14.12.2015

Arbeitsrecht 5. Ausgabe 2015

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Referentenentwurf zur Leiharbeit

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Bereits im Koalitionsvertrag vom 16. Dezember 2013 sah die amtierende Bundesregierung grundlegenden Überarbeitungsbedarf im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Nach etwa zwei Jahren hat das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales nun am 16. November 2015 einen Referentenentwurf „zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ auf den Weg gebracht. Ob der Entwurf in dieser Form Gesetz wird, darf bezweifelt werden, denn die Bundeskanzlerin hat bereits erklärt, dass sie hinsichtlich dieses Referentenentwurfs auf „konstruktive Gespräche“ hoffe. 

Ungeachtet der Aussage der Bundeskanzlerin darf die Bedeutung dieses Referentenentwurfs keinesfalls unterschätzt werden. Denn einerseits ist davon auszugehen, dass dieser Entwurf, soweit er mit den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages übereinstimmt, weitestgehend umgesetzt wird. Andererseits macht er deutlich, was sich nach der Vorstellung der zuständigen Ministerin Nahles zukünftig ändern soll.

A. Einhaltung des Koalitionsvertrags

Der Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums enthält einige Punkte, die in Einklang mit dem Koalitionsvertrag stehen. Es ist damit zu rechnen, dass diese Regelungen entsprechend umgesetzt werden.

I. Vorübergehend heißt zukünftig 18 Monate

Durch die Einfügung des Wortes „vorübergehend“ in § 1 AÜG hat der Gesetzgeber im Dezember 2011 für erhebliche Unsicherheit gesorgt. Seitdem haben sich Arbeitsgerichte aller Instanzen mit der Frage befasst, welcher Zeitraum noch von vorübergehend erfasst ist und ob es auf die Person des Leiharbeitnehmers oder die zu besetzende Position ankommt. Tatsächlich geklärt wurden diese Fragen bis heute nicht. Der Referentenentwurf sieht nun die Einführung einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten vor, abgestellt wird dabei auf die Person des Leiharbeitnehmers. Davon abweichende Überlassungszeiten können allein tarifvertraglich vereinbart werden. 

Dauert der Einsatz eines Leiharbeitnehmers bei einem Entleiher künftig also länger als 18 aufeinander folgende Monate, ist der Einsatz nicht mehr vorübergehend. Dabei ist bei der Berechnung der 18 Monate zu beachten, dass mehrere, kürzere Einsätze eines Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher grundsätzlich zusammengerechnet werden sollen, soweit nicht zwischen den einzelnen Einsätzen mindestens sechs Monate liegen. 

Keine Anwendung findet die Überlassungshöchstdauer grundsätzlich im Rahmen von Entsendungen innerhalb eines Konzerns. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Personalgestellung im öffentlichen Dienst von diesen Regelungen weitestgehend ausgenommen ist.

II. Konsequenz einer länger als 18 Monate dauernden Überlassung

Der Koalitionsvertrag enthält diesbezüglich keine Regelungen. Mit Blick auf eine entsprechende Stellungnahme der Bundeskanzlerin – „Bei der Leiharbeit halte ich die Regelungen für wichtig und richtig“ – ist allerdings davon auszugehen, dass der Entwurf entsprechend umgesetzt wird. 

Nach diesem Entwurf wird die Verletzung der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten in § 16 AÜG aufgenommen. Danach muss der Verleiher bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer mit einer Geldbuße von bis zu EUR 30.000,00 rechnen. 

Wird im Rahmen einer Überlassung die Höchstgrenze von 18 Monaten überschritten, so soll nach dem Referentenentwurf künftig ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher fingiert werden. Hierbei soll dem Leiharbeitnehmer allerdings ein einmonatiges Widerspruchrecht zugebilligt werden.

Wird der Entwurf Gesetz, so wird der Entleiher künftig genau dokumentieren müssen, welcher Leiharbeitnehmer wann zum Einsatz gekommen ist.

III. Der Grundsatz des Equal Treatment gilt nach neun Monaten

Der Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer hinsichtlich ihrer wesentlichen Arbeitsbedingungen mit den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers gleichgestellt werden, ist auch heute schon im AÜG verankert. Durch den Referentenentwurf soll dieser Grundsatz weiterentwickelt werden: 

Die Bundesarbeitsministerin wünscht nunmehr eine völlige Gleichstellung bezüglich der Bezahlung und will insoweit die einschlägige Rechtsprechung des BAG umsetzen. Dabei soll die Gleichstellung nicht nur das Grundgehalt, sondern gleichsam auch vermögenswirksame Leistungen und Sachbezüge – bei Letzteren kann ein finanzieller Wertausgleich erfolgen – betreffen.

Zudem lässt der Entwurf des Bundesarbeitsministeriums tarifvertragliche Abweichungen nur noch für die Dauer von maximal neun Monaten zu. Hierbei werden, wie bei der Höchstüberlassungsdauer auch, mehrere Kurzeinsätze eines Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher zusammengerechnet, wenn „zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als sechs Monate liegen“. Eine Ausnahme soll nur bei (Branchen-) Zuschlagstarifverträgen mit sechswöchiger Einarbeitungsphase möglich sein; in diesem Fall soll die Gleichstellung des Leiharbeitnehmers spätestens nach 12 Monaten erfolgen.

IV. Geplanter Grundrechtseingriff – Leiharbeitnehmer keine Streikbrecher mehr

Verfassungsrechtlich bedenklich ist das beabsichtigte Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher. In dem überarbeitungsbedürftigen Referentenentwurf heißt es: „Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist.

Die tatsächliche Reichweite dieses Verbots wird durch die vorstehende Regelung nicht skizziert. Ausgehend von der Begründung des Bundesarbeitsministeriums bedeutet dieses Verbot „lediglich“, dass ein Leiharbeitnehmer weder Tätigkeiten ausüben darf, die bislang unmittelbar durch einen streikenden Arbeitnehmer selbst ausgeübt wurden, noch die Tätigkeiten eines nicht streikenden Arbeitnehmers ausüben darf, der wiederum die Tätigkeiten eines streikenden Arbeitnehmers ausübt (sog. Ringtausch). Ob die Rechtsprechung diese Gesetzesbegründung zur Auslegung des Begriffes „soweit“ heranziehen wird und wie sich genau der Kreis der sanktionsfrei durch Leiharbeitnehmer zu ersetzenden Arbeitnehmer abgrenzen soll, ist unklar. Insbesondere durch die Einbeziehung des Ringtauschs ist es durchaus vorstellbar, dass sich das Verbot tatsächlich auf den gesamten Betrieb erstreckt.

Hier wird bereits jetzt deutlich, dass das Bundeskabinett nachjustieren muss. Denn trotz dieser sehr unklaren Regelung, soll ein Verstoß gegen diese Regelung mit einer Geldbuße von bis zu einer halben Million Euro belegt werden. Sollte diese Regelung also Einzug in ein Gesetz finden, müssten Arbeitgeber aus Gründen der Rechtssicherheit im Arbeitskampf wohl auf jeglichen Einsatz von Leiharbeitnehmern verzichten. 

Der derzeitige Regelungsentwurf ist unserer Einschätzung nach mit dem Grundsatz der Arbeitskampfparität nicht vereinbar. Neben einer Verletzung der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG ist es zudem zweifelhaft, ob das beabsichtigte Verbot mit dem Recht auf Eigentum aus Art. 14 GG vereinbar ist.

V. Leiharbeitnehmer zählen überall und immer mit

Der Referentenentwurf sieht eine generalisierende Regelung vor, nach welcher Leiharbeitnehmer in allen einschlägigen Gesetzen (namentlich: BetrVG, Montan-MitbestG, MitbestG, DrittelbG, MgVG, EBRG, SEBG und SCEBG) sowie aufgrund dieser Gesetze erlassenen Wahlordnungen sowohl im Entleiherbetrieb als auch im Entleiherunternehmen mitzuzählen sind, wenn diese eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen. Hinsichtlich des Betriebsverfassungsrechts stimmen die beabsichtigten Regelungen auch mit dem Wortlaut des Koalitionsvertrags – „Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen“ – überein.

B. Weitergehende Regelungen im Referentenentwurf

Darüber hinaus enthält der Referentenentwurf insbesondere zwei Punkte, die in ihrer Tragweite deutlich über die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen hinausgehen. Diesbezüglich wird es wohl mit großer Wahrscheinlichkeit noch Änderungen geben. Dies insbesondere deshalb, da sich die Bundeskanzlerin hier als „Wächterin des Koalitionsvertrages“ versteht.

I. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Etikettierung der Arbeitnehmerüberlassung

Für das gesamte deutsche Vertragsrecht gilt der Grundsatz, dass sich der Vertragstyp gerade nicht nach seiner Vertragsbezeichnung, sondern nach dem Vertragsinhalt bestimmt. Diesen Grundsatz möchte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nun auf den Kopf stellen. Denn nach dem Referentenentwurf sind in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher die Arbeitnehmerüberlassung als solche und der konkrete Leiharbeitnehmer ausdrücklich zu bezeichnen. Fehlt es hieran, führt dies zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher. Dementsprechend wird auch hier – es sei denn, der Leiharbeitnehmer widerspricht innerhalb eines Monats – ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher fingiert. Zudem müssen sowohl Verleiher als auch Entleiher mit einer Geldbuße von bis zu EUR 30.000,00 rechnen.

In der Begründung des Referentenentwurfs heißt es hierzu, die Regelung diene der Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes in Form der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung. Aus unserer Sicht werden die bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten aber keineswegs gelöst. Dies wird etwa im Bereich der Softwareanpassung deutlich. Hier werden moderne Einsatzformen von Personal vielfach nach den tradierten Merkmalen als Arbeitnehmerüberlassung eingeschätzt, obwohl es sich tatsächlich um Werkverträge handelt. Dieser – sowohl der Praxis als auch der Rechtsprechung bekannten – Problematik trägt der Entwurf der Bundesarbeitsministerin in keiner Weise Rechnung. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Möchten die Vertragsparteien das Risiko hoher Geldbußen und die Fiktion von Arbeitsverhältnissen ausschließen, müssten diese einen solchen Vertrag als Arbeitnehmerüberlassung kennzeichnen und die eingesetzten Arbeitnehmer benennen. Damit dieser Vertrag gleichwohl dem Parteiwillen Rechnung trägt, müsste sodann das Gewährleistungsrecht des eigentlich gewollten Vertrages – also Werkvertragsrecht – vereinbart werden. Welchen Sinn die oktroyierte Falschbezeichnung vor diesem Hintergrund haben soll, ist völlig unklar.

II. Vermutungsregelung für den Arbeitsvertrag

Der Referentenentwurf zeigt auch an einem weiteren Punkt – auch aus Sicht der Bundeskanzlerin – deutlichen Überarbeitungsbedarf. Die Bundesarbeitsministerin versucht nach eigener Aussage mit der Neuschaffung eines § 611a BGB die ständige Rechtsprechung des BAG bezüglich der Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen zu kodifizieren. Hierzu soll ein nicht abschließender, mit acht Kriterien ausgestatteter Katalog in das BGB aufgenommen werden, mit welchem die Frage nach der „Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation“ beantwortet werden soll. Wird diese Frage bejaht, soll ein Arbeitsverhältnis angenommen werden. 

Problematisch ist insoweit schon, dass der Entwurf unter anderem auch Kriterien vorsieht, die die Rechtsprechung bislang nicht für signifikant erachtet hat. Darüber hinausgehend ist in § 611a Abs. 3 BGB vorgesehen, dass ein Arbeitsverhältnis vermutet werden soll, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht ein solches Beschäftigungsverhältnis auch bei den Geschäftsführern vor, die nicht wenigstens 50 % der Anteile einer Gesellschaft halten oder jedenfalls maßgeblichen Einfluss auf die Geschäfte der Gesellschaft nehmen können. Gerade in diesem Bereich werden vermehrt Statusverfahren geführt. Konsequenterweise müsste daher nach dieser Regelung jedenfalls für Fremdgeschäftsführer, wenn auch widerleglich, immer ein Arbeitsverhältnis vermutet werden.

Klaus Thönißen
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
Telefon +49 201 9220 24659
klaus.thoenissen@luther-lawfirm.com

Safe Harbor Entscheidung der Kommission vom EuGH gekippt

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EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2015 – C-362/14

Mit seiner Entscheidung vom 6. Oktober 2015 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Entscheidung der EU-Kommission vom 26. Juli 2000 (200/520/EG) für ungültig erklärt. Der EuGH stellte fest, dass die USA nicht durch innerstaatliche Rechtsvorschriften oder internationale Verpflichtungen ein angemessenes, dem der Rechtsordnung der Union gleichwertiges Schutzniveau gewährleisten. Personenbezogene Daten dürfen nicht länger allein auf der Grundlage einer Safe-Harbor-Zertifizierung eines Unternehmens in die USA übermittelt werden.

Rechtlicher Hintergrund für den Austausch personenbezogener Daten vor der EuGH-Entscheidung

Art. 25 der EU-Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG) bestimmt, dass eine Übermittlung personenbezogener Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind oder nach der Übermittlung verarbeitet werden sollen, außerhalb der EU nur dann zulässig ist, wenn dort ein angemessenes Datenschutzniveau besteht. Die Richtlinie ermöglicht der EU-Kommission eine EU-weit gültige Feststellung, dass ein solches Schutzniveau in einem Land gewährleistet sei. Die Safe Harbor Entscheidung der EU-Kommission vom 26. Juli 2000 erkannte ein angemessenes Schutzniveau der USA an, sofern die betreffenden Organisationen die Grundsätze des sicheren Hafens und die FAQ beachten, die vom amerikanischen Handelsministerium herausgegeben wurden. Voraussetzung war somit lediglich der Beitritt eines US-Unternehmens, das in den Zuständigkeitsbereich des US-Handelsministeriums fiel, zu Safe Harbor. Diese Selbstzertifizierung sah die EU Kommission zur Gewährleistung eines einheitlichen Schutzniveaus als ausreichend an.

Safe Harbor Urteil des EuGH vom 6. Oktober 2015 („Schrems“)

Dem Urteil liegt ein Rechtsstreit eines österreichischen Staatsbürgers vor dem irischen High Court zugrunde. Dieser hatte sich zunächst vergeblich an den irischen Datenschutzbeauftragten gewandt, mit der Forderung, die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen Facebook Irland, einer Tochtergesellschaft von dem in den Vereinigten Staaten ansässigen Unternehmen Facebook Inc., und dem Mutterkonzern zu untersagen. Der Datenschutzbeauftragte wies dies mit der Begründung zurück, dass die Einschätzung der Kommission bindend sei, wonach die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau gewährleisten. Gegen diesen Bescheid legte der Österreicher Klage ein. Das Gericht sah sich jedoch zur Klärung der aufgeworfenen Fragen nicht in der Lage, da die Rechtssache Unionsrecht betreffe. Es legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob eine unabhängige Datenaufsichtsbehörde bei der Prüfung der Frage, ob ein Drittland keinen angemessenen Schutz gewährleiste, an die Feststellung der Kommission gebunden sei oder eigene Ermittlungen anstellen dürfe.

Der EuGH beantwortete die ihm vorgelegte Frage dahingehend, dass eine Entscheidung der Kommission für alle Organe der Mitgliedstaaten verbindlich sei, solange sie nicht vom Gerichtshof für ungültig erklärt werde. Eine Entscheidung wie die Safe Harbor Entscheidung hindere eine Kontrollstelle jedoch nicht an der Prüfung einer entsprechenden Eingabe, wenn geltend gemacht werde, dass ein Land, in das personenbezogene Daten aus der EU übermittelt werden, kein angemessenes Datenschutzniveau gewährleiste. Je nach Entscheidung der Kontrollstelle sei ihr oder der Person der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten zu öffnen, die die Frage der Gültigkeit der Kommissionsentscheidung zwar prüfen, aber nicht feststellen dürfen. Hierzu sei allein der EuGH befugt, der im Wege eines Vorlageverfahrens anzurufen ist.

Der EuGH stellte ferner fest, dass die Safe Harbor Entscheidung hinsichtlich der USA ungültig ist. Das von der Datenschutzrichtlinie geforderte angemessene Datenschutzniveau als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Übermittlung von personenbezogenen Daten in ein Nicht-EU-Land sei bei den USA trotz der Safe Harbor Grundsätze nicht gewahrt. Zum einen erachtet der EuGH das in den USA praktizierte Verfahren der Selbstzertifizierung eines Unternehmens durch einen Beitritt zu den Safe Harbor Grundsätzen als nicht ausreichend, da es an wirksamen Überwachungs-und Kontrollmechanismen fehlt, die es erlauben, in der Praxis etwaige Verstöße gegen Regeln zur Gewährleistung des Schutzes der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Achtung der Privatsphäre und des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten, zu ermitteln und zu ahnden. Zum anderen gelten die Grundsätze des „sicheren Hafens“ nur eingeschränkt, da in der Entscheidung 2000/520 der EU-Kommission den Erfordernissen der nationalen Sicherheit, des öffentlichen Interesses oder der Durchführung von Gesetzen Vorrang einge räumt wird. US-amerikanischem Recht wird hierdurch uneingeschränkter Vorrang eingeräumt, ohne Rücksicht darauf, ob dies mit den Safe Harbor Grundsätzen vereinbar ist. Die Entscheidung 2000/520 enthalte selbst keine Feststellung dazu, ob für personenbezogene Daten nach den innerstaatlichen Vorschriften in den USA ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet werde und ob das Rechtssystem einen wirksamen Rechtsschutz zur Verfügung stelle.

Auswirkungen für Unternehmen

Aus der Ungültigkeit der Safe Harbor Entscheidung ergibt sich unmittelbarer Handlungsbedarf für deutsche Unternehmen, die Daten in die USA übermitteln. Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verlangt, dass personenbezogene Daten in ein Nicht-EU-Land nur dann übermittelt werden dürfen, wenn dieses ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Dies konnte bisher durch die Selbstzertifizierung eines in den USA ansässigen Unternehmens gewährleistet werden. Diese Möglichkeit entfällt zukünftig. Das Urteil des EuGH gilt ab sofort. Bis Ende Januar soll die EU-Kommission mit den USA über eine Neuregelung der Safe Harbor Grundsätze verhandeln.

Betroffen sind zum einen deutsche Unternehmen, die konzernintern Personal-oder Kundendaten in die USA übermitteln. Zum anderen ist auch die Übermittlung an externe Unternehmen, z. B. IT-Dienstleister, erfasst. Dies betrifft insbesondere Social Media Plattformen und cloudbasierte Dienste.

Der Wegfall der Safe Harbor Zertifizierung hat zur Folge, dass mit anderen Mitteln ein angemessener Schutz der zu übermittelnden Daten gewährleistet werden muss. In Betracht kommen hier Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen, insbesondere durch die so genannten Standardvertragsklauseln der Europäischen Kommission. Allerdings ergibt sich diesbezüglich eine gewisse Rechtsunsicherheit, da auch die Datenübertragung auf der Grundlage dieser Standardvertragsklauseln auf dem Prüfstand steht. Für konzerninterne Datenübermittlungen kann der Schutz durch die Aufstellung konzerneinheitlicher Datenschutzregelungen (so genannter Binding Corporate Rules) geregelt werden, wenn diese im Einzelfall ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleisten. Denkbar ist schließlich auch die Einholung von Einwilligungen der von der Datenübermittlung betroffenen Personen. An diese Einwilligungen sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen, insbesondere muss daraus deutlich hervorgehen, dass die Übermittlung in ein Drittland mit nach EU-Recht nicht angemessenem Datenschutzniveau erfolgt. Auch sind diese Einwilligungen freiwillig und jederzeit widerruflich, so dass sich in der Praxis latente Unsicherheiten ergeben.

 

Martina Ziffels
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon    +49 40 18067 12195
martina.ziffels@luther-lawfirm.com

 

Ein Wandel im Recht der Unternehmensmitbestimmung?

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In diesem Jahr wird so viel über die deutsche Mitbestimmung geschrieben wie seit vielen Jahren nicht. Im Wesentlichen geht es um die Frage, welche Mitarbeiter bei den verschiedenen Schwellenwerten mitzuzählen sind. Hier war nach tradierter Rechtsprechung davon auszugehen, dass sowohl Leiharbeitnehmer als auch Mitarbeiter ausländischer Gesellschaften eines Konzerns bei der Zählung nicht zu berücksichtigen sind. Nunmehr gibt es Tendenzen in der Rechtsprechung beide Mitarbeitergruppen anders zu bewerten.

Einbeziehung von Leiharbeitnehmern

Das BAG hat jüngst entschieden (Beschluss vom 4. November 2015 – 7 ABR 42/13), dass Leiharbeitnehmer, die länger als drei Monate auf Stammarbeitsplätzen eingesetzt werden, bei den Schwellenwerten zur Bestimmung des anzuwendenden Wahlverfahrens für die Wahl des Aufsichtsrats beim Entleiher mitzuzählen sind. Damit knüpft das BAG an seine jüngeren Entscheidungen an, nach denen jeweils nach dem zugrundeliegenden Normzweck zu entscheiden ist, ob Leiharbeitnehmer bei den jeweiligen Schwellenwerten zu berücksichtigen sind. Diese Entscheidung liegt derzeit nur als Pressemitteilung vor. Daher ist derzeit noch nicht klar, welchen Normzweck das BAG zugrunde legt und ob die Entscheidung verallgemeinert werden kann. Schließt sich das BAG einer bislang hierzu in der Literatur vertretenen Auffassung an, so sind Leiharbeitnehmer deswegen mitzuzählen, weil die Mitarbeiteranzahl als Indiz für die Komplexität einer Organisation gewertet wird, die eine Beteiligung der Mitarbeiter im maßgeblichen Kontrollorgan, dem Aufsichtsrat, gebietet. Dies hätte dann zur Folge, dass Leiharbeitnehmer bei allen Schwellenwerten des MitbestG mitzurechnen sind. Mit Blick auf die bisherigen Tendenzen und den aktuellen Referentenentwurf zur Leiharbeit ist davon auszugehen, dass Leiharbeitnehmer zukünftig auch bei den entsprechenden Schwellenwerten des DrittelbG mitzuzählen sein werden.

Zu beachten ist insoweit allerdings, dass die Arbeitsgerichte – und damit auch das BAG – nur für Fragen der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und über deren Abberufung zuständig sind. Soweit sich demgegenüber Fragen hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans stellen, sind die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung berufen. Der BGH hat sich insoweit allerdings noch nicht geäußert.

Berücksichtigung von ausländischen Arbeitnehmern

Die aktuelle Diskussion hat mit einem Statusverfahren vor dem Landgericht Frankfurt (Beschluss vom 16. Februar 2015 – 3-16 O 1/14) begonnen. Nach der Ansicht des LG Frankfurt sind Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen bei der Bestimmung der Größe des Aufsichtsrates mitzuzählen. Zur Begründung führt das LG Frankfurt aus, dass die gesetzlichen Vorschriften des Mitbestimmungsrechts keine Beschränkung auf nur im Inland beschäftigte Arbeitnehmer enthalte. Die Zurechnungsvorschriften für Konzernunternehmen verwiesen insoweit auf das Aktienrecht, der maßgebliche allgemeine Konzernbegriff schließe aber unstreitig auch ausländische Unternehmen ein. Ohne einen solchen Ausschluss seien dann auch Arbeitnehmer von Konzerntöchtern im Ausland bei der Ermittlung der Schwellenwerte des Mitbestimmungsgesetzes mitzuzählen.

In einer aktuellen Entscheidung des Kammergerichts Berlin (Beschluss vom 16. Oktober 2015 – 14 W 89/15) hat dieses in der Sache noch nicht selbst entschieden, sondern dem EuGH folgende Frage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt:

„Ist es mit Artikel 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Artikel 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?“

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht nur für die Bemessung der Größe des Aufsichtsrates, sondern auch für die Frage der Mitbestimmungsart – also drittelbeteiligt oder paritätisch – von Bedeutung.

Bislang werden hierzu folgende Ansichten vertreten:

  • Nach dem sogenannten Territorialitätsprinzip könne die Mitbestimmung – diese knüpfe bspw. in § 3 MitbestG an die Betriebsverfassung an – ausschließlich innerhalb Deutschlands zur Anwendung kommen. Die Gesetzgebungskompetenz ende letztlich an den Bundesgrenzen, dementsprechend seien im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer für die Berechnung der Größe des Aufsichtsrates nicht mit einzubeziehen.
  • Die unternehmerische Mitbestimmung in § 5 MitbestG knüpfe an den Konzern an, sodass auch Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen hiervon umfasst seien. Eine Begrenzung des Mitbestimmungsrechts verstoße nicht nur gegen die europarechtlich garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern auch gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot, soweit diese allein an den Aufenthalt in einem Staatsgebiet anknüpfe.

Aus unserer Sicht dürften die möglichen Konsequenzen einer Entscheidung – unabhängig davon, ob und wie diese letztlich getroffen wird – überschaubar und handhabbar sein.

In allen Verfahren wird die Behauptung aufgestellt, die Nichtbeteiligung von Arbeitnehmern in ausländischen Konzernbetrieben führe zu einer Unanwendbarkeit oder sogar zur Unwirksamkeit des Mitbestimmungsgesetzes. Bereits diese Grundannahme ist unzutreffend.

Tatsächlich knüpfen weder die entsprechende Zählarithmetik des § 7 MitbestG noch die Regelung zum Konzern in § 5 MitbestG an die lokale Befindlichkeit von Arbeitnehmern oder Konzernunternehmen an. Diese Normen können daher von vornherein nicht wegen des Ausschlusses von Arbeitnehmern im Ausland unwirksam sein.

Der teilweise vertretene Ausschluss der Arbeitnehmer im Ausland von der Wahl zum und der Partizipation im Aufsichtsrat beruht letztlich auf der Bestimmung des § 3 MitbestG. Diese Vorschrift definiert den Begriff des Arbeitnehmers für Zwecke des Mitbestimmungsgesetzes und verweist insoweit auf das Betriebsverfassungsrecht. Dieses kann seinerseits nur inländische Sachverhalte regeln. Dies entspricht zu Recht seit einigen Jahrzehnten der Rechtsprechung des BAG.

Nur diese Bestimmung und die damit zusammenhängenden Bestimmungen zum Wahlverfahren – das Gleiche dürfte für das DrittelbG gelten – sind potentiell unwirksam.

Unterstellt, der EuGH käme zu der Einschätzung, das europäische Recht gebiete die Beteiligung der Arbeitnehmer in ausländischen Betrieben und Unternehmen an der Wahl zum Aufsichtsrat der Konzernmutter, so wäre zunächst das deutsche Recht vor diesem Hintergrund auszulegen. Dabei müsste eine europarechtskonforme Auslegung wohl ergeben, dass das deutsche Gesetz die Begriffsdefinition des Arbeitnehmers nur für Deutschland regelt und im Übrigen entweder der jeweilige nationale Gesetzgeber eine Definition getroffen oder ein europäischer Arbeitnehmerbegriff zu gelten hat. In dieser Situation bliebe das deutsche Mitbestimmungsrecht also weitestgehend erhalten.

Die sich stellende Frage, wie die Wahl ablaufen soll, können weder der EuGH noch der deutsche Gesetzgeber beantworten. Soweit im Ausland gewählt werden soll, muss ein entsprechendes Verfahren etabliert und durchführende Organe müssen benannt oder geschaffen werden. Diesbezügliche Regelungen unterfallen jedoch von vornherein nicht der Zuständigkeit des deutschen Gesetzgebers. Der EuGH ist seinerseits kein Organ mit Rechtsetzungskompetenz, so dass auch von dieser Seite das entstehende Regelungsvakuum nicht ausgefüllt werden kann.

Konsequenzen

Da für vergleichbare Fragestellungen unterschiedliche Gerichte zuständig sind und derzeit unklar ist, wie diese durch die Gerichte beantwortet werden, stellt sich für viele Unternehmen die Frage, ob überhaupt und – wenn ja – wie auf diese Entwicklungen zu reagieren ist. 

Eine wirkliche Lösung der bestehenden Auslegungsschwierigkeiten ist letztlich nur dadurch möglich, dass eine Gesellschaftsform gewählt wird, auf die das MitbestG und das DrittelbG nicht anwendbar sind oder die es zumindest erlaubt, das Wahlrecht selbst zu regeln. Ersteres ist insbesondere bei ausländischen Gesellschaftsformen der Fall, die nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen deutschen Gesetze fallen. Soll die Gesellschaft im Grundsatz mitbestimmt bleiben oder werden, so können die aufgezeigten Schwierigkeiten in der Rechtsform der SE vermieden werden. Innerhalb einer SE kann nämlich auch das Wahlrecht an die Bedürfnisse des betroffenen Unternehmens angepasst werden. Auf diese Weise kann sowohl ein Wahlrecht und ein Wahlverfahren für Mitarbeiter ausländischer Konzerntöchter vereinbart, wie auch ausgeschlossen werden. Unabhängig davon stellt sich bei einer SE auch nicht die Frage, ob Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind, da die vereinbarte Mitbestimmung von weiteren Veränderungen der Mitarbeiteranzahl unberührt bleibt.

Paul Schreiner
Partner

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
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Untersagung des Pilotenstreiks bei der Lufthansa

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LAG Hessen, Urteil vom 9. September 2015 – 9 SaGa 1082/15

Ein Arbeitskampf ist rechtswidrig, wenn er sich gegen eine unternehmerische Entscheidung – wie die Gründung von Auslandsstandorten – richtet und damit ein tariflich nicht regelbares Ziel verfolgt.

Der Fall

Die Parteien streiten im einstweiligen Rechtsschutz um die Verpflichtung zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen.

Die Verfügungsklägerinnen (Klägerinnen) zu 1. und 2. gehören zum Lufthansakonzern, Verfügungsbeklagte (Beklagte) ist die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V. In der Vergangenheit schloss die Beklagte mehrere Tarifverträge mit dem Arbeitgeberverband Luftverkehr (AGVL). Einen Tarifvertrag zur Übergangsversorgung der Piloten kündigte die Arbeitgeberseite mit Wirkung zum 31. Dezember 2013. Seitdem liefen die Verhandlungen zwischen der Beklagten und der AGVL über einen neuen Tarifvertrag zur Übergangsversorgung. Vor diesem Hintergrund führte die Beklagte zwischen März und Juli 2014 mehrere Streiks bei den Klägerinnen durch.

Im Juli 2014 stellte der Vorstandsvorsitzende die Klägerin zu 1. der Beklagten ein neues Konzept – das sog. „Wings-Konzept“ – vor, nach welchem künftig Low-Cost-Flüge durch eine neu zu gründende Gesellschaft in Österreich angeboten werden sollten. Dieses Konzept stieß bei der Beklagten auf Kritik. In den folgenden Verhandlungen geriet das neu vorgestellte Wings-Konzept mehr und mehr in den Fokus der Verhandlungen, wohingegen die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag zur Übergangsversorgung vernachlässigt wurden.

Im September 2015 bot die Klägerin zu 1. der Beklagten an, den bisherigen Tarifvertrag zur Übergangsversorgung nachwirkend auf alle Bestandsmitarbeiter anzuwenden. Die Beklagte erklärte daraufhin die Verhandlungen zum Tarifvertrag zur Übergangsversorgung für gescheitert und kündigte Streikmaßnahmen an. In ihrem Streikbeschluss gab die Beklagte als Streikziel wörtlich den „Neuabschluss eines Tarifvertrags Übergangsversorgung“ an. Im Rahmen einer Pressemitteilung verkündete die Beklagte jedoch darüber hinaus, dass Voraussetzung für weitere Verhandlungen auch sei, dass die Ausflaggung von Flugzeugen und die damit einhergehende Verlagerung von Pilotenarbeitsplätzen ins Ausland ausgesetzt werde.

Im Wege der einstweiligen Verfügung beantragten die Klägerinnen, der Beklagten den angekündigten Streik zu untersagen. In der ersten Instanz hat das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. den Antrag zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Die Berufung der Klägerinnen hatte Erfolg. Der geplante Streik der Beklagten war nach Auffassung des LAG rechtswidrig.

Den Klägerinnen stehe ein Anspruch auf Unterlassung der geplanten Arbeitskampfmaßnahme zu, da der Streik einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§§ 1004, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 14 GG) und der Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) der Klägerinnen darstelle. Dieser Eingriff könne nicht durch das Arbeitskampfrecht der Beklagten aus Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden.

Es stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte bei dem Streik als nicht nur unwesentliche Nebenforderungen das Ziel verfolgte, in Bezug auf das strittige Wings-Konzept Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben. Die Entscheidung, einen neuen Standort im Ausland aufzubauen und dort Personal zu anderen Bedingungen zu beschäftigen, gehöre jedoch zum Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit und sei deswegen ein tariflich nicht regelbares Ziel. Sofern ein Streik wegen eines tariflich nicht regelbaren Ziels geführt wird, welches erkennbar nicht bloß untergeordneten Charakter habe, sei der Arbeitskampf insgesamt als rechtswidrig anzusehen.

Die Besonderheit der Entscheidung besteht darin, dass das Gericht hinsichtlich der Feststellung des Streikziels nicht nur auf den förmlichen Streikbeschluss abstellt. In seiner Beweiswürdigung berücksichtigt es auch andere Umstände, die auf das wahre Streikziel der Gewerkschaft hindeuten könnten. Das LAG bricht mit dieser Entscheidung die bisherige Praxis des BAG, welches vor allem auf den förmlichen Streikbeschluss abstellte. Aus diesem Grund betont das Gericht in seiner Entscheidung auch, dass bei der Auslegung der Gesamtumstände ein zurückhaltender Maßstab anzulegen sei, da andernfalls die Rechtssicherheit leide. Für das LAG stand – auch bei der entsprechenden zurückhaltenden Betrachtungsweise – fest, dass die Beklagte den Streik zumindest teilweise zur Verhinderung des neuen Wings-Konzeptes führte. Die Beklagte habe seit Bekanntwerden der unternehmerischen Planungen nur noch über das neue Konzept verhandelt und dabei die Verhandlungen über die Übergangsversorgung vernachlässigt. Dabei bezieht sich das Gericht insbesondere auf die veröffentlichte Pressemitteilung. Die Gewerkschaft habe eine tariflich nicht regelbare Forderung mit einer tariflich regelbaren verknüpft, was im Ergebnis den Arbeitskampf rechtswidrig mache.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des LAG ist zu begrüßen und es bleibt zu hoffen, dass sie Einfluss auf die arbeitskampfrechtliche Rechtsprechung nehmen wird. Im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Streiks darf nicht nur auf die formellen Streikziele des Streikbeschlusses abgestellt werden. Andernfalls könnten Gewerkschaften durch geschickte Formulierungen in ihrem Streikbeschluss die Grenzen der Rechtmäßigkeit eines Streiks umgehen und sich einen rechtmäßigen Streik konstruieren. Mit seiner Entscheidung gibt das LAG nunmehr vor, dass künftig auch die Begleitumstände eines Arbeitskampfes genauer angesehen werden müssen. Gewerkschaften sollten demzufolge ihre formellen Streikbeschlüsse tatsächlich an ihren Kampfzielen orientieren. In der Praxis werden die Gewerkschaften geneigt sein, zumindest in der öffentlichen Darstellung ihre wirklichen Streikziele zurückhaltend zu präsentieren.

Hilmar Rölz, MLE
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon +49 511 5458 24665
hilmar.roelz@luther-lawfirm.com

 

Betriebsbedingte Beendigungskündigung – Freier Arbeitsplatz im Ausland

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BAG, Urteil vom 24. September 2015 – 2 AZR 3/14

Der Arbeitgeber muss bei einer Betriebsschließung den Arbeitnehmern etwaige Arbeitsplätze im Ausland grundsätzlich nicht anbieten. Eine Selbstbindung kann sich hingegen aus der Pflicht zur Rücksichtnahme, aus Treu und Glauben oder aus einem Verzicht auf den Ausspruch der Beendigungskündigung ergeben. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange – oder derjenigen anderer Arbeitnehmer – durchzusetzen.

Der Fall

Die Beklagte, eine Bank, hat ihren Sitz in der Türkei und betrieb mehrere Zweigstellen in Deutschland. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und war in einem deutschen Betrieb der Beklagten als Leiter einer Zweigstelle beschäftigt. Da die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb in Deutschland vollständig einstellte, wies die Beklagte dem Kläger ab dem 9. Mai 2011 eine Tätigkeit als Abteilungsleiter in einer Handelsfiliale in Istanbul zu. Eine zuvor dem Kläger angebotene Versetzung hatte dieser abgelehnt. Die Beklagte berief sich dabei auf eine arbeitsvertragliche Versetzungsklausel, die die Möglichkeit einer Tätigkeit „an einer anderen Arbeitsstätte“ sowie der Absenkung der Vergütung auf Landesniveau vorsah. Zwischen dem 9. Mai 2015 und dem 20. Mai 2015 – nach Aussage des Klägers bis zum 3. Juni 2015 – war dieser arbeitsunfähig. Am 24. und 27. Mai 2015 erhielt er eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung. Nachdem der Mitarbeiter in der Türkei nicht zur Arbeit erschien, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Kläger machte geltend, die Beklagte habe ihm die Tätigkeit in der Türkei nicht im Wege des Direktionsrechts zuweisen können, eine auf sein Verhalten gestützte Kündigung sei insofern unwirksam. Die Beklagte vertrat hingegen die Ansicht, die Versetzung sei von Versetzungsklausel mit dem folgenden Inhalt gedeckt:

„Der Arbeitsort ist die Finanzdienststelle in […]. Die Bank kann den Arbeitnehmer an einer anderen Arbeitsstätte einsetzen (…, Filiale in der Türkei,…). Dieses kann nicht als eine Änderung zu Ungunsten des Personals betrachtet werden. Wenn man in der Türkei arbeitet, wird die Vergütung in Türkische Lira wie die Mitarbeiter in ähnlichen Positionen sein. Bei Versetzung werden Umzugskosten von der Bank erstattet. Vor einer Versetzung wird die Bank den Arbeitnehmer mit einer angemessenen Frist benachrichtigen.“

Ob die Klausel tatsächlich im Arbeitsvertrag enthalten war, konnte im Prozess nicht geklärt werden, da der Arbeitsvertrag nicht auffindbar war. Die Beklagte machte zudem geltend, die ordentliche Kündigung sei jedenfalls durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt, da sie nicht verpflichtet gewesen wäre, den Kläger in der Türkei zu beschäftigen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt.

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Das BAG war der Ansicht, dass die ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt gewesen sei, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in Deutschland entgegenstanden. Die Beklagte habe ihre Geschäfte in Deutschland bereits mit Ablauf des 30. April 2011 eingestellt und danach lediglich Abwicklungsarbeiten in einer anderen Zweigstelle verrichtet.

Der Kläger sei auch nicht wirksam auf die Stelle des Leiters der Abteilung für Auslandsgeschäfte in einer Handelsfiliale in Istanbul versetzt worden. Ob die Versetzungsklausel tatsächlich Inhalt des Arbeitsvertrages war, war für das Gericht unerheblich. Denn auch aufgrund der nach Ansicht der Beklagten bestehenden Klausel habe eine wirksame Versetzung nicht erfolgen können. Im Rahmen der Auslegung nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen ergebe sich, dass sie sich allein auf Veränderungen des „Arbeitsorts“ durch das vorbehaltene Recht zu einem Einsatz „an einer anderen Arbeitsstätte“ bezöge. Die Zuweisung einer anderen Arbeitsaufgabe – hier: Abteilungsleiter in einer Handelsfiliale statt Leiter einer Zweigstelle – sei jedoch in keinem Fall erfasst gewesen. Auch musste die Beklagte dem Kläger nicht vorrangig die Leitung einer türkischen Filiale anbieten. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz im selben oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens zu beschäftigen, erstrecke sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze im Ausland. Die Beklagte habe sich nicht – über die Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinaus – in der Weise „selbst gebunden“, dass sie dem Kläger kraft ihres Direktionsrechts einen freien Arbeitsplatz als Leiter einer türkischen Filiale hätte zuweisen oder ihm einen solchen im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen. Eine solche Bindung bestehe nicht aus § 242 BGB, d. h. die Beklagte habe sich nach Treu und Glauben mit der von ihr behaupteten Versetzungsklausel nicht dazu verpflichtet, dem Kläger vorrangig einen Arbeitsplatz in der Türkei anzubieten. Insbesondere habe der Kläger zudem behauptet, die Versetzungsklausel sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrages.

Auch die arbeitgeberseitige Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verlange von ihm nicht, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange – oder derjenigen anderer Arbeitnehmer – durchzusetzen. Die Beklagte durfte nämlich davon ausgehen, dass der in Deutschland inzwischen tief „verwurzelte“ Kläger, eine Tätigkeit in der Türkei nicht annehmen würde.

Da der Geschäftsbetrieb in Deutschland vollständig stillgelegt wurde, sah das Gericht auch keinen Anlass, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das Angebot einer Beschäftigung im Ausland jedenfalls dann notwendig gewesen wäre, wenn es zu einer Betriebs-oder Betriebsteilverlagerung in einen anderen Staat oder zumindest bei einer „grenzüberschreitenden“ Funktionsnachfolge gekommen wäre.

Schließlich bestand nach Ansicht des BAG auch keine Verpflichtung zur Änderungskündigung. Zwar könne nach § 241 BGB unter Umständen eine Pflicht zur Vertragsanpassung bestehen, diese setze aber voraus, dass dies der Wunsch beider Parteien sei. Auch habe sich die Beklagte mit der Erklärung einer Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen auch nicht selbstwidersprüchlich i.S.v. § 242 BGB verhalten, indem sie dem Kläger zunächst eine Versetzung in die Türkei angeboten und ihm sodann eine entsprechende Weisung erteilt, schließlich aber eine betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen hat. Durch die vorangegangenen „Versetzungsversuche“ habe sie dieses Recht nicht verwirkt. Auch sei es nicht treuwidrig gewesen, die Kündigungen vorrangig auf die Arbeitsverweigerung zu stützen. Der Kläger sei jedenfalls vom Wegfall des Beschäftigungsbedarfs in Deutschland betroffen, wenn die Versetzung in die Türkei sich als unwirksam erweise. Auch die von der Beklagten versuchte Versetzung spräche nicht gegen ein Kündigungsrecht. Die Beklagte sei davon ausgegangen, sie habe den Kläger versetzen müssen. Für den Fall besserer Erkenntnis dürfe sie aber – so das BAG – eine Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erklären. Auf eine solche habe sie durch ihren Versuch der Versetzung auch nicht verzichtet.

Unser Kommentar

Das Bundesarbeitsgericht bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, nach der bei vollständigen Betriebsschließungen in Deutschland Arbeitsplätze im Ausland nicht vorrangig im Wege einer Änderungskündigung angedient werden müssen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn sich der Arbeitgeber erkennbar selbst hierzu verpflichten wollte. Aus der obigen Entscheidung ist erkennbar, dass die Anforderungen an eine derartige Selbstbindung sehr hoch sind. Selbst die tatsächliche – vorrangig ausgeführte – Versetzung und die Tatsache, dass sich die Beklagte hierzu selbst verpflichtet fühlte, reichte dem BAG für eine Selbstbindung des Arbeitgebers nicht aus. Die weitere gute Nachricht dieser nicht leicht nachzuvollziehenden Entscheidung ist diese: Liegt ein betriebliches Erfordernis für eine ordentliche Kündigung vor, so ist diese wirksam; selbst dann, wenn sich der Arbeitgeber vorrangig auf einen personenbedingten Grund (hier die Arbeitsverweigerung) stützt.

Dagmar Hellenkemper
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
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dagmar.hellenkemper@luther-lawfirm.com

 

Zulässigkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bei der Beteiligung an Konkurrenzunternehmen

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BAG, Urteil vom 7. Mai 2015 – 10 AZR 260/14

Der Fall

Der Kläger, zuletzt als Betriebsleiter bei der Beklagten beschäftigt, hatte mit der Beklagten eine nachvertragliche Wettbewerbsvereinbarung geschlossen. Diese beinhaltete die Pflicht, sich nicht an Konkurrenzunternehmen zu beteiligen und Unterstützungsleistungen zu unterlassen. Konkret untersagte das Wettbewerbsverbot dem Kläger für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mittelbar oder unmittelbar bei einem oder für ein Unternehmen tätig zu sein, bei der Gründung eines solchen Unternehmens mitzuwirken oder sich an ihm zu beteiligen, ein solches mit Rat und Tat irgendwie zu unterstützen, sowie ein solches mittelbar oder unmittelbar allein oder mit anderen zu betreiben. Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses unterstützte der Kläger den späteren Geschäftsführer eines Konkurrenzunternehmens durch Zahlung von EUR 75.000,00 bei der Gründung der Gesellschaft. Aus diesem Grund kündigte der Beklagte dem Kläger im Jahr 2009 außerordentlich und fristlos. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens verlangte der Kläger in einem hilfsweise gestellten Antrag die Zahlung einer Karenzentschädigung. Die Beklagte verweigerte die Zahlung. Der Kläger räumte ein, das Darlehen an den Geschäftsführer gezahlt zu haben, jedoch sei er lediglich in der Gründungsphase als Investor eingebunden und nie gewinnbezugsberechtigter Gesellschafter gewesen. Auch einen Darlehenszins habe er nicht erhalten. Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass der Kläger wirtschaftlicher Investor des Konkurrenzunternehmens gewesen sei und es in dieser Funktion auch geführt habe. ArbG und LAG wiesen die Kündigungsschutzklage bzw. die hiergegen eingelegte Berufung ab.

Die Entscheidung

Das BAG stimmte der Einschätzung der Vorinstanzen hinsichtlich der Karenzentschädigung zu. Auch nach Ansicht des BAG besteht kein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer sol chen. Durch das Belassen des zur Gründung des Konkurrenzunternehmens ausgereichten Darlehens habe der Kläger gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen. Deshalb sei die Beklagte nicht zur Zahlung der Karenzentschädigung verpflichtet.

Das BAG geht davon aus, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu qualifizierende Wettbewerbsvereinbarung sei dahingehend auszulegen, dass das Belassen des Darlehens nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine verbotene Beteiligung an einem Konkurrenzunternehmen darstelle. Die umfassende Reichweite des Verbots sei ohne Weiteres für einen verständigen Vertragspartner erkennbar gewesen. Nach Auffassung des BAG sei auch das Transparenzgebot gewahrt, weil die Frage, ob ein Verhalten des Arbeitnehmers das Verbot erfüllt, lediglich eine Frage der Anwendung sei und nicht die Unbestimmtheit der Formulierung bedinge.

Das vorliegende Wettbewerbsverbot sei nicht unverbindlich, weil berechtigte geschäftliche Interessen der Beklagten i.S.d. § 74a Abs.1 Satz 1 BGB bestünden. Das BAG wiederholt seine bisherige Rechtsprechung zu der Frage, wann solche berechtigten Interessen vorliegen und weist darauf hin, dass die bloße Kapitalbeteiligung an einem anderen Konkurrenzunternehmen grundsätzlich keine Tätigkeit im Sinne des § 74 Abs. 1 HGB darstelle. Allerdings rechtfertige die besondere wirtschaftliche Bedeutung der Belassung des Darlehens – das Konkurrenzunternehmen hat sich nicht um ein neues Darlehen bemühen und hierfür die banküblichen Zinsen und Sicherheiten aufbringen müssen – eine andere Bewertung. Das Wettbewerbsverbot diene gerade dazu, eine zielgerichtete wirtschaftliche Unterstützung zu verhindern. In diesen Fällen läge ein berechtigtes Interesse vor und nicht allein das bloße Interesse an der Einschränkung von Konkurrenz. Als Folge einer Nichtbeachtung der Pflicht zur Unterlassung des Wettbewerbs stünde dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Da die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsverbot die dem Arbeitnehmer obliegende Leistung für die entsprechende Zeit unmöglich mache, verliere er gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BGB seinen Anspruch auf die Karenzentschädigung.

Unser Kommentar

Um die Verbindlichkeit des Verbots sicher zu stellen, ist bei der Gestaltung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes, mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich, der Grundsatz der Bestimmtheit zu beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um ein in AGB vereinbartes Verbot handelt. Unerheblich ist dagegen, wie weit der Anwendungsbereich reicht. Ein umfassender Anwendungsbereich steht der Bestimmtheit nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob das konkret in Streit stehende Verhalten des Arbeitnehmers durch Auslegung der Klausel dem Regelungszweck der Parteien entspricht. Abzustellen ist im Rahmen der nach § 74a Abs.1 Satz 1 HGB durchzuführenden Interessenabwägung insbesondere darauf, ob die Interessen des Prinzipals in unzulässiger Weise verletzt werden. Auf Grund dieser Abwägung bleibt auch bei umfassenden Klauseln der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt. Das BAG geht weiter davon aus, dass die reine Kapitalbeteiligung an einem Konkurrenzunternehmen nicht ausreichend ist, um einen zu unterlassenden Wettbewerbsverstoß zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine Handlung, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für den Bestand und den Betrieb des Konkurrenzunternehmens ist. Bei der Beurteilung ist stets der jeweiligen Einzelfall zu betrachten.

 

Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln
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eva.ruetz@luther-lawfirm.com

Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung bei der Sozialplanabfindung

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BAG, Urteil vom 17. November 2015 – 1 AZR 938/13

Eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Bemessung einer Sozialplanabfindung ist unwirksam, wenn sie schwerbehinderte Arbeitnehmer im Verhältnis zur übrigen vom sozialplanpflichtigen Arbeitsplatzverlust betroffenen Belegschaft schlechter stellt.

Der Fall

Zwischen den Parteien steht die Berechnung einer Sozialplanabfindung in Streit. Gemäß dem von den Betriebsparteien abgeschlossenen Sozialplan soll sich die Abfindung zur Abmilderung der Nachteile aus dem Verlust des Arbeitsplatzes wegen einer Betriebsänderung für jeden von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer individuell nach seiner Bruttomonatsvergütung, der Betriebszugehörigkeit und einem Faktor berechnen. Die nach dieser Formel zu ermittelnde Abfindung ist für vor dem 1. Januar 1952 geborene Arbeitnehmer, die nach einem Arbeitslosengeldbezug von längstens zwölf Monaten die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erstmals in Anspruch nehmen können, auf maximal EUR 40.000,00 begrenzt. Im Übrigen sind Arbeitnehmer, die aufgrund einer Schwerbehinderung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente beanspruchen können, gemäß § 2 Ziffer 1 des Sozialplans von der individuellen Abfindungsberechnung ausgenommen; diese erhalten eine Abfindungspauschale in Höhe von EUR 10.000,00 sowie einen Zusatzbetrag von EUR 1.000,00, der allen schwerbehinderten Arbeitnehmern zusteht.

Der 1950 geborene und schwerbehinderte Kläger war seit Mai 1980 bei der Beklagten beschäftigt. Da die Betriebsabteilung der Beklagten, in welcher der Kläger beschäftigt war, stillgelegt wurde, schied er zum 31. März 2012 aus dem Unternehmen aus. Anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt er neben dem Zusatzbetrag die Abfindungspauschale von EUR 10.000,00. Nach der Formelberechnung hätte sich die Abfindung auf EUR 64.558,00 belaufen. Mit seiner Klage hat er zuletzt die Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von EUR 30.000,00 unter Berücksichtigung der Begrenzung für rentennahe Jahrgänge verlangt.

In diesem Umfang haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung

Die hiergegen gerichtete Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat ein mit der Differenzierung eines Sozialplans für die Berechnung einer Abfindung zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen einhergehender Systemwechsel die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten.

In der Regelung über den pauschalierten Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer, die wegen ihrer Schwerbehinderung rentenberechtigt sind, liege eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Ungleichbehandlung. Diese benachteilige schwerbehinderte Arbeitnehmer, denen nach einer für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer geltenden Berechnungsformel ein höherer Abfindungsbetrag zustehen würde. Sie dürfe gemäß § 7 Abs. 2 AGG ihnen gegenüber nicht angewendet werden.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt bisher nur als Pressemitteilung vor. Ihr ist jedoch im Ergebnis zuzustimmen.

Gemäß den §§ 1, 7 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Hiergegen verstoßende Vereinbarungen sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn einer Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung zuteilwird als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Der notwendige (Kausal-)Zusammenhang liegt demnach vor, wenn die weniger günstige Behandlung an ein Merkmal gemäß § 1 AGG anknüpft oder dadurch motiviert ist (BAG vom 23. August 2012 – 8 AZR 285/11).

Die Regelung unter § 2 Ziffer 1 des Sozialplans stellt eine unmittelbare Benachteiligung der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer dar; sie knüpft unmittelbar an die Schwerbehinderteneigenschaft an. Schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 und 1 SGB IX zählen zu dem von § 1 AGG geschützten Personenkreis. 

Zumindest ein Teil der von der Pauschalabfindung gemäß § 2 Ziffer 1 des Sozialplans erfassten Arbeitnehmer erfährt durch diese Regelung eine ungünstigere Behandlung als vergleichbare Arbeitnehmer ohne Schwerbehinderung. Dies gilt zumindest für den Teil der Belegschaft, der aufgrund der Faktorenberechnung eine höhere Abfindung als EUR 10.000,00 verlangen könnte.

Auf die Frage, ob andere schwerbehinderte Mitarbeiter durch die Regelung begünstigt werden, kommt es in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht Köln als Vorinstanz nicht an. Denn für die Kausalität zwischen der Schwerbehinderteneigenschaft und der Schlechterstellung ist es ausreichend, wenn nur ein Teil der der Maßnahme unterworfenen Arbeitnehmer eine Benachteiligung erleidet. Diese wird nicht „geheilt“ durch den Umstand, dass solche Schwerbehinderte mit sehr kurzer Betriebszugehörigkeit und geringem Verdienst nach der im Sozialplan vorgenommenen Regelung eine Besserstellung erfahren.

Letztendlich entfällt die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen – schwerbehinderte Arbeitnehmer und nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer – auch nicht deshalb, weil die rentennahen Schwerbehinderten durch die Möglichkeit des früheren Renteneintritts besser gestellt sind als die Gruppe der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer. Der den schwerbehinderten Arbeitnehmern durch die Möglichkeit des früheren Renteneintritts gewährte Vorteil dient dazu, den Schwierigkeiten und besonderen Risiken Rechnung zu tragen, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert sind.

Dr. André Friedl
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon    +49 711 9338 21173
andre.friedl@luther-lawfirm.com

Nachrichten in Kürze

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Keine Anrechnung eines vorausgegangenen Praktikums auf die Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis

BAG, Urteil vom 19. November 2015 – 6 AZR 844/14

Der Kläger bewarb sich im Frühjahr 2013 beim Beklagten um eine Ausbildung. Die Beklagte versprach die Aufnahme der Ausbildung zum 1. August 2013. Zur Überbrückung schlossen die Parteien einen bis 31. Juli 2013 befristeten Praktikantenvertrag. Hinsichtlich des sich anschließenden Ausbildungsverhältnisses vereinbarten die Parteien eine Probezeit von drei Monaten. Das Ausbildungsverhältnis wurde durch die Beklagte mit Schreiben vom 29. Oktober 2013, welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, zum 29. Oktober 2013 gekündigt. Der Kläger hielt diese Kündigung für unwirksam. Sie sei nach Ablauf der Probezeit, auf die das Praktikum anzurechnen sei, erklärt worden. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Nach Auffassung des BAG habe das Berufsausbildungsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gemäß § 22 Abs. 1 BBiG gekündigt werden können. Die Dauer des vorausgegangenen Praktikums sei nicht zu berücksichtigen. Nach § 20 Abs. 1 BBiG muss ein Berufsausbildungsverhältnis zwingend mit einer Probezeit beginnen. Den Vertragspartnern soll damit ausreichend Gelegenheit zur Überprüfung der für die Ausbildung im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände gegeben werden. Dies sei nur unter den Bedingungen des Berufsausbildungsverhältnisses mit seinen spezifischen Pflichten möglich. Inhalt und Zielsetzung des Praktikums seien dabei unerheblich. Dies würde auch dann gelten, wenn es sich nicht um ein Praktikum sondern ein Arbeitsverhältnis gehandelt hätte.

Urlaubsdauer bei kurzfristiger Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses

BAG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 9 AZR 224/14

Der Kläger war seit dem 1. Januar 2009 bei der Beklagten beschäftigt. Er kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012. Am 21. Juni 2015 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag mit Wirkung ab Montag, den 2. Juli 2012. Dieses Arbeitsverhältnis wurde durch die Beklagte am 12. Oktober 2012 fristlos gekündigt. Arbeitsvertraglich waren in beiden Arbeitsverhältnissen 26 Urlaubstage pro Jahr in einer Fünf-Tage-Woche vereinbart. Im Jahr 2012 waren davon nur drei Urlaubstage gewährt worden. Der Kläger begehrte die Abgeltung von insgesamt 23 Urlaubstagen und vertrat die Auffassung, ihm stünde ein voller Urlaubsanspruch zu. Die Beklagte ging hingegen davon aus, dass für beide Arbeitsverhältnisse im Jahr 2012 jeweils nur Teilurlaubsansprüche entstanden seien. Das ArbG nahm an, es sei ein voller Urlaubsanspruch von 26 Tagen entstanden und gab der Klage statt. Das LAG wies die dagegen eingelegte Berufung ab. Die zugelassene Revision vor dem BAG blieb erfolglos.

§ 7 Abs. 4 BurlG normiert einen Anspruch auf Abgeltung des wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllten Anspruchs auf Urlaub. Ein nach Beendigung begründetes neues Arbeitsverhältnis ist in der Regel urlaubsrechtlich eigenständig zu behandeln. Es begründet einen vollen Urlaubsanspruch erst nach erneuter Erfüllung der Wartezeit nach § 4 BurlG. Nach Ansicht des BAG steht dem Arbeitnehmer zumindest dann ein Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub zu, wenn vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht, dass es nur für kurze Zeit unterbrochen und mit dem gleichen Arbeitgeber fortgeführt wird und das zweite Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet.

Erfordernis einer Sozialauswahl bei Weiterbeschäftigung eines Teils der Belegschaft im  Schwesterunternehmen

BAG, Urteil vom 21. Mai 2015 – 8 AZR 409/13

Die Klägerin war bei der Beklagten zu 1. beschäftigt, die ein Unternehmen im Speditions-und Transportgewerbe betreibt. Die Beklagte unterhielt fünf Geschäftsbereiche. Einige dieser Bereiche veräußerte sie 2010/2011 an andere Unternehmen, u.a. an das Schwesterunternehmen, die Beklagte zu 2. Bei der Veräußerung gingen die Parteien von einem Betriebsteilübergang nach § 613a BGB aus. Mit der Beklagten zu 2. wurde der Eintritt in alle Rechte und Pflichten der bestehenden Arbeitsverhältnisse vereinbart. Der Klägerin teilte die Beklagte zu 1. im Dezember 2010 mit, dass sie einem der Geschäftsbereiche angehöre, die nicht veräußert, sondern stillgelegt wurden. Auch andere Arbeitnehmer erhielten entsprechende Schreiben, in denen ihre Zuordnung benannt wurde. Am 23. Dezember 2010 kündigte die Beklagte zu 1. das Arbeitsverhältnis ordentlich. Alle Arbeitnehmer erhielten vergleichbare Schreiben, die in der Übernahmevereinbarung mit der Beklagten zu 2. genannten Arbeitnehmer jedoch zusätzlich ein Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang, das zusicherte, die Beklagte zu 2. werde aus der Kündigung keine Rechte herleiten verbunden mit einem Angebot zur Weiterführung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage. Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage teilweise ab. Das LAG wies die Klage vollständig ab und ging in seiner Entscheidung davon aus, dass kein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2. stattgefunden habe und die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen aufgrund der Stilllegung der Geschäftsbereiche begründet sei. Einer Sozialauswahl bedurfte es dabei nach Auffassung des LAG nicht, weil die Beklagte zu 1. allen Abreitnehmern kündigte.

Auf die Revision der Klägerin erfolgte die Aufhebung und Zurückweisung der Berufung an das LAG. In Übereinstimmung mit der Auffassung des LAG nahm das BAG an, dass weder ein Betriebs-noch ein Teilbetriebsübergang vorlag. Allerdings hielt es eine Sozialauswahl nicht für entbehrlich. Zwar sei eine Sozialauswahl grundsätzlich entbehrlich, wenn allen Arbeitnehmern eines Betriebes gekündigt werde. Sie müsse aber erfolgen, wenn der Arbeitgeber zwar allen Arbeitnehmern kündigt, einem Teil über ein Schwesterunternehmen jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet, ohne dass in diesem Fall die ausgesprochene Kündigung irgendwelche Folgen für den rechtlichen oder sozialen Bestand des Arbeitsverhältnisses haben soll. Sofern die Beklagten wie hier nicht davon ausgingen, dass alle Arbeitsverhältnisse beendet werden, sei eine Sozialauswahl durchzuführen. Mangels hinreichender Feststellungen zur Sozialauswahl konnte das BAG über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nicht selbst entscheiden und hat das Verfahren an das LAG zurückverwiesen.

Freistellung eines BR-Mitglieds von Übernachtungskosten bei BR-Schulung

BAG, Beschluss vom 27. Mai 2015 – 7 ABR 26/13

Das beteiligte Betriebsratsmitglied nahm, entsprechend einem Beschluss des Betriebsrats, an einer 44 km vom eigenen Wohnort entfernten Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG teil. Aufgrund der Witterungsverhältnisse buchte das Betriebsratsmitglied wenige Tage vor dem Seminar ein Hotelzimmer am Schulungsort. Die Arbeitgeberin weigerte sich später die in Rechnung gestellten Kosten, inklusive Übernachtung, zu tragen. Daraufhin nahm der Veranstalter das Betriebsratsmitglied in Anspruch. Den Antrag des Betriebsrats gegen die Arbeitgeberin auf Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung der Hotelkosten lehnte das ArbG Köln ab, das LAG Köln entsprach dem Antrag. Das BAG bestätigte das Urteil des LAG.

Der Arbeitgeber ist nach § 40 Abs.1 BetrVG zur Kostentragung der anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds für eine Schulung anfallenden Kosten verpflichtet, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Dies gilt auch für Reise-und Übernachtungskosten. Eingeschränkt wird dieser Grundsatz durch das Gebot der Vertrauensvollen Zusammenarbeit. Der Arbeitgeber soll nur mit Kosten belastet werden, die der Betriebsrat und das einzelne Mitglied für angemessen halten darf. Der Beschluss des Betriebsrats muss zwar für eine hinsichtlich Zeitpunkt und Ort konkretisierte Schulung sowie ein bestimmtes Mitglied getroffen werden, die Frage des Verkehrsmittels und einer möglicher Übernachtung kann jedoch noch offen sein. Zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Übernachtung ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung oder den Zeitpunkt der die Kosten verursachenden Handlung abzustellen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn sich die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände nachträglich ändern und das Betriebsratsmitglied die Kosten nun für erforderlich halten darf. Darauf, ob das Betriebsratsmitglied die Erforderlichkeit erneut geprüft hat, komme es in diesem Fall nicht an.

Hypothetische Ermittlung des Jahresbonus bei Betriebsratsmitgliedern

BAG, Urteil vom 29. April 2015 – 7 AZR 123/13

Der Kläger, Mitglied des Betriebsrats, verlangt die Erhöhung des umsatzabhängig gewährten Jahresbonus. Dieser war aus einem Teilbetrag für den Anteil an der Gesamtarbeitszeit, der für Arbeitstätigkeit aufgewandt wurde und einem Anteil für die Betriebsratstätigkeit errechnet worden. Im streitigen Fiskaljahr hat der Kläger durchschnittlich 25 % der Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit aufgewandt. Hinsichtlich des Betriebsratsanteils wurde der durchschnittliche Zielerreichungsgrad einer Vergleichsgruppe von 120,4 % zugrunde gelegt, während der Zielerreichungsgrad im Übrigen 179 % betrug. Der Kläger verlangte die Zahlung von EUR 9.405,72 als Differenz des Betrages, der sich bei einheitlicher Zugrundelegung von 179 % ergeben hätte. Die Vorinstanzen wiesen die Klage zurück. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Betriebsratsmitglieder sind nach § 37 Abs. 2 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei einer solchen Arbeitsbefreiung ist das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen, das es verdient hätte, wenn es keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Für die Berechnung der Vergütung gilt das Lohnausfallprinzip. Erforderlich sei eine hypothetische Betrachtung, welches Entgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte. Der Berechnung sei die Methode zugrunde zu legen, die dem Lohnausfallprinzip am besten gerecht wird. Nach Ansicht des BAG entsprach die Berechnungsmethode der Beklagten dem Lohnausfallprinzip nicht. Sie lasse unberücksichtigt, dass es sich bei dem Bonus um einen einheitlichen Entgeltbestandteil handelt. Es sei der Zielerreichungsgrad zugrunde zu legen, den der Kläger hypothetisch ohne Arbeitsbefreiung erreicht hätte. Soweit auf die Vergleichsgruppe abgestellt wird, werde außer Betracht gelassen, dass die Höhe des erzielten Umsatzes von der persönlichen Arbeitsleistung des Unternehmers sowie weiteren Faktoren abhängt.

Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei Verletzung der Beschäftigungspflicht durch den Arbeitgeber

BAG, Urteil vom 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14

Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis im Jahr 2006 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der darauf erhobenen Kündigungsschutzklage, verbunden mit einem Antrag auf Weiterbeschäftigung, gab das ArbG statt und verurteilte die Beklagte bis zum Abschluss des Rechtsstreits zur vorläufigen Weiterbeschäftigung. Die Beklagte kam der Weiterbeschäftigung nicht nach. Vollstreckungsmaßnahmen leitete der Kläger nicht ein. Mit Urteil vom 12. April 2011 gab das LAG zwar der Kündigungsschutzklage statt, löste das Arbeitsverhältnis aber zum 31. Januar 2007 gegen Zahlung einer Abfindung auf. Die Klage auf Weiterbeschäftigung wies das LAG ab, weil der Kläger wegen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine Weiterbeschäftigung beanspruchen könne. Der Kläger begehrt mit der am 21. Dezember 2007 eingereichten Klage, Zahlung einer Vergütung wegen Annahmeverzugs für Dezember 2006 und Januar 2007 sowie Schadensersatz für die Zeit vom 1. März bis 31. Dezember 2007. Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies die Klage in Bezug auf den Schadensersatz ab.

Die auf vollständige Klageabweisung gerichtete Revision der Beklagten sah das BAG als im Wesentlichen unbegründet an. Das LAG habe zu Recht erkannt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Annahmeverzug für Dezember 2006 und Januar 2007 zusteht. Die Revision des Klägers wies das BAG zurück. Ein Schadensersatzanspruch für die Zeit nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehe nicht. Ein an sich aufgrund einer unwirksamen Kündigung begründeter Annahmeverzug entfällt durch die rechtskräftige Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich, da der Annahmeverzug ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt. Ein Schadensersatz ergibt sich nach Auffassung des BAG auch nicht aus der von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Rechtspflicht zur Beschäftigung. Diese Rechtspflicht zur Beschäftigung werde durch das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers bestimmt, da dieser als Ausdruck seines Entfaltungsrechts tatsächlich arbeiten dürfen soll. Diese Herleitung schließe einen Schaden in Form des entgangenen Verdienstes aus. Die finanzielle Absicherung im Falle der Nichtbeschäftigung stelle § 615 Satz 1 BGB sicher, der dem Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen der §§ 293 ff. BGB den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit aufrechterhalte. Etwas anderes ergebe sich auch dann nicht, wenn eine Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung rechtskräftig war. Zwar ermöglicht das ArbGG in § 62 Abs. 1 Satz 1 eine Zwangsvollstreckung vorläufig durchzusetzen. Verzichtet der Arbeitnehmer auf diese Möglichkeit, lasse sich weder der ZPO noch dem ArbGG ein Schadensersatzanspruch entnehmen.

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5. Sächsische Arbeitsrechtstage
3. und 4. November 2016, Leipzig

Am 3. und 4. November 2016 veranstaltet die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Kooperation mit der Universität Leipzig die 5. Sächsischen Arbeitsrechtstage in Leipzig. Bitte merken Sie sich diesen Termin vor.

Auch für das kommende Jahr konnten u.a. mit Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn), Prof. Dr. Peter Schüren (Universität Münster), RiBAG Oliver Klose (Bundesarbeitsgericht, Erfurt), RiLSG Stephan Rittweger (Bayerisches Landessozialgericht, München) und RA/FAArbR Dr. Volker Schneider (Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg) wieder hochkarätige Referenten gewonnen werden.

Über die Themen, den Ablauf sowie alle weiteren Details werden wir Sie in Kürze informieren.

Die Sächsischen Arbeitsrechtstage sind eine Fortbildungsveranstaltung nach § 15 FAO über 15 Zeitstunden.