20.03.2023

EuGH: Wettbewerbsbehörden in der EU dürfen gegen Zusammenschlüsse selbst bei Unterschreiten von Anmeldeschwellen vorgehen (C-449/21, „Towercast“)

Hintergrund

Der EuGH hat am 16. März 2023 die Ansicht der Generalanwältin Kokott bestätigt: Wettbewerbsbehörden in der EU dürfen gegen Zusammenschlüsse selbst bei Unterschreiten von Anmeldeschwellen vorgehen (siehe hier). Den Rechtsstreit und seine Auswirkungen auf die M&A-Praxis hatten wir bei Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin dargestellt, siehe unseren Beitrag vom 21. Oktober 2022. Für die Planung von Transaktionen ist somit zu beachten:

  1. Wie bislang üblich ist zu prüfen, ob nach allen Rechtsordnungen, in denen sich der Zusammenschluss auswirken kann, die Fusionskontroll-Schwellen überschritten sind und daher vor Vollzug behördliche Genehmigungen eingeholt werden müssen.
  2. Selbst wenn die Fusionskontroll-Schwellen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und die der EU-Fusionskontrollverordnung (FKVO) nicht überschritten sind, darf die Europäische Kommission den Zusammenschluss prüfen, wenn ein oder mehrere EU-Mitgliedstaaten dies bei der Kommission beantragen, weil nach ihrer Auffassung der Zusammenschuss den Wettbewerb erheblich zu beeinträchtigen droht, Art. 22 FKVO. Ist der Zusammenschluss noch nicht vollzogen, kann die Kommission den Vollzug bis zum Abschluss ihrer Prüfung verbieten. In der Transaktionsberatung muss man also nicht nur Schwellenwerte prüfen, sondern eine Einschätzung treffen, ob der Zusammenschluss den Wettbewerb beeinträchtigt (und folglich mit einem Antrag von EU-Mitgliedstaaten an die Kommission zu rechnen ist).
  3. Ein Zusammenschluss, der die Fusionskontroll-Schwellen der FKVO nicht überschreitet, nicht Gegenstand einer Art. 22-Verweisung ist und auch nicht unter eine mitgliedstaatliche Fusionskontrolle fällt, kann dennoch von der Kommission oder mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden aufgegriffen werden, und zwar dann, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen an dem Zusammenschluss beteiligt ist.

Zur umsichtigen Beratung von Transaktionen gehört auch in der EU somit nicht nur das Prüfen von Umsatz-Schwellenwerten, sondern eine zumindest grobe Einschätzung, ob der Zusammenschluss wettbewerblich bedenklich sein könnte und dessen späteres Aufgreifen durch eine Kartellbehörde in der EU möglich erscheint.

Autor/in
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)

Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)
Partner
Brüssel, Düsseldorf
helmut.janssen@luther-lawfirm.com
+32 2 627 7763 / +49 211 5660 18763 / +49 1520 16 18763

Martin Lawall, LL.M. (University of Glasgow)

Martin Lawall, LL.M. (University of Glasgow)
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