22.03.2023

EuGH: Kein weiches Zurückfallen auf Gesetzesrecht bei unwirksamen B2C-AGB

Hintergrund

Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 8. Dezember 2022 – C-625/21 über einen wichtigen Fall zu entscheiden: Was passiert, wenn der Unternehmer sich in seinen AGB Rechte gegenüber dem Verbraucher einräumt, die gegen AGB-Recht verstoßen? Fällt er dann auf die Rechtslage zurück, die ohne die AGB-Klausel bestünde? Der EuGH ist streng und verweigert dem Unternehmer im Regelfall ein Zurückfallen auf das dispositive Gesetzesrecht.

In Deutschland führt dies zur Frage, ob § 306 BGB, der die Rechtsfolgen bei unwirksamen AGB-Klauseln regelt, mit Unionsrecht vereinbar ist.

Sachverhalt

Ein österreichischer Verbraucher erwarb bei einem Möbelhaus eine Küche. Der Verbraucher verlor das Interesse an der Küche und erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag. Daraufhin forderte das Möbelhaus Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns.

Der Küchenkaufvertrag beruhte auf den AGB des Möbelhauses. Diese sahen vor, dass das Möbelhaus nach seiner Wahl, wenn der Kunde ohne Grund vom Vertrag zurücktritt, entweder einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises oder den tatsächlich entstandenen Schaden verlangen kann.

Das Möbelhaus klagte Schadensersatz auf Grundlage seines tatsächlich entstandenen Schadens ein.

Die österreichischen Gerichte entschieden, dass die AGB-Klausel unwirksam ist. Der EuGH hatte darüber zu entscheiden, ob die durch Unwirksamkeit der Klausel entstandene Lücke im Vertrag durch Rückgriff auf dispositives Recht geschlossen werden kann.

Entscheidung

Der EuGH entschied auf Grundlage der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, dass der Verkäufer keinen Schadensersatz auf Basis des dispositiven Rechs verlangen kann, wenn eine Schadensersatzklausel im Verbrauchervertrag unwirksam ist.

Der Gerichtshof bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung, wonach eine unwirksame B2C-AGB-Klausel nicht in jedem Fall durch dispositives nationales Recht ersetzt werden darf. Der EuGH legt die Prüfungsschritte dar, die ein nationales Gericht vorzunehmen hat, um ausnahmsweise eine Klausel durch dispositives nationales Recht zu ersetzen:

  • Ist die Klausel unwirksam?
  • Führt die Unwirksamkeit der Klausel dazu, dass der Vertrag insgesamt nichtig ist?
  • Ist eine solche Nichtigkeit des Vertrages für den Verbraucher besonders nachteilig, so dass dieser dadurch geschädigt würde?

Erst wenn alle diese Fragen mit „ja“ beantwortet werden können, kann das nationale Gericht die unwirksame Klausel mit dispositivem Recht ersetzen, um den Vertrag aufrechtzuerhalten.

Das österreichische Gericht muss nun prüfen, ob der Fortbestand des Kaufvertrages nach Streichung der Schadensersatzklausel rechtlich möglich ist. Sofern dies der Fall ist, wovon auszugehen ist, hat das Möbelhaus keinen Schadensersatzanspruch.

Bewertung

Die Entscheidung fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des EuGH ein. Durch die Entscheidung sollen Unternehmer effektiv davor abgeschreckt werden, missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zu verwenden.

Die EuGH-Rechtsprechung führt zu einer Sanktionierung des Unternehmers und verhilft damit dem EU-Recht zur vollen Wirksamkeit.

Auswirkungen auf das deutsche Recht und B2B-Verträge

Die EuGH-Rechtsprechung hat Auswirkungen auf § 306 BGB.

§ 306 BGB regelt die Rechtsfolgen bei unwirksamen AGB-Klauseln:

§ 306 Abs. 1 BGB, wonach ein Vertrag wirksam bleibt, sofern einzelne AGB unwirksam sind, steht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie und der EuGH-Rechtsprechung.

Anders sieht dies jedoch bei § 306 Abs. 2 und 3 BGB aus.

Ein Rückgriff auf Gesetzesrecht zur Lückenfüllung im Fall einer unwirksamen Klausel, wie es § 306 Abs. 2 BGB als Regelfall vorsieht, ist laut EuGH gerade nicht zulässig. Diese Rechtsfolge - so der EuGH - darf nur eintreten, wenn die Unwirksamkeit der Klausel zur Nichtigkeit des ganzen Vertrages führen würde und dies für den Verbraucher nachteilig wäre.

Auch § 306 Abs. 3 BGB steht nicht im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung. Diese Vorschrift stellt nicht nur auf das Interesse des Verbrauchers, sondern auch auf das Interesse des Unternehmers ab, indem es darauf ankommt, ob die Unwirksamkeit des Vertrages für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte wäre.

Beide Absätze sind daher nicht mit Unionsrecht vereinbar. Sie sind für Verbraucher-AGB richtlinienkonform auszulegen. Der deutsche Gesetzgeber wird § 306 Abs. 2 und 3 BGB für Verbraucher-AGB anpassen müssen.

Eine Auswirkung auch auf B2B-Verträge ist aus unserer Sicht bislang nicht zu befürchten. Die Richtlinie, auf die sich der EuGH beruft, betrifft nur Verbraucherrecht. Die deutschen Gerichte werden § 306 Abs. 2 und 3 BGB daher nur bei Verbraucherverträgen unionsrechtskonform auslegen. Bei B2B-Verträgen hingegen ist eine solche Auslegung weder erforderlich noch geboten. Hier sollten sich die Gerichte weiterhin an den Wortlaut und die bisherige Auslegung von § 306 Abs. 2 und 3 BGB halten. Alles andere wäre contra legem.

Folgen für die Praxis

Die Folgen eines Verstoßes gegen AGB-Recht werden im B2C-Geschäft für Unternehmen immer einschneidender. Neben der Unwirksamkeit der Klausel und Unterlassungsklagen nach dem UWG kommt das Abschneiden der gesetzlichen Rechte hinzu. Das hat klaren Strafcharakter für Unternehmen.

Unternehmer sollten ihre Verbraucher-AGB dahingehend überprüfen, ob sie an der einen oder anderen Stelle einen aggressiveren Ansatz gewählt haben mit dem vermeintlich ruhigen Gefühl, dass sie schlimmstenfalls auf Gesetzrecht zurückfallen könnten. Dies könnte ihnen jetzt auf die Füße fallen.

Autor/in
Dr. Johannes Teichmann

Dr. Johannes Teichmann
Partner
Frankfurt a.M.
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Rebecca Romig

Rebecca Romig
Counsel
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