06.12.2022

Bauliche Anforderungen an Heime – nicht nur – in Niedersachsen

Autoren: Tatjana Giutronich, Daniel Schubmann und Robin Reichel

Hintergrund

Das durchschnittliche Baujahr der in Deutschland ca. 15.400 vorhandenen Pflegeheime geht in das Jahr 1991 zurück.1 Der zwischenzeitlich entstandene – teils massive – Sanierungsstau liegt dabei auf der Hand. Um diesen zu beseitigen und die Pflege auch durch die bauliche Beschaffenheit von Gesundheitsimmobilien attraktiver zu gestalten, regeln zahlreiche Bundesländer strenge bauliche Anforderungen für diese.

Zuletzt hat das Land Niedersachsen mit seiner zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen „Verordnung über bauliche Anforderungen für unterstützende Einrichtungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über unterstützende Wohnformen“ (die „Niedersächsische Heimmindestbauverordnung“) solche Regelungen erlassen.

Mit diesem Beitrag geben wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die neusten Regelungen und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht.


1 ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Studie zum Pflegemarkt 2030 (Pflegekapazitäten nachfragegerecht ausbauen), S. 14.

1. Rechtliche Einordnung

Anders als der vertragsrechtliche Teil des Heimrechts, der in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes (als bürgerliches Recht i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG)2 fällt und im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) geregelt ist, fällt seit der Föderalismusreform (im Jahre 2006) der bau(-ordnungs)rechtliche Teil nunmehr in die alleinige Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 Abs. 1 GG, vergleiche auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG).3 In der Folge ist das „alte“ Heimgesetz des Bundes durch die landesrechtlichen Heimgesetze ersetzt worden und beansprucht somit heute faktisch keine Geltung mehr (Art. 125a Abs. 1 GG). Damit ist auch der „alten“ Heimmindestbauverordnung des Bundes, in der die baulichen Anforderungen an Heime geregelt waren, die Grundlage entzogen worden. Sie werden nun von den Bundesländern in eigener Verantwortung geregelt. Zu beachten ist jedoch, dass einige Länder von ihrer Regelungskompetenz dahingehend Gebrauch gemacht haben, dass sie auf die „alte“ Heimmindestbauverordnung des Bundes verweisen, die in den betreffenden Bundesländern damit fort gilt. Dementsprechend unterschiedlich sind die baulichen Anforderungen an Heime in Deutschland (in Abhängigkeit von anwendbarem Landesrecht).


2 Herrschende Meinung: Gitter / Schmitt / Küfner-Schmitt, WBVG – Heimrecht des Bundes und der Länder, 173. Lfg., Vorb., S. 1 f. – mit der Begründung, dass sich die Bundeskompetenz für das „bürgerliche Recht“ nicht nur auf das BGB, sondern auch auf die Nebengesetze des Privatrechts (mithin auch auf das WBVG) bezieht. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Bundeskompetenz u.a. durch das Land Baden-Württemberg bezweifelt (vgl. Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales BW v. 5.5.2009, LT-Drs. 14/4440). Diese Zweifel haben sich augenscheinlich nicht durchgesetzt.

3 BVerwG, Beschl. v. 11.8.2020, Az.: 3 BN 1/19, NVwZ-RR 2020, 979 (980); Przewieslik/Engelhardt, Investitionen in Pflegeimmobilien, 2021, S. 11 f.

2. Bauliche Anforderungen in Niedersachsen

In Niedersachsen regelt das „Gesetz
über unterstützende Wohnformen“ (NuWG) den ordnungsrechtlichen Teil des Heimrechts. Für die baulichen Anforderungen an die Räume in Heimen verweist es solange auf die „alte“ Heimmindestbauverordnung des Bundes, bis das zuständige Fachministerium eine eigene Rechtsverordnung für die Anforderungen an die Räume in den Heimen (insbesondere die Wohn-, Gemeinschafts-, Therapie- und Wirtschaftsräume sowie die Verkehrsflächen, die sanitären Anlagen und die technischen Einrichtungen) erlässt (§ 17 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 NuWG).

Von dieser Ermächtigung hat nun das zuständige Niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung mit der zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen Niedersächsischen Heimmindestbauverordnung Gebrauch gemacht. Darin sind die baulichen Anforderungen an Einrichtungen (wie Heime, Einrichtungen für ambulant betreute Wohngemeinschaften sowie Einrichtungen für Betreutes Wohnen) geregelt.

Künftig müssen sämtliche Neubauten ab dem 1. Oktober 2022 nach den neuen Standards gebaut werden und Bestandseinrichtungen spätestens bis zum 1. Januar 2033 entsprechend der neuen Standards nachgerüstet werden. In der (Zwischen-)Zeit bis zum 31. Dezember 2032 ist es ausreichend, jedoch auch erforderlich, wenn die Bestandseinrichtungen der „alten“ Heimmindestbauverordnung (des Bundes) entsprechen, die somit erst an dem 1. Januar 2023 in Niedersachsen keinerlei Fortgeltung mehr beansprucht.

Im Einzelnen handelt es sich bei den neuen Standards um die Folgenden:4

  • Raumaufteilung: In jedem Heim müssen mind. 70 % aller Wohneinheiten als 1-Person-Wohneinheiten (Wohnschlafraum mit einer Mindestfläche von 14 qm) ausgestaltet sein. Die restlichen 30 % dürfen 2-Personen-Wohneinheiten sein (Wohnschlafraum mit einer Mindestfläche von 22 qm). Wohneinheiten für mehr als zwei Personen sind unzulässig.
  • Raumausstattung: Diese Wohneinheiten müssen einen Zugang zu einem Sanitärraum (mit Toilette, Waschtisch, Badewanne oder Dusche mit Haltegriffen und Verbrühungsschutz) haben. Die Räume müssen zudem mit einer Rufanlage sowie mit Fernseh-, Telefon- und Internetanschlüssen ausgestattet sein.
  • Weitere Räume: Weiterhin müssen bestimmte Räume vorhanden sein, und zwar:
    • Funktionsräume (Abstellraum für Sachen der Bewohner/Bewohnerinnen und für Infektionsschutzmaterial, ein Raum für Verstorbene, Schmutzraum und mind. eine Fäkalienspüle);
    • Gemeinschaftsräume für Teilhabe der (auch bettlägerigen) Bewohner und Bewohnerinnen am gemeinschaftlichen Leben (2 qm je Bewohner/Bewohnerin, mind. aber 20 qm);
    • Therapieräume für aktivierende Betreuung und Therapie
  • Raumerreichbarkeit: Die Wohneinheiten, die Wohnschlafräume, die Gemeinschafts-, Therapie- und Sanitärräume müssen außerdem über die Flure und Türen auch für bettlägerige Bewohner und Bewohnerinnen erreichbar sein. Nicht stufenlos zugängliche Bereiche müssen über Aufzüge erreichbar sein.

4 Die nachfolgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr werden nur ausgewählte Anforderungen überblickhaft dargestellt.

3. Bauliche Anforderungen in anderen Bundesländern

Die für Niedersachsen geltenden baulichen Anforderungen gleichen den Anforderungen in anderen Bundesländer, die die baulichen Anforderungen an Heime in unterschiedlichem Detailierungs- und Intensivierungsgrad in eigener Verantwortung regeln.5 Wie bereits erwähnt, verweisen einige Bundesländer nachwievor auf die „alte“ Heimmindestbauverordnung des Bundes.


5 Eine gute Übersicht über die in den einzelnen Ländern geltenden Heimgesetze hat die Bundesinteressensvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA-Pflegeschutzbund) unter https://www.biva.de/deutsches-pflegesystem/gesetze/laender-heimgesetze/#:~:text=L%C3%A4nder%2DHeimgesetze,-Inhalt&text=Dazu%20geh%C3%B6ren%20Fragen%20der%20Genehmigung,bei%20Nichteinhaltung%20der%20gesetzlichen%20Vorschriften. veröffentlich.

4. Handlungsbedarf

Betreiber von Pflegeheimen sollten nun genau prüfen, ob und – bejahendenfalls – inwieweit die baulichen Standards bereits umgesetzt sind. Während neuere Einrichtungen diesen Vorgaben bereits entsprechen dürften, werden insbesondere Betreiber älterer Einrichtungen vor erhebliche bautechnische und letztlich auch finanzielle Herausforderungen gestellt. Für die Finanzplanung ist dies entsprechend zu berücksichtigen. Verstöße können mit hohen Bußgeldern sanktioniert werden (in Niedersachsen mit bis zu EUR 10.000).

Zu beachten ist auch, dass für bestimmte Einrichtungen teilweise Ausnahmen von einigen Anforderungen zugelassen sind, wobei es in vielen Ländern der vorherigen Zustimmung (Befreiung) der Heimaufsichtsbehörde bedarf und die Befreiung nur dann erteilt werden kann, wenn geringe Anforderungen für eine fachgerechte Betreuung ausreichen, die Anforderungen technisch nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sind. Die Möglichkeiten, den neuen baulichen Anforderungen zu entgehen, dürften dementsprechend klein sein.

Ist der Betreiber – wie üblich – nicht zugleich der Eigentümer der Immobilie, sondern mietet diese nur (sog. Owner-Operator-Modell), ist außerdem zu bedenken, dass die Umbau- und Sanierungsmaßnahmen mietvertragskonform erfolgen sollten. Wir empfehlen daher, den Mietvertrag im Hinblick auf die Zulässigkeit baulicher Veränderungen durch den Mieter zu prüfen und nötigenfalls Gespräche mit dem Vermieter aufzunehmen. Etwaige Nachträge zu Mietverträgen oder sonstige Absprachen sollten dann unbedingt unter Wahrung des Schriftformerfordernisses (§ 550 S. 1 BGB) erfolgen, um die hieran geknüpften nachteiligen Folgen (z. B. vorzeitige Kündbarkeit des Mietvertrags) zu vermeiden.

5. Ausblick

Aus Sicht der (zukünftigen) Bewohner und Bewohnerinnen ist zu begrüßen, dass entsprechende bauliche Anforderungen an ein bedarfsgerechtes Wohnen und Pflegen nicht mehr der Luxus sind, sondern nun zum Standard werden.

Insgesamt werden die baulichen Anforderungen an Heime jedoch für die Betreiber zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen führen. Unter Umständen schließen sich hieran sogar Mindereinnahmen an – etwa weil infolge der Festlegung einer Raumaufteilung (in Niedersachsen: mind. 70 % 1-Personen-Wohneinheiten) die Pflegekapazitäten verringert werden. Pflegeheimbetreiber werden daher genau prüfen (müssen), wie sie etwaig entstehende Mehrkosten und Mindereinnahmen refinanzieren können (z. B. über Einsparmaßnahmen oder über einen Rückgriff auf die Investitions- bzw. Pflegekosten).

Ob die Notwendigkeit derartiger Refinanzierungsmaßnahmen zu einem Qualitätsverlust der Pflege „durch die Hintertür“ führen wird, bleibt abzuwarten.

Autor/in
Dr. Daniel Schubmann

Dr. Daniel Schubmann
Counsel
Hannover
daniel.schubmann@luther-lawfirm.com
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Tatjana Giutronich, LL.M. (UNSW)

Tatjana Giutronich, LL.M. (UNSW)
Senior Associate
Hannover
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