07.08.2019

Der Einsatz von KI bei unternehmerischen Entscheidungen – Chancen und Risiken

Mit den Fortschritten künstlicher Intelligenz wird ihre Nutzung auch im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen zunehmend diskutiert. Der folgende Beitrag soll daher einen kurzen Einblick in die immer stärker aufkommende Thematik der Nutzung technischer Systeme bei unternehmerischen Entscheidungen vermitteln.

Hintergrund

Mit den Fortschritten künstlicher Intelligenz wird ihre Nutzung auch im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen zunehmend diskutiert. Der folgende Beitrag soll daher einen kurzen Einblick in die immer stärker aufkommende Thematik der Nutzung technischer Systeme bei unternehmerischen Entscheidungen vermitteln.


Nutzungspflicht von KI bei unternehmerischen Entscheidungen?

Die rechtliche Bewertung des Einsatzes künstlicher Intelligenz und technischer Datenverarbeitung bewegt sich derzeit zwischen datenschutz- und haftungsrechtlichen Grenzen. Bei Geschäftsleitungsorganen von Kapitalgesellschaften stellt sich die Frage nach dem Mehrwert und den Risiken künstlicher Intelligenz vor allem aufgrund der umfangreichen Informations-, Wissens- und Handlungsanforderungen, die an die Geschäftsleiter gestellt werden. Wenn KI-gestützte Systeme menschliche Wissensdefizite kompensieren und zu „besseren“ Entscheidungen führen, lässt sich gar über eine Pflicht zum Einsatz künstlicher Intelligenz bei Entscheidungen der Geschäftsleitung nachdenken.

Diese Frage spielt bei unternehmerischen Entscheidungen dann eine besondere Rolle, wenn sich diese im Nachhinein als falsch erweisen. Denn bislang kann sich die Geschäftsleitung von dem Vorwurf einer (haftungsbegründenden) Pflichtverletzung entsprechend § 93 Abs. 1 S. 2 AktG entlasten, wenn die unternehmerische Fehlentscheidung in der Annahme erging, „auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ (sogenannte Business Judgement Rule).

Die Anforderungen an die danach erforderliche angemessene Informationsgrundlage bestimmt das Gesetz jedoch nicht. Auswahl und Umfang der Informationsgrundlage werden ihrerseits als unternehmerische Entscheidung angesehen, die am Maßstab der Business Judgement Rule zu messen ist und sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet. Bislang behilft man sich oftmals damit, externe Beratung nebst Handlungsempfehlungen ausgewiesener Experten einzuholen, beispielsweise durch Sachverständigengutachten, um die Entscheidung auf eine angemessene Informationsgrundlage zu stellen.

Durch den Fortschrift technischer Systeme der Datenverarbeitung dürften sich in naher Zukunft die Anforderungen an eine angemessene Informationsgrundlage erhöhen. Gerade bei komplexen Prozessen (insbesondere im Investitions- und Transaktionsbereich) liegt es nahe, unternehmerische Entscheidungen mittels künstlicher Intelligenz vorzubereiten, große Datenmengen auszuwerten und Verknüpfungen herstellen zu lassen, deren Erledigung durch menschliche Analysten einen erheblichen (Kosten-)Aufwand erfordern würden.

Dabei geht es nicht mehr nur um hochbeschleunigte Rechenprozesse, sondern auch um „erlernte“ Datenverarbeitung. Künstliche Intelligenz könnte somit dabei helfen, die teilweise sogar geforderte Auswertung „aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ bei unternehmerischen Entscheidungen weitestgehend zu erfüllen.

Die bloße Erleichterung, Beschleunigung und Vervollständigung der KI-gestützten Informationsverarbeitung führt derzeit jedoch (noch) nicht zu einer generellen Nutzungspflicht bei unternehmerischen Entscheidungen. Dennoch sollten sich Geschäftsleiter der Entwicklung nicht verschließen und KI-Systeme zumindest in Fällen, in denen ihre Nutzung offenkundig unter Zugewinn an Informationen zeit- und kostensparend eingesetzt werden kann, in Betracht ziehen.
 

Prüfungspflicht von KI-Vorschlägen vor der Umsetzung!

Werden KI-Systeme zur Vorbereitung von unternehmerischen Entscheidungen genutzt, ist zu bedenken, dass unter Berücksichtigung der „ISION-Grundsätze“ des BGH auch die Ergebnisse eingesetzter technischer Systeme nicht ungeprüft übernommen werden dürfen, sondern auf typische Entscheidungsfehler und Plausibilität hin durch die Geschäftsleitung zu überprüfen sind. Insoweit gelten die Grundsätze der Rechtsprechung zur Prüfpflicht der Geschäftsleitung bei der Einholung von Expertenmeinungen durch Dritte. Beim Einsatz künstlicher Intelligenz muss sichergestellt sein, dass die Ergebnisse der technischen Systeme nicht durch menschliches Handeln – beispielsweise durch fehlerhafte Programmierung – beeinflusst wurden und bekannte technische Defizite – zum Beispiel unzureichende Datenqualität und stereotypische Bewertungen – ausgeschlossen sind. Somit setzt eine effektive Kontrolle der KI-Systeme voraus, dass die Geschäftsleitung den Arbeitsvorgang und die Informationsauswertung zumindest im Ansatz nachvollziehen und auf ihre Plausibilität bewerten kann, ohne dass IT-spezifische Kenntnisse gefordert werden.
 

Fazit

Ob und wie sich der geltende Maßstab des ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters angesichts der technologischen Entwicklung wandelt, gilt es aufmerksam zu beobachten. Je sicherer und ausgereifter KI-Systeme in naher Zukunft werden, umso sinnvoller erscheint es, diese für unternehmerische Entscheidungen heranzuziehen und sich frühzeitig mit deren Funktionen vertraut zu machen.Für den Moment gilt, dass über den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen weiterhin die Geschäftsleitung zu entscheiden hat. Zwar besteht nach der (noch) herrschenden Ansicht keine generelle Pflicht zur Nutzung von künstlicher Intelligenz, allerdings bietet sich eine solche zur effektiveren Auswertung von großen Datenmengen und Verminderung von Haftungsrisiken in Einzelfällen bereits jetzt an. In solchen Fällen bedarf jedoch auch der KI-gestützte Rat einer kritischen Plausibilitätsprüfung durch die Geschäftsleitung, um Haftungsrisiken zu verringern, falls sich die Entscheidung als falsch erweist. Von einem unkritischen Befolgen der Ergebnisse technischer Systeme ist daher dringend abzuraten.

 

 

Dr. Cédric Müller, LL.M. (Bristol)
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Alexander Masson, LL.B.
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