die Jahresabschlüsse der Wirecard AG für die Jahre 2017 und 2018 wurden aufgrund von Bilanzmanipulationen durch das OLG München I rechtskräftig für nichtig erklärt. Dies eröffnet diverse Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Personen, die mit ihrer Nachlässigkeit das betrügerische Geschäftsmodell der Wirecard AG ermöglicht und gefördert haben. Dennoch sollen nach Auffassung des Insolvenzverwalters, Dr. Michael Jaffé, die Anleger für den Großteil des Schadens aufkommen. Der Verwalter hat nun mit der Rückforderung der Dividendenzahlungen aus den Jahren 2017 und 2018 begonnen. Hierbei geraten vor allem institutionelle Anleger – auch aus dem Ausland – in den Fokus, deren Fonds zu den jeweiligen Dividendenstichtagen größere Stückzahlen der Aktien hielten.

Unklare Rechtslage und Wertungswidersprüche

Die Rückforderung erfolgt auf Grundlage der insolvenzrechtlichen Schenkungsanfechtung. Insoweit bestehen kaum Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des Anfechtungstatbestands grundsätzlich erfüllt sind. Erheblichen Bedenken begegnet allerdings die Frage, ob Kapitalverwaltungsgesellschaften überhaupt Schuldner des Rückforderungsanspruchs sein können. Überdies stehen die Chancen – insbesondere für institutionelle Anleger – gut, dass zwischenzeitlich Entreicherung eingetreten ist. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Verwalter nicht nur die Dividendenzahlung, sondern auch bereits abgeführte Steuern von den Anlegern zurückverlangt.

Insgesamt hängt die Frage, ob ein Rückforderungsanspruch durchgesetzt werden kann von zahlreichen Wertungsfragen ab, die bisher keiner gerichtlichen Prüfung unterzogen wurden. Auch das allgemeine Vertrauen der Anleger in die Integrität und Stabilität des Kapitalmarkts, der zukünftig auch eine größere Rolle im Rahmen der Staatsfinanzierung spielen soll, steht hier auf dem Spiel. Schließlich offenbaren sich auch Wertungswidersprüche einer aktuellen und umstrittenen BGH-Entscheidung, wonach die Gutgläubigkeit des Dividendenempfängers der Insolvenzanfechtung nicht entgegensteht, obwohl § 62 Abs. 1 S. 2 AktG dies im gesellschaftsrechtlichen Kontext ausdrücklich normiert.

Zweifel am richtigen Anfechtungsgegner

Die Inanspruchnahme der Kapitalverwaltungsgesellschaften bzw. der jeweiligen Fonds, kann aus insolvenzanfechtungsrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen sowie gesellschaftsrechtlichen Gründen in Zweifel gezogen werden. Für die Wahl des richtigen Anfechtungsgegners dürfte relevant sein, wer überhaupt als Adressat der Dividendenzahlung anzusehen ist. Unter Zugrundelegung sowohl kapitalmarktrechtlicher als auch gesellschaftsrechtlicher Grundsätze ist die Kapitalverwaltungsgesellschaft nicht als Aktionär anzusehen und damit auch nicht Empfänger der Dividendenzahlung. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Fondsgesellschaften nach allen in Betracht kommenden Gestaltungsformen des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) keine wirtschaftliche Berechtigung an dem verwalteten Sondervermögen haben und einer strikten Vermögenstrennung unterliegen. Insofern kann schon die Erlangung eines Vermögenswerts im anfechtungsrechtlichen (nicht bereicherungsrechtlichen) Sinne mit guten Gründen hinterfragt werden. Schließlich erscheint die Rückzahlung der Dividenden aus den jeweiligen Sondervermögen der Fonds insbesondere auch im Hinblick auf den kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes bedenklich. Hier könnte – jedenfalls bei Publikumsfonds – eine Haftung völlig unbeteiligter Anleger entstehen, die auch verfassungsrechtliche Bedenken (Art. 14 Abs. 1 GG) aufkommen lässt.

Entreicherungseinwand

Weiterhin eröffnet § 143 Abs. 2 InsO denjenigen, die sich einer Rückforderung des Insolvenzverwalters ausgesetzt sehen, den Einwand der Entreicherung. Dieser könnte mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden, wenn die Dividendenzahlung nicht mehr im Fondsvermögen vorhanden ist oder der ausgezahlte Betrag durch andere Faktoren geschmälert wurde. Insoweit sind insbesondere zwischenzeitlich erfolgte Ausschüttungen an die Fondsanleger sowie Steuerzahlungen relevant. Auch hier betritt der Insolvenzverwalter juristisches Neuland, da vergleichbare Fälle noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung waren.

Ausblick

Für institutionelle Anleger dürfte es sich vor diesem Hintergrund lohnen, den Forderungen des Insolvenzverwalters entgegenzutreten. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil der Verwalter nur über einen eingeschränkten Informationszugriff verfügt. Dies gilt sowohl für den Bestand der Wirecard Aktionäre als auch für die Höhe der ausgezahlten Dividenden; den Anfechtungen liegen dementsprechend teilweise fehlerhafte Informationen hinsichtlich Stückzahlen und Inhaberschaft der Aktien zugrunde. Ob der Verwalter insoweit einen Auskunftsanspruch gegen die Kapitalverwaltungsgesellschaften geltend machen kann, erscheint fraglich. Schließlich rennt dem Verwalter die Zeit davon: die (vermeintlichen) Ansprüche verjähren möglicherweise bereits mit Ablauf des Jahres 2023.

Autor/in
Henning Brockhaus

Henning Brockhaus
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Dr. Boris Ober

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