20.12.2018

Arbeitsrecht 4. Ausgabe 2018

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Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Weihnachten steht vor der Tür, Zeit für fröhliche Lieder und die Weihnachtsgans. Was läge da näher als ein wenig spannende Lektüre …

In diesem Newsletter widmen wir uns dem spannenden Thema des Datenschutzes im Recruiting und der Brückenteilzeit, nur zwei von vielen aktuellen Herausforderungen in der Personalarbeit. Daneben geben wir natürlich auch den gewohnten Überblick über die aktuelle Entscheidungspraxis der deutschen Arbeitsgerichte.

Wir wünschen Ihnen eine friedliche und besinnliche Weihnachtszeit.

Kommen Sie gut ins neue Jahr!

Paul Schreiner
Partner
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Essen

Achim Braner
Counsel
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.

Leitartikel

Recruiting und Datenschutz – 10 Punkte für das DSGVO konforme Bewerbermanagement

Haben Sie Angst davor, in den Fokus der Datenschutzaufsichtsbehörden zu geraten? Ein häufiger Auslöser für Ermittlungsmaßnahmen der Datenschutzaufsichtsbehörden sind abgelehnte Bewerber, die vermeintliche Datenschutzverstöße anzeigen. Seitdem am 25. Mai 2018 die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten ist, droht ein deutlich höherer Bußgeldrahmen. Zudem haben die Datenschutzbehörden ab Januar 2019 verstärkte Kontrollen angekündigt. Der sichere Umgang mit Mitarbeiterdaten ist für den gesamten HR-Bereich – d.h. Recruiting, Talentmanagement, Mitarbeiterverwaltung/ Business-Partner-Betreuung sowie Trennungsmanagement – von Bedeutung.

Aus der Beratungspraxis heraus - hier beraten wir regelmäßig in einem Team bestehend aus einem IT-Rechtler sowie einem Arbeitsrechtler – möchten wir Ihnen die aus unserer Sicht 10 wichtigsten Punkte für das datenschutzkonforme Bewerbermanagement an die Hand geben und mit verbreiteten Rechtsirrtümern aufräumen:

1. Keine Einwilligung für das Bewerbungsverfahren erforderlich

Für die Verarbeitung personenbezogener Daten der Bewerber im Bewerbungsverfahren ist grundsätzlich keine Einwilligung erforderlich. Dies gilt unabhängig davon, ob Sie das Bewerbungsverfahren analog, online oder mit Hilfe eines Bewerbermanagementsystems durchführen. Art. 88 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 1 BDSG sieht vor, dass personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden dürfen, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. In § 26 Abs. 8 Satz 2 BDSG hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass Bewerberinnen und Bewerber als Beschäftigte gelten. Daher darf der zukünftige Arbeitgeber personenbezogene Daten von Bewerbern erheben und verarbeiten, soweit die abgefragten personenbezogenen Daten für das Bewerbungsverfahren bzw. die Einstellung erforderlich sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Bewerbungen elektronisch in einem Bewerbermanagementsystem oder in Form von Papierbewerbungen verarbeitet werden.

Wenn die personenbezogenen Daten auf Grundlage von Art. 88 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 26 BDSG verarbeitet werden, ist keine – d. h. auch keine zusätzliche oder ergänzende – Einwilligung notwendig. Natürlich steht es dem Verantwortlichen frei, anstelle von Art. 88 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 26 BDSG eine Einwilligung einzuholen. Dann würde diese Einwilligung die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung darstellen. Gerade im Bewerbungsverfahren bestehen jedoch erhebliche Bedenken, ob eine solche Einwilligung „freiwillig“ erfolgen kann. Denn der Bewerber fürchtet, dass er im Bewerbungsverfahren Nachteile erleidet, wenn er die Einwilligung nicht erteilt. Dann ist die Einwilligung nicht freiwillig erfolgt. Damit wäre eine solche Einwilligung unwirksam. Dadurch besteht ein hohes Risiko, dass Sie durch die unwirksame Einwilligung aus einer eigentlich gesetzeskonformen Datenverarbeitung eine unzulässige Datenerhebung machen. Aus diesem Grund sollte ein Unternehmen auf Einwilligungen im Bewerbungsverfahren verzichten.

2. Online oder Offline: Informationspflichten beachten!

In der Praxis wird die Frage „Darf ich Daten verarbeiten?“ oft vermischt mit der Frage „Was muss ich dem Bewerber sagen?“. Aus diesem Grund finden sich immer noch eine Vielzahl von Bewerberportalen im Netz, bei denen die Informationspflichten durch einen Einwilligungstext erfüllt werden sollen. Dies ist falsch. Tatsächlich handelt es sich um zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Informationspflichten des potentiellen Arbeitgebers folgen aus Art. 13ff. DSGVO (Art. 13 regelt die Informationspflicht bei Datenerhebung unmittelbar beim Bewerber und Art. 14 die Datenerhebung über Dritte, bspw. Head-Hunter). Diese verpflichten den potentiellen Arbeitgeber dazu, dem Bewerber in einfacher Sprache zu erklären, was er mit den personenbezogenen Daten des Bewerbers macht. Die Informationspflichten treffen jedoch keine Entscheidung darüber, ob der Arbeitgeber die personenbezogenen Daten überhaupt verarbeiten darf.

Wichtig ist, dass der potentielle Arbeitgeber die Informationspflichten stets im Zeitpunkt der Datenerhebung erfüllen muss. Dies gilt unabhängig davon, ob ich als Recruiter ein Online-Karriereportal verwende, ob Bewerbungen als E-Mail eingehen oder ob ich Bewerbungen in Papierform erhalte. In jedem der vorgenannten Fälle muss der Bewerber informiert werden. In einem Online-Karriereportal lassen sich die Informationspflichten regelmäßig unter dem Reiter/Tab „Datenschutz“ darstellen. Bei Bewerbungen via E-Mail oder Postbrief müssen die Informationen proaktiv übersandt werden. Hier empfiehlt es sich, dies gemeinsam mit der Eingangsbestätigung zu tun. Der Recruiting Prozess muss also in der Weise aufgesetzt werden, dass die Information des Bewerbers immer der erste Schritt sind.

3. Active Sourcing bei Facebook, Xing, LinkedIn & Co.

Eine große Unsicherheit besteht im Recruiting insbesondere beim Active Sourcing. Denn es ist vielerorts gängige Praxis, dass Recruiter in Business-Netzwerken à la Xing oder LinkedIn nach potentiellen Kandidaten suchen. Mit Blick auf die zulässige Erhebung von Beschäftigtendaten zum Zwecke der Begründung eines Beschäftigtenverhältnisses halten wir die Suche nach Kandidaten in berufsorientierten Netzwerken, wie Xing oder LinkedIn, für vertretbar. Die gezielte Suche in privat orientierten Netzwerken wie facebook jedoch nicht.

Spannend beim Active Sourcing ist die Frage der Informationspflichten. Denn es handelt sich um eine Datenerhebung bei einem Dritten (d. h. dem Plattformbetreiber), die grundsätzlich eine Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO auslöst. Der Arbeitgeber ist also verpflichtet, die Betroffenen über die durchgeführte Datenerhebung zu informieren – dies muss er spätestens innerhalb eines Monats tun.

4. Backgroundchecks – besser nicht

Ein weiteres Thema, das in der Praxis nach wie vor genutzt wird, sind Backgroundchecks von Bewerbern via Google und facebook. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist von der Durchführung solcher Backgroundchecks abzuraten, denn hier dürfte in aller Regel bereits eine Rechtsgrundlage für die Datenerhebung fehlen. Zudem müssen die Informationspflichten (siehe oben) erfüllt werden.

Nach Einschätzung der Datenschutzbehörden sind Backgroundchecks nicht erforderlich, denn der Arbeitgeber hat mit den Bewerbungsunterlagen, durch Bewerbungsgespräche sowie mit der Durchführung von Assessment Centern geeignete Mittel an der Hand, um prüfen zu können, ob ein Bewerber hinreichend qualifiziert ist und zum Unternehmen passt. Bereits aus diesem Grunde sollten Unternehmen hier zurückhaltend agieren. Ein Backgroundcheck kann im Einzelfall aber zulässig sein, wenn ein potentieller Arbeitgeber den berechtigten Verdacht hat, dass bspw. Angaben im Lebenslauf falsch sind und ihm kein anderes Mittel zur Kontrolle zur Verfügung steht.

5. Weitergabe der Bewerbung im Unternehmen

Innerhalb desselben Unternehmens (d. h. derselben juristischen Person) ist die Weitergabe von Bewerbungsunterlagen an solche Personen zulässig, die unmittelbar mit dem Bewerbungsverfahren zu tun haben. Dies gilt insbesondere für Recruiter und bspw. Business Partner, die die Bewerbungsgespräche führen. Das gilt allerdings auch für die zukünftige Führungskraft, die an Bewerbungsgesprächen teilnimmt und die Letztentscheidung über die Einstellung trifft.

Bei der Weitergabe von Bewerbungen im Unternehmen muss das Unternehmen jedoch sicherstellen, dass die Bewerbungen am Ende des Bewerbungsverfahrens wieder gelöscht werden können. Es empfiehlt sich daher, Bewerbungsunterlagen nicht inflationär auszudrucken oder per E-Mail zu versenden. Bei einem Versand per E-Mail sollte zudem eine Verschlüsselung verhindern, dass der Inhalt der E-Mail durch Unberechtigte zur Kenntnis genommen werden kann, z.B. durch einen Assistenten, der ebenfalls Zugriff auf das Postfach hat. In der Praxis empfiehlt es sich, eine zentrale Softwarelösung einzusetzen oder auf einem Share Point zu arbeiten. Dies vereinfacht das spätere Löschen der Bewerbungsunterlagen in ganz erheblicher Weise. Insbesondere lassen sich dabei Zugriffsrechte schlicht wieder entziehen. Demnach muss man keine Prozesse oder Anweisungen erstellen, die den Umgang mit ausgedruckten oder per E-Mail übersandten Bewerbungsunterlagen regeln.

6. Die richtigen Fragen im Gespräch

In der täglichen Beratung taucht oft die Frage auf, ob es wegen der DSGVO Änderungen mit Blick auf das Fragerecht des potentiellen Arbeitgebers gibt. Das ist nicht der Fall. Tatsächlich machen die Inhouse Recruitung Teams im Wesentlichen alles richtig. Denn mit Blick auf die AGG-konforme Gestaltung von Bewerbungsgesprächen sind die Recruiting-Mitarbeiter in Unternehmen bereits gut sensibilisiert. Für den datenschutzrechtlichen Teil muss man sich merken, dass die Datenerhebung (d. h. die Frage nach einem bestimmten Datum) erforderlich sein muss mit Blick auf die beabsichtigte Begründung des Arbeitsverhältnisses. Demnach besteht hier ein Parallelschutz sowohl durch datenschutzrechtliche als auch diskriminierungsrechtliche Vorgaben.

7. Absage und Datenlöschung

Die Datenerhebung ist immer zweckgebunden (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO). Wenn ein Bewerbungsverfahren abgeschlossen und einem Bewerber abgesagt wurde, stellt sich die praktische Frage: „wie lange darf ich die Bewerbungsunterlagen aufbewahren“? Denn der Zweck „Datenverarbeitung zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses“ hat sich mit der Absage erledigt. Doch stellt auch die Datenverarbeitung zur Abwehr möglicher Ansprüche einen legitimen Zweck dar. Der abgelehnte Bewerber hat nach § 15 Abs. 4 AGG ab Zugang der Absage zwei Monate Zeit, um Schadensersatzansprüche nach dem AGG geltend zu machen. In der Praxis ist es daher kein Problem, wenn Bewerbungsunterlagen nach einem Zeitraum zwischen drei oder vier Monaten nach der Absage gelöscht werden. Eine längere Speicherung ist jedoch nicht mehr vertretbar.

8. Talentpools Talentpools – sowohl interne als auch externe - sind wichtiger Bestandteil des Recruitings. Aus unserer Sicht ist die Aufnahme von Daten in einen Talentpool eines der Beispiele, bei dem man sehr gut mit einer Einwilligung arbeiten kann.

Interne Talentpools

Der Mitarbeiter muss eine echte Wahl haben, ob er in den Talentpool aufgenommen werden möchte oder nicht. Dann ist die Datenverarbeitung auf Grundlage einer Einwilligung ohne Weiteres zulässig. Typischerweise laufen interne Talentpools über eine bestimmte Software (Stichwort: Sweet HR). In diesen Fällen muss ohnehin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG beachtet werden. Daher bietet es sich in solchen Fällen in der Praxis an, die Datenverarbeitung auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung nach Art. 88 DSGVO iVm § 26 Abs. 1 BDSG durchzuführen.

Externe Talentpools

Für externe Personen (d.h. abgelehnte Bewerber) ist unserer Ansicht nach die Einwilligung die einzige Möglichkeit der zulässigen Datenverarbeitung (denn eine Betriebsvereinbarung kann nur einen Talentpool für eigene Mitarbeiter, nicht jedoch für Externe regeln). Hinsichtlich der Freiwilligkeit ist es wichtig, die Einwilligung für die Aufnahme in einen externen Talentpool erst nach der Absage einzuholen. Während des laufenden Bewerbungsverfahrens dürfte die Freiwilligkeit ausgeschlossen sein, da der Bewerber ein Interesse an der Stelle hat und demnach selbstverständlich in die Aufnahme in den Talentpool einwilligt. Dieser „Einwilligungsdruck“ entfällt aber mit der Absage.

Sowohl bei internen als auch externen Talentpools ist es u.a. wegen der Datenschutzgrundsätze der Datenrichtigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO) sowie der Speicherbegrenzung (Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO) wichtig, Prüfintervalle bzgl. Einwilligung und Aktualität der Daten zu etablieren. In der Praxis hat sich bewährt, die Teilnehmer an einem Talentpool regelmäßig (d. h. bspw. einmal jährlich) zu fragen, ob diese im Talentpool bleiben möchten und, falls ja, ob die gespeicherten Daten noch aktuell bzw. richtig sind. Daneben ist es bei externen Talentpools nicht unüblich, die Daten nach dem Ablauf eines Jahres vollständig zu löschen, es sei denn, der Externe meldet sich aktiv, um länger in dem Talentpool zu bleiben. Auch die Datenschutzaufsichtsbehörden sind der Ansicht, dass eine Einwilligung in die Speicherung in einem Talentpool ein „Verfallsdatum“ hat. Ob dies rechtlich haltbar ist, ist fraglich. Es empfiehlt sich allerdings, hier der Auffassung der Datenschutzaufsichtsbehörden zu folgen.

9. Welche Daten kommen in die Personalakte?

Ähnlich wie bei der Frage nach bestimmten Daten im Bewerbungsverfahren hängt es hier davon ab, welche Daten zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind. Oftmals sind bestimmte Bewerbungsunterlagen bzw. mit der Bewerbung übermittelte Daten (bspw. das Anschreiben, Angaben über die Eltern des Bewerbers oder verschiedene Zeugnisse) nach der Einstellungsentscheidung nicht mehr erforderlich. Dennoch werden auch heute noch in vielen Fällen die gesamten Bewerbungsunterlagen 1:1 zur Personalakte genommen. An dieser Stelle ist es in der Praxis sinnvoll genau zu prüfen, welche Daten tatsächlich zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses benötigt werden. Denn mit Blick auf den Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) muss die Datenverarbeitung auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein. Dieser Prozess ist daher erforderlich, um eine datenschutzkonforme Personalaktenführung zu gewährleisten.

10. Speicherdauer – wie lange dürfen Personaldaten gespeichert werden?

Wegen des Grundsatzes der Speicherbegrenzung (Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO) ist immer zu prüfen, ob ein personenbezogenes Datum für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses noch notwendig oder erforderlich ist. Der Arbeitgeber muss ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der weiteren Speicherung der Daten haben. Des Weiteren ist zu prüfen, ob die jeweiligen Daten gegebenenfalls gesetzlichen Aufbewahrungs- oder Löschfristen unterliegen. Allgemeine Personalunterlagen sind so lange aufzubewahren, wie Ansprüche nach den einschlägigen Ausschluss- und Verjährungsfristen geltend gemacht werden können. Daneben können gesetzliche Aufbewahrungspflichten für besondere Arbeitsunterlagen bestehen (so sind Buchungsbelege bspw. aus steuerrechtlichen Gründen 10 Jahre aufzubewahren).

Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbh
Essensarah.zimmermann@luther-lawfirm.com

Christian Kuß, LL.M.
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Köln

Brückenteilzeit oder Anspruch auf befristete Teilzeit

Ab dem 1. Januar 2019 erhalten Arbeitnehmer ein Recht auf befristete Teilzeit, die so genannte Brückenteilzeit. Der bisherige Anspruch auf Teilzeitarbeit, der kein Recht auf Rückkehr zur bisherigen Arbeitszeit vorsah, wird dadurch erweitert.

Was beinhaltetet die Neuregelung?

Die Brückenteilzeit wird zukünftig in § 9a Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gesetzlich geregelt. Für Arbeitnehmer besteht die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit für einen im Voraus begrenzten Zeitraum zu reduzieren, um im Anschluss wieder zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückzukehren. Die Regelungen gilt für alle Teilzeit-Vereinbarungen, die ab dem 1. Januar 2019 abgeschlossen werden.

Weiterhin wird § 9 TzBfG neu gefasst mit dem Ziel, es dauerhaft in Teilzeit Beschäftigten zu erleichtern, ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen. Schließlich wird die Arbeitszeit, die als vereinbart gilt, wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt wird, von 10 auf 20 Stunden wöchentlich erhöht .

An welche Voraussetzungen ist der Anspruch auf befristete Teilzeit geknüpft?

Die Anspruchsvoraussetzungen und das Verfahren der Antragstellung für eine befristete Teilzeit sind an den Teilzeitanspruch angelehnt. Der Anspruch besteht unter folgenden Voraussetzungen:

  • Das Arbeitsverhältnis in dem Unternehmen besteht länger als sechs Monate. „
  • Der Arbeitnehmer beabsichtigt eine Reduzierung der Arbeitszeit für einen Zeitraum von mindestens einem, höchstens jedoch für fünf Jahre. Die zeitliche Begrenzung soll für Planungssicherheit sorgen. „
  • Der Arbeitgeber beschäftigt in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer. Damit wird ein neuer Schwellenwert eingeführt. „
  • Eine vorhergehende Brückenteilzeit liegt mindestens ein Jahr zurück. „
  • Der Arbeitnehmer muss den Antrag in Textform mindestens drei Monate vor dem Beginn der geplanten Reduzierung der Arbeitszeit stellen und hierbei den Zeitraum sowie den Umfang der Verringerung der Arbeitszeit angeben.
  • Hat der Arbeitgeber einen früheren Antrag auf Brückenteilzeit aufgrund entgegenstehender betrieblicher Gründe berechtigt abgelehnt, muss diese Ablehnung mindestens zwei Jahre zurückliegen. „
  • Eine berechtigte Ablehnung des Arbeitgebers aus Zumutbarkeitsgründen (§ 9a Abs. 2 Satz 2 TzBfG) muss mindestens zwei Jahre her sein. Der Anspruch ist unabhängig von Gründen wie Kindererziehung oder Weiterbildung. Auch Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die jetzt schon in Teilzeit arbeiten, können den Anspruch vollumfänglich geltend machen.

Was hat der Arbeitgeber bei dem Verfahren zu beachten?

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Teilzeitwunsch mit dem Arbeitnehmer vorab zu erörtern mit dem Ziel, eine Vereinbarung über die befristete Teilzeit zu treffen. Der Arbeitnehmer kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.

Der Arbeitgeber hat seine Entscheidung bis spätestens einen Monat vor Beginn der Verringerung schriftlich mitzuteilen. Geschieht dies nicht und gibt es keine Vereinbarung, verringert sich die Arbeitszeit in dem gewünschten Umfang und für den gewünschten Zeitraum. Wurde kein Einvernehmen über die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit erzielt, gilt die gewünschte Verteilung als festgelegt, wenn der Arbeitgeber sie nicht bis spätestens einen Monat vor Beginn der Verringerung der Arbeitszeit schriftlich abgelehnt hat.

Während der Brückenteilzeit besteht kein Anspruch auf Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit oder vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit. Eine einvernehmliche Änderung ist jedoch stets möglich.

Wann ist der der Arbeitgeber zur Ablehnung des Antrags berechtigt?

In Unternehmen mit 46 bis 200 Beschäftigten kann der Arbeitgeber die befristete Teilzeit ablehnen, wenn ihm diese nicht zumutbar ist. Voraussetzung für die Ablehnung aus Zumutbarkeitsgründen ist, wenn von je 15 Arbeitnehmern bereits einer in befristeter Teilzeit arbeitet, wobei zur Berechnung der Quote nur Mitarbeiter zu berücksichtigen sind, die einen Antrag auf Brückenteilzeit gestellt haben. Arbeitnehmer, die sich aufgrund einer anderen Regelung in Teilzeit befinden, zählen nicht dazu.

Auch aus betrieblichen Gründen darf ein Antrag auf befristete Teilzeit abgelehnt werden.

Unter welchen Voraussetzungen sind Abweichungen möglich?

Die Tarifvertragsparteien erhalten die Möglichkeit, hiervon abweichende Regelungen zu vereinbaren.

Änderung der Beweislast

Der Gesetzgeber geht mit dem Gesetzentwurf über die Schaffung des Rechts zur Brückenteilzeit hinaus. Äußert ein „unbegrenzt“ in Teilzeit Beschäftigter den Wunsch, seine Arbeitszeit zu erhöhen, ändern sich die Anforderungen an den Arbeitgeber. Er muss zwar bereits heute darlegen und gegebenenfalls beweisen, wenn dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer Teilzeitbeschäftigter einer Verlängerung der Arbeitszeit entgegenstehen. Künftig erstreckt sich diese Beweislast bei einer Ablehnung jedoch auch darauf, dass ein freier Arbeitsplatz nicht dem bisherigen entspricht, nicht frei ist oder dass der Teilzeitbeschäftigte, der mehr arbeiten will, unzureichend geeignet ist. Nach der Gesetzesbegründung ist es erforderlich, dass beide Tätigkeiten in der Regel dieselben Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung des Arbeitnehmers stellen. Als ein entsprechender Arbeitsplatz gilt auch ein Arbeitsplatz mit einer höherwertigen Tätigkeit, wenn der Arbeitnehmer vor der Arbeitszeitverringerung eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt hat und nur wegen der Teilzeitmöglichkeit auf eine niedrigere Hierarchiestufe gewechselt ist.

Diese sogenannte Beweislastumkehr bedeutet eine erhebliche Erschwernis für Arbeitgeber bei einem Änderungswunsch des Arbeitnehmers. Eine ergänzende Klarstellung im Gesetzentwurf erleichtert es Arbeitgebern nun zumindest, den Nachweis zu führen, dass im Unternehmen keine Vollzeitstelle zur Verfügung steht. Wann ein freier Arbeitsplatz im Unternehmen vorliegt, ist gesetzlich wie folgt geregelt: „Ein freier zu besetzender Arbeitsplatz liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Organisationsentscheidung getroffen hat, diesen zu schaffen oder einen unbesetzten Arbeitsplatz neu zu besetzen.“

Fazit

Mit der Neuregelung wird aus Arbeitnehmersicht ein neues Recht geschaffen. Derzeit gibt es lediglich einen Anspruch auf unbegrenzte Teilzeitarbeit. Ein Rückkehrrecht zur früheren Arbeitszeit besteht dagegen (noch) nicht. Verlangt ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die Zustimmung zu einer nur befristeten Verringerung seiner Arbeitszeit, so liegt kein wirksamer Reduzierungsantrag vor. Der Arbeitgeber muss dem Antrag deshalb nicht stattgeben (BAG, Urteil vom 12. September 2006 – 9 AZR 686/05). Lediglich nach einer Freistellung für Eltern- oder Pflegezeit kann der Arbeitnehmer bisher sicher zur alten Arbeitszeit zurückkehren. Eine Hürde wird der neue Schwellenwert für die Zumutbarkeit einer Brückenteilzeit sein.

 

Martina Ziffels
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Wichtige Entscheidungen

Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendung

BAG, Urteil vom 17. Oktober 2018 – 5 AZR 553/17

Der Fall

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Bauunternehmen, als technischer Mitarbeiter beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag verpflichtete den Kläger, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beidseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) Anwendung. Dieser regelt in § 7 Nr. 4.3 einen Anspruch auf Vergütung der erforderlichen Zeit für die An- und Abreise zu einer Arbeitsstelle. Im Jahr 2015 wurde der Kläger für rund zweieinhalb Monate auf eine Baustelle nach China entsandt. In diesem Zusammenhang schlossen die Parteien einen Entsendevertrag. Dieser enthielt – ebenso wenig wie der Arbeitsvertrag – jedoch keine Regelungen zur Bezahlung von Reisezeiten. Der Kläger reiste sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg in der Business Class mit Zwischenstopp in Dubai, anstatt einen Direktflug in der Economy Class zu buchen. Hierdurch verlängerte sich die Reisezeit. Der Kläger machte Vergütung für weitere 37 Stunden an Reisezeit geltend. Die Beklagte hatte dem Kläger für die vier Reisetage nur die Vergütung auf Basis eines regulären 8-Stunden-Tages ausgezahlt. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das zuständige LAG hatte dagegen auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte teilweise Erfolg. Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und wies die Sache zu erneuten Verhandlung an das LAG zurück. Werde ein Arbeitnehmer durch seinen Arbeitgeber vorübergehend ins Ausland entsandt, liege die Reise zu dem auswärtigen Arbeitsort und zurück im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers. Aus diesem Grund sei die Reisezeit in der Regel wir Arbeitszeit zu vergüten. Das BAG vertritt dabei die Auffassung, dass dabei grundsätzlich die Reisezeit als erforderlich zu erachten sei, welche bei einem Flug in der Economy- Class anfällt. Da das LAG noch keine Feststellungen hinsichtlich der tatsächlich erforderlichen Reisezeit des Klägers getroffen hatte, verwies das BAG den Rechtsstreit zurück an die Vorinstanz.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Dieser ist nicht zu entnehmen, auf welche Rechtsgrundlage sich das BAG bei seiner Entscheidung stützt. Das LAG hatte als Anspruchsgrundlage § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau und nicht die allgemeineren Regelungen der §§ 611 Abs. 1, 612 Abs. 1 BGB herangezogen, wonach eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dabei war das LAG – anders als nun das BAG – zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger einen Anspruch auf Vergütung der vollständigen Reisezeit besitzt und hatte die Grenze nicht bei der Dauer für den zeitlich deutlich kürzeren Direktflug gezogen. Das LAG vertrat die Ansicht, dass die von § 7 Nr. 4.3 RTV Bau für den Vergütungsanspruch vorausgesetzte „Erforderlichkeit“ der Reisezeit nur dann nicht mehr gegeben sei, wenn sachlich nicht nachvollziehbare Umwege, überflüssige Unterbrechungen oder Ähnliches zu einer Verlängerung der Reisezeit geführt hätten. Da sich die Parteien des Rechtsstreits jedoch auf einen Flug mit Zwischenstopp in Dubai verständigt hatten, handele es sich bei dem Zwischenstopp nicht um sachlich nicht nachvollziehbare Umwege oder überflüssige Unterbrechungen.

Dass das BAG die Sache an die Vorinstanz zurückverweist, damit Feststellungen zur erforderlichen Reisezeit getroffen werden können, könnte darauf hindeuten, dass auch das BAG seine Entscheidung auf die Regelung des § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau stützt. Allerdings könnte in der Aussage des BAG in seiner Pressemitteilung, nach welcher die An- und Abreise zu einer auswärtigen Arbeitsstelle regelmäßig im Interesse des Arbeitgebers liege, auch ein Hinweis darauf liegen, dass nach Ansicht des BAG die allgemeinen Regelungen des BGB einschlägig sind. In der jüngeren Vergangenheit hatte das BAG bereits bei Fahrtzeiten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle einen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 611 Abs. 1 BGB angenommen (BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 5 AZR 226/16). Mehr Klarheit werden im vorliegenden Rechtsstreit daher erst die schriftlichen Urteilsgründe bringen.

Bisher lässt die Rechtsprechung individualvertragliche Vereinbarungen zur Vergütung von Reisezeiten zu. Von Interesse wird folglich auch sein, ob das BAG in seinen Entscheidungsgründen nähere Anhaltspunkte dazu gibt, unter welchen Umständen Reisezeiten als „erforderlich“ gelten dürfen und damit vergütungspflichtig sind. Dies wäre bei der Gestaltung individualvertraglicher Vereinbarungen dann ebenso zu beachten, wie die hohen Anforderungen des Transparenzgebots. Schließlich darf die individualvertragliche Vereinbarung nach derzeitigem Stand nicht dazu führen, dass Ansprüche auf Mindestlohn unterschritten werden. Ob das BAG möglicherweise auch noch konkretere Aussagen zur Höhe der Vergütung von Reisezeiten trifft, bleibt abzuwarten. Trotz der Komplexität solcher individualvertraglichen Vereinbarungen empfiehlt es sich in der Praxis, im Rahmen des Entsendevertrags mit dem Arbeitnehmer eine Regelung zur Vergütung von Reisezeiten zu treffen, um Unklarheiten und daraus folgende Rechtsstreitigkeiten möglichst von Beginn an zu vermeiden.

Nadine Ceruti
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt

Fahrt zur auswärtigen Arbeitsstelle bei Montagestammarbeitern als vergütungspflichtige Arbeitszeit?

BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 5 AZR 424/17

Der Fall

Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten als Aufzugs- und Inspektionsmonteur beschäftigt. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 35 Stunden und der Kläger erhält ein Bruttomonatsgehalt von EUR 4.376,00. Für die dem Kläger obliegende Wartung, Montage und Reparatur von Aufzugsanlagen stellt die Beklagte dem Kläger ein mit den erforderlichen Werkzeugen und Ersatzteilen bestücktes Kraftfahrzeug zur Verfügung. Dieses kann der Kläger auch privat nutzen. Die Beklagte weist dem Kläger monatlich die jeweils zu wartenden Aufzugsanlagen in Sammelaufträgen zu. Der Kläger kann sich im Wesentlichen frei einteilen, an welchen Tagen und in welcher Reihenfolge er welche Kunden aufsucht. Der Kläger fährt morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden zu seiner Wohnung zurück. Den Betrieb der Beklagten sucht der Kläger für organisatorische Tätigkeiten auf. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BMTV, dessen § 5.1 Abs. 1 Satz 2 Folgendes regelt: „Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht. Montagestelle ist die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet wird und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt.“ Die Beklagte hat dem Kläger für die Fahrten zum Kunden und zurück zu seiner Wohnung keine gesonderte Vergütung, sondern lediglich eine Nahauslösung gezahlt. Der Kläger macht Vergütungsansprüche für die Fahrten zum ersten Kunden und zu seiner Wohnung zurück für den Zeitraum von Dezember 2015 bis November 2016 geltend. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Der Kläger legte gegen das Urteil des LAG Revision ein.

Die Entscheidung

Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Dem Kläger stehe keine gesonderte Vergütung für die Hinfahrt zum ersten Kunden und die Rückfahrt in seine Wohnung zu, da diese nach § 5.1 Abs. 1 Satz BMTV ausgeschlossen sei. Das BAG weist auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach Arbeitnehmer bei der eigennützigen Zurücklegung des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber erbringen würden. Anders sei dies zwar, wenn Arbeitnehmer ihre Tätigkeit außerhalb des Betriebes zu erbringen haben, da in diesem Fall das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten zähle. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit sei in diesem Fall darauf gerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen und dort Dienstleistungen zu erbringen, sodass die jeweilige Anfahrt zwingend zur Leistungserbringung dazu gehöre und damit Arbeitszeit, auch im Sinne der EU-Arbeitszeitrichtlinie, darstelle. Die Einordnung als Arbeitszeit könne jedoch keine Aussage über die Frage der Vergütung treffen. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag könne eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden. Eine solche Regelung liege hier mit § 5.1 Abs. 1 Satz 2 BMTV vor, wonach die Fahrt von der Wohnung des Montagestammarbeiters zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung bei der Nahmontage mit der tariflichen Nahauslösung und dem Entgelt für die Montagetätigkeit insgesamt abgegolten sei. Dem Kläger stünden daher keine weiteren Vergütungsansprüche zu. Das BAG weist zudem darauf hin, dass tarifvertragliche Regelungen wie im BMTV nicht dazu führen dürfen, dass der zwingende gesetzliche Mindestlohnanspruch unterschritten würde. Hierauf kam es im vorliegenden Fall aufgrund der hohen Vergütung des Klägers nicht an.

Unser Kommentar

Das BAG verdeutlicht mit seiner Entscheidung, dass zwischen der Frage, ob es sich bei Fahrten von der Wohnung zum ersten Kunden und abends zurück in die Wohnung um Arbeitszeit handelt und der Frage der Vergütungspflicht genau dieser Zeit zu unterscheiden ist. Auch zeigt die Entscheidung, dass nicht alle An- und Abreisezeiten zur und von der Arbeit zurück eigennützig sind, sondern diese, soweit sie im Interesse des Arbeitgebers erfolgen als Arbeitszeit zu werten sind. Für die Frage der Vergütungspflicht kommt es maßgeblich darauf an, ob im Arbeits- oder Tarifvertrag eine abweichende Regelung getroffen wurde. Die Annahme, dass ein Fahrtweg Arbeitszeit ist, führt also nicht automatisch dazu, dass diese auch bezahlt werden muss. Hierauf sollte im Rahmen der Vertragsgestaltung geachtet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das monatliche Gehalt für alle Arbeitszeitstunden in Einklang mit dem Mindestlohngesetz steht.

Dr. Anna Schnitzer
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Auslegung einer Bezugnahmeklausel

BAG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 4 AZR 533/17

Der Fall

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags auf ihr Arbeitsverhältnis und in diesem Zusammenhang über Entgeltdifferenzansprüche. Die Klägerin ist Mitglied bei ver.di. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin heißt es u.a.: „Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels und die Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. die Betriebsvereinbarung in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.“ Die Beklagte war zunächst ordentliches Mitglied in Handelsverbänden. Im Juni 2015 kündigte sie ihre Mitgliedschaft und ist seit dem 17. Juni 2015 Mitglied ohne Tarifbindung. Im August 2015 schloss der Handelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. mit der Gewerkschaft ver.di einen Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen. Im August 2017 wurde ein Folgetarifvertrag abgeschlossen. Im Juli 2016 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di einen Zukunftstarifvertrag. Danach wurden zunächst alle gültigen regionalen Tarifverträge des Einzelhandels von der Beklagten anerkannt. Allerdings wurden auch Ausnahmen von der Geltung der Flächentarifverträge vereinbart. So heißt es u.a.: „Die Tarifentgelterhöhungen werden für die Jahre 2015, 2016, 2017 nicht gezahlt.“

Ab August 2016 zahlte die Beklagte monatlich ein geringeres Bruttogehalt an die Klägerin. Die Klägerin macht mit ihrer Klage Entgeltdifferenzansprüche geltend. Sie ist der Auffassung, dass sie einen Vergütungsanspruch entsprechend des Gehalts- und Lohntarifvertrags Einzelhandel NRW zusteht, da ihr Arbeitsvertrag eine dynamische Bezugnahme auf diesen Gehaltstarifvertrag enthalte. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass nach dem 17. Juni 2015 abgeschlossene Gehaltstarifverträge für sie nicht mehr gelten, da sie seit diesem Zeitpunkt nicht mehr tarifgebundenes Mitglied im Arbeitgeberverband ist. Diese Gehaltstarifverträge finden auch nicht aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Vielmehr erfasse die Bezugnahmeklausel auch den Zukunftstarifvertrag als Tarifvertrag des Einzelhandels. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Das BAG ist der Ansicht, dass auf das Arbeitsverhältnis der Gehaltstarifvertrag 2015 sowie 2017 aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet. Diese beiden Gehaltstarifverträge gelten zwar nicht aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit, da die Beklagte seit dem 17. Juni 2015 ein Mitglied ohne Tarifbindung ist. Die beiden Gehaltstarifverträge finden allerdings aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Bezugnahmeklausel erfasse nicht den Zukunftstarifvertrag, d.h. den Haustarifvertrag der Beklagten. Dies ergebe die Auslegung des Arbeitsvertrags. Dies folge zunächst aus dem Wortlaut des Arbeitsvertrags, der auf die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels verweist. Diese Klausel stelle eine zeitdynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge einer bestimmten Branche, d.h. eines bestimmten Wirtschaftszweiges, dar. Da eine Branche regelmäßig eine Vielzahl von Unternehmen umfasse, ist unter einem Branchentarifvertrag üblicherweise ein Flächentarifvertrag zu verstehen.

Des Weiteren enthalte der Arbeitsvertrag auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bezugnahmeklausel auch Haustarifverträge eines Einzelarbeitgebers erfassen sollte. Entgegen der Auffassung der Beklagten lasse der Verweis auf die „Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. die Betriebsvereinbarung“ keinen Rückschluss auf den Willen der Parteien betreffend die in Bezug genommenen Tarifverträge zu. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge einerseits und Betriebsvereinbarung andererseits betreffe unterschiedliche Normenwerke mit grundlegend unterschiedlichen Wirkungen: Eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge habe konstitutive Wirkung, während einem Hinweis auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen wegen der gesetzlichen Geltungsanordnung in § 77 Abs. 4 BetrVG regelmäßig nur deklaratorischer Charakter zukomme.

Die Zahlungsanträge seien ebenfalls begründet. Die Klägerin habe nach Durchführung des sogenannten Günstigkeitsvergleichs Anspruch auf das von ihr geltend gemachte weitere Arbeitsentgelt einschließlich der Zinsen.

Unser Kommentar

Zu beachten ist, dass diese Entscheidung eine Änderung der Rechtsprechung des 4. Senats bedeutet. So vertrat der 4. Senat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2005 und 2008 (23. März 2005 – 4 AZR 203/04 und BAG, 23. Januar 2008 – 4 AZR 602/06) noch die Auffassung, dass „mit einer vom Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag vorformulierten Verweisungsklausel die fachlich und betrieblich einschlägigen Tarifverträge in Bezug genommen [werden]. Dies sind regelmäßig die spezielleren Tarifverträge, insbesondere Firmentarifverträge.“

Eine Begründung für seine Rechtsprechungsänderung liefert der Senat in der aktuellen Entscheidung nicht mit. In den Entscheidungsgründen der damaligen Entscheidungen wird die Auslegung vor allem darauf gestützt, dass in der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel auch auf Betriebsvereinbarungen verwiesen wurde. Durch diese Rechtsprechungsänderung entsteht zukünftig Rechtsunsicherheit zumindest in den Konstellationen, in welchen eine am Regelungszweck orientierte Auslegung von Bezugnahmeklauseln zu einem anderen Ergebnis führen würde, als eine Auslegung anhand des Wortlauts.

Friederike Mahlow

Friederike Mahlow
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Auslegung einer Bezugnahmeklausel – Betriebsübergang – „Kollektivvereinbarungsoffenheit“

BAG 16. Mai 2018, 4 AZR 209/15

Der Fall

Der Kläger arbeitet seit 2002 bei der Beklagten und ihrem Rechtsvorgänger, dem Land Brandenburg, als Pflegehelfer. In dem im Mai 2002 abgeschlossenen Arbeitsvertrag heißt es in § 2:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifliche Vorschriften – (BAT-Ost) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.“

Die Landesklinik, in der der Kläger beschäftigt war, wurde im Jahre 2006 von der Beklagten aufgrund eines Betriebsübergangs übernommen.

Im März 2013 schloss die Beklagte mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) verschiedene Haustarifverträge, hierunter auch einen Vergütungstarifvertrag, der mit Wirkung zum 1. Januar 2013 in Kraft trat. Die Vergütung hat die Beklagte seither auf der Grundlage der Haustarifverträge berechnet.

Dies führte dazu, dass sie im Monat Juli 2013 EUR 0,33 netto abzog, nachdem die Beklagte in den vorherigen Monaten jeweils eine Tariferhöhung nach Maßgabe des TV-L ausgezahlt hatte.

Der Kläger begehrte nunmehr Feststellung, dass der TV-L und der TVÜ-Länder in den jeweils gültigen Fassungen Anwendung auf sein Arbeitsverhältnis finden. Die Vorinstanzen – das Arbeitsgericht Brandenburg und das Landesarbeitsgericht Berlin- Brandenburg – hatten der Klage jeweils stattgegeben.

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten war erfolglos. Nach Ansicht des BAG finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der TV-L und der TVÜ-Länder in ihren jeweils gültigen Fassungen Anwendung. Insofern haben die Parteien mit der Verweisungsklausel in § 2 des Arbeitsvertrags eine unbedingte zeitdynamische Bezugnahme auf den TV-L und den TVÜ-Länder, nicht aber auf die Haustarifverträge der Beklagten, vereinbart.

Dieses Ergebnis folge aus einer Auslegung, und zwar sowohl des § 2 Satz 1 wie auch des § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages:

Die Haustarifverträge seien bereits keine – wie es § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages voraussetzt – den TV-L „ergänzenden, ändernden oder ersetzenden“ Tarifverträge. Nach dem Wortlaut des Vertragsinhaltes sollen nur die von den Tarifvertragsparteien des BAT-O abgeschlossenen (Verbands-)Tarifverträge in Bezug genommen werden. Zwar können dies im Einzelfall auch firmenbezogene Tarifverträge sein, diese müssen dann aber unter Beteiligung der TdL geschlossen worden sein.

Auch eine an Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages, wonach „außerdem… die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden, ergibt keine Bezugnahme auf die Haustarifverträge:

Das Verständnis des Begriff „außerdem“ lege nahe, dass hiermit lediglich solche Tarifverträge erfasst werden sollen, die „darüber hinaus“ und „neben“ dem BAT-O zur Anwendung kommen können, diesen also nicht verdrängen sollen. Zudem regele der Verweis auf die „jeweils“ geltenden Tarifverträge nach Auffassung des BAG lediglich die zeitliche Dynamik der Bezugnahme, nicht jedoch deren inhaltliche Reichweite. Der Verweis auf die „geltenden sonstigen einschlägigen“ Tarifverträge kann vor dem Hintergrund der in Satz 1 der Bezugnahmeklausel vereinbarten Regelung und mangels weitergehender Hinweise nicht als „Öffnungsklausel“ für Haustarifverträge aufgefasst werden.

Auch in sprachlich systematischer Hinsicht kann nach Meinung des BAG der in Satz 2 aufgenommene Passus nur so verstanden werden, dass er die in Satz 1 vereinbarte sogenannte kleine dynamische Bezugnahmeklausel lediglich ergänze, mit ihr aber nicht in Konkurrenz trete.

Aus den vorgenannten Erwägungen ergebe sich wegen der alleinigen Anwendbarkeit der TV-L und der TVÜ-Länder (in ihren jeweiligen Fassungen) daher auch keine Tarifkonkurrenz zwischen dem BAT-O und Haustarifverträgen, welche nach dem Grundsatz der Spezialität aufgelöst werden müsste.

Auch aus den vom ersten Senat des BAG aufgestellten Grundsätzen zur „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ folge kein abweichendes Ergebnis. Hiernach sei es zwar grundsätzlich möglich, dass die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Abreden in der Weise gestalten, dass sie durch betriebliche Normen (ggf. auch nur konkludent) abgeändert werden können. Diese Erwägungen lassen sich jedoch nicht auf Tarifverträge übertragen, mit der Folge, dass ein hier in Bezug genommenes Tarifwerk durch den Abschluss eines anderen Tarifwerks ersetzt werden könnte. Dies vor dem Hintergrund, dass Tarifverträge – anders als Betriebsvereinbarungen – nicht „automatisch“ normative Geltung für das Arbeitsverhältnis entfalten, sondern nur bei entsprechender Tarifgebundenheit.

Die insofern zwischen dem Rechtsvorgänger der Beklagten und dem Kläger vereinbarte dynamische Verweisungsklausel ist im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert auf die Beklagte übergegangen. Dem stünde Unionsrecht nicht entgegen.

Unser Kommentar

Das BAG legt schulmäßig den Regelungsgehalt einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung aus, in dem es diese nach ihrem Wortlaut, dem Sinn und Zweck sowie nach ihrer Bedeutung im Sachzusammenhang untersucht. Zurecht weist das BAG darauf hin, dass die Grundsätze der „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ wegen ihres Charakters (Stichwort: Tarifgebundenheit) auf Tarifverträge keine Anwendung finden.

Diese Entscheidung zeigt, wie wichtig eine präzise Formulierung einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag ist. Wird insofern auf ein bestimmtes Tarifwerk nicht hinreichend deutlich verwiesen, bleibt es dem Arbeitgeber grundsätzlich verwehrt, sich im Nachhinein auf die dortigen Regelungen zu berufen. Für den Arbeitgeber bleibt dann regelmäßig – soweit dies überhaupt erfolgsversprechend ist – nur noch der Abschluss eines Änderungsvertrags oder eine Änderungskündigung.

Ein „liebsames“ Tarifregelwerk kann vom Arbeitgeber einseitig auch nicht nach einem Betriebsübergang in Bezug genommen werden, da die diesbezüglichen Bestimmungen vor dem Übergang auch danach weiterhin Anwendung finden.

Andre Schüttauf
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Essen

Vergangenheitsbezogene Auskunftsansprüche des Betriebsrats

BAG, Urteil vom 24. April 2018 – 1 ABR 6/16

Der Fall

Die Beteiligten streiten über Auskunftsansprüche und Einsichtnahmerechte. Die Arbeitgeberin schließt mit den beschäftigten Arbeitnehmern individuelle Arbeitsziele, sogenannte Personal Business Commitments (PBC) au f Grundlage einer mi t dem Gesamtbetriebsrat im Jahr 2014 vereinbarten Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess (GBV PBC). Mit einem eingeleiteten Beschlussverfahren verlangt der Betriebsrat von der Arbeitgeberin u.a. die Vorlage der mit den Arbeitnehmern vereinbarten oder festgelegten PBC-Ziele. Das Vorlageverlangen diene der Überwachung der Durchführung der GBV PBC und der Prüfung, ob Mitbestimmungsrechte beim Arbeitsschutz gemäß § 87 Abs.1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. §§ 3 ff. ArbSchG betroffen sind. Für die Zielvereinbarungen s e ien die Tät igke i t de r Arbeitnehmer, das Anforderungsprofil, die Erfüllbarkeit der Ziele sowie ggf. bestehende Leistungseinschränkungen und Behinderungen und Mandate in Betriebsverfassungsgremien zu berücksichtigen. Sein Begehren verfolgt der örtliche Betriebsrat im Beschlussverfahren mit 29 Anträgen bzw. Hilfsanträgen. Das ArbG und das LAG gaben den Anträgen teilweise statt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgte die Arbeitgeberin ihr vollständiges Abweisungsverlangen weiter. Der Betriebsrat legte Anschlussrechtsbeschwerde ein. Im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Checkpoint- Prozess (GBV CP) vereinbart, die die GBV PBC im Jahr 2017 ersetzt. Der örtliche Betriebsrat formulierte daraufhin seine Anträge dahingehend um, dass er die zur GBV PBC begehrten Informationen auf die Vergangenheit beschränkt und mit weiteren Anträge Auskünfte zu den Zielvereinbarungen nach der GBV CP verlangt.

Die Entscheidung

Das BAG hat der Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin stattgegeben und die Anschlussrechtsbeschwerde des Betriebsrats als unbegründet abgewiesen. Das BAG stellt zunächst klar, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten sowie auf dessen Verlangen Einsicht in die erforderlichen Unterlagen zu gewähren hat. Hieraus folge ein Anspruch des Betriebsrats, wenn eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und die im Einzelfall begehrte Information zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich ist. Dies hat der Betriebsrat in einem Verfahren darzulegen. Auch stellt das BAG noch einmal klar, dass ein Auskunftsanspruch nicht erst und nicht nur insoweit besteht, als Beteiligungsrechte aktuell sind. Dem Betriebsrat solle es durch die Auskunft vielmehr ermöglicht werden, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob Aufgaben nach dem BetrVG betroffen sind und der Betriebsrat zur Wahrnehmung dieser Aufgaben tätig werden muss. Vorliegend konnte sich der Betriebsrat für das von ihm geltend gemachte Auskunfts- und Einsichtsbegehren jedoch nicht auf eine gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehende Aufgabe berufen, soweit er die Durchführung der GBV PBC überwachen wollte. Die Überwachungsaufgabe sei vorrangig gegenwarts- und zukunftsbezogen, um den Arbeitgeber zu künftiger Rechtsbefolgung anzuhalten. Nur wenn sich aus den Auskünften über Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit Rückschlüsse für ein derzeitiges und künftiges Verhalten des Arbeitgebers ziehen lassen können, ist der vergangenheitsgerichtete Anspruch begründet. Die rückwärtige zeitliche Grenze liegt dort, wo der Betriebsrat aus den begehrten Informationen keine sachgerechten Folgerungen mehr für sein Handeln ziehen könne. Vorliegend bezog sich das Auskunfts- und Einsichtsverlangen des Betriebsrats im Hinblick auf die GBV PBC nicht mehr auf die Durchführung einer im Betrieb noch geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung.

Diese wurde in 2017 durch den GBV CP abgelöst, deren Durchführung der Betriebsrat seitdem zu überwachen hat. Aus den begehrten Informationen kann der Betriebsrat daher keine Folgerung für eine gegenwärtige und zukünftige Überwachungsaufgabe bezüglich der GBV CP gezogen haben. Ein Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf den Arbeitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erkennt das BAG nicht, da der Betriebsrat zu konkreten Gefährdungen der Arbeitnehmer nichts vorgetragen hatte. Die Anträge des Betriebsrats im Hinblick auf die GBV CP, die erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt wurden, waren unzulässige Antragsänderungen und wurden vom BAG somit abgewiesen.

Unser Kommentar

Das BAG hat in einer erfreulichen Klarheit bestätigt, dass vergangenheitsbezogene Informationen nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Durchführung der gesetzlichen Aufgaben des örtlichen Betriebsrats erforderlich sind. Der Betriebsrat muss konkret darlegen, auf welches gegenwärtige oder zukünftige Verhalten des Arbeitgebers die vergangenheitsbezogenen Informationen schließen lassen. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG, wonach der Unterrichtungsanspruch des § 80 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich bereits vorliegt, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine Aufgabe des Betriebsrats besteht. Ein Unterrichtungsanspruch scheidet nach ständiger Rechtsprechung des BAG erst dann aus, wenn ein Beteiligungsrecht oder eine Aufgabe des Betriebsrats offensichtlich nicht in Betracht kommt. In dieser Konsequenz musste das BAG auch das Auskunftsbegehren ablehnen, welches der Betriebsrat auf ein mögliches Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz stützte. Da ein solches Mitbestimmungsrecht aufgrund fehlender Darlegung einer Gefährdung der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat nicht in Betracht kam, schied ein betroffenes Mitbestimmungsrecht offensichtlich aus, so dass auch kein Auskunftsanspruch des Betriebsrats bestand. Es lohnt sich daher, bei vom Betriebsrat geltend gemachten Auskunftsansprüchen näher hinzusehen und das Vorliegen der Voraussetzungen kritisch zu prüfen.

Sandra Sfinis
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Kein Konzernbetriebsrat bei Konzernspitze im Ausland

BAG, Urteil vom 23. Mai 2018 – 7 ABR 60/16

Der Fall

Eine weltweit tätige Unternehmensgruppe hat ihre Konzernspitze in der Schweiz. Diese Schweizer Gesellschaft ist unter anderem alleinige Gesellschafterin einer deutschen Finanz- Holding, die weder eigene operative Geschäftstätigkeit entfaltet noch Arbeitnehmer beschäftigt. Diese deutsche Finanz- Holding wiederum ist (teilweise alleinige, teilweise Mehrheits-) Gesellschafterin mehrerer deutscher Gesellschaften. Die deutschen Gesellschaften sind operativ tätig und beschäftigen insgesamt rund 750 Arbeitnehmer. Die deutsche Finanz- Holding übt gegenüber den operativen deutschen Gesellschaften keine Leitungsfunktion aus. Die Geschäftsführer der deutschen Gesellschaften berichten direkt an die Schweizer Gesellschaft und erhalten allein von dieser ihre Weisungen. Ursprünglich bestanden teilweise Beherrschungsverträge zwischen den deutschen Gesellschaften und der deutschen Finanz- Holding, die jedoch aufgehoben wurden. Mittlerweile bestehen Beherrschungsverträge nur noch zwischen der Schweizer Gesellschaft und den deutschen operativen Gesellschaften. Die Betriebsräte der operativen deutschen Gesellschaften beschlossen, einen Konzernbetriebsrat zu errichten. Sie waren der Ansicht, mit der deutschen Finanz-Holding bestehe eine deutsche „Teilkonzernspitze“. Selbst wenn die Konzernobergesellschaft – wie hier – ihren Sitz im Ausland habe, müsse in Deutschland ein Konzernbetriebsrat gebildet werden können, wenn die operativen Gesellschaften – wie hier – in Deutschland ansässig seien. Die Betriebsräte luden zur konstituierenden Sitzung des „Konzernbetriebsrats“ ein und bestellten dessen Vorsitzenden und Stellvertreter. Die operativen deutschen Gesellschaften, die Arbeitgeber der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, haben beantragt festzustellen, dass ein Konzernbetriebsrat nicht besteht. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag der deutschen Gesellschaften stattgegeben und festgestellt, dass kein Konzernbetriebsrat errichtet werden konnte.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Ein Konzernbetriebsrat konnte in der o.g. Konstellation nicht wirksam errichtet werden. Voraussetzung für die Errichtung eines Konzernbetriebsrats gemäß § 54 BetrVG ist, dass ein Konzern im Sinne des § 18 Abs. 1 AktienG besteht. Dies lag hier jedoch nicht vor. Die deutsche Finanz-Holding, so das BAG, sei nicht als herrschendes Unternehmen über die operativen deutschen Gesellschaften anzusehen. Dafür fehle es an der Ausübung von Leitungsmacht. Allein die Tatsache, dass die deutsche Finanz-Holding die Anteile an den operativen deutschen Gesellschaften halte, reiche nicht aus. Vielmehr werde die Leitungsmacht von der Schweizer Gesellschaft – und gerade nicht von der deutschen Finanz- Holding – ausgeübt. Es liege auch keine deutsche „Teilkonzernspitze“, kein sog. Konzern im Konzern vor. Hierfür sei erforderlich, dass das eigentlich herrschende Unternehmen (hier also die Schweizer Gesellschaft) nur teilweise von seiner Leitungsmacht Gebrauch mache, während wesentliche Leitungsaufgaben von der dazwischen geschalteten Gesellschaft (der deutschen Finanz-Holding) ausgeübt würden. Dies lag hier jedoch ebenfalls nicht vor. Ein Konzernbetriebsrat kann nur gebildet werden, wenn das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Inland hat oder im Inland eine „Teilkonzernspitze“ besteht. Auch dies ist hier nicht gegeben, da keine inländische „Teilkonzernspitze“ besteht und das herrschende Konzernunternehmen in der Schweiz sitzt.

Unser Kommentar

Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung des BAG und eröf fnet dami t aus Unternehmenssicht Gestaltungsmöglichkeiten. Ist die Leitungsmacht im Konzern so strukturiert wie im entschiedenen Fall, wird sie also allein von einem Konzernunternehmen außerhalb Deutschlands ausgeübt, so kann in Deutschland kein Konzernbetriebsrat errichtet werden. Besteht in Deutschland kein Konzernbetriebsrat, so kann auch kein anderes betriebsverfassungsrechtliches Gremium in Deutschland die Mitbestimmungsrechte geltend machen, die gemäß § 58 BetrVG nur dem Konzernbetriebsrat zustehen. Zwar bleiben die Mitbestimmungsrechte der örtlichen Betriebsräte und eines etwaigen Gesamtbetriebsrats unberührt, aber eben nur im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Auf der „höchsten“ Ebene gehen dann möglicherweise bestehende Beteiligungsrechte ins Leere. Dies ist aber in der Sache gerechtfertigt. Das BAG führt zutreffend aus, dass betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte auch nur an der Stelle sinnvoll ausgeübt werden können, an der auch die wesentlichen Entscheidungen über soziale, personelle und wirtschaftliche Maßnahmen getroffen werden. Gibt es keine Gesellschaft in Deutschland, die solche Entscheidungen auf Konzernebene trifft, fehlt es an einem Ansprechpartner (das BAG spricht von einem „Gegenspieler“) für das Gremium Konzernbetriebsrat. Der Konzernbetriebsrat dient nicht als allgemeine Plattform für einen Austausch zwischen Mitarbeitern der Konzernunternehmen. Hat das herrschende ausländische Konzernunternehmen seinen Sitz im EU-Ausland, kommt ggf. die Errichtung eines Europäischen Betriebsrats in Betracht.

Dr. Kathrin Pietras
Luther Rechtanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt

Rechtsprechung in Kürze

Offene Videoüberwachung – Verwertungsverbot

BAG, Urteil vom 23. August 2018, 2 AZR 133/18
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie um Schadenersatzansprüche. Die Klägerin und Widerbeklagte war seit 2008 in einem Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle des Beklagten beschäftigt. Zum Schutz seines Eigentums und der Aufdeckung von Straftaten installierte der Beklagte eine offene Videoüberwachung, wovon die bei ihm beschäftigten Mitarbeiter unstreitig Kenntnis hatten. Nachdem der Beklagte im dritten Quartal 2016 einen hohen Warenschwund bei Tabakwaren bemerkte, wertete er Anfang August 2016 erstmalig die Videoaufzeichnungen des Jahres 2016 aus. Nach dem Vortrag des Beklagten habe sich bei der Auswertung gezeigt, dass die Klägerin am 3. und 4. Februar 2016 angenommene Gelder teilweise nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Mit Schreiben vom 13. August 2018 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Die Klägerin erhob sodann Kündigungsschutzklage, woraufhin der Beklagte widerklagend Schadensersatz für die fehlenden Kassenbeträge i.H.v. 44, 75 EUR und die Kosten für die Auswertung der Videoaufzeichnungen i.H.v. 430,56 EUR geltend machte. Das ArbG und das LAG gaben der Klage unter Abweisung der Widerklage statt. Der Beklagte könne sich zur Rechtfertigung der Kündigung und des Schadensersatzverlangens nicht mit Erfolg auf die Auswertung der Videoaufnahmen berufen.

Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG hinsichtlich der Unwirksamkeit der Kündigung und des abgewiesenen Kassenfehlbetrages Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache zur erneuten Verhandlung an das LAG. Die widerklagend geltend gemachten Aufwendungen für die Ermittlungstätigkeit wies das BAG mangels ausreichender Revisionsbegründung zurück. Entscheidend für die Beurteilung des Falls sei zunächst die Frage, ob eine rechtmäßige offene Videoüberwachung vorliege. Dies könne nach den bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Sollte es sich jedoch im Streitfall um eine solche rechtmäßige offene Überwachung gehandelt haben, sei die Auswertung und Aufbewahrung der Videoaufnahmen durch den Arbeitgeber auch nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a.F. zulässig gewesen. Ferner liege darin auch keine besonders schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, die ein Verwertungsverbot begründen könne. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, stehe der nahezu sechsmonatigen Speicherung der betreffenden Passagen und der anschließenden Auswertung des Videomaterials auch nicht § 6b Abs. 5 BDSG a.F. entgegen. Die Beklagte sei insoweit nicht verpflichtet gewesen, die Videoaufzeichnungen „unverzüglich“ auszuwerten. Vielmehr durfte die Beklagte so lange warten, bis sie für die Auswertung einen konkreten Anlass sah. Ergänzend führt das BAG aus, dass die gerichtliche Verwertung des Videomaterials auch nicht gegen die seit dem 25. Mai 2018 in Kraft getretene DSGVO verstoße.

Ausschlussfrist; Geltendmachung durch E-Mail; vorbehaltlose Abrechnung einer Forderung

„„LAG Berlin Brandenburg, Urteil vom 24. August 2018, 2 Sa 403/18
Die Parteien streiten um Zahlung von Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung. Die Klägerin war bei dem Beklagten als Rechtsanwaltsfachangestellte zu einem Brutto-Gehalt von 1.585,00 EUR tätig. Zusätzlich vereinbarten die Parteien im Arbeitsvertrag eine Ausschlussfrist, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus und im Zusammenhang mi t dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Mit Schreiben vom 30. Mai 2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis rechtskräftig zum 14. Juni 2017. Dabei forderte er die Klägerin unter anderem auf, die Schlüssel zu den Kanzleiräumen unverzüglich herauszugeben. Da die Klägerin der Aufforderung zunächst nicht nachkam, erstatte der Beklagte Strafanzeige gegen die Klägerin, woraufhin sie die Schlüssel letztendlich der örtlichen Polizei übergab. Dort holte sie der Beklagte persönlich ab. Mit E-Mail vom 4. Juli 2017 teilte der Beklagte der Klägerin (sinngemäß) mit, von der Abrechnung Juni 2017 mit einem Betrag i.H.v. 872,77 EUR netto ziehe er 180,00 EUR als Kosten für die Strafanzeige, weitere 20,00 EUR als Auslagenpauschale und weitere 777,00 EUR als Kosten für die Abholung der Schlüssel ab, so dass sich eine Summe von -104,23 EUR ergebe. Die Klägerin behauptet, dieser Verrechnung mit E-Mail vom selben Tag widersprochen und den Beklagten zur anteiligen Vergütung für Juni 2017 aufgefordert zu haben. Der Zugang dieser E-Mail beim Beklagten ist streitig. Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 27. September 2017 eingegangen und dem Beklagten am 4. Oktober 2017 zugestellten Klage verlangte die Klägerin sodann für die Zeit vom 1. bis zum 14. Juni 2017 Entgeltfortzahlung i.H.v. 682,78 EUR brutto sowie eine Urlaubsabgeltung i.H.v. 432,05 EUR brutto. Das ArbG Berlin gab der Klage überwiegend statt.

Die Berufung des Beklagten vor dem LAG hatte Erfolg. Aufgrund der wirksam vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist, habe die Klägerin ihre Ansprüche spätestens bis zum 30. September 2017 geltend machen müssen. Dem sei die Klägerin indessen nicht nachgekommen. Zunächst habe die Klägerin durch die klageweise Geltendmachung der Forderungen nicht die Ausschlussfrist gewahrt. Hierbei sei nämlich nicht auf den Eingang der Klage bei Gericht, sondern vielmehr auf die tatsächliche Zustellung beim Beklagten abzustellen. Die Zustellung erfolgte jedoch erst am 4. Oktober 2017 und sei infolgedessen verspätet. Auch durch die E-Mail der Klägerin vom 4. Juli 2017 sei die Ausschlussfrist nicht gewahrt worden. Eine tarifliche oder vertragliche Ausschlussfrist könne zwar grundsätzlich auch durch Geltendmachung per E-Mail gewahrt werden. Bestreite der Empfänger jedoch den Zugang der E-Mail, trage der Absender die Beweislast für den Zugang. Diesen Beweis habe die Klägerin indessen nicht erbracht. Die bloße Absendung der E-Mail begründe keinen (Anscheins-) Beweis für den Zugang beim Empfänger. Schließlich stellte das LAG fest, dass zwar durch die Zuleitung einer Lohnabrechnung der Zweck der Ausschlussfrist erreicht sein könne, ohne dass es einer weiteren Geltendmachung des Lohns bedürfe. Die vorgenommenen Abrechnung der gegenseitigen Ansprüche in der E-Mail vom 4. Juli 2017 seitens des Beklagten stelle jedoch nicht eine solche Lohnabrechnung dar, die geeignet sei, den Zweck der Ausschlussfrist zu erfüllen.

Personenbedingte Änderungskündigung zur Herabsetzung der Arbeitszeit

„„LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Mai 2018,7 Sa 1588/17
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer personenbedingten Änderungskündigung zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit. Der mit einem Grad von 60 Prozent als schwerbehindert anerkannte Kläger ist bei der Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 1.700,00 EUR (1.500,00 EUR Fixum zuzüglich Zuschlägen für Bereitschaftsdienste i.H.v. 200 EUR) bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes, sprach die Beklagte mit Schreiben vom 26. September 2016 gegenüber dem Kläger eine personenbedingte Änderungskündigung zum 30. November 2016 aus. Gleichzeitig bot sie dem Kläger jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 27,25 Stunden und einer monatlichen Vergütung von 1.158,13 EUR an. Aufgrund der ihm attestierten gesundheitlichen Einschränkungen sei der Kläger nach Ansicht der Beklagten nicht mehr in der Lage, bestimmte Arbeiten auszuführen, weshalb eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit notwendig sei. Am 13. Oktober 2016 nahm der Kläger das Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Mit seiner am gleichen Tag per Fax bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 19. Oktober 2016 zugestellten Änderungsschutzklage wandte sich der Kläger gegen die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen Änderungskündigung. Durch Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2017 hob der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt die ursprüngliche Entscheidung des Integrationsamtes vom 13. September 2016 auf und gab dem Widerspruch des Klägers statt. Der beantragten fristgerechten Änderungskündigung wurde in diesem Bescheid die Zustimmung versagt. Das ArbG Berlin gab der Klage statt. Auch die Berufung des Beklagten vor dem LAG blieb erfolglos. Entgegen der Ansicht des ArbG Berlin sei die Kündigung zwar nicht bereits nach § 134 BGB nichtig, weil die gem. § 85 SGB IX a.F. erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes fehle. Da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX a.F. keine aufschiebende Wirkung hätten, entfalte die einmal erteilte Zustimmung des Integrationsamtes so lange Wirksamkeit bis sie nicht rechtskräftig aufgehoben sei. Die Änderungskündigung erweise sich jedoch als sozial ungerechtfertigt, da die geänderten Arbeitsbedingungen nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt seien. Die soziale Rechtfertigung sei zunächst - wie bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen oder wegen lang anhaltender Erkrankung - in drei Stufen zu prüfen. Bereits auf der ersten Stufe, der negativen Gesundheitsprognose, sei indessen festzustellen, dass die Einschränkungen des Klägers nicht die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung grundsätzlich in Frage stellen. Denn der Kläger schulde nicht die von der Beklagten exakt vorgetragenen Arbeiten, sondern lediglich die Tätigkeit eines Hausmeisters. Insoweit könne der Kläger jedoch mit den verbleibenden – leidensgerechten – Tätigkeiten eines Hausmeisters auch in einem zeitlich größeren Umfang und auch vollzeitig beschäftigt werden. Auch auf der zweiten Stufe könne keine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung der Beklagten festgestellt werden. Insbesondere könne dem Vortrag der Beklagten nicht entnommen werden, dass sich eine Beeinträchtigung in dem vorgetragenen Umfang von 12,25 Stunden pro Woche ergebe. Schließlich erweise sich die Änderungskündigung auch in der dritten Prüfungsstufe als nicht verhältnismäßig. Es sei nicht erkennbar, dass die Reduzierung der Zuschläge für Bereitschaftszeiten und Wochenendeinsätze aufgrund der behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen in gleichem Maße erforderlich sei, wie die Reduzierung der Arbeitszeit.

Rechtfertigung einer gezielten Suche nach Mitarbeiterinnen

„„LAG Köln, Urteil vom 18. Mai 2017 – 7 Sa 913/16
Die Parteien streiten um eine Entschädigungsforderung wegen Diskriminierung des Klägers in seiner Eigenschaft als Mann. Die Beklagte unterhält eine Werkstatt und ein Autohaus. Sie  beschäftigt ausschließlich männliche Mitarbeiter. Anfang 2015 schaltet die Beklagte eine Stellenanzeige, in der sie ausdrücklich eine Verkäuferin sucht („Frauen an die Macht!“). Der Kläger, ausgebildeter Automobilkaufmann, bewirbt sich auf die Stelle und erhält von der Beklagten eine Absage. Eingestellt wurde eine Frau, die sich vor dem Kläger beworben hatte, ebenfalls eine abgeschlossene Ausbildung zur Automobilkauffrau hat und im Gegensatz zum Kläger in der  Automobilbranche durchgehend beschäftigt war. Der Kläger macht daraufhin einen Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG geltend, da bei seiner Bewerbung wegen seines  männlichen Geschlechts diskriminiert worden sei. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Zwar liegt nach Ansicht des LAG eine  Benachteiligung des Klägers aufgrund seines männlichen Geschlechts vor. Diese Benachteiligung ist jedoch nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt. Die Beklagte verfolgte mit der ausdrücklichen Suche nach einer Verkäuferin den unternehmerischen Zweck, den Kunden beim Autokauf Verkäufer und Verkäuferinnen anzubieten, um damit bessere Verkaufsergebnisse zu erzielen. Nach Ansicht des Gerichts liegt es als Erfahrungstatsache auf der Hand, dass Kunden eines größeren Autohauses zu einem nicht unbedeutenden Teil weiblich sind. Auch kann nach Ansicht des LAG unterstellt werden, dass vom Empfängerhorizont eines Teils der Kundschaft das Geschlecht des  Verkaufsberaters für das Gelingen der Kommunikation im Verkaufsgespräch eine nicht unwichtige Rolle spielt. Insbesondere bei einem Autokauf, der als „Vertrauenssache“ gelte, komme der  Persönlichkeit des Verkäufers eine gesteigerte Bedeutung zu. Die Eigenart der Persönlichkeit eines Menschen werde durch sein Geschlecht mitgeprägt.

Zulässigkeit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung durch den Erwerber eines Betriebes

LAG Hamm, Urteil vom 30. Mai 2018, 6 Sa 55/18
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Kleindarlehens und die Geltung einer Betriebsvereinbarung. Im Jahre 2007 schlossen die S F AG und der bei ihr gebildete Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Kleindarlehen‟. Mitarbeiter konnten auf Basis dieser Betriebsvereinbarung zinslos Beträge von 1.000 bis 2.450 EUR beim Arbeitgeber beantragen und diese dann in kleinen Raten zurückzahlen. Nachdem mehrere Betriebsteile im Herbst 2009 in einen neu gegründeten Betrieb ausgliedert worden waren, ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Frühjahr durch einen Betriebsübergang auf eine weitere Firma im Unternehmen, die S W AG, über. Die S W AG kündigte sodann im Jahre 2015 die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung gegenüber dem Gesamtbetriebsrat und dem örtlichen Betriebsrat. Hierzu veröffentliche der Gesamtbetriebsrat ein Informationsschreiben, in welchem er die Mitarbeiter über die Kündigung der Betriebsvereinbarung informierte. Unter dem 1. April 2016 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Betriebsübergang auf die S International SE über, welche dann in die heutige Beklagte umfirmierte. Im März 2016 beantragte der Kläger per E-Mail erneut die Gewährung eines Kleindarlehens in Höhe von 2.450 EUR auf Basis der Betriebsvereinbarung. Dies wurde unter dem Hinweis auf die Kündigung der Betriebsvereinbarung Kleindarlehen seitens der Beklagten abgelehnt. Mit seiner am 29. Juni 2016 beim ArbG Dortmund eingegangenen Klage verlangte der Kläger die Feststellung, dass die Betriebsvereinbarung zur Gewährung von Kleindarlehen auf das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten weiterhin Anwendung finde, da die Betriebsvereinbarung ihm gegenüber nicht gekündigt worden sei. Das ArbG wies die Klage ab.

Die Berufung des Klägers vor dem LAG Hamm blieb erfolglos. Das LAG stellt zunächst fest, dass im Rahmen eines Betriebsübergangs die Regelungen aus zuvor geltenden Betriebsvereinbarungen zu Gunsten der Arbeitnehmer wie Individualvereinbarungen fortgelten (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). Umstritten sei jedoch, ob eine Kündigung ursprünglich kollektivrechtlichen Regelungen gegenüber dem neuen Betriebsrat oder nur per Änderungskündigung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern möglich sei. Nach dem LAG sei es jedoch einzig sachgerecht, eine Kündigung des Arbeitgebers gegenüber einem in dem neuen Betrieb gebildeten Betriebsrat auch hinsichtlich individualrechtlich fortgeltender Regelungen aus früheren Betriebsvereinbarungen als zulässig zu erachten. Der neue Betriebsrat übernehme demzufolge die Eigenschaft des alten Betriebsrats als Adressat der Kündigung. Eine individuelle Kündigung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer wäre dagegen je nach Anzahl der Mitarbeiter für den Arbeitgeber deutlich aufwendiger und der Zugang der jeweiligen Kündigungen und damit auch der Nachweis der Beendigung der Fortgeltung erheblich schwerer. Dies würde nach Ansicht des LAG aber zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung der Arbeitnehmer gegenüber der ursprünglichen Konstruktion führen.

Jahressonderzahlung; unverbindliche Leistungsbestimmung der Arbeitgeberin, Bestimmung durch Urteil gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB

LAG Hessen, 7. Juni 2018, 19 Sa 846/17

Die Parteien streiten um Zahlung einer Jahressonderzahlung für die Geschäftsjahre 2015 und 2016. Der Kläger war bei der Beklagten auf Grundlage des Anstellungsvertrages der Partien, sowie einer Zusatzvereinbarung zum Anstellungsvertrag, zu einem monatlichen Brutto-Grundgehalt von 14.000,00 EUR angestellt. In der Zusatzvereinbarung vereinbarten die Parteien unter anderem folgendes: „Zusätzlich zu Ihrem monatlichen Brutto-Grundgehalt ist ein variabler Gehaltsbestandteil vereinbart, der sich nach Ihren arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sowie der jeweils für Sie gültigen Regelung zum „Vergütungsmodel für den variablen Gehaltsbestandteil“ richtet. […] Mit Eintritt in unser Unternehmen beträgt Ihr vertraglich vereinbarter variabler Gehaltsbestandteil 40%, bezogen auf 100% Jahreseinkommen. Ihr derzeitiger variabler Gehaltsbestandteil beträgt 112.000,00 EUR p.a.“. Die Beklagte erstellte für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 eine Richtlinie A zum Vergütungsmodell für den variablen Gehaltsbestandteil, wonach eine variable Vergütung nur dann ausgezahlt werden kann, wenn im Unternehmensergebnis eine effektive Zielerreichung von mindestens 80% für die Messgröße B (B Gate) und C (C Gate) erreicht wird. Darüber hinaus habe nach Ziffer 4.8 der Richtlinie jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, die Höhe der Auszahlung seines variablen Gehaltsbestandteils durch seine persönliche Leistung zu beeinflussen. Da die Messgröße B nach Ansicht der Beklagten nicht bzw. nur teilweise erreicht wurde, leistete die Beklagte für das Geschäftsjahr 2015 keinen und für das Geschäftsjahr 2016 einen variablen Gehaltsbestandteil von 891,71 EUR brutto an den Kläger, der allerdings die ihm persönlich vorgegeben Ziele jeweils erreicht hatte. Gegen diese Festsetzung klagte der Kläger vor dem ArbG Wiesbaden. Dieses gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 195.108,29 EUR. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Nach Ansicht des LAG Hessen stehe dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der Jahressonderzahlung in Höhe von insgesamt 195.108,29 EUR aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. der Zusatzvereinbarung und dem Anstellungsvertrag i.V.m. § 315 Abs. 3 S. 2 BGB zu. Eine Leistungsbestimmung sei gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen vorzunehmen. Die von der Beklagten vorgenommene Festsetzung der Leistung auf Null für das Geschäftsjahr 2015 und auf 891,71 EUR brutto, anteilig für das Geschäftsjahr 2016 sei jedoch gem. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich, da sie nicht billigem Ermessen entspräche. Die Festsetzung sei ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte ihre Entscheidung auf einer unwirksamen Grundlage, nämlich der Richtlinie A, erstellt habe. Die auf dieser Grundlage getroffene Ermessensentscheidung der Beklagten sei unwirksam, weil die Richtlinie A gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S.2 BGB verstoße. Die getroffene Regelung in Richtlinie A sei insoweit widersprüchlich zu den vertraglich getroffenen Vereinbarungen der Partien, wonach dem Kläger zusätzlich zu seinem monatlichen Brutto- Grundgehalt ein variabler Gehaltsbestandteil zu gewähren ist. Dieser dem Grunde nach bestehende individuelle Anspruch auf Auszahlung eines variablen Gehaltsbestandteils werde dahingegen durch Richtlinie A ausgeschlossen, indem die Auszahlung nicht von seiner persönlichen Zielerreichung, sondern nunmehr von der Erreichung eines bestimmten Unternehmensergebnisses abhängig gemacht wird. Aus diesem Grunde habe die Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB durch Urteil zu erfolgen. Da der Kläger seine persönlichen Zielvorgaben erreicht habe, sei die Leistung des Klägers mit 100% für den streitgegenständlichen Zeitraum zu bewerten. Daher stehe dem Kläger aus der ver traglichen Vereinbarung im Arbeitsvertrag ein Anspruch auf Zahlung von 112.000 EUR für das Geschäftsjahr 2015 sowie von 83.108,29 EUR anteilig für das Geschäftsjahr 2016 zu.

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