03.05.2016

Arbeitsrecht 1. Ausgabe 2016

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Der Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Widerspruch des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG

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In der arbeitsrechtlichen Praxis ist immer wieder die Erfahrung zu machen, dass Arbeitgeber die rechtlichen und finanziellen Auswirkungen eines ordnungsgemäßen Widerspruches des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung unterschätzen. Ziel dieses Beitrags ist es, die Auswirkungen darzustellen und auf typische „Fallstricke“ aufmerksam zu machen.

I. Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Ausgangspunkt ist zunächst die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nach Ausspruch einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht und dann endet. Als rechtsgestaltende Willenserklärung entfaltet die Kündigungserklärung zunächst einmal Wirksamkeit. Sie beendet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Zeitpunktes, zu dem sie ausgesprochen worden ist. Natürlich ist der Arbeitnehmer nicht gezwungen, eine solche Kündigung widerspruchslos hinzunehmen. Er hat die Möglichkeit, sich mittels einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung „zur Wehr zu setzen“. Dies führt jedoch nur zu einer nachträglichen Überprüfung der Rechtswirksamkeit einer Kündigung. Die Kündigung gilt zunächst als wirksam, bis ein Gericht etwas Gegenteiliges entscheidet. Zwangsläufige Folge ist, dass der Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis (auch faktisch) ausscheidet und der Arbeitgeber damit auch die Zahlung der Vergütung einstellt.

II. Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers

Mit dem Ablauf der Kündigungsfrist endet grundsätzlich auch der allgemein anerkannte Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Nach Ablauf der Kündigungsfrist gibt es aber gleichwohl Konstellationen, in denen der Arbeitnehmer weiterhin tatsächlich beschäftigt wird beziehungsweise weiterbeschäftigt werden muss. Neben einer einvernehmlichen Weiterbeschäftigung – beispielsweise im Wege eines Prozessverhältnisses – kommt auch eine erzwungene Beschäftigung wegen des Vorliegens eines Weiterbeschäftigungsanspruchs in Betracht. Dabei sind zwei verschiedene Weiterbeschäftigungsansprüche voneinander zu unterscheiden: § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG begründet einerseits einen gesetzlich normierten Weiterbeschäftigungsanspruch. Andererseits erkennt das Bundesarbeitsgericht seit seiner berühmten Entscheidung vom 27. Februar 1985 den sogenannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch an. Der Anspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG ist von beiden Ansprüchen das bei weitem „schärfere Schwert”: Während es für die Voraussetzungen und die Höhe der Vergütungsansprüche nach Ablauf der Kündigungsfrist bei dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat und ob er den Kündigungsrechtsstreit gewinnt, stehen dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG die Vergütungsansprüche nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites selbst dann zu, wenn es in dieser Zeit überhaupt nicht zu einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme gekommen ist und / oder die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen wird. Dieser maßgebliche Unterschied ist Arbeitgebern während des Kündigungsrechtsstreites häufig nicht bewusst und kann deshalb später zu einem „bösen Erwachen” führen.

1. Die Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG

Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Norm setzt zunächst voraus, dass das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt und der Arbeitnehmer hiergegen fristgemäß Kündigungsschutzklage erhoben hat. In analoger Anwendung des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG soll dies auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist gelten. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG setzt weiter voraus, dass der Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung verlangt. Dabei muss der Arbeitnehmer die Art und Weise und den Grund seines Anspruches deutlich benennen. Der Arbeitnehmer kann die Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG „versteckt“ in der Kündigungsschutzklage oder mit einem gesonderten Schreiben geltend machen. Dies kann auch noch am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgen.

Erforderlich ist schließlich, dass der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat. Hieran scheitert der Weiterbeschäftigungsanspruch in der Praxis häufig. Zwar wird der Betriebsrat in aller Regel noch fristgemäß widersprechen, der Widerspruch ist oftmals jedoch nicht ordnungsgemäß begründet. Der Betriebsrat kann sich bei seinem Widerspruch nur auf die in § 102 Abs. 3 Ziffer 1 bis 5 BetrVG genannten Gründe berufen. Dabei reicht es allerdings nicht aus, den Widerspruchsgrund einfach zu benennen. Der Betriebsrat muss auch darlegen, warum die einzelnen Widerspruchsgründe vorliegen sollen. Das Bundesarbeitsgericht stellt insoweit hohe Anforderungen.

Stützt der Betriebsrat seinen Widerspruch beispielsweise darauf, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt habe (§ 102 Abs. 3 Ziffer 1 BetrVG), müssen die anderen Arbeitnehmer, auf die der Betriebsrat sich bezieht, vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein. Weiterhin muss der Betriebsrat plausibel darlegen, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sei. Bei mehreren zur gleichen Zeit beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen kann der Betriebsrat nur dann wirksam nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG widersprechen, wenn er in jedem Einzelfall auf bestimmte oder bestimmbare, seiner Ansicht nach weniger schutzwürdige Arbeitnehmer verweist.

Macht der Betriebsrat hingegen geltend, dass der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb weiterbeschäftigt werden kann (§ 102 Abs. 3 Ziffer 3 BetrVG), muss er konkret darlegen, auf welchem freien Arbeitsplatz eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Dabei muss der Betriebsrat den Arbeitsplatz zumindest in bestimmbarer Weise angeben und den Bereich bezeichnen, in dem der Arbeitnehmer anderweit ig beschäf t igt werden kann. Ein rein spekulativer Widerspruch ist hingegen nicht ausreichend.

2. Die Folge des Weiterbeschäftigungsanspruches gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG

Rechtsfolge des Weiterbeschäftigungsanspruches nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ist es, dass der Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites „bei unveränderten Arbeitsbedingungen” weiter zu beschäftigen ist. Grundlage für den Weiterbeschäftigungsanspruch bleibt der Arbeitsvertrag. Sein Inhalt bestimmt das Arbeitsverhältnis, dessen Bestand nach § 102 Abs. 5 BetrVG bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage geschützt ist. Das bisherige Arbeitsverhältnis wird auflösend bedingt durch die Abweisung der Kündigungsschutzklage fortgesetzt.

Oft wird es jedoch schwierig sein, den Inhalt des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist zu bestimmen. Dies gilt insbesondere im Falle einer betriebsbedingten Kündigung. Denn der Arbeitgeber wird geltend machen, dass er eine Organisationsentscheidung getroffen hat, aufgrund derer das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist entfallen sei. Er wird einwenden, dass es den Arbeitsplatz des Klägers nach Ablauf der Kündigungsfrist schlichtweg nicht mehr gibt. Diese Argumentation wird von den Gerichten jedoch oftmals nicht akzeptiert. Denn § 102 Abs. 5 BetrVG fordert die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers, der quasi zum „Hüter seines Arbeitsplatzes” wird. Der Weiterbeschäftigungsanspruch reduziert sich deshalb auch in solchen Fällen nicht auf den Entgeltanspruch. Der Arbeitnehmer ist vielmehr zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages tatsächlich weiter zu beschäftigen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber auch nach Ablauf der Kündigungsfrist möglicherwiese seine Organisationsentscheidung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites nicht umsetzen kann, da ansonsten der Weiterbeschäftigungsanspruch ins Leere liefe.

Da der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung andererseits nicht weitergehen kann als im ungekündigten Arbeitsverhältnis, kann der Beschäftigungsanspruch unter Fortbestehen des Lohnanspruches ausnahmsweise dann entfallen, wenn der Weiterbeschäftigung zwingende betriebliche oder persönliche Gründe entgegenstehen und der Arbeitnehmer dem gegenüber kein besonderes, vorrangig berechtigtes Interesse an der tatsächlichen Weiterbeschäftigung hat. Dies dürfte letztendlich aber nur dann der Fall sein, wenn die Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber tatsächlich unmöglich ist, beispielsweise bei einer irreversiblen Organisationsentscheidung des Arbeitgebers wie der Stilllegung des Betriebes. Besteht hingegen noch „Bedarf” für die Arbeitsleistung des Klägers, wird der Arbeitgeber ihn tatsächlich weiterbeschäftigen müssen und seine Organisationsentscheidung (jedenfalls zunächst) nicht umsetzen können. Nur dann, wenn das Interesse des Arbeitgebers an der tatsächlichen Nichtbeschäftigung ausnahmsweise überwiegt, ist er auch berechtigt, den Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen. Dabei wird er allerdings zu berücksichtigen haben, dass § 102 Abs. 5 BetrVG zwar den Bestand des Arbeitsverhältnisses, aber nicht einen bestimmten Arbeitsplatz schützt. Der Arbeitgeber wird deshalb prüfen müssen, ob er den nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG weiter zu beschäftigenden Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechtes ggf. auf einem anderen gleichwertigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen muss. Nur wenn dies ebenfalls unmöglich ist, wird der Arbeitgeber den Arbeitnehmer suspendieren dürfen.

Liegen die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG vor, gerät der Arbeitgeber auf jeden Fall in Annahmeverzug, und zwar unabhängig davon, ob er den Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt hat und wie der Kündigungsschutzprozess ausgeht. In jedem Fall schuldet er die Vergütung für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits. Dies kann sich massiv auf die Höhe einer Abfindung auswirken.

3. Gerichtliche Durchsetzung

Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG kann auf zweierlei Weise gerichtlich durchgesetzt werden:

Zunächst besteht die Möglichkeit einer Klage in der Hauptsache. Insoweit kann im Rahmen der Kündigungsschutzklage ein Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt werden, ggf. im Wege einer Klageerweiterung.

Der Arbeitnehmer kann darüber hinaus versuchen, den Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen. Um das Hauptsacheverfahren zu „beschleunigen”, kann es für ihn hilfreich sein, die einstweilige Verfügung zeitgleich mit der Klage in dem Hauptsacheverfahren einzureichen.

Einstweilige Verfügungen auf Weiterbeschäftigung scheitern aber häufig daran, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, die Eilbedürftigkeit seiner Weiterbeschäftigung glaubhaft zu machen. Insoweit stellen die Gerichte unterschiedlich starke Anforderungen.

Ein besonderes Problem der einstweiligen Verfügung besteht darin, dass der Arbeitnehmer mit der Antragsstellung möglicherweise zu lange wartet. Denn ein Verfügungsgrund kann auch zu verneinen sein, wenn der Antragsteller durch sein eigenes Verhalten zeigt, dass es ihm mit der Durchsetzung seines Anspruches selbst nicht dringlich ist.

III. Entbindungsmöglichkeiten

Von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung kann der Arbeitgeber nur auf Antrag durch eine einstweilige Vergütung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG entbunden werden. Der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes bedarf es nicht. Eine Entbindung ist möglich, wenn

1. die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder

2. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder

3. der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

Den Entbindungsgrund nach Nr. 3 löst insbesondere ein nicht ordnungsgemäß begründeter Widerspruch des Betriebsrats aus. Der pauschale Einwand des Betriebsrats, der Arbeitnehmer könne auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, reicht zum Beispiel – wie oben ausgeführt – nicht aus. Der Betriebsrat muss in bestimmbarer Weise den Arbeitsplatz angeben, auf dem der Arbeitnehmer eingesetzt werden soll.

Wird der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbunden, so entfällt auch seine Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung ab dem Zeitpunkt der Entbindung. Rückwirkend ist eine Befreiung nicht möglich.

Es ist den Arbeitgebern deshalb dringend anzuraten, die Wirksamkeit eines Widerspruches unmittelbar zu überprüfen. Der Betriebsrat kann mit dem Widerspruch zwar nicht die Kündigung verhindern. Ein wirksamer Widerspruch löst aber einen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers für die Zeit ab Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Beendigung des Kündigungsrechtsstreits aus. Der Arbeitgeber muss deshalb prüfen, ob er einen Entbindungsantrag stellt, auch wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht weiter arbeitet, um sich von diesem finanziellen Risiko zu befreien.

IV. Ergebnis

Als Ergebnis kann festgehalten werden:

Es besteht ein tatsächlicher Beschäftigungsanspruch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Nach Ablauf der Kündigungsfrist kommt bei Vorliegen eines frist- und ordnungsgemäßen Widerspruchs des Betriebsrats ein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG in Betracht. Das Bestehen eines solchen besonderen Weiterbeschäftigungsanspruchs kann Arbeitgeber empfindlich treffen, weil hierdurch die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers für die gesamte Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits aufrechterhalten bleiben, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Weiterbeschäftigung. Für den Arbeitgeber kann sich die tatsächliche Weiterbeschäftigung auch deshalb als „Fallstrick” erweisen, weil sie im Widerspruch zu dem vorgetragenen Kündigungsgrund stehen kann. Es sollte in jedem Fall geprüft werden, ob der Arbeitgeber dem Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers mit einer Entbindungsverfügung entgegentreten kann.

Dr. Gunnar Straube
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon     +49 511 5458 17626
gunnar.straube@luther-lawfirm.com

Dr. Jennifer Rasche
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon     +49 511 5458 16242
jennifer.rasche@luther-lawfirm.com

BSG erweitert Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern und sonstigen Mitarbeitern trotz Stimmbindungsverträgen und Vetorechten

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Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in drei aktuellen Entscheidungen (BSG 11.11.2015 – B 12 KR 10/14 R; B 12 KR 13/14 R; B 12 R 2/14 R) einigen in der Praxis verbreiteten Gestaltungen, mit denen die Sozialversicherungsfreiheit von Familienangehörigen oder sonstigen minderheitsbeteiligten Mitarbeitern (vermeintlich) gesichert werden sollte, die Grundlage entzogen.

In den Entscheidungen vom 11. November 2015 ging es um die Sozialversicherungsfreiheit von Personen, die als leitende Angestellte, als Prokuristin und als Geschäftsführer von Familiengesellschaften mbH tätig waren und dabei am Gesellschaftskapital jeweils unterhalb der Mehrheitsschwelle beteiligt waren. In ständiger Rechtsprechung geht das BSG davon aus, dass Mitarbeiter, die entweder Mehrheitsgesellschafter sind oder die eine Sperrminorität am Gesellschaftskapital halten, die es verhindert, dass die Gesellschafterversammlung ihnen gegen deren Willen Anweisungen über Art, Zeit und Umfang ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft erteilt, nicht sozialversicherungspflichtig i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV sind.

Im Fall B 12 R 2/14 R hatte sich der Ehemann der Mehrheitsgesellschafterin, der einen Dienstvertrag als leitender Angestellter in der Funktion des Vertriebsleiters mit der GmbH abgeschlossen hatte, die Stimmrechte seiner Ehefrau aus deren Gesellschaftsanteil isoliert übertragen lassen. Im Fall B 12 KR 13/14 R hatte die Ehefrau des Mehrheitsgesellschafters, die als leitende Angestellte und Prokuristin der GmbH tätig war und lediglich eine Minderheitsbeteiligung besaß, sich vom Mehrheitsgesellschafter in einem Stimmbindungsvertrag einräumen lassen, dass sie gesellschaftsrechtlich so gestellt werde, als habe sie 50 % der Stimmrechte inne. Im Fall B 12 KR 10/14 R hatte sich der minderheitsbeteiligte Gesellschafter- Geschäftsführer im Anstellungsvertrag mit der GmbH weitgehende Vetorechte hinsichtlich weiterer Geschäftsführerbestellungen und grundsätzlicher, die Geschäfte der GmbH betreffender Entscheidungen einräumen lassen.

In allen drei Fällen nahm das BSG – teilweise entgegen den Vorinstanzen – das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses an. Das BSG stellte dabei bei der Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status konsequent auf das Vorliegen von rechtlichen Einflussmöglichkeiten der Mitarbeiter aufgrund des Gesellschaftsvertrags ab. Die Ausübung rein faktischer Leitungsfunktionen kann damit auch in Familiengesellschaften die Sozialversicherungsfreiheit von vornherein nicht mehr begründen.

Aber auch der früher durchaus angenommenen Sozialversicherungsfreiheit aufgrund der gesonderten vertraglichen Einräumung von über die eigene gesellschaftsrechtliche Beteiligung hinausgehenden Stimmrechten und Vetorechten erteilte das BSG eine Absage. Schon die gesetzlich nicht auszuschließende theoretische Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung von Stimmbindungsverträgen oder Vetovereinbarungen führe dazu, dass diese den hiervon Begünstigten keine Rechtspositionen vermitteln, die einer Sperrminorität gleichkommt.

Eine Sperrminorität, die für die Begründung der Sozialversicherungsfreiheit ausreicht, kann sich damit nur noch aus Regelungen ergeben, die ihre Grundlage im Gesellschaftsvertrag selbst haben. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags getroffene schuldrechtliche Vereinbarungen über Stimmrechte oder die Ausübung von Vetorechten bleiben diesbezüglich unbeachtlich.

Folgen der Entscheidungen:

Ob für Geschäftsführer, einschließlich Minderheits-Gesellschafter- Geschäftsführern, bei Fehlen einer gesellschaftsvertraglich begründeten Sperrminorität überhaupt noch Umstände vorliegen können, deren Gesamtabwägung der Status der Sozialversicherungsfreiheit begründen könnte, erscheint äußerst zweifelhaft.

Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, die bislang für Mitarbeiter mit Minderheitsbeteiligungen keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt haben, weil sie angenommen haben, dass diese aufgrund familiärer Verbundenheit oder Stimmbindungs- oder Vetoregelungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags sozialversicherungsfrei sind, müssen die diesbezüglichen Gestaltungen überprüfen. Um Sozialversicherungsfreiheit zu erreichen, dürften oftmals Änderungen der Gesellschaftsverträge erforderlich werden. Da die Frage des Vorliegens eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV stets auch im Rahmen einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls zu klären ist, wird auch nach wie vor der Inhalt des jeweiligen Anstellungsvertrags eine Rolle spielen. Um auf Nummer sicher zu gehen, bietet sich ein Antrag auf Statusfeststellung gemäß § 7a SGB IV an.

Für die Vergangenheit drohen Beitragsnachforderungen – die Beitragsansprüche verjähren vier Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, bei vorsätzlicher Vorenthaltung verlängert sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Ob die für die Geltendmachung rückständiger Beiträge zuständigen Krankenkassen in diesen Fällen für die Vergangenheit Vertrauensschutz gewähren, wird sich noch zeigen. Künftig wird sich jeder für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge Verantwortliche jedenfalls an die dargelegte neue Rechtsprechung des BSG halten müssen. Das gilt für Minderheits-Gesellschafter- Geschäftsführer ohne gesellschaftsvertraglich verankerte Sperrminorität nunmehr auch “in eigener Sache“ hinsichtlich der Abführung der Beiträge für die eigene Tätigkeit.

Dr. Thomas Thees
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.
Telefon     +49 69 27229 27008
thomas.thees@luther-lawfirm.com

Zwingender Zuschlag auf Nachtarbeit in Höhe von 25 Prozent?

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BAG, Urteil vom 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14

Nach der Entscheidung des BAG ist ein Zuschlag von 25 Prozent auf den jeweiligen Brutto-stundenlohn bzw. Freizeitausgleich in entsprechendem Umfang regelmäßig als angemessener Ausgleich für geleistete Nachtarbeit anzusehen. Bei Dauernachtarbeit wird ein Zuschlag in Höhe von 30 Prozent als angemessen erachtet. Sollten besondere Umstände dazu führen, dass die Nachtarbeit weniger beeinträchtigend oder belastender als üblich anzusehen ist, kann ein verringerter bzw. erhöhter Zuschlag gerechtfertigt sein.

Allgemein

  • Nachtarbeit ist jede Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit (23 Uhr bis 6 Uhr, in Bäckereien und Konditoreien die Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr) umfasst.
  • Nachtarbeitnehmer sind Arbeitnehmer, die normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht zu leisten haben oder Nachtarbeit an mindestens 48 Tagen im Kalenderjahr leisten.
  • Für Nachtarbeit hat der Arbeitgeber gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen.

Der Fall:

Die Arbeitgeberin gehört einer Logistik- und Paketdienstleistungsgruppe an. Der Arbeitnehmer (Kläger) ist bei ihr als LKW-Fahrer im Linientransport überwiegend in der Zeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr tätig. Die Arbeitgeberin zahlte für die von 21 Uhr bis 6 Uhr geleistete Arbeit einen Aufschlag auf den Bruttostundenlohn in Höhe von 20 Prozent. Der Arbeitnehmer verlangte eine Erhöhung dieses Zuschlags auf 30 Prozent für die Zeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr. Dies begründete er insbesondere damit, dass er dauerhaft Nachtarbeit leiste.

Die Entscheidung:

Das BAG stellte fest, dass die Arbeitgeberin verpflichtet sei, dem Kläger für geleistete Arbeit während der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr einen Zuschlag in Höhe von 30 Prozent bzw. für die Zukunft auch wahlweise eine entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage zu gewähren. Der Kläger verrichte dauerhaft Nachtarbeit.

Das BAG bestätigte damit in dieser Entscheidung, dass es einen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 25 Prozent, bzw. bei Dauernachtarbeit in Höhe von 30 Prozent, als Ausgleich für Nachtarbeit im Regelfall als angemessen erachte.

Abweichungen von diesen Regelwerten seien geboten, wenn die (Nacht)Arbeit aufgrund ihrer Häufigkeit bzw. der Art der Tätigkeit als weniger belastend oder belastender anzusehen sei. Eine geringere Belastung sei beispielsweise bei nächtlichem Bereitschaftsdienst anzunehmen. Darüber hinaus sei ein geringerer Zuschlag auch dann angemessen, wenn die Nachtarbeit aufgrund der Art der Tätigkeit bzw. aufgrund technischer Erfordernisse zwingend (auch) nachts erfolgen müsse. Eine Unvermeidbarkeit der Nachtarbeit sei nicht aus rein wirtschaftlichen Erwägungen gegeben. Ein Zuschlag von 10 Prozent sei auch bei geringer Belastung als Untergrenze anzusehen.

Die Zuschläge, die für die Zeit von 21 Uhr und 23 Uhr gezahlt wurden, hat das BAG bei der Berechnung des bereits gezahlten Zuschlags für die Arbeit während der Nachtzeit (23 Uhr bis 6 Uhr) nicht angerechnet. Diese Zuschläge würden nicht für die Arbeit während der Nachtzeit gezahlt, sondern für eine außerhalb dieser Zeiten erbrachte Arbeitsleistung.

Auch ein für die Branche vergleichsweise hoher Stundenlohn führe nach Ansicht des Gerichts nicht dazu, dass ein verringerter Zuschlag für Arbeit während der Nachtzeit als angemessen anzusehen sei. Etwas anderes gelte dann, wenn der Arbeitsvertrag entsprechende Regelungen oder Anhaltspunkte dafür enthalte, dass der Arbeitslohn auch pauschal die Nachtarbeit mit abgelten solle. Dies sei hier nicht der Fall.

Tarifverträge mögen nach Ansicht des BAG hinsichtlich der Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit nur einen Anhaltspunkt bieten. Sie können (bei fehlender Tarifbindung der Parteien des Arbeitsvertrags) nicht als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, da Tarifverträge regelmäßig ein „Gesamtpaket“ bilden.

In Bezug auf die bereits geleistete Nachtarbeit habe sich die Arbeitgeberin entschieden, einen Zuschlag zu zahlen, da sie diese bereits mit einem (wenn auch zu geringen) Zuschlag vergütet habe. Für zukünftige Nachtarbeit könne die Arbeitgeberin aber noch wählen, welche Art von Ausgleich (Zuschlag oder Freizeitausgleich) sie gewähre. Dieses Wahlrecht bestehe grundsätzlich für jede Entgeltzahlperiode (also grundsätzlich monatlich) neu. Ein Wahlrecht bestehe nur dann nicht, wenn mit dem einzelnen Arbeitnehmer oder auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene eine anderweitige Regelung getroffen wurde.

Unser Kommentar:

Mit der vorliegenden Entscheidung hat das BAG erneut bestätigt, dass es im Regelfall einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent des Bruttostundenlohns als „angemessenen“ Ausgleich für geleistete Nachtarbeit ansieht. Für die durch Dauernachtarbeit hervorgerufenen Belastungen wird regelmäßig ein erhöhter Zuschlag in Höhe von 30 Prozent als angemessen angesehen.

Hierbei handelt es sich aber nicht um starre Werte. Die Umstände des Einzelfalls – Art und Umfang der Nachtarbeit und der damit verbundenen Belastungen sowie die Gründe für die Anordnung von Nachtarbeit – sind nach der Rechtsprechung des BAG bei Bestimmung des „angemessenen“ Ausgleichs zu berücksichtigen. Im Einzelfall kann deshalb ein geringerer bzw. höherer Zuschlag zu zahlen sein. Soweit der Arbeitgeber einen geringeren Nachtarbeitszuschlag gewährt, sollte er im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nachweisen können, dass die durch die Nachtarbeit hervorgerufenen Belastungen geringer als üblich sind.

Der Arbeitgeber kann wählen, ob er für geleistete Nachtarbeit einen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt zahlt oder den Arbeitnehmer in entsprechendem Umfang bezahlt freistellt bzw. einen Ausgleich durch Kombination von Zuschlag und (bezahltem) Freizeitausgleich gewährt. Hierbei hat er die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 10 BetrVG zu beachten.

Arbeitgeber sollten daher bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung darauf achten, dass insbesondere die Höhe des vereinbarten Zuschlags / Freizeitausgleichs für Nachtarbeit angemessen ist.  

Jana Hunkemöller
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon    +49 211 5660 18783
jana.hunkemoeller@luther-lawfirm.com

 

Einstellung durch Übertragung von Personalverantwortung

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LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juni 2015 – 17 TaBV 277/15

Schon die Übertragung der Personalverantwortung auf einen Arbeitnehmer kann zur Eingliederung dieses Mitarbeiters in denjenigen Betrieb führen, dessen Belegschaft er führen soll.

Der Fall

Die an dem Beschlussverfahren beteiligte Arbeitgeberin beschäftigt in Deutschland rund 4.000 Arbeitnehmer in verschiedenen Betrieben. In „Betrieb 2“ ist ein Betriebsrat gebildet. Die Arbeitgeberin gehört einem Konzern an. Die Personalführung wird im Rahmen einer sogenannten „Matrixstruktur“ organisiert, so dass die in Betrieb 2 beschäftigten Arbeitnehmer sowohl fachlich als auch disziplinarisch durch einen Mitarbeiter geführt werden, der nicht im selben Betrieb beschäftigt ist und sogar in einem anderen konzernangehörigen Unternehmen tätig sein kann.

Die Arbeitgeberin übertrug die Personalverantwortung für insgesamt 45 an verschiedenen Standorten beschäftigte Arbeitnehmer – einige davon in Betrieb 2 – ab dem 1. März 2014 auf einen Mitarbeiter, der zwar Arbeitnehmer der Arbeitgeberin, jedoch am Standort H und mithin nicht in Betrieb 2 tätig war. Der in Betrieb 2 gebildete Betriebsrat wurde hierzu nicht beteiligt. Der Mitarbeiter führt die ihm unterstellten Arbeitnehmer in erster Linie mittels Telefon, E-Mail und Internet.

Der Betriebsrat beantragte die Aufhebung der Einstellung des vorgesetzten Mitarbeiters. Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, dass eine Einstellung in den Betrieb 2 nicht vorliege. Während das Arbeitsgericht in erster Instanz noch die Auffassung vertrat, der Schwerpunkt der Tätigkeit des Mitarbeiters liege weiterhin am Standort H, mithin liege keine Einstellung in den Betrieb 2 vor, kam das LAG Berlin-Brandenburg zu einer anderen Rechtsauffassung und gab der Beschwerde des Betriebsrates statt.

Die Entscheidung

Das LAG Berlin-Brandenburg vertritt die Ansicht, der vorgesetzte Mitarbeiter sei in den Betrieb 2 gemäß § 99 BetrVG eingestellt worden, so dass der Betriebsrat zu der Einstellung hätte beteiligt werden müssen. Eine Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG liegt vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist, für den der Betriebsrat zuständig ist. Eine Eingliederung sei dann gegeben, wenn zum einen zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und dem Betriebsinhaber ein Arbeitsverhältnis bestehe und zum anderen der Arbeitnehmer innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringe, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs zu dienen bestimmt sei. Dabei sei es für die Eingliederung in die betriebliche Organisation aber nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb selbst, d.h. auf dem Betriebsgelände bzw. den Räumlichkeiten des Betriebes erbringe. Auch solche Arbeitnehmer, die zur Erreichung des Betriebszwecks außerhalb des eigentlichen Betriebs eingesetzt werden, seien dem Betrieb zugehörig. Folglich bestünde die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer gleich in mehrere Betriebe des Arbeitgebers eingegliedert sei.

Vorliegend trage der Mitarbeiter mit seiner Personalverantwortung zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs 2 bei. Ohne eine fachliche und disziplinarische Führung der ihm in Betrieb 2 unterstellten Mitarbeiter sei eine sachgerechte Verrichtung der dem Betrieb obliegenden Arbeiten nicht gewährleistet. Zudem spreche auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 99 BetrVG nicht gegen eine Eingliederung in den Betrieb 2, da die Übertragung von Personalverantwortung auf einen Mitarbeiter die Belange des Betriebes berühren könne und der Betriebsrat seiner Aufgabe, die Belegschaft zu schützen, nachkommen können müsse. So sei u.a. denkbar, dass ein zuvor mit der Personalführung beauftragter Mitarbeiter nach Entzug der Aufgabe gekündigt werde oder andere Nachteile erleide.

Das Gericht nimmt in der Begründung seiner Entscheidung auch Bezug auf einen Beschluss des LAG Baden Württemberg vom 28. Mai 2014 (4 TaBV 7/13) und schließt sich diesem an. Das LAG Baden-Württemberg hatte in seiner Entscheidung angenommen, dass bei unternehmensübergreifenden Matrixstrukturen allein die Ernennung eines Mitarbeiters zum Vorgesetzten zu einer Eingliederung in den Betrieb der ihm unterstellen Arbeitnehmer führt, wenn der Mitarbeiter zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes organisatorisch eingeplant werde. Unbedeutend für die Beurteilung des Vorliegens einer Eingliederung sei dabei, ob der Mitarbeiter seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes führe oder ob der Mitarbeiter seinerseits Weisungen in einem anderen Betrieb erhalte.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des LAG Berlin–Brandenburg – und ebenso die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg – haben erhebliche Auswirkungen für die Praxis. Sobald ein Mitarbeiter die Vorgesetztenfunktion für Arbeitnehmer in einem oder mehreren anderen Betrieben übernimmt, ist im Vorfeld ein etwaig bestehender lokaler Betriebsrat zu einer Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG anzuhören. Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass mehrere Betriebsräte anzuhören sind, von denen einer oder mehrere möglicherweise ihre Zustimmung zur Einstellung nicht erteilen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG durchzuführen, bevor er die personelle Einzelmaßnahme durchführen kann. Je nachdem wie lange sich das Zustimmungsersetzungsverfahren hinzieht, sind die untergebenen Mitarbeiter damit für eine möglicherweise erhebliche Zeit führungslos. Wie der Arbeitgeber unter diesen Voraussetzungen den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebes – im schlimmsten Fall mehrerer Betriebe – erreichen soll, bleibt dabei ungeklärt. Da das LAG Berlin-Brandenburg davon auszugehen scheint, dass die fachliche und die disziplinarische Führung des Personals für die Erreichung des Betriebszwecks notwendig ist, wird auch eine Aufteilung der fachlichen und disziplinarischen Führungsverantwortung auf mehrere Personen an dem Zustimmungserfordernis nichts ändern. Als einziger Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich bei der gegenwärtigen Rechtslage an, die Vorgesetzten zu leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG zu machen, z.B. indem man den Vorgesetzten gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt. Ob dies im Einzelfall aber tatsächlich gewünscht ist, wird ebenfalls zu hinterfragen sein.

Es bleibt abzuwarten, ob die beiden Entscheidungen Bestand haben werden. Sowohl die Entscheidung des LAG Berlin- Brandenburg als auch die Entscheidung des LAG Baden- Württemberg sind noch nicht rechtskräftig, wobei sich das BAG mit der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg voraussichtlich am 26. Juli 2016 näher befassen wird.

Nadine Ceruti
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.
Telefon    +49 69 27229 24795
nadine.ceruti@luther-lawfirm.com

Entstehen einer betrieblichen Übung trotz variierender Höhe einer Sonderzahlung

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BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 10 AZR 266/14

Hat ein Arbeitgeber eine Leistung mit der Bezeichnung „Sonderzahlung“ in dreimaliger vorbehaltsloser Auszahlung jeweils zum Jahresende in unterschiedlicher Höhe vorgenommen, kann ein Arbeitnehmer in verständiger Weise auf ein verbindliches Angebot des Arbeitgebers im Sinne des § 145 BGB schließen, welches auf Erbringung einer jährlichen Sonderzahlung gerichtet ist. Soweit der Senat in seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 1996 die Auffassung vertreten hat, bei der Leistung einer Sonderzahlung in jährlich individuell unterschiedlicher Höhe fehle es bereits an einer regelmäßigen gleichförmigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen und es komme darin der Wille des Arbeitgebers zum Ausdruck, in jedem Jahr neu „nach Gutdünken“ über die Zuwendung zu entscheiden, hält das Bundesarbeitsgericht an dieser Rechtsprechung ausdrücklich nicht mehr fest.

Der Fall

Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer „Sonderzahlung“ für das Kalenderjahr 2010. Der Kläger war seit 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Er erhielt im Jahr 2007 mit dem Dezembergehalt eine als „Sonderzahlung“ bezeichnete Zahlung über 10.000,00 EUR. In den Jahren 2008 und 2009 erhielt er jeweils mit der Dezembervergütung eine ebenfalls als „Sonderzahlung“ bezeichnete Zahlung in Höhe von 12.500,00 EUR. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30. November 2010. Die Beklagte erbrachte für das Jahr 2010 keine „Sonderzahlungen“. Der Kläger erhob Klage auf Zahlung von 12.500,00 EUR. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Die Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Gewährt ein Arbeitgeber eine Sonderzahlung, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob er sich nur zu der konkreten Leistung oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat. Eine Bindung für die Zukunft kann sowohl durch das Entstehen einer betrieblichen Übung als auch durch eine konkludente Vertragsänderung erfolgen, ohne dass ein kollektives Element gegeben sein muss. Maßgeblich ist in beiden Fällen, welchen Zweck der Arbeitgeber mit seiner Sonderzahlung verfolgt. 

Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung künftiger „Sonderzahlungen“ entsteht nach der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls dann, wenn die „Sonderzahlung“ Vergütungscharakter hat. Diese ist eindeutig gegeben, wenn die Sonderzahlung an das Erreichen quantitativer oder qualitativer Ziele geknüpft ist. Macht die Zahlung einen wesentlichen Anteil der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers aus, handelt es sich gleichfalls regelmäßig um Arbeitsentgelt, das als Gegenleistung zur erbrachten Arbeitsleistung geschuldet wird. Will der Arbeitgeber mit seiner „Sonderzahlung“ andere Zwecke als die Vergütung der erbrachten Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies eindeutig aus der der Zahlung zugrunde liegenden Vereinbarung ergeben. Der Arbeitgeber hätte also beispielsweise die Honorierung der bisherigen oder künftigen Betriebstreue eindeutig als Zweck benennen müssen. Gewährt der Arbeitgeber auf einseitig vorgegebener vertraglicher Grundlage eine Sonderzahlung, die Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung ist, kann die Sonderzahlung nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Eine solche Klausel benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Im vorliegenden Fall ging das Bundesarbeitsgericht von einem Vergütungscharakter der Sonderzahlung aus. In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass die jährlich variierende Höhe der Sonderzahlung nicht das „ob“ einer Sonderzahlung betreffe, sondern lediglich deren Höhe. Auch die Verwendung des Begriffs „freiwillig“ schließe die Verpflichtung zur Zahlung einer Sonderzahlung nicht aus. Hierdurch bringe der Arbeitgeber lediglich zum Ausdruck, dass der nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zur Zahlung verpflichtet sei. Hierdurch allein kann kein Rechtsanspruch für die Zukunft ausgeschlossen werden.

Hinsichtlich der konkreten Höhe der dem Kläger zustehenden Sonderzahlung verwies das Bundesarbeitsgericht die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück an das Landesarbeitsgericht.

Unser Kommentar

Durch die Entscheidung wird deutlich, dass die Möglichkeiten für Arbeitgeber, ohne Rechtsbindung für die Zukunft freiwillige Leistungen an ihre Arbeitnehmer zu erbringen, weiter eingeschränkt werden. Es verbleibt kaum noch Spielraum für Arbeitgeber, ihren Mitarbeitern freiwillige Leistungen zukommen zu lassen, ohne dass Ansprüche der Arbeitnehmer entstehen. Damit können lediglich wirksame Vorbehalte bei der Leistungsgewährung eine Anspruchsentstehung dem Grunde nach verhindern. Außerdem sollte der Zweck klar dokumentiert werden, sofern die Zahlung keinen Vergütungscharakter aufweist, sondern hiermit andere Zwecke verfolgt werden. Schließlich sollte die freiwillige Zahlung eher niedrig bemessen sein, um dem Argument des Bundesarbeitsgerichts zu begegnen, die Höhe der Sonderzahlung indiziere einen Vergütungscharakter, wenn sie „einen nicht unwesentlichen Teil der Gesamtvergütung“ ausmache.

Dr. Jennifer Rasche
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon     +49 511 5458 16242
jennifer.rasche@luther-lawfirm.com

Verbot privater Internetnutzung: Arbeitgeber dürfen in Verdachtsfällen eigenmächtig den Browserverlauf von Dienstrechnern auswerten

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Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2016 – 5 Sa 657/15

Der Fall

Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers. Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen exzessiver privater Internetnutzung außerordentlich fristlos gekündigt. Der Beklagten war aufgefallen, dass der Rechner des Klägers ein Datenvolumen aufweist, wie dies sonst nur bei Servern der Beklagten vorkommt. Im Rahmen eines Personalgesprächs wurde der Kläger hiermit konfrontiert und gefragt, ob er das Internet auch privat nutze, was dieser bejahte. Der Kläger wurde sodann freigestellt. In seiner Abwesenheit wertete die Beklagte den Browserverlauf des Dienstrechners aus und stellte fest, dass der Kläger in einem Zeitraum von 30 Arbeitstagen über 16.000 Internetseiten aufgerufen hat, hierunter auch Seiten von Partnerschaftsbörsen, Online- Sex-Foren und Foren der Sado-Maso-Szene. D ie B eklagte ermittelte, dass der Kläger in besagtem Zeitraum mehr als 45 Stunden mit privatem Surfen verbracht hat. Nach dem Vortrag der Beklagten gilt in ihrem Betrieb eine IT-Nutzerrichtlinie, wonach die private Nutzung des Internets ausnahmslos verboten sei. Nach dem Arbeitsvertrag zwischen den Parteien ist dem Kläger die Nutzung der zur Verfügung gestellten Kommunikationstechnik zu privaten Zwecken ausnahmsweise gestattet, sofern eine Erledigung außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich ist.

Das Arbeitsgericht Berlin wies den Kündigungsschutzantrag als unbegründet zurück. Die außerordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet. Gegen dieses Urteil hatte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Das Gericht entschied, dass die fortwährend über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen andauernde und während der Arbeitszeit erfolgende private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses im Umfang von knapp 40 Stunden eine so gravierende Verletzung der Arbeitspflicht darstellt, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt ist. Dies gelte auch dann, wenn dem Arbeitnehmer die Privatnutzung arbeitsvertraglich in Ausnahmefällen innerhalb der Arbeitspausen erlaubt ist.

Die ohne Hinzuziehung des Klägers ausgewerteten Einträge der aufgerufenen Internetseiten in der Chronik des auf dem Dienstrechner des Klägers installierten Internet-Browsers durften nach Auffassung des Gerichts zum Beweis einer exzessiven Internetnutzung im Kündigungsschutzprozess zulasten des Klägers verwertet werden. Obwohl es sich dabei um personenbezogene Daten handelt und auch wenn eine wirksame Einwilligung in die Kontrolle dieser Daten nicht vorliegt, bestehe kein Beweisverwertungsverbot; das Bundesdatenschutzgesetz erlaube auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers die Speicherung und Auswertung der Verlaufsdaten in der Chronik eines Internetbrowsers zu Zwecken der Missbrauchskontrolle. Unabhängig davon bestehe jedenfalls dann kein Beweisverwertungsverbot, wenn dem Arbeitgeber ein mit anderen Mitteln zu führender konkreter Nachweis des Umfangs des Missbrauchs des dienstlichen Internets nicht zur Verfügung steht.

Unser Kommentar

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg einer Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht standhalten wird.

Das BAG hatte schon häufiger über die Frage zu befinden, wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht eines Arbeitnehmers zu gewichten ist, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder jedenfalls einer schweren Vertragspflichtverletzung im Raum steht und der Arbeitgeber daher ein vitales Interesse an der Überwachung des Arbeitnehmers hat. So nimmt das BAG etwa bei verdeckter Videoüberwachung an, das Interesse des Arbeitgebers an der Überwachung überwiege gegenüber dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers, wenn ein konkreter Verdacht auf schwere Verfehlungen bestehe.

Zum Thema Beweisverwertungsverbote hat sich das BAG in der Vergangenheit nicht eindeutig positioniert: In einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 hat das BAG bei Arbeitnehmerkontrollen noch der Wahrheitsfindung im Zivilprozess Vorrang eingeräumt und ungeschriebene Beweisverwertungsverbote abgelehnt. In einem Urteil aus Juni 2013 hat das BAG hingegen entschieden, dass der prozessualen Verwertung von Beweismitteln, die der Arbeitgeber aus einer in Abwesenheit und ohne Einwilligung des Arbeitnehmers durchgeführten Kontrolle von dessen Schrank erlangt hat, schon die Heimlichkeit der Durchsuchung entgegenstehen kann. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das BAG die Auswertung des Browserverlaufs in Abwesenheit des Klägers beanstanden wird. Das Landesarbeitsgericht argumentiert in diesem Zusammenhang, dass eine in Anwesenheit des Klägers durchgeführte Auswertung der Browserchronik kein milderes Mittel gewesen wäre, da die Art und Weise der Auswertung auch bei Anwesenheit des Klägers keine andere gewesen wäre. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass dem Kläger durch die Auswertung in seiner Abwesenheit jedenfalls die Möglichkeit genommen wurde, zu den Ergebnissen der Auswertung unmittelbar Stellung zu nehmen. Dies könnte durchaus als milderes Mittel angesehen werden.

Dr. Sarah Zimmermann
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln
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sarah.zimmermann@luther-lawfirm.com

Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ – Bestimmtheit einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung

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BAG, Urteil vom 20. Januar 2016 – 6 AZR 782/14

Das BAG hat bereits klare Grundsätze dazu entwickelt, wann eine ordentliche Kündigung - ohne die Nennung eines konkreten Kündigungstermins – „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ ausgesprochen werden kann. Nunmehr hat sich das BAG mit dieser Thematik für den besonderen Fall einer hilfsweise ordentlichen Kündigung befasst. Beim Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sollte stets zugleich eine hilfsweise ordentliche Kündigung für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung ausgesprochen werden. Genau in diesem Fall genügt es, wenn die ordentliche Kündigung lediglich „zum nächstzulässigen Termin“ erklärt wird.

Der Fall

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer hilfsweise ordentlichen Kündigung beendet worden ist.

Der Kläger war als Lüftungsmonteurhelfer im Bereich des Anlagenbaus tätig. Der dem Arbeitsverhältnis zu Grunde liegende Arbeitsvertrag sah eine Kündigungsfrist von 4 Wochen zum Monatsende vor. In den Fällen, in denen sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber aus gesetzlichen Gründen verlängert, sollte diese Verlängerung zugleich auch für den Arbeitnehmer gelten.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis wegen angeblicher Pflichtverletzungen des Klägers außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Das Kündigungsschreiben enthielt dabei den folgenden Zusatz: „Für den Fall, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist, kündige ich hilfsweise vorsorglich das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum nächstmöglichen Termin auf.“

Der Kläger wandte sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Kündigungsschutzklage. Das Arbeits gericht gab der Klage in Bezug auf die außerordentliche Kündigung statt. Zugleich stellte es die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfrist fest. Das LAG teilte diese Auffassung nicht und entschied, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die ordentliche Kündigung beendet worden ist.

Die Entscheidung

Das BAG urteilte, dass das Arbeitsverhältnis allein durch die hilfsweise ordentliche Kündigung unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfrist beendet worden ist. Dabei befasste es sich insbesondere mit der Frage, ob die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ hinreichend bestimmt ist.

Eine Kündigung müsse als eine empfangsbedürftige Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erhält. Der Adressat der Kündigung müsse dabei insbesondere erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Vor diesem Hintergrund sei es regelmäßig notwendig, im Rahmen einer ordentlichen Kündigung den Kündigungstermin anzugeben oder zumindest die Kündigungsfrist.

Eine Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ sei möglich, wenn für den Arbeitnehmer die Dauer der Kündigungsfrist bekannt oder bestimmbar ist. In diesem Zusammenhang sei damit zu prüfen, ob die rechtlich zutreffende Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer leicht feststellbar ist oder eine umfassende Ermittlung erfordert bzw. mit der Beantwortung schwieriger Rechtsfragen verbunden ist.

Für den zu entscheidenden Fall hatte das BAG keine Zweifel an der Bestimmtheit der Kündigungserklärung. Für den Fall einer außerordentlichen Kündigung in Verbindung mit einer hilfsweise ordentlichen Kündigung könne dahinstehen, ob für den Kläger die rechtlich zutreffende Kündigungsfrist leicht feststellbar bzw. kalkulierbar ist. Da die ordentliche Kündigung nicht isoliert erklärt worden sei, sei der Kündigungsempfänger nicht im Unklaren darüber, wann das Arbeitsverhältnis nach Vorstellung des Kündigenden beendet werden soll. Grundsätzlich soll die Beendigung offensichtlich bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung erfolgen. Auf diesen Beendigungszeitpunkt müsse und könne sich der Kläger in jedem Falle einstellen. Daher könne es nicht darauf ankommen, ob es ihm ohne Schwierigkeiten möglich ist, die Kündigungsfrist der hilfsweise erklärten Kündigung zu ermitteln.

Unser Kommentar

Die Begründung des BAG ist nachvollziehbar und konsequent. Nach den Grundsätzen des BAG muss der Arbeitnehmer erkennen können, zu welchem Termin der Arbeitgeber die Kündigung beabsichtigt. Im Falle einer fristlosen Kündigung in Verbindung mit einer hilfsweise ordentlichen Kündigung ist diese Absicht offensichtlich: Der Arbeitgeber beabsichtigt das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden. Die zeitgleich hilfsweise ausgesprochene Kündigung soll zunächst keine Wirkung entfalten. Vor diesem Hintergrund kann es auf ihren Inhalt für die Frage der Bestimmtheit der Kündigungserklärung auch nicht ankommen.

Ein entscheidendes Argument für die Rechtsprechung des BAG war weiterhin, dass bei einer gegenteiligen Lösung ein Wertungswiderspruch zum Rechtsinstitut der Umdeutung entstehen würde. Bei einer Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung, fehlt in Bezug auf die ordentliche Kündigung ebenfalls die Angabe der Kündigungsfrist bzw. des Kündigungstermins. Gleichwohl ist die ordentliche Kündigung zum nächstzulässigen Termin wirksam.

Trotz dieser Auslegung zugunsten der Arbeitgeberseite, empfiehlt es sich aus praktischer Sicht, bei einer hilfsweise ordentlichen Kündigung dennoch stets den Zusatz hinzuzufügen: „Nach unserer Berechnung ist dies der …“.  

Hilmar Rölz, MLE
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon +49 511 5458 24665
hilmar.roelz@luther-lawfirm.com

Mindestlohn für Bereitschaftszeiten

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März 2016 – 27 Ca 443/15

Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg zählt der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit nach dem MiLoG und ist daher nach § 1 MiLoG zu vergüten.

Der Fall

Die Parteien streiten um die Höhe der Vergütung für Bereitschaftszeiten.

Der Kläger ist bei der Beklagten in einem pflegerischen Beruf tätig. Er leistete in der Zeit von Januar bis Juli 2015 insgesamt 93 Stunden Bereitschaftsdienste. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet auf Grund einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie (KTD) vom 15. August 2002 Anwendung. Das Stundenentgelt betrug ausgehend von dem tariflichen Bruttomonatsentgelt zunächst € 15,07 brutto und ab April 2015 € 16,02 brutto. Gemäß § 11 Abs. 4 KTD gilt, dass Bereitschaftsdienste mit dem Faktor 0,45 faktorisiert wird. Bei einem Faktor von 0,45 ergab sich für den Kläger für Bereitschaftsdienste bis einschließlich März 2015 ein tarifvertraglicher Stundenlohn in Höhe € 6,78 und ab April 2015 in Höhe von € 7,21. Die Bereitschaftsdienste wurden in dieser Höhe vergütet. Weiter ist in § 14 Abs. 1 KTD zu den Entgeltgrundlagen geregelt, dass das Entgelt nach der Entgeltgruppe und der Entgeltstufe bemessen und für den Kalendermonat (Entgeltzeitraum) berechnet wird.

Der Kläger hat mit der Klage weitere Vergütung für die von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste verlangt. Er meint, dass die Vergütung einer jeden Zeitstunde bei Arbeitsbereitschaft, aber auch bei Bereitschaftsdiensten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG mit € 8,50 brutto hätte vereinbart werden müssen. Bezugspunkt sei jede einzelne Arbeitszeitstunde. Die tarifliche Regelung sei daher im Ergebnis unwirksam. Der Kläger meint weiter, einen Anspruch auf seine sonstige tarifliche Stundenvergütung in Höhe von € 15,07 bzw. ab April 2015 in Höhe von € 16,02 zu haben, da dem MiLoG keine Begrenzung auf den Mindestlohn entnommen werden könne.

Die Beklagte wandte ein, dass Bereitschaftszeiten nicht unter den Anwendungsbereich des MiLoG fallen würden, weil es sich nicht um Arbeitszeit im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG handele. Bereitschaftszeit sei im Verhältnis zur sonstigen Arbeitszeit eine andere Leistung und somit ein „aliud“. Jedenfalls sei der Kläger nicht entgegen dem Mindestlohngesetz bezahlt worden, weil auf die monatliche Durchschnittsvergütung abzustellen sei. Selbst wenn die Bezahlung nicht dem MiLoG entsprechen würde, könnte der Kläger nur € 8,50 je Stunde der Bereitschaftszeit verlangen, also die Differenz der für die Bereitschaftszeit gezahlten Vergütung zum Mindestlohn, nicht aber seine sonstige tarifliche Stundenvergütung.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts keinen Anspruch auf weitere Lohnzahlungen für seine geleisteten Bereitschaftsdienste. Allerdings werden nach Auffassung des Arbeitsgerichts auch Bereitschaftsdienste vom § 1 MiLoG erfasst und sind mit dem Mindestlohn zu vergüten. Da der Kläger im Rahmen der gebotenen monatlichen Durchschnittsbetrachtung entsprechend den Vorgaben des MiLoG vergütet wurde, war die Klage gleichwohl abzuweisen.

In seinem Urteil stellte das Arbeitsgericht fest, dass weder im Gesetz ausdrücklich geregelt noch höchstrichterlich entschieden sei, ob Bereitschaftszeit als Arbeitszeit im Sinne des Mi- LoG gelte. Für die Anwendung des MiLoG sei nicht maßgeblich, welche Arbeitsleistung erbracht werde, solange diese im Rahmen einer vertraglich geregelten Austauschbeziehung erbracht wird. Weiter führt das Arbeitsgericht aus, dass, solange sich der Arbeitnehmer infolge des ausgeübten Direktionsrechts für einen vorgegebenen Zeitraum an einem bestimmten Ort aufhalten müsse und der tatsächlich Arbeitsanfall vom Zufall abhänge, ein synallagmatisches Austauschverhältnis bestehe. Es handele sich dann um nach dem MiLoG zu vergütende Arbeitszeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage gleichwohl abgewiesen, da der Kläger im Rahmen der gebotenen monatlichen Durchschnittsbetrachtung entsprechend des MiLoG vergütet wurde. Dies sei zwar dem Wortlaut des MiLoG nicht ausdrücklich zu entnehmen, ergebe sich aber aus dem Sinn und Zweck des Mindestlohngesetzes, dass ein auf die Situation der Arbeitnehmer zugeschnittenes pauschaliertes Existenzminimum als Monatseinkommen erreicht wird. Hierfür ist es unerheblich, ob einzelne Arbeitsstunden mit weniger als € 8,50 brutto vergütet werden, solange im (Monats-) Durchschnitt dieser Mindeststundenlohn erreicht wird. Dafür spreche ferner, dass es ausdrücklich weiterhin zulässig ist, Stück- und Akkordlöhne zu vereinbaren, bei denen gerade kein Zeitlohn vereinbart wird, wenn gewährleistet ist, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird. In dem zu entscheidenden Fall ergab sich dies auch aus § 14 Abs. 1 KTD, wonach der Entgeltzeitraum monatlich definiert war.

Maßgeblich ist danach, ob für den Abrechnungszeitraum im Durchschnitt mindestens der in § 1 Abs. 2 MiLoG geregelte Lohn pro Zeitstunde gezahlt wird. Eine darüber hinaus gehende Vergütung mit der sonstigen tariflichen Stundenvergütung konnte der Kläger nicht verlangen.

Unser Kommentar

Die Frage, ob auch Bereitschaftszeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten sind, ist beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Az: 5 AZR 716/15). Mit einer Entscheidung ist im Juni 2016 zu rechnen. Dabei geht es zum einen um die Frage, ob Bereitschaftszeiten überhaupt vergütungspflichtige Arbeitszeiten im Sinne des Mindestlohngesetzes sind. Wenn dies bejaht wird, ist weiter fraglich, ob eine auf den Monatsdurchschnitt bezogene Betrachtung zur Ermittlung der Vergütungshöhe zulässig ist.

Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits vor Inkrafttreten des MiLoG über die Frage des Mindestlohns bei Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst in der Pflegebranche zu entscheiden (BAG, 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12). In diesem Verfahren ging es um die Zahlung des Mindestentgelts nach der „Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche“ (PflegeArbbV). Der 5. Senat des BAG hat zu § 2 PflegeArbbV entschieden, dass nicht nur für Zeiten der „Vollarbeit“, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst nach § 2 PflegeArbbV das Mindestentgelt zu zahlen ist. Es sei nach der PflegeArbbV zulässig, für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst ein geringes Entgelt zu bestimmen. Von dieser Möglichkeit war aber für den im Streit stehenden Zeitraum kein Gebrauch gemacht worden. Eine solche gesonderte Vergütungsregelung hat der Gesetzgeber erst mit der „Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche“ vom 27. November 2014 geschaffen.

Im MiLoG ist eine solche gesonderte Vergütungsregelung für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftszeiten nicht enthalten, sodass es nach Auffassung des Arbeitsgerichts nach dem MiLoG keinen Unterschied macht, ob Vollarbeit oder aber Bereitschaftsdienst zu vergüten ist. Eine Vergütung unterhalb des Mindestlohnes, die sich aus anderen Bestimmungen ergibt, zum Beispiel aus tarifvertraglichen Regelungen, verstößt damit gegen die zwingenden Bestimmungen des MiLoG und ist unwirksam. Ferner ist fraglich, ob in allen Fällen, in denen für Bereitschaftszeiten eine unterhalb des Mindestlohns liegende Vergütung vorgesehen wird, eine monatliche Durchschnittsbetrachtung zulässig ist.

 

Martina Ziffels
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon    +49 40 18067 12195
martina.ziffels@luther-lawfirm.com

 

Nachrichten in Kürze

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Vorzeitiges Ausscheiden im Rahmen eines Abwicklungsvertrags bedarf der Schriftform

BAG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 6 AZR 709/14

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Ar-beitsverhältnisses. Die Beklagte betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Im August 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 28. Februar 2014. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien im Oktober 2013 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 28. Februar 2014 enden sollte. Der Vergleich sah eine Regelung zum vorzeitigen Ausscheiden vor. Danach war die Klägerin berechtigt, mit schriftlicher Erklärung und Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Ta-gen vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis aus zu scheiden. Für den Fall des vorzeitigen Ausschei-dens verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung. Mit Schreiben vom 26. Novem-ber 2013 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit, dass die Klägerin zum 30. November 2013 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide. Das Schreiben wurde per Telefax übermittelt. Ein Original wurde nicht übersandt. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Hiergegen erhob die Klägerin wiederum Kündigungsschutzklage und begehrte zudem festzustellen, dass sie zum 30. November 2013 vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist. Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten fest und wies die Klage im Übrigen ab. Das LAG hat dem Feststellungsantrag stattgegeben.

Die von der Beklagten eingelegte Revision beim BAG war erfolgreich. Nach Auffassung des BAG wurde das Arbeitsverhältnis nicht durch das Telefaxschreiben vom 26. November 2013 zum 30. November 2013 beendet. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Kündigung, die nach § 623 BGB der Schriftform des § 126 BGB bedarf. Die Schriftform wird dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Durch die Unterzeichnung wird der Aussteller der Urkunde erkennbar. § 623 BGB erfasst die Kündigung jedes Arbeitsverhältnisses. Auch die Anzeige des vorzeitigen Ausscheidens nach dem gerichtlichen Vergleich unterfällt dem Formzwang des § 623 BGB. Die dort geregelte Anzeige ist eine einseitige Willenserklärung, die auf die Beendigung des Arbeitsverhält-nisses zu einem bestimmten Termin gerichtet ist. Damit stellt die Anzeige eine Kündigungserklärung dar. Die Schriftform wurde durch die Übersendung der Anzeige per Telefax nicht gewahrt und ist daher nach § 125 Satz 1 BGB nichtig.

Mitbestimmung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement

BAG, Beschluss vom 22. März 2016 – 1 ABR 14/14

Der Arbeitgeber streitet mit dem Betriebsrat über die Wirksamkeit eines Spruchs einer Einigungsstelle, in dem es um die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements geht. Der Einigungsstellenspruch sieht für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Bildung eines Integrationsteams vor, das sich aus je einem Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats zusammensetzt. Das Integrationsteam führt das betriebliche Eingliederungsmanagement mit betroffenen Arbeitnehmern durch, berät über konkrete Maßnahmen, schlägt dem Arbeitgeber Maßnahmen vor und begleitet den nachfolgenden Prozess im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Der Arbeitgeber hat sich gegen den Einigungsstellenspruch zur Wehr gesetzt und begehrt die Feststellung, dass der Einigungsstellenspruch unwirksam ist. Das LAG stellte auf Antrag des Arbeitgebers die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs fest.

Die gegen die Entscheidung des LAG gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats blieb ohne Erfolg. Das BAG stellt fest, dass die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit überschritten hat und der Einigungsstellenspruch daher unwirksam ist. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst nur die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überwunden und mit welchen Leistungen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Mit ihrem Spruch hat die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit überschritten, indem sie sich nicht auf die Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagement beschränkt, sondern eine Beteiligung eines Integrationsteams für die Umsetzung von Maßnahmen festgesetzt hat, die allein dem Arbeitgeber obliegt.

Altersdiskriminierung durch das Konzept „60+“ für Führungskräfte?

BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 8 AZR 677/14

Die Parteien streiten um die Frage der Benachteiligung eines Konzepts, das die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 60. Lebensjahres gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages vorsieht. Der im Oktober 1952 geborene Kläger war bei der Beklagten als Verkaufsleiter PKW in einer der Niederlassungen der Beklagten beschäftigt. Arbeitsvertraglich war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 65. Lebensjahres vereinbart. Als Verkaufsleiter gehörte der Kläger den leitenden Führungskräften an. Die Beklagte führte im Jahr 2003 das Konzept „60+“ für leitende Führungskräfte ein. Das Konzept sah die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 60. Lebensjahres unter anderem gegen Zahlung einer Abfindung vor. Die Beklagte unterbreitete dem Kläger im Juli 2003 ein entsprechendes Angebot, das dieser bis zum 31. Dezember 2005 annehmen konnte. Der Kläger nahm das Angebot im Dezember 2005 an, womit er mit Ablauf des 31. Oktober 2012 aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung ausschied. Im Jahr 2012 wurde das Konzept „ 60+“ durch das Konzept „ 62+“ ersetzt, wonach leitende Führungskräfte, die im Jahr 2012 das 57. Lebensjahr vollendeten, ab November 2012 ein Angebot zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 62. Lebensjahres erhalten sollen. Der Kläger hat die Befristung seines Arbeitsverhältnisses nicht mit einer Entfristungsklage angegriffen, sieht sich jedoch durch die Vereinbarung der Befristung seines Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 60. Lebensjahres und wegen des Alters benachteiligt, weil die Beklagte ihm eine Umstellung seines Arbeitsverhältnisses auf das Konzept „62+“ nicht angeboten hat. Der Kläger verlangt die Feststellung, dass die Beklagte ihm nach § 15 Abs. 1 AGG den aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens entstandenen finanziellen Schaden zu ersetzen hat und zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet ist. Das Arbeitsgericht und das LAG haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das BAG ist der Ansicht, dass der Kläger durch die Beklagte keine weniger günstige Behandlung erfahren hat, als andere Personen in vergleichbarer Situation (§ 3 Abs. 1 AGG). Der Kläger wurde nicht anders behandelt als andere leitende Führungskräfte, indem ihm das Konzept „60+“ angeboten wurde. Der Kläger konnte frei darüber entscheiden, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte oder nicht. Der Kläger ist mit den Arbeitnehmern, die das Angebot auf Abänderung des Arbeitsvertrages nach dem Konzept “62+“ ab November 2012 erhalten haben, nicht vergleichbar, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden war.

Ausschluss von Sozialplanabfindung und Klageverzichtsprämie bei Beschäftigungsmöglichkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

BAG, Urteil vom 8. Dezember 2015 – 1 AZR 595/14

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer in einem Sozialplan vereinbarten Klageverzichtsprämie. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin eines Unternehmens, das im Jahr 2008 ein Unternehmen aus dem Konzern der Deutschen Telekom AG übernommen hat. In dem Unternehmen wurden auch Beamte beschäftigt, die vor der Postreform bei der Deutschen Bundespost eingesetzt waren. Diese Beschäftigung erfolgte im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Für die Zeit ihrer Beschäftigung in der Privatwirtschaft war ihnen Sonderurlaub erteilt worden. Endet diese Beschäftigung in der Privatwirtschaft, sind sie amtsangemessen einzusetzen oder zu besolden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten legte ihren Betrieb im Jahr 2013 still und kündigte sämtlichen Arbeitnehmern. Über die Stilllegungsmaßnahme vereinbarte sie einen Sozialplan, der die Zahlung von Abfindungen sowie in einer weiteren Vereinbarung eine Sonderprämie vorsah, die gezahlt wird, wenn die Arbeitnehmer gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keine Klage erheben. Die beurlaubten Beamten der Deutschen Bundespost waren von beiden Leistungen ausgeschlossen, was diese für gleichheitswidrig hielten.

Die Klagen der beurlaubten Beamten hatten vor dem BAG Erfolg, soweit sie von der Zahlung der Klageverzichtsprämien ausgeschlossen wurden. Eine Betriebsvereinbarung, nach der Arbeitnehmer eine Sonderprämie erhalten, wenn sie auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, darf nicht solche Arbeitnehmer ausschließen, die im Anschluss an ihre Entlassung anderweitig beschäftigt werden und von der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens daher absehen. Die Sonderzahlung dient der Planungssicherheit des kündigenden Arbeitgebers. Hierfür kommt es auf das Bestehen einer Anschlussbeschäftigung nicht an.

Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung

BAG, Urteil vom 18. November 2015 – 1 AZR 751/13

Die Parteien streiten über die Zahlung von Entgelt. Die Beklagte betreibt eine Kfz-Werkstatt nebst Gebrauchtteilehandel und Abschleppdienst. Der Kläger war bei der Beklagten von Dezember 2009 bis April 2012 als Fahrer für den Abschleppdienst und Pannenhelfer beschäftigt. Er verdiente € 1.000,00 netto monatlich. Die arbeitsvertragliche Regelung hierzu sah vor, dass in der Nettovergütung bereits 30 Einsätze im Monat außerhalb der normalen Arbeitszeit enthalten sind. Not- und Bereitschaftsdienst wird nicht gesondert vergütet. Der Kläger erhält arbeitsvertraglich eine jederzeit frei widerrufliche Zulage für Pannenhilfe und Abschleppen von € 10,00 brutto je Auftrag bzw. je Stunde. Der Kläger war darüber hinaus verpflichtet, im Wechsel mit anderen Kollegen den Notdienst und die Rufbereitschaft in der Werkstatt aufrechtzuerhalten. Für die Übernahme der Rufbereitschaft wird ein Pauschalentgelt bezahlt dessen Höhe frei vom Arbeitgeber festgesetzt wird. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte der Kläger gerichtlich ein weiteres Arbeitsentgelt in Höhe von € 55.768,00 brutto abzüglich gezahlter € 27.000,00 netto geltend. Er war der Ansicht, sein monatliches Gehalt sei durch die umfangreichen, nicht gesondert vergüteten Bereitschaften sittenwidrig niedrig, sodass ihm eine übliche Vergütung von € 1.992,00 brutto monatlich zustehe.

Vor dem BAG hatte der Kläger Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften. Diese Vergütung ergebe sich allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit. Der objektive Tatbestand des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Geschäfts setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus, was regelmäßig anzunehmen ist, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts erreicht oder die vereinbarte Vergütung mehr als 1/3 unter dem Lohnniveau der auszuübenden Tätigkeit in der Wirtschaftsregion bleibt. Für die in subjektiver Hinsicht verlangte Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen vom BAG entwickelte Vermutungsregel, dass der objektive Wert einer Arbeitsleistung mindestens doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung sein muss, habe der Kläger nach Ansicht des 1. Senats nicht ausreichend vorgetragen. Eine sittenwidrige Vergütung für die in der Normalarbeitszeit geleistete Arbeit könne nicht dadurch zur Sittenwidrigkeit werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Verkennung der Rechtslage Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit vorenthält. In einem solchen Fall sieht die Rechtsordnung stattdessen einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung geleisteter Mehr- und Sonderarbeit vor. Die arbeitsvertragliche Regelung, dass 30 Einsätze im Monat außerhalb der normalen Arbeitszeit in der Monatsvergütung enthalten sind, ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 BGB. Aus der vertraglichen Klausel selbst ergibt sich nicht, welche Arbeitsleistung bei welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden soll. Der Arbeitnehmer kann bei Vertragsschluss nicht erkennen, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Der Kläger hat daher nach Ansicht des BAG Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften und der dabei angefallenen Vollarbeit und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den Bereitschaften um Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft gehandelt hat. 

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