18.11.2020

Ausweitung der Investitionskontrolle schafft weitere Hürden für M&A-Transaktionen

1. Vierte Ausweitung und Verschärfung binnen drei Jahren

Das deutsche Investitionskontrollrecht ist erneut verschärft worden. Immer mehr Transaktionen fallen unter die Prüfungskompetenz des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi). Zum vierten Mal innerhalb von drei Jahren werden die Rechtsgrundlagen für die Investitionskontrolle in Deutschland – das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) – grundlegend reformiert.

Transaktionsberater müssen daher in einer zunehmenden Zahl von Fällen zusätzlich zu Genehmigungsverfahren etwa vor Kartellbehörden auch solche vor dem BMWi einplanen. Allein in den vergangenen drei Jahren hat sich die Anzahl der vom BMWi geprüften der Transaktionen verdoppelt. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Zudem wird das BMWi künftig zusätzlich über ca. 130 Fälle jährlich zu entscheiden haben, die ihm aus anderen EU-Mitgliedstaaten mitgeteilt werden.

Für die deutsche Investitionskontrolle bringen die jüngsten Reformen der AWV und des AWG im Wesentlichen folgende Änderungen:

  • Künftig prüft das BMWi auch, ob ein Erwerb voraussichtlich die öffentliche Ordnung oder Sicherheit eines anderen EU- oder eines EWR-Mitgliedstaates beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung in Bezug auf bestimmte Projekte oder Programme von Unionsinteresse zu erwarten ist.
  • Der Maßstab für die Untersagung eines Erwerbs wird abgesenkt.
  • Künftig gilt ein bußgeld- und strafbewehrtes Vollzugsverbot für solche Erwerbe, die beim BMWi angemeldet werden müssen.

Im Folgenden fassen wir zunächst die Grundzüge des deutschen Investitionskontrollrechts zusammen (2.) und stellen sodann die wichtigsten Änderungen der AWV und des AWG im Einzelnen dar (3.). Abschließend zeigen wir einige Folgen für die Beratungspraxis und weisen auf die bereits angekündigte nächste Änderung der AWV hin, die weitere Bereiche der verschärften Investitionskontrolle unterwerfen wird (4.). 

2. Grundzüge des deutschen Investitionskontrollrechts

Die Investitionskontrolle in Deutschland kennt insbesondere das sog. sektorübergreifende Prüfverfahren (§§ 55 bis 59 AWV) sowie das sog. sektorspezifische Prüfverfahren (§§ 60 bis 62 AWV). Das sektorspezifische Prüfverfahren erfasst die „klassischen“ besonders sensiblen Wirtschaftsbereiche, also insbesondere Hersteller von Rüstungsgütern oder Hersteller von für die Verarbeitung staatlicher Verschlusssachen genutzten Produkten mit IT-Sicherheitsfunktionen (§ 60 Abs. 1 AWV). Von größerer Bedeutung für die meisten Unternehmen ist das sektorübergreifende Prüfverfahren. Denn es gilt für alle zu erwerbenden Unternehmen, unabhängig davon, in welcher Branche sie tätig sind:

Die sektorübergreifende Investitionsprüfung räumt dem BMWi das Recht ein, in allen Wirtschaftsbereichen (= sektorübergreifend) zu prüfen, ob der Erwerb eines deutschen Unternehmens oder die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung hieran durch einen Unionsfremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit voraussichtlich beeinträchtigt. „Unionsfremd“ ist jede natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft, Zweigniederlassung oder Betriebsstätte, die nicht in der EU oder dem EWR ansässig ist. Abhängig davon, ob das Zielunternehmen in bestimmten Branchen tätig ist, liegt die Schwelle für die Eröffnung der Prüfungskompetenz des BMWi bereits bei 10% oder erst bei 25% der Stimmrechte an diesem Unternehmen oder einem seiner Anteilseigner:

2.1.   Besonders sicherheitsrelevante Branchen: Meldepflicht ab 10% Stimmrechtserwerb

Ist das Zielunternehmen in den in § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV aufgezählten Geschäftsbereichen tätig, besteht gemäß der AWV eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit voraussichtlich beeinträchtigt sein könnte. Dann ist der (unmittelbare) Erwerber von bereits 10 % oder mehr der Stimmrechte an solchen Unternehmen verpflichtet, den Erwerb dem BMWi zu melden und diesem eine Prüfung zu ermöglichen (§ 55 Abs. 4 S. 1 AWV). Kontrollpflichtig ist ein Erwerb nicht nur dann, wenn der unmittelbare Erwerber unionsfremd ist, sondern es genügt, dass der mittelbare Erwerber unionsfremd ist. Ein mittelbarer Erwerb durch einen Unionsfremden liegt etwa vor, wenn ein Unionsfremder 10 % der Stimmrechte an einer unionsansässigen Zwischengesellschaft hält, welche wiederum unmittelbar    10 % der Stimmrechte an einem inländischen Unternehmen aus einem der Geschäftsbereiche der § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV erwirbt (§ 56 Abs. 3 AWV):

Diese Geschäftsbereiche betreffen im besonderen Maße zentrale Sicherheits-, Versorgungs- und Gesundheitsinteressen und nehmen daher eine Schlüsselfunktion für Bevölkerung und Staat ein.  Beispiele sind Betreiber einer sog. „kritischen Infrastruktur“ i.S.d. Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der zugehörigen Verordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen; aber auch Unternehmen aus dem Medizin-, Pharma- und Healthcare-Bereich wurden mit der letzten (insgesamt 15.) Änderung der AWV anlässlich der Corona-Pandemie als besonders sicherheitsrelevante Bereiche eingestuft (der Lutherblog berichtete hier und hier). Das BMWi muss dann innerhalb von zwei Monaten entscheiden, ob es ein Prüfverfahren eröffnet oder nicht. Eröffnet es kein Prüfverfahren, gilt gem. § 58 Abs. 2 AWV eine sog. Unbedenklichkeitsbescheinigung als erteilt, der Erwerb darf dann vollzogen werden. Eine solche Unbedenklichkeitsbescheinigung kann der Erwerber eines besonders sicherheitsrelevanten Unternehmens auch durch Antrag auf deren Erteilung erlangen. Mit einem solchen Antrag dürfte der Erwerber regelmäßig gleichzeitig seiner Meldepflicht genügen. Wenn das BMWi auf einen solchen Antrag oder eine Meldung hin das Prüfverfahren eröffnet, hat es vier Monate Zeit, um den Erwerb zu untersagen oder ihn mit oder ohne Auflagen freizugeben, wobei es diese Frist einseitig um bis zu drei Monate verlängern kann. Das BMWi kann den Erwerb untersagen oder ihn nur unter Auflagen freigeben, wenn er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der BRD, eines anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaates oder in Bezug auf bestimmte Projekte oder Programme von Unionsinteresse, „voraussichtlich beeinträchtigt“. Ansonsten muss das BMWi den Erwerb freigeben. Sind seit dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb mehr als fünf Jahre vergangen, ist eine Eröffnung des Prüfverfahrens ausgeschlossen, auch wenn das BMWi keine Kenntnis von dem Erwerb hatte oder der Erwerb anmeldepflichtig war.

2.2.   Andere Branchen:  Keine Meldepflicht, aber Prüfungsrecht ab 25% Stimmrechtserwerb

Ist das Zielunternehmen in anderen als den in § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV aufgezählten Geschäftsbereichen tätig, kann das BMWi den Erwerbsvorgang nach § 55 Abs. 1 S. 1 AWV prüfen, wenn 25% oder mehr Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen erworben werden. Eine Meldepflicht gegenüber dem BMWi gibt es im Anwendungsbereich dieses generellen Prüfungsrechts jedoch nicht. Das BMWi leitet hier also das Prüfverfahren ggf. auf eigene Initiative ein, wenn es durch einen Antrag des Erwerbers auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung oder anderweitig Kenntnis vom Erwerb erhalten hat. Im Übrigen sind der Ablauf des Prüfverfahrens und der materielle Maßstab für die Untersagung („voraussichtliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“) dieselben wie bei der Prüfung besonders sicherheitsrelevanter Bereiche (s. 2.1.).

3. Jüngste Änderungen des AWG und der AWV

Die Änderungen der AWV und des AWG, die jeweils am 29. Oktober bzw. 10. Juli 2020 in Kraft getretenen sind, waren im Wesentlichen die Folgenden:

  • Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit eines EU-und EWR-Mitgliedstaates oder bestimmter Projekte oder Programme von Unionsinteresse

Die jüngste Novelle des Investitionskontrollrechts sollte dieses zunächst an Vorgaben der EU-Screening-VO anpassen, die vom 11. Oktober 2020 an in Deutschland anwendbar ist. Diese sieht unter anderem einen Mechanismus zur Kooperation der EU- und EWR-Mitgliedstaaten bei der Investitionskontrolle vor. Daher muss das BMWi künftig auch prüfen, ob ein Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicherheit eines EU-und EWR-Mitgliedstaates oder in Bezug auf bestimmte Projekte oder Programme von Unionsinteresse voraussichtlich beeinträchtigt. Ebenso müssen andere EU-und EWR-Mitgliedstaaten dem BMWi melden, wenn ein Erwerb eines dort ansässigen Unternehmens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der BRD voraussichtlich beeinträchtigt.

  • Absenkung des bislang geltenden Maßstabs für die Untersagung eines Erwerbs

Darüber hinaus senkte der deutsche Verordnungsgeber den bislang geltenden Untersagungsmaßstab der „tatsächlichen und schweren Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auf deren „voraussichtliche Beeinträchtigung“ ab, was die Prüfungsbefugnisse des BMWi erweitert. Die EU-Screening-Verordnung gibt Kriterien für die Auslegung dieses Begriffes an die Hand und konkretisiert Maßstab, Anforderungen und Inhalte einer solchen Beeinträchtigung. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dynamisch und an zeitliche Entwicklungen angepasst auszulegen. Gemäß § 55 Abs. 1b AWV können bei der Überprüfung einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit insbesondere auch in der Person des Erwerbers liegende Gründe berücksichtigt werden (z. B. staatliche kontrollierte Unternehmen).

  • Bußgeld- und strafbewehrtes Vollzugsverbot für anmeldepflichtige Erwerbe

Eine weitere zentrale Änderung betrifft das Verbot, einen Erwerb zu vollziehen, bis das BMWi diesen Erwerb freigibt, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt oder eine solche Bescheinigung durch Fristablauf fingiert wird („Vollzugsverbot“). Ein solches Vollzugsverbot galt bislang nur für die sektorspezifische Investitionskontrolle für Rüstungsgüter und ähnliche Bereiche (s. 2.1.). Dieses Vollzugsverbot war weder straf- noch bußgeldbewehrt. Nunmehr gilt ein Vollzugsverbot ebenfalls für jeglichen Erwerb, der eine Anmeldepflicht auslöst (sektorübergreifende oder sektorspezifische Prüfung). Verstöße gegen dieses Vollzugsverbot sind – im Unterschied etwa zum fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot – zudem nicht nur bußgeld-, sondern auch strafbewehrt, soweit es die in § 15 Abs. 4 AWG normierten Vollzugshandlungen betrifft.Diese Verzugshandlungen sind die Ermöglichung der Stimmrechtsausübung durch den Erwerber, die Gewährung von mit dem Erwerb verbundenen Gewinnauszahlungsansprüchen oder eines wirtschaftlichen Äquivalents sowie das Überlassen oder Offenlegen von Informationen über das Zielunternehmen, soweit sie sich auf Unternehmensbereiche oder -gegenstände beziehen, die eine Anmeldepflicht auslösen. Vorsätzliche Verstöße hiergegen können mit Freiheitsstraße von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, fahrlässige Verstöße mit Bußgeldern.Darüber hinaus erweitert der deutsche Gesetzgeber die Fälle, in denen die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts eingeschränkt ist, das dem kontrollpflichtigen Erwerb eines inländischen Unternehmens dient. Schon bisher war jegliches Verpflichtungsgeschäft zum Erwerb eines inländischen Unternehmens, das in den Anwendungsbereich der Investitionskontrolle fiel, auflösend durch die Untersagung des BMWi bedingt (§ 15 Abs. 2 AWG). Nunmehr ist auch das Verfügungsgeschäft zum Vollzug eines Erwerbs schwebend unwirksam bis zur (ggf. fingierten) Freigabe durch das BMWi, wenn es sich dabei um einen anmeldepflichtigen Erwerb in den gem. § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV aufgezählten Geschäftsbereichen handelt (§ 15 Abs. 3 AWG). Dadurch soll verhindert werden, dass die Erwerbsbeteiligten während der laufenden Prüfung vollendete Tatsachen schaffen und die Ziele der Investitionsprüfung unterlaufen.

4. Folgen für die Beratungspraxis und Ausblick

Die erneute Verschärfung des Investitionskontrollrechts steigert ihre bereits hohe praktische Relevanz weiter. Erwerber müssen bei allen M&A-Transaktionen in den Blick nehmen, ob sie das Prüfverfahren vor dem BMWi durchlaufen müssen – ebenso wie sie heute schon standardmäßig fusionskontrollrechtliche Genehmigungserfordernisse einplanen. Hier wie dort ist es ratsam, so frühzeitig wie möglich die Informationen zu beschaffen, die für eine Meldung ans BMWi gem. § 55 Abs. 4 S.1 AWV oder für einen Antrag einer Unbedenklichkeitsbescheinigung gem. § 58 AWV erforderlich sind. Nur so kann rechtzeitig Transaktionssicherheit geschaffen werden. Die Absenkung des Untersagungsmaßstabs einer „voraussichtlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ lässt erwarten, dass das BMWi seinen ohnehin weiteren Spielraum noch stärker ausnutzen wird. Diese Erhöhung des Untersagungsrisikos kann in der Beratungspraxis aber teilweise begegnet werden, indem dem BMWi angemessene Zugeständnisse gemacht werden, um investitionskontrollrechtliche Bedenken auszuräumen und eine Freigabe unter Auflagen zu erreichen. Eine solche Freigabe unter Auflagen ist in der Fusionskontrolle nicht ungewöhnlich. Auch insoweit kann die investitionskontrollrechtliche Begleitung von Erfahrungen aus der fusionskontrollrechtlichen Beratungspraxis profitieren.

Dass die Investitionskontrolle weiter im Fokus gesetzgeberischer Aktivitäten bleiben wird, zeigt die Ankündigung des BMWi, die AWV erneut zu reformieren, um weitere kritische Technologien zu bestimmen, die im Rahmen der Investitionsprüfung besondere (Sicherheits-)Relevanz haben und daher bereits ab einem Anteilserwerb von 10 % der Stimmrechte prüfbar und meldepflichtig sein sollen. Hierzu gehören insbesondere die in der EU-Screening-VO genannten Bereiche Künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Bio- und Quantentechnologie.

Autor/in
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)

Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)
Partner
Brüssel, Düsseldorf
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